Leitsatz

1. Eine Steuerforderung ist insolvenzrechtlich in dem Zeitpunkt begründet, zu dem der Besteuerungstatbestand vollständig verwirklicht ist (Anschluss an BFH-Urteil vom 16.5.2013, IV R 23/11, BFHE 241, 233, BStBl II 2003, 759).

2. Wann eine Einkommensteuerforderung begründet ist, kann auch von der Art der Gewinnermittlung abhängen. Nach dem Realisationsprinzip ist im Falle der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich die diesbezügliche Einkommensteuerforderung bereits begründet, wenn die ­Forderung realisiert ist. Im Fall der Einnahmen­überschussrechnung ist dies nach dem Zufluss­prinzip erst mit tatsächlicher Vereinnahmung der Fall.

3. Masseverbindlichkeiten sind auch die Einkommensteuerschulden, die sich aus "echten" Überschüssen einer Erbengemeinschaft ergeben.

4. Unerheblich für das Vorliegen einer Masseverbindlichkeit ist der Zufluss der Einkünfte aus der Beteiligung an der Erbengemeinschaft in die Insolvenzmasse.

 

Normenkette

§ 55 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 2, § 55 Abs. 4 InsO, § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 3, § 5, § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1, § 16 Abs. 2, § 16 Abs. 3 EStG, § 155, § 162, § 171 Abs. 10, § 182 Abs. 1 AO, § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB, § 240 ZPO

 

Sachverhalt

Am 8.2.2006 wurde über das Vermögen des Insolvenzschuldners X das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. X hatte ein Einzelunternehmen mit drei Ladenlokalen betrieben. Ein Ladenlokal befand sich in einem Gebäude, das einer Erbengemeinschaft gehörte, an der X beteiligt war. Vor und nach der Insolvenzeröffnung wurde das Anlagevermögen des Einzelunternehmens veräußert. Der Steuerrechtstreit ging vor allem um die Frage, inwieweit die daraus resultierende Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit anzusehen ist.

Der im Rahmen dieser Besprechung besondere Sachverhaltsaspekt besteht in der Tatsache, dass über das Grundstück der Erbengemeinschaft am 16.6.2006, also nach Insolvenzeröffnung, die Zwangsverwaltung angeordnet wurde. Die sich sowohl aus den Veräußerungsgewinnen als auch aus den gesondert und einheitlich festgestellten Vermietungseinkünften der Erbengemeinschaft für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergebende Einkommensteuer wurde gegen den Kläger festgesetzt. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg, soweit sie die Einkommensteuer betraf (Thüringer FG, Urteil vom 30.11.2011, 3 K 581/09, Haufe-Index 3510453, EFG 2013, 317).

 

Entscheidung

Der BFH urteilte, das FG habe zwar zutreffend erkannt, dass es auch in Bezug auf die Einkommensteuern als Masseverbindlichkeiten darauf ankomme, wann der Tatbestand der Einkünfteerzielung vollständig verwirklicht worden sei, jedoch übersehen, dass im Streitfall auf das Realisationsprinzip abzustellen gewesen sei. Da der BFH auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen konnte, in welcher Höhe die streitigen Einkommensteuerschulden Masseverbindlichkeiten waren, wurde die Sache an das FG zurückverwiesen. In Bezug auf die Aussagen zur Zwangsverwaltung wird auf die Erläuterungen unter den Praxis-Hinweisen hingewiesen.

 

Hinweis

1. Im Mittelpunkt dieses erst nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehenen Urteils steht eigentlich die Abgrenzung zwischen einer Masseverbindlichkeit und einer Insolvenzforderung. Neben den sich aus den Leitsätzen ergebenden Grundsätzen hat eine im Urteil eher wenig auffällige Passage an Bedeutung gewonnen, die sich mit dem Verhältnis der steuerlichen Pflichten von Zwangsverwalter und Insolvenzverwalter beschäftigt. Diese scheint auf dem ersten Blick dem später ergangenen Urteil des IX. Senats vom 10.2.2015 (IX R 23/14, BFH/NV 2015, 1018, BFH/PR 2015, 277, BFHE 249, 202), zu widersprechen, das bislang noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden ist und das nicht nur in der Finanzverwaltung lebhaft diskutiert wird.

2. Der IX. Senat hatte unter Änderung der Rechtsprechung entschieden, dass der Zwangsverwalter auch die Einkommensteuer des Vollstreckungsschuldners zu entrichten habe, soweit sie aus der Vermietung der im Zwangsverwaltungsverfahren beschlagnahmten Grundstücke herrühre. An der Entrichtungspflicht des Zwangsverwalters ändere sich nichts, wenn während der Zwangsverwaltung das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet werde.

3. Der X. Senat hatte dagegen einen Sachverhalt zu beurteilen, in dem ein Insolvenzschuldner an einer Erbengemeinschaft beteiligt war, die Vermietungseinkünfte erzielte. Der Streitfall unterschied sich dadurch von dem Fall des IX. Senats, dass (1) über das Grundstück der Erbengemeinschaft und (2) erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Zwangsverwaltung angeordnet wurde.

4. Der X. Senat entschied, dass wenn die Vermietungseinkünfte aus dieser Erbengemeinschaft erst in dem Zeitraum nach der Eröffnung des Insol­venzverfahrens erzielt werden, auch der Besteue­rungstatbestand erst nach der Insolvenzeröffnung ­vollständig verwirklicht wird. Damit liegen Masseverbindlichkeiten hinsichtlich der Einkomme...

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