3.1 Stabilität vs. Offenheit vs. Agilität

Wie aus der Auflistung der Herausforderungen schon ersichtlich, ist es mit besserem Werkzeug allein nicht getan. Solange die Rollenbeschreibung des Controllings auf dem in der Einleitung beschriebenen Stand von 2014 verbleibt, nutzen auch die besten Tools nichts. Die Analyse der Verwertungshäufigkeit von Erkenntnissen aus dem Controlling bietet ein durchaus bedenkliches Bild.

Die Steuerung von Unternehmen basiert zumeist auf top-down definierten Zielen, die zusammen mit Vorgaben zu Umsetzung und entsprechenden KPIs ausgegeben werden. Es ist nachvollziehbar, dass die Ausgabe von individuellen Zielen, insbesondere, wenn sie dann auch noch monetär belohnt werden, zu einer entsprechenden Fokussierung führt. Leider treten hier aber eine ganze Reihe von unerwünschten Nebenwirkungen auf:

  • Erkenntnisse aus dem Controlling, die an Verantwortliche herangetragen werden, dort aber keinen Beitrag zu einem ausgegebenen KPI leisten, werden rundheraus abgelehnt. Gleichgültig, wie sinnvoll die Erkenntnisse sind, sie sind oft nicht von Interesse und es sind keine Ressourcen für die Umsetzung verfügbar.
  • Umgekehrt wird das Beharren auf vermeintlich bewährten Abläufen trotz anderer Erkenntnisse im Controlling sogar dadurch begründet, dass es ja, wenn hier ein erstrebenswertes Ziel vorliegen würde, sicherlich auch einen entsprechenden KPI gäbe.
  • Aufgrund über Jahrzehnte immer weiter verfeinerter Methoden der Zielmanagementsysteme wurden die ausgegebenen KPI-Systeme immer komplexer. Damit sind sie naturgemäß weniger schnell an aktuelle Herausforderungen anpassbar. Das schlägt sich auch in der (mangelnden) Bereitschaft der Träger dieser Ziele nieder, dynamisch auf Herausforderungen zu reagieren.

Die Konditionierung, an einer einmal etablierten Systematik festzuhalten, führt dann im Verbund mit klassischen deskriptiven Instrumenten des Controllings zu einer sich selbst bestätigenden Prophezeiung. Das Controlling liefert Auswertungen, die exakt auf die gegebenen KPIs ausgerichtet sind. Da diese kleinteilig für einzelne Einheiten im Unternehmen jeweils anders gestaltet sind, bekommt jeder Fachentscheider die Auswertung auf die jeweils eigene Weltsicht zugeschnitten. Es sind zwar keine "Gefälligkeitsanalysen", die so entstehen, schließlich werden Zielverfehlungen weiterhin aufgezeigt. Aber kritische, grundsätzlich ergebnisoffene Analysen können auf diese Weise nicht erstellt werden. In der Folge bleiben wertvolle Erkenntnisse unberücksichtigt, Handlungsspielräume gehen verloren.

3.2 Ein kleines Beispiel aus der Unternehmenspraxis

Das folgende Beispiel zeigt, wie im Pilotversuch der Einsatz eines Prescriptive Analytics Tools mit dem Steuerungsmodell des Unternehmens kollidiert.

Das Finanzcontrolling hat in Zeiten härterer konjunktureller Anforderungen die Aufgabe, Working Capital freizusetzen.

Die Analytics-Anwendung zeigt auf, dass im Übermaß Working Capital durch bestimmte Materialien mit hohen Beständen an Lager gebunden ist. Diese Materialien werden im Vergleich zum Verbrauch in zu hoher Stückzahl bevorratet. Die Anwendung zeigt, dass die (statistisch) sehr wahrscheinliche Ursache darin zu suchen ist, dass alle diese Materialien manuell disponiert werden, anstatt das verwendete ERP-System die Bestellungen automatisch berechnen und auslösen zu lassen. Statt in einem etwa 2-wöchigen Zyklus zu bestellen, werden diese Materialien tatsächlich jeweils für 3 Monate und mehr bevorratet.

Die Diskussion einiger Stichproben mit den Supply-Chain-Verantwortlichen des betroffenen Standorts ergibt, dass es in der Vergangenheit Lieferengpässe bei diesen Materialien gab. Daher habe man die automatisierte Entscheidung durch manuelle Prüfung und Bestellung ersetzt. Tatsächlich gab es 2 Jahre zuvor Lieferengpässe, die aber längst nicht mehr bestanden. Und damit nicht genug, es wurden Monat für Monat immer mehr "problematische Fälle" aus dem automatischen ERP-Lauf dauerhaft in die manuelle Disposition überführt.

Die vom Finanzcontrolling auf der Suche nach Working Capital vorgebrachte Empfehlung, doch bitte die Liste der manuell disponierten Materialien zu prüfen und zu entschlacken, traf auf die nachfolgend skizzierten Bedenken:

  • Die Verantwortung für die Verfügbarkeit von Materialien liegt bei der Supply Chain am Standort. Eine Einmischung des Finanzcontrollings wird nicht als hilfreich empfunden.
  • Der zentrale KPI für die Supply-Chain-Verantwortlichen ist die permanente Verfügbarkeit von Material. Das gebundene Working Capital ist zwar eine Zielgröße für den Finanzbereich, nicht aber für die Supply Chain.
  • Der direkte Dialog auf dieser Detailebene zwischen Finanzcontrolling und Supply Chain ist nicht institutionalisiert. Die jeweiligen Berichtswege verlaufen zunächst einmal "nach oben". Nach den Regeln hätten sich also schließlich 2 Vorstände für ihre jeweiligen Bereiche über die Sinnhaftigkeit des Vorschlags austauschen müssen. Eine wenig wahrscheinliche und sicher auch unproduktive Vorgehensweise.
  • Zwar hat das Finanzcontrolling in Summe eine Liste mit Vorschlägen im Wert eines 3-stelligen Millionenbetrags. Diese...

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