Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Gesellschafters für Umsatzsteuer bei wesentlicher Beteiligung an GmbH

 

Leitsatz (amtlich)

Es verstößt nicht gegen das Grundgesetz, daß gemäß § 115 AO ein Gesellschafter, der an einer GmbH zu mehr als einem Viertel beteiligt ist, zur Haftung für die von dieser Gesellschaft geschuldete Umsatzsteuer und Gewerbesteuer mit Gegenständen herangezogen wird, die er der Gesellschaft zur Verfügung stellt.

 

Normenkette

AO § 115 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 15.06.1965; Aktenzeichen V 23/63 S)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

A.

I.

Wenn Gesellschaften, Vereine oder Genossenschaften als solche der Besteuerung unterliegen, gelten für die persönliche Haftung der einzelnen Gesellschafter sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§ 113 der AbgabenordnungAO –). Für Personen, die an einem gewerblichen Unternehmen wesentlich beteiligt sind, sieht § 115 Abs. 1 AO eine Erweiterung der Haftung vor. Diese Personen haften mit den in ihrem Eigentum stehenden Gegenständen, die dem gewerblichen Unternehmen dienen, für diejenigen Steuern des Unternehmers, die sie wie z.B. Gewerbesteuer und Umsatzsteuer, auf den Betrieb des Unternehmens gründen. An einem Unternehmen wesentlich beteiligt ist, wer allein oder zusammen mit seinen Angehörigen insgesamt mehr als ein Viertel der Anteile besitzt (§ 115 Abs. 2 Satz 1 AO).

II.

Die Beschwerdeführerin ist mit rd. 27 v. H. am Stammkapital einer GmbH beteiligt. Die Betriebsstätte der GmbH befindet sich in einem Gebäude, das die Beschwerdeführerin auf einem ihr gehörenden Grundstück errichtet und seit dem 1. Januar 1958 an die Gesellschaft vermietet hat.

Die GmbH hat aus den Jahren 1951 bis 1961 erhebliche Steuerschulden. Nachdem zahlreiche Versuche einer Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Gesellschaft ohne Erfolg geblieben waren, nahm das Finanzamt die Beschwerdeführerin aus ihrer Haftung als wesentlich beteiligte Gesellschafterin mit ihrem der GmbH dienenden Grundstück nach § 115 AO in Anspruch. Das Finanzgericht hob den Haftungsbescheid ersatzlos auf, da § 115 AO wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG nichtig sei. Der Bundesfinanzhof stellte dagegen die Haftung der Beschwerdeführerin für die seit dem Jahre 1958 aufgelaufene Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerschuld der Gesellschaft fest. Der Bundesfinanzhof ging hierbei davon aus, daß § 115 AO den Gleichheitssatz nicht verletze, da der haftungsrechtliche Durchgriff auf wesentlich beteiligte Gesellschafter durch den Zweck der Vorschrift, die Beitreibung der sich auf den Betrieb des Unternehmens gründenden Steuern zu sichern, sachlich hinreichend gerechtfertigt sei.

III.

Mit ihrer gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs gerichteten Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, daß § 115 AO gegen rechtsstaatliche Grundsätze und Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.

Die Erstreckung der Haftung auf Angehörige des Unternehmers beruhe auf dem Gedanken der „Sippenhaftung” und verletze damit das Rechtsstaatsprinzip. Im übrigen mißachte der haftungsrechtliche Durchgriff auf wesentlich beteiligte Gesellschafter einer GmbH die bürgerlich-rechtlichen Haftungsgrundsätze, an die der Gesetzgeber in § 113 AO selbst anknüpfe. Außerdem sei die Benachteiligung wesentlich beteiligter Gesellschafter gegenüber den zu weniger als einem Viertel an der Gesellschaft beteiligten Personen sachlich nicht zu rechtfertigen.

Die Bundesregierung hält § 115 AO, soweit er der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, für mit dem Grundgesetz vereinbar.

 

Entscheidungsgründe

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Die Beschwerdeführerin ist nicht als Angehörige des Unternehmers, sondern als Gesellschafterin einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einer eigenen Beteiligung von mehr als einem Viertel zur Haftung für die Gewerbesteuer- und die Umsatzsteuerschuld der Gesellschaft herangezogen worden. Nur insoweit ist § 115 AO auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu untersuchen. Es bedarf nicht der Prüfung, ob die in § 115 Abs. 1 AO niedergelegte Haftung von Angehörigen des Unternehmers bzw. die Hinzurechnung der Beteiligung von Angehörigen zum Anteil des Gesellschafters (Abs. 2) dem Grundgesetz widerspricht. Selbst wenn dies anzunehmen wäre, würde die Nichtigkeit dieser Bestimmungen auf den übrigen Teil der Vorschrift nicht übergreifen, da dieser selbständige Bedeutung hat und mit den genannten Bestimmungen keine untrennbare Einheit bildet (BVerfGE 8, 274 [301]).

2. Die Beschwerdeführerin erblickt in der Regelung des § 115 Abs. 1 AO einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet, wesentlich Gleiches ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn sich für eine gesetzliche Differenzierung ein sachlich einleuchtender Grund nicht finden läßt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich bezeichnet werden muß (BVerfGE 1, 14 [52]; seither ständige Rechtsprechung).

Wenn Gesellschaften als solche der Besteuerung unter liegen, gelten gemäß § 113 AO für die persönliche Haftung der Gesellschafter sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Damit knüpft der Steuergesetzgeber grundsätzlich an die Haftungsbestimmungen des Gesellschaftsrechts an. Es gehört zum Wesen juristischer Personen, daß ihre Gesellschafter gegen „Durchgriffe” in ihr Privatvermögen grundsätzlich abgeschirmt sind und daher für die Schulden der juristischen Person nicht haften (vgl. § 13 Abs. 2 GmbHG; § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG). Eine unmittelbare Haftung gegenüber Gläubigern der Kapitalgesellschaft, die sich aus selbständigen Handlungen der Gesellschafter ergeben kann, wird hierdurch jedoch nicht ausgeschlossen. Auf solcher Haftungsgrundlage beruht § 115 AO.

b) § 115 AO ist durch § 28 Nr. 24 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936 (RGBl. I S. 961) in die Reichsabgabenordnung eingeführt worden. Eine fast gleichlautende Bestimmung war bereits im Gewerbesteuerrahmengesetz enthalten (§ 7 Abs. 4 in der Fassung vom 30. Juni 1935 – RGBl. I S. 830 –). Wie sich aus der Begründung zum Gewerbesteuerrahmengesetz ergibt, sollte die Vorschrift die Beitreibung der Gewerbesteuerschuld auch in den Fällen gewährleisten, in denen alle pfändbaren Gegenstände, die dem Betriebe dienen, einem anderen als dem Unternehmer gehören und der Unternehmer selbst kein weiteres pfändbares Vermögen besitzt; vor allem war ins Auge gefaßt, daß der Unternehmer mit gepachteten Betriebsmitteln wirtschaftet. In diesen Fällen sollte die Beitreibung der Steuerschuld wenigstens dann ermöglicht werden, wenn der Eigentümer der dem Betrieb dienenden Gegenstände wirtschaftlich als am Unternehmen beteiligt anzusehen ist. Von der Bestimmung im Gewerbesteuerrahmengesetz unterscheidet sich § 115 AO dadurch, daß er sich nicht auf die Gewerbesteuerschuld beschränkt, sondern für alle Steuern gilt, die sich auf den Betrieb des Unternehmens gründen. Sinn und Zweck der Vorschrift haben sich indessen dadurch nicht geändert (vgl. BFH, BStBl 1957 III S. 279 Nr. 205).

c) Den eigentlichen Grund der Haftung bildet in § 115 AO nicht die rechtliche Beteiligung am Unternehmen, sondern der objektive Beitrag, den der Gesellschafter durch die Bereitstellung von Gegenständen, die dem Unternehmen dienen, für die Weiterführung des Gewerbebetriebs leistet. Dieser Rechtsgrund kommt vor allem in dem Zuschnitt der Haftung auf bestimmte Steuerverbindlichkeiten und in der Beschränkung des Zugriffs auf die zur Verfügung gestellten Gegenstände zum Ausdruck. Gehaftet wird nur für Steuern, die sich, wie die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer, auf den Betrieb des Unternehmens gründen. Der Steuergegenstand (§ 2 GewStG; § 1 UStG) wird hier grundsätzlich nach objektiven Merkmalen und ohne Rücksicht auf das persönliche Verhältnis des Betriebs zu den hinter ihm stehenden Einzelpersonen bestimmt. Wer als Gesellschafter dem Unternehmen Gegenstände zur Verfügung stellt, die für die Führung des Betriebs und die Erzielung steuerbarer Umsätze von wesentlicher Bedeutung sind, leistet einen maßgeblichen Beitrag zur Verwirklichung des steuerbegründeten Tatbestandes. Bei dieser Sachlage ist es dem Steuergesetzgeber durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht verwehrt, auf diese Gegenstände zurückzugreifen, wenn das Vermögen des Steuerschuldners zur Befriedigung betriebsbedingter Steuerforderungen nicht ausreicht. Selbst wenn dies in den Fällen, in denen eine Kapitalgesellschaft Steuerschuldnerin ist, zur Haftung eines Gesellschafters führt, stellt dies keinen die zivilrechtliche Ordnung durchbrechenden „Durchgriff” im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 13, 331 [340]) dar. Denn diese nach Gegenstand und Schuldgrund beschränkte Haftung beruht nicht auf einer haftungsbegründenden Identifizierung von Gesellschaft und Gesellschafter. Sie leitet sich aus einer dem Gesellschafter selbständig zuzurechnenden Tatbestandsverwirklichung her.

d) Die hierbei vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung in mehr als zu einem Viertel beteiligte und in nicht wesentlich beteiligte Personen (§ 115 Abs. 2 AO) ist nicht willkürlich. Im Recht der Kapitalgesellschaften beruht die Beschlußfassung auf dem Mehrheitsprinzip. Ein mehr als zur Hälfte beteiligter Gesellschafter vermag daher einen beherrschenden Einfluß auf den betrieblichen Ablauf des Unternehmens auszuüben. Der mehr als zu einem Viertel und weniger als zur Hälfte beteiligte Gesellschafter besitzt zwar eine derartige Machtstellung innerhalb der Gesellschaft nicht; wirtschaftlich besonders schwerwiegende Entscheidungen, die von einer Mehrheit von drei Vierteln getragen sein müssen (vgl. §§ 53 Abs. 2, 60 GmbHG; §§ 179 Abs. 2, 182 Abs. 1, 193 Abs. 1, 222 Abs. 1, 262 Abs. 1 Nr. 2, 340 Abs. 2, 362 Abs. 2 AktG), können jedoch gegen seine Stimme nicht getroffen werden. Namentlich Beschlüsse über Kapitalerhöhungen, die den Zweck verfolgen, dem Unternehmen das zur Fortführung des Betriebes nötige Mehrkapital zuzuführen, bedürfen seiner Zustimmung (§§ 53 Abs. 2, 55 GmbHG; § 182 Abs. 1 AktG). Der Inhaber der Sperrminorität ist daher auch im Bereich der Entscheidungen, die sich auf den Betrieb des Unternehmens auswirken können, nicht ohne Einflußmöglichkeit. Im übrigen wird häufig sein Einfluß auf die betrieblichen Vorgänge wesentlich dadurch verstärkt sein, daß er es dem Unternehmen ermöglicht, sein Eigentum betrieblich zu nutzen. Bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise kann es nicht beanstandet werden, daß der Gesetzgeber Personen, die in diesem Umfang auf die Entstehung der sich auf den Betrieb des Unternehmens gründenden Steuern einwirken können, haftungsrechtlich den Mehrheitsgesellschaftern gleichstellt und sie damit von den restlichen Gesellschaftern unterscheidet.

3. Auch seinem Umfang nach ist der durch § 115 AO ermöglichte haftungsrechtliche Rückgriff an der Natur des in Frage stehenden Sachbereiches orientiert (BVerfGE 17, 122 [131]), da er sich auf den bei der Entstehung des Steueranspruchs objektiv mitwirkenden Gegenstand beschränkt.

§ 115 AO verstößt mithin in dem hier zu prüfenden Umfang nicht gegen das Grundgesetz.

 

Fundstellen

BStBl III 1967, 166

BVerfGE 21, 6

BVerfGE, 6

NJW 1967, 387

MDR 1967, 189

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