Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsätze mit Siebdrucken unterliegen dem Regelsteuersatz

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Gesetzgeber darf Originalstiche, -schnitte, -radierungen und -steindrucke im Unterschied zu Siebdrucken steuerlich begünstigen und dadurch ihren Absatz direkt fördern. Für diese Differenzierung gibt es sachgerechte Gründe, die auch vor der Kunstfreiheitsgarantie standhalten.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3; UStG 1980 § 12 Abs. 1, 2 Nr. 1 Anl. 1 Nr. 47; GZT Tarifnr. 99.02

 

Verfahrensgang

BFH (Beschluss vom 14.06.1994; Aktenzeichen VII R 104/93)

FG Berlin (Urteil vom 14.09.1993; Aktenzeichen VII 373/91)

 

Tatbestand

I.

Die Beschwerdeführerin, die eine Kunstgalerie betreibt, wendet sich gegen die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der von ihr veräußerten Siebdrucke. Diese werden von den Künstlern in ihren Werkstatträumen, soweit dies die Siebdrucktechnik zuläßt, von Hand hergestellt. Die Künstler entwerfen eine Handskizze, fertigen die Schablonen und bereiten die Siebe vor. Mit Hilfe der Siebe bringen sie von Hand die Farbe auf den zu bedruckenden Karton auf und erstellen so die Drucke in nicht mehr als einer Auflage von etwa 60 Exemplaren.

Das Finanzamt unterwarf die Umsätze aus dem Verkauf der Siebdrucke dem vollen Steuersatz von 13 vom Hundert des in den Streitjahren 1982 bis 1986 geltenden § 12 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG 1980). Nach erfolglosem finanzgerichtlichem Verfahren, in dem die Beschwerdeführerin die Besteuerung mit dem halben Satz von 6,5 vom Hundert nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 in Verbindung mit Nr. 47 der Anlage und in Verbindung mit Nr. 99.02 des Gemeinsamen Zolltarifs begehrte, hat sie Verfassungsbeschwerde erhoben.

Die von ihr veräußerten Siebdrucke seien ebenso Kunstgegenstände wie die in der Tarifnummer 99.02 des Gemeinsamen Zolltarifs aufgeführten Originalstiche, -schnitte, -radierungen und -steindrucke und deshalb umsatzsteuerlich diesen gleichzustellen. Sollte vom Wortlaut der Vorschrift eine Einbeziehung in die Tarifnummer nicht in Betracht kommen, so seien die Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes, die auf diese Tarifnummer Bezug nehmen, verfassungswidrig, weil die steuerliche Ungleichbehandlung bei der Veräußerung von Kunstgegenständen gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 GG verstieße.

Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung sowie der Arbeitskreis deutscher Kunsthandelsverbände Stellung genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung an genommen; weder kommt ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG).

1. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, welche verfassungsrechtlichen Vorgaben der Gesetzgeber zu beachten hat, wenn er künstlerisches Schaffen durch steuerliche Begünstigungen fördert. Die im Verhältnis zu anderen Kulturträgern und Kommunikationsmitteln erhöhte Besteuerung muß vor dem Gebot der Steuergerechtigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG als sachlich einleuchtend bestehen können. Dabei ist im Bereich der Kunst Art. 5 Abs. 3 GG als grundlegende Wertentscheidung der Verfassung zu beachten. Diese schränkt die Freiheit des Gesetzgebers ein, selbst zu bestimmen, was „gleich” oder „ungleich” sein soll, indem sie Unterscheidungen verbietet, die dem in der Wertentscheidung ausgedrückten Willen des Verfassungsgebers zuwiderlaufen würden, einem bestimmten Lebensbereich oder Lebensverhältnis einen besonderen Schutz angedeihen zu lassen. Das bedeutet aber nicht, daß der Gesetzgeber bei seiner Förderung hinsichtlich der Medien des Kunstschaffens oder der künstlerischen Ausdrucksform nicht unterscheiden dürfe und deshalb die Förderung aller künstlerischen Äußerungen und allen der Vermittlung künstlerischer Inhalte dienenden Medien gleichmäßig zuteil werden lassen müsse. Er darf vielmehr eine sachgerechte Auswahl der einzelnen Medien und anderer Träger des Kulturlebens treffen, wobei für die Beurteilung der Förderungsbedürftigkeit auch wirtschafts- und finanzpolitische Gesichtspunkte berücksichtigt werden können (BVerfGE 36, 321 ≪330 ff.≫).

2. Gemessen an diesen Vorgaben ist weder § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 in Verbindung mit der Nr. 47 der Anlage zu dieser Vorschrift noch die Auslegung dieser Bestimmungen durch die Fachgerichte verfassungsrechtlich zu beanstanden.

Der Gesetzgeber darf Originalstiche, -schnitte, -radierungen und -steindrucke im Unterschied zu Siebdrucken steuerlich begünstigen und dadurch ihren Absatz direkt fördern. Für diese Differenzierung gibt es sachgerechte Gründe, die auch vor der Kunstfreiheitsgarantie standhalten.

Da der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, den Handel mit Kunstgegenständen schlechthin dem niedrigeren Steuersatz zu unterwerfen, hat er Verwaltung und Gerichte der Notwendigkeit enthoben, im Einzelfall zu prüfen, ob ein Gegenstand tatsächlich als Kunst zu qualifizieren ist. Er hat vielmehr für die Steuerbegünstigung an die Technik der – künstlerischen – Hervorbringung angeknüpft. So verweist die Steuerbegünstigungsvorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 auf die in der Anlage zu dieser Vorschrift bezeichneten Gegenstände. Nr. 47 der Anlage bezeichnet „Kunstgegenstände und Sammlungsstücke (Nr. 99.01 bis 99.03 und 99.05 des Zolltarifs)”. Der Verweis auf den Gemeinsamen Zolltarif ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das dort mit „Kunstgegenstände, Sammlungsstücke und Antiquitäten” überschriebene Kapitel 99 führt unter der hier allein einschlägigen Tarifnummer Nr. 99.02 „Originalstiche, -schnitte, -radierungen und -steindrucke” auf. Die hier bezeichneten Drucktechniken sind im Kunstbetrieb und im Kunsthandel eindeutig definiert. Siebdrucke fallen nicht darunter.

Nach Nr. 2 der Vorbemerkungen zu Kapitel 99 sind Originalstiche, -schnitte, -radierungen und -steindrucke im Sinne der Tarifnummer 99.02 Drucke, die von einer oder mehreren vom Künstler vollständig handgearbeiteten Platten in beliebigem, jedoch keinerlei mechanischem oder photomechanischem Verfahren auf einen beliebigen Stoff in schwarz-weiß oder farbig unmittelbar abgezogen sind. Diese Vorschrift hebt damit die Handarbeit des Künstlers gegenüber einem mechanischen oder photomechanischen Verfahren hervor. Die Begünstigung nach den zollrechtlichen und damit auch den umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften knüpft also an einen Herstellungsprozeß an, der im Gegensatz zu einem technisch automatisierten Herstellungsprozeß durch die künstlerisch individuelle Leistung durch eigenhändige Bearbeitung der Druckform geprägt ist. Mit diesen Tatbestandsvoraussetzungen für eine steuerliche Begünstigung durch die Anknüpfung an zwar formale, andererseits aber die individuelle Leistung betonende Gesichtspunkte wahrt der Gesetzgeber die aufgrund der Kunstfreiheit notwendige Distanz und verzichtet auf eine inhaltliche Bewertung künstlerischer Produktion.

Nach den Feststellungen der Fachgerichte in den Ausgangsverfahren lassen Siebdrucke sich nicht ebenso eindeutig wie die steuerlich begünstigten Drucke auf eine individuelle und deshalb förderungswürdige Leistung eines Künstlers zurückführen. Sie sind nicht von einer vom Künstler handgearbeiteten Platte abgezogen. Bei der Herstellung der notwendigen Schablonen werden photomechanische und mechanische Verfahren angewendet. Zudem gibt es eine große Zahl verschiedenartiger Herstellungsverfahren, die den Charakter einer industriellen Fertigung von Drucken annehmen können. So hat das Bundesministerium der Finanzen unter Hinweis auf Kunst-Fachliteratur dargelegt, daß Siebdrucke heute in weitem Umfang maschinell gefertigt und in der Druckindustrie etwa für Werbeplakate verwendet werden. Mit automatischen Maschinen würden etwa bis zu 3000 Drucke je Stunde hergestellt. Der Einsatz von Präzisionsmaschinen verwische die Unterschiede zwischen Industrieerzeugnis und Handdruck; diese Erzeugnisse ließen sich nicht voneinander unterscheiden.

Da der Gesetzgeber industriell gefertigte Produkte im Bereich der Kunst nicht steuerlich fördern wollte, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß er auch solche – im wesentlichen handgefertigte – Erzeugnisse von der Begünstigung ausgeschlossen hat, die sich nicht eindeutig von Industrieerzeugnissen unterscheiden lassen. Es ist sachgerecht und mit der Garantie der Kunstfreiheit vereinbar, wenn der Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit den Kreis der begünstigten Gegenstände eindeutig zu bestimmen sucht und für die steuerliche Begünstigung deshalb an bestimmte Herstellungsverfahren anknüpft.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1496717

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