5.1 Widerlegung der Richtigkeitsvermutung

 

Rz. 79

Nach § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140-148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalles kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.

Bei formell ordnungsmäßiger Buchführung existiert somit zunächst eine gesetzliche Vermutung auch für deren sachliche Richtigkeit. Diese Vermutung wird erst widerlegt, wenn die Buchführung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sachlich unrichtig ist.[1]

 

Rz. 80

Die Buchführungsunterlagen können der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden, wenn sie wegen formeller oder sachlicher Mängel nicht beweiskräftig sind. Als formelle Mängel kommen z. B. Durchstreichungen, Überklebungen, nachträgliche Einfügungen, fehlender Konten- und Buchungszusammenhang, erhebliche Rechenfehler, Fehlen wichtiger Belege etc. in Betracht. Sachliche Mängel liegen z. B. vor, wenn Geschäftsvorfälle nicht oder falsch verbucht wurden, wie z. B. Privat- als Betriebsausgaben.[2]

 

Rz. 81

Nur gravierende Mängel können zur Widerlegung der Richtigkeitsvermutung führen. In diesem Sinne hat der BFH[3] entschieden, dass eine Buchführung dann formell ordnungswidrig ist, wenn sie wesentliche Mängel aufweist oder die Gesamtheit aller unwesentlichen Mängel diesen Schluss fordert, z. B. auch dann, wenn in einem nicht geringen Umfang Kasseneinnahmen nicht vollständig aufgezeichnet werden.[4]

Entscheidend ist dabei aber immer das sachliche Gewicht des Mangels für die gesamte Buchführung des spezifischen Unternehmens. Wurden z. B. Kasseneinnahmen und -ausgaben nicht entsprechend § 146 Abs. 1 Satz 2 AO festgehalten, so ist die Kassenführung nicht ordnungsgemäß. Im Falle eines Betriebs mit überwiegenden Bargeschäften liegt dann zugleich eine insgesamt nicht ordnungsgemäße Buchführung vor. Die Vermutung der sachlichen Richtigkeit der Buchführung ist damit entkräftet. Nach den Umständen des Einzelfalls ist dann der Schluss gerechtfertigt, dass nicht alle Bareinnahmen verbucht worden sind.[5]

[2] Castan, in Beck, Handbuch der Rechnungslegung, 2004, D 30 Rn. 10 f.
[3] BFH, Urteil v. 2.2.1982, VIII R 65f/80, BStBl 1982 II S. 409; BFH, Urteil v. 20.6.1985, IV R 41/82, BFH/NV 1985 S. 12.

5.2 Schätzung der Besteuerungsgrundlagen

 

Rz. 82

Wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder will oder die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nach § 158 AO nicht zugrunde gelegt werden können, weil sie schwerwiegende Mängel aufweisen, kommt es zur Schätzung des Gewinns (§ 162 AO).[1] Eine Schätzung ist in Form der Teilschätzung oder Vollschätzung möglich.

 

Rz. 83

Von einer Teilschätzung spricht man, wenn die nicht ordnungsmäßig verbuchten Geschäfte nach dem Gesamtbild nur einen kleineren Teil der gewerblichen Betätigung und des Gewinns ausmachen und es daher nur um die punktuelle Beseitigung von Fehlern geht, z. B. bei Schätzung nicht gebuchter Einnahmen auf der Basis von Kontrollmitteilungen der Finanzämter, Schätzung des Umsatzes anhand des Wareneinkaufs und angenommener Rohgewinnaufschläge etc.[2]. Die Teilschätzung geht stets als das mildere Mittel einer Vollschätzung vor. Vollschätzungen sind nur dann zulässig, wenn keine Möglichkeit besteht, die vorhandenen Unterlagen durch Teilschätzungen zu ergänzen.

Zu einer Vollschätzung kommt es hingegen, wenn eine Buchführung überhaupt nicht vorhanden ist, die Buchführung wegen schwerwiegender Mängel verworfen werden muss oder der Steuerpflichtige keine Bücher vorlegen will oder kann. Die Schätzung hat unter Berücksichtigung des Einzelfalls, u. U. unter Verwendung der branchen- und größenspezifischen Richtsätze,[3] zu erfolgen (Richtsatzschätzung).[4] Ist die Schätzung durch ein pflichtwidriges Verhalten des Steuerpflichtigen verursacht worden, werden Werte eher an der oberen Grenze des noch wahrscheinlichen Ergebnisses angenommen.

 

Rz. 84

Infolge der Schätzung kommen dann auf den Steuerpflichtigen i. d. R. Steuernachzahlungen mit Verzinsung nach § 233a AO zu, im Falle der Steuerhinterziehung zuzüglich Hinterziehungszinsen gem. § 235 AO i. H. v. 6 % pro Jahr.

[2] Castan, in Beck, Handbuch der Rechnungslegung, 2004, D 30 Rn. 12.
[3] S. Richtsatzsammlung 2010, BMF, Schreiben v. 22.8.2011, IV A 4 – S 1544/09/10001-03, BStBl 2011 I S. 759.

5.3 Erzwingung

 

Rz. 85

Die Erfüllung der Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten kann nach §§ 328 ff. AO erzwungen werden. Bei Buchführungsverstößen wird die Finanzverwaltung im Regelfall zum Mittel der Schätzung greifen. Die Erzwingung bleibt Extremfällen vorbehalten.

Der Finanzbehörde stehen mehrere Zwangsmittel zur Verfügung (Zwangsgeld, Ersatzvor...

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