Komplexität ist jedoch nicht der einzige Aspekt, der Entscheidungen erschweren kann. Zusätzlich zeigen sich beim Entscheiden Effekte, die dazu führen, dass Entscheider regelmäßig nicht die optimale Option wählen. Diese Effekte haben als "kognitive Verzerrungen" eine gewisse Popularität erreicht, nicht zuletzt auch deshalb, weil mit "Heuristics and Biases" von Kahneman und Tversky eines der erfolgreichsten Forschungsprogramme angestoßen wurde. Für Kahneman gipfelte dies in der Verleihung des Nobelpreises (sein langjähriger Forschungspartner Tversky war vorher schon verstorben). Dieses Forschungsprogramm hat über 100 dieser Effekte beim menschlichen Entscheidungsverhalten nachgewiesen.[1] Trotz der zunehmenden Verbreitung des Themas in der Praxis scheinen sich diese Effekte weiterhin hartnäckig zu halten. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, sich mit kognitiven Verzerrungen weiter zu beschäftigen, um dem Umstand auf den Grund zu gehen, warum sie scheinbar so fest in unseren Entscheidungen verankert sind und es so schwer ist, sie loszuwerden.

Im Folgenden werden exemplarisch vier bedeutende Verzerrungen dargestellt.

  • Confirmation Bias: Dieser Effekt beschreibt die Tendenz, bei Entscheidungen nur jene Informationen zu suchen, die der eigenen Sichtweise und Meinung entsprechen. Widersprüchliche Informationen werden in ihrer Verlässlichkeit angezweifelt bzw. gar nicht erst gesucht.[2]

    Folge: Die Einschätzung der Entwicklungen basiert auf einem Ausschnitt der tatsächlich verfügbaren Informationen. Diese spiegeln meist nur das erwünschte Bild wider. Gegenläufige Meinungen und Entwicklungen werden nicht ausreichend beachtet.

  • Sunk Cost Effect: Beim Sunk Cost Effect bleibt der Entscheider mit einer höheren Wahrscheinlichkeit bei jener Option, in die er bereits Aufwand, Zeit, Geld oder andere Ressourcen investiert hat, unabhängig davon, ob diese Option den gestellten Anforderungen überhaupt entspricht.[3]

    Folge: Die Kriterien für die Auswahl konzentrieren sich weniger auf den Aspekt, den zukünftigen Anforderungen bestmöglich zu begegnen, sondern stärker darauf, vergangene Investitionen zu rechtfertigen.

  • Overconfidence Effect: Der Overconfidence Effekt beschreibt ein Verhalten, bei dem die eigenen Fähigkeiten bzw. das Zutreffen des eigenen Urteils deutlich überschätzt wird.[4]

    Folge: Auch hier wird mit einem unvollständigen Bild der Situation gearbeitet, das oft noch "positiv" eingefärbt ist. Sämtliche Unsicherheiten werden ignoriert und deshalb im weiteren Prozess auch nicht beachtet.

  • Group Think Bias: Beim Group Think Bias finden abweichende Meinungen in homogenen Gruppen immer weniger Gehör bzw. wird Kritik am Projekt nicht mehr geäußert. Der Konformitätsdruck verstärkt die Tendenz, in Gruppen mit starkem Konsens die eigene abweichende Meinung zurückzuhalten.[5]

    Folge: Auch hier zeigt sich der Effekt, dass Entscheidungen nicht auf der Basis der potenziell vorliegenden Informationen getroffen werden, sondern nur auf einem Ausschnitt. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, die optimale Option auszuwählen.

Ein tiefergehender Blick auf "Kognitive Verzerrungen"

Wir wollen einen kritischen Blick auf die Forschung zu den kognitiven Verzerrungen (engl. cognitive biases) werfen. Dieser Blick zurück soll dem Verständnis dienen, besser einordnen zu können, was diese Effekte eigentlich (nicht) sind. Der Grundgedanke dahinter ist folgender: Je besser man die Effekte an sich, deren Ursprung und Wirkweise versteht, desto besser lassen sich darauf gezielte Interventionen designen.

Der Begriff der "kognitiven Verzerrung" hat bereits eine negative Konnotation und suggeriert, dass es einen unverzerrten Standard gibt, von dem das gezeigte Verhalten abweicht. Dabei stellt sich die Frage, was dieser unverzerrte Standard eigentlich ist? Woher kommt also der Maßstab, an dem das menschliche Verhalten bewertet wird? Nach wie vor spielt das in der Forschung lange vorherrschende Bild des "Homo Oeconomicus" eine wichtige Rolle. Darin wird der Mensch unter anderem als "kühler" Entscheider gesehen, der stabile Präferenzen hat, versunkene Kosten ignoriert und sich nicht von Stimmungen beeinflussen lässt. Die Effekte, die zu abweichendem Verhalten führen, entgegen der Vorgaben des Homo Oeconomicus (auch Rational Man genannt), werden häufig gar als "irrational" bezeichnet.

Der Maßstab, an dem Entscheidungen gemessen werden

Hier zeigt sich ein Problem: Die Forschung zu Fehlereffekten wie den genannten kognitiven Verzerrungen hat ihren Ursprung in der Forschung zu visuellen Verzerrungen. Eine der bekanntesten ist beispielsweise die Müller-Lyer Täuschung. Zwei untereinanderliegende Linien sollen hinsichtlich ihrer Länge eingeschätzt werden. Beide sind exakt gleich lang. Jedoch führen die unterschiedlichen Endungen der Linien dazu (einmal nach innen und einmal nach außen gerichtete Pfeilspitzen), dass Menschen eine Linie häufiger als deutlich länger wahrnehmen als die andere. Die Wahrnehmung ist im wahrsten Sinne des Wortes verzerrt. Der unverzerrte Standard...

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