Entscheidungsstichwort (Thema)

Mehrheitsverhältnisse bei Gesellschafterbeschluss

 

Leitsatz (amtlich)

Auch wenn der Gesellschaftsvertrag mit Dreiviertelmehrheit geändert werden kann, ist zu einem Beschluß, der die Folgen einer von einem Gesellschafter bereits ausgesprochenen Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses ändern soll, Einstimmigkeit erforderlich.

 

Normenkette

HGB § 119

 

Verfahrensgang

OLG Hamm

LG Siegen

 

Tenor

Die Revision gegen das am 13. Juli 1962 verkündete Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Hamm zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien sind die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft, der Kläger ist ein Sohn des Beklagten. Unter dem 16. Juni 1960 kündigte er das Gesellschaftsverhältnis für den 31. Dezember 1960. Der Beklagte, der allein das Recht des Geschäftsführers hat, berief für den 15. Dezember 1960 eine Gesellschafterversammlung ein. Auf ihr kamen mit seinen Stimmen gegen die Stimmen des Klägers vier auf die Änderung des Gesellschaftsvertrages gerichtete Beschlüsse zustande. Diese Beschlüsse haben folgenden Wortlaut:

  1. „Wenn ein Gesellschafter die Gesellschaft kündigt, so ist der andere Gesellschafter berechtigt, das Handelsgeschäft mit Aktiven und Passiven zu übernehmen und unter der alten Firma fortzusetzen, während der kündigende Gesellschafter mit dem Ablauf der Kündigungsfrist ausscheidet. Der ausscheidende Gesellschafter erhält sein Abfindungsguthaben nach Maßgabe der Bestimmungen zu d).
  2. Das Abfindungsguthaben des ausscheidenden Gesellschafters ist durch eine für den Tag des Ausscheidens aufzunehmende Bilanz festzustellen, in die die Aktiven und die Passiven der Gesellschaft nach ihrem wahren Wert einzustellen sind. Ein Wert für Firma und Kundschaft ist jedoch nicht anzusetzen. Der ausscheidende Gesellschafter ist an den schwebenden Geschäften nicht beteiligt. Er kann weder Befreiung von den Gesellschaftsschulden noch Sicherheitsleistung gemäß § 738 BGB verlangen.

    Das Auseinandersetzungsguthaben ist dem ausscheidenden Gesellschafter in der Weise zu zahlen, daß er nach Feststellung seines Guthabens die Hälfte, ein weiteres Viertel nach 6 Monaten und das letzte Viertel nach weiteren 6 Monaten erhält. Die auszuzahlenden Beträge sind vom Tage des Ausscheidens an bis zum Tage der Auszahlung mit 5% zu verzinsen. Der oder die verbleibenden Gesellschafter sind zu früheren Zahlungen berechtigt.”

Der Kläger hat den Standpunkt vertreten, diese Beschlüsse seien nichtig, weil sie von der gesellschaftsvertraglichen Regelung des Stimmrechts nicht gedeckt seien.

Nach dem Gesellschaftsvertrag beträgt die Beteiligung des Beklagten 81,25% und die des Klägers 18,75%. Zum Stimmrecht bestimmt der Gesellschaftsvertrag:

Änderungen des Gesellschaftsvertrages bedürfen einer Stimmenmehrheit von 3/4 aller Stimmen. Im Übrigen genügt für die Beschlüsse der Gesellschafter einfache Stimmenmehrheit.

Jede angefangenen 1.000 DM des Kapitalkontos eines jeden Gesellschafters gewährt diesem Gesellschafter eine Stimme. Das Kapitalkonto Karl Roth beträgt zum 31. Dezember 1956 186.875 DM. Das Kapitalkonto Franz Roth beträgt zum 31. Dezember 1956 43.125 DM.

Der Kläger hat in erster Linie beantragt, festzustellen, daß die Beschlüsse vom 15. Dezember 1960 nichtig seien. Er hat hilfsweise die Feststellung begehrt, daß der nach Beklagte nicht berechtigt sei, daß Handelsgeschäft nach Maßgabe dieser Beschlüsse unter der alten Firma fortzusetzen. Außerdem hat er noch weitere, jedoch nicht interessierende Hilfsanträge angebracht.

Das Landgericht hat den Beschluß zu d) für nichtig erklärt und die Klage im übrigen abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat auch den Beschluß zu a) für nichtig erklärt und die weitergehende Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Mit der Revision, um deren Zurückweisung der Kläger bittet, verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag, soweit ihm das Berufungsgericht nicht stattgegeben hat, weiter.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat hat in seinem Urteil vom 12. November 1952 – II ZR 260/51 – (BGHZ 8, 55, 41/42) in Übereinstimmung mit dem Reichsgericht und der Literatur den Standpunkt vertreten, daß eine gesellschaftsvertragliche Bestimmung, die in Abweichung von der Regel des § 119 Abs. 1 HGB für Änderungen des Gesellschaftsvertrages läßt, nicht ohne weiteres dahin verstanden werden kann, die decke jede denkbare Änderung des Gesellschaftsvertrages. Denn bei den unübersehbaren Möglichkeiten von Gesellschaftsvertragsänderungen und deren möglicherweise weittragenden Bedeutung könne nicht angenommen werden, daß eine uneingeschränkte Unterwerfung der Minderheit unter dem Willen der Mehrheit beabsichtigt sei.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Beklagte habe den Kläger nicht mehr überstimmen dürfen, nachdem dieser die Gesellschaft gekündigt hatte. Darin liegt ein Doppeltes:

  1. Einmal legt das Berufungsgericht den Gesellschaftsvertrag der Parteien dahin aus, daß mit der Dreiviertelmehrheit nicht jede beliebige Änderung des Gesellschaftsvertrages sollte beschlossen werden können. Das ist gesellschaftsrechtlich nicht zu beanstanden.
  2. Zum anderen nimmt das Berufungsgericht an, daß unter den hier gegebenen Umständen die Stimmen des Klägers nicht ausreichten, den zu a) gefaßten Beschluß wirksam zustande zu bringen.

Das ist richtig.

Der Beschluß zu a) zielte darauf ab, die Folgen der Kündigung des Klägers zu ändern. Nach dem Inhalt, den der Gesellschaftsvertrag zur Zeit der Kündigung hatte, hatte eine Kündigung die Auflösung der Gesellschaft zur Folge. Statt dessen soll der Kläger nach dem Beschluß zu a) infolge seiner Kündigung aus der Gesellschaft ausgeschieden sein. Das ist eine Wirkung, die von der Klausel, die Änderungen des Gesellschaftsvertrages mit Dreiviertelmehrheit zuläßt, nicht getragen sein kann.

Professor Dr. Alfred Hueck hat allerdings in seinem dem Beklagten erstattetem Privatgutachten das Gegenteil befürwortet. Ihm kann aber nicht gefolgt werden.

Auch er geht davon aus, daß sich die Stimmrechtsregelung des Gesellschaftsvertrages nicht auf solche Vertragsänderungen beziehe, deren Vornahme durch Mehrheitsbeschluß ganz ungewöhnlich sei. Er nimmt jedoch an, ein Beschluß mit dem Inhalt des zu a) gefaßten sei üblich und werde nicht deshalb zu einer ungewöhnlichen Maßnahme, weil er nach Vornahme der Kündigung zustande gekommen sei. Der Beklagte habe mit seinen Stimmen einen Beschluß wie den umstrittenen sowohl vor der Kündigung als auch nach einer durch sie bewirkten Auflösung der Gesellschaft herbeiführen können; dasselbe müsse dann aber auch gelten, wenn die Gesellschaft zwar gekündigt, aber die mit der Kündigung angestrengte Gesellschaftsauflösung noch nicht eingetreten sei.

Diese Überlegung trifft nicht den Kern des Problems. Gewiß sind Klauseln der umstrittenen Art durchaus üblich. Gewiß wird auch eine Reihe von Änderungen des Gesellschaftsvertrages selbst dann von einer Stimmrechtsklausel, die für Änderungen des Gesellschaftsvertrages die Dreiviertelmehrheit genügen läßt, erfaßt, wenn diese Änderungen während des Liquidationsstadiums oder in der Zeit zwischen Kündigung und der durch die Kündigung angestrebten Gesellschaftsauflösung beschlossen werden. Aber eine nicht einstimmig beschlossene Änderung des Gesellschaftsvertrages kann nicht gut das Ergebnis haben, daß eine Kündigung, die nach dem bei ihrer Vornahme maßgebenden Inhalt des Gesellschaftsvertrages die Auflösung der Gesellschaft zur Folge hat, dazu führt, daß der Kündigende plötzlich draußen steht und der Mehrheitsgesellschafter allein fortführen darf. Denn man kann nicht den Kündigenden an der Kündigung festhalten und andererseits der Kündigung der Kündigung eine ganz andere Wirkung als die gewollte geben. Das Berufungsgericht und Hueck nehmen mit Recht an, daß Kläger das bereits ausgeübte Kündigungsrecht rückwirkend nicht habe genommen können. Ist dem aber so, so konnte unter dem Widerspruch des Klägers auch nicht die der von ihm ausgesprochenen Kündigung geändert werden. Denn dabei liegt es nicht wesentlich anders.

Hueck meint allerdings, der Kläger müsse sein Ausscheiden als Folge seiner Kündigung hinnehmen, weil er, wenn er ausscheiden müsse, nicht geschädigt werde und angesichts der Stimmenmacht des Beklagten nicht verhindern könne, daß das Gesellschaftsvermögen in der Weise verwertet werde, daß es an den Beklagten verkauft werde.

Auch dem kann nicht gefolgt werden.

Es kommt nicht darauf an, ob der Kläger einen Schaden erleiden könnte, sondern darauf, ob seine auf die Auflösung der Gesellschaft gerichtete Kündigung durch eine mit den Stimmen des Beklagten herbeigeführte Änderung des Gesellschaftsvertrages eine andere Richtung als die gewollte erhalten kann, und das ist zu verneinen.

Außerdem ist es nicht richtig, daß der Kläger einen Verkauf des Unternehmens an den Beklagten nicht verhindern könne. Als Liquidatoren sind die Parteien gleichberechtigt. Nach § 152 HGB haben sie solche Weisungen zu befolgen, die die Gesellschafter einstimmig beschließen. Da diese Vorschrift nicht zwingendes Recht ist, kann der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmen. Der Gesellschaftsvertrag der Parteien enthält keine solche abweichende Regelung. Es fragt sich, ob sie allein mit den Stimmen des Beklagten noch getroffen werden kann. Sie wäre eine Ergänzung des Gesellschaftsvertrages, würde aber die Rechtsposition des Klägers verschlechtern. Denn sie würde einerseits dem Kläger die Stellung eines gleichberechtigten Liquidators nehmen und andererseits dem Beklagten bei der Durchführung der Liquidation ein Übergewicht verschaffen. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine derartige Änderung des Gesellschaftsverhältnisses, würde sie vor einer Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses beschlossen werden, von einer Stimmrechtsregelung der vorliegenden Art gedeckt ist. Keinesfalls kann angenommen werden, daß eine solche Änderung des Gesellschaftsvertrages bei einer Zweimanngesellschaft noch vom Mehrheitsgesellschafter beschlossen werden kann, nachdem der Minderheitsgesellschafter von seinem Kündigungsrecht Gebrauch gemacht hat. Denn auch das liefe auf die Veränderung einer Kündigungswirkung hinaus. Eine solche Änderung des Gesellschaftsvertrages würde der bereits ausgesprochenen Kündigung zwar nicht die Auflösungswirkung nehmen, wohl aber das für die Durchführung der Liquidation maßgebende Recht zum Nachteil des kündigenden Gesellschafters ändern, und eine so weitgehende Befugnis kann dem Mehrheitsgesellschafter mit der Zubilligung des Rechts, Änderungen des Gesellschaftsvertrages vornehmen zu dürfen, nicht zugestanden sein. Es kommt daher nicht erst darauf an, daß die Ersetzung des einstimmigen Weisungsrechts durch ein schon mit Mehrheit ausübbares Weisungsrecht im vorliegenden Fall darauf hinausliefe, dem Beklagten das Recht auf Übernahme des Unternehmens zu verschaffen. Es braucht auch nicht entschieden zu werden, ob ein Gesellschafter bei einem Beschluß, der unmittelbar oder mittelbar die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit ihm betrifft, vom Stimmrecht ausgeschlossen ist (so RGZ 136, 236, 245, eine Entscheidung, die nach RGZ 162, 370, 373 im Hinblick auf § 114 Abs. 5 AktG 1937 der Überprüfung bedarf; Weipert a.a.O. § 152 Anm. 8, § 119 Anm. 6; a.A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft § 11 III 2; Schlegelberger/Geßler, HGB § 119 Anm. 3).

Da die am 15. Dezember 1960 beschlossene Änderung des Gesellschaftsvertrages gerade die schon ausgesprochene Kündigung treffen sollte, ist sie nichtig, ohne daß es darauf ankommt, ob sie für spätere Kündigungen hätte mit Dreiviertelmehrheit wirksam beschlossen werden können.

Es kommt auch nicht darauf an, daß der Beklagte dem Kläger angeboten hat, die Kündigung zurückzunehmen, denn der Kläger sollte damit zugleich die am 15. Dezember 1960 beschlossene Regelung für die Zukunft hinnehmen, und das anzuerkennen, war ihm bei der Zweifelhaftigkeit des Rechtsbestandes einer solchen Regelung nicht zumutbar.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Aus diesem Grunde war aber auch nur über die Kosten der Revisionsinstanz zu entscheiden und die Anregung Schriftsatzes vom 3. Juli 1967, die Kostenentscheidung des Berufungsurteils zugunsten des Klägers zu ändern, unberücksichtigt zu lassen.

 

Fundstellen

BGHZ, 251

NJW 1967, 2157

DNotZ 1968, 253

MDR 1967, 909

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