Leitsatz (amtlich)

Der Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre (§ 305 Abs. 1 AktG) besteht auch dann fort, wenn der Unternehmensvertrag während des Spruchstellenverfahrens beendet wird.

 

Normenkette

AktG §§ 305-306

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf

LG Dortmund

 

Tenor

Der Antrag der Beteiligten zu 4, die Erledigung des Spruchstellenverfahrens insoweit festzustellen, als die Feststellung einer angemessenen Abfindung beantragt worden ist, wird zurückgewiesen.

Die Sache wird zur weiteren Durchführung des Verfahrens einschließlich der Entscheidung über die Kosten des Vorlageverfahrens an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Antragsteller, Aktionäre der Beklagten zu 3 (im folgenden: G. AG), begehren die gerichtliche Festsetzung des Ausgleichs nach § 304 Abs. 3 Satz 3 AktG und der Abfindung nach § 305 Abs. 5 Satz 2 AktG aus dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, den die G. AG mit der W. Beteiligungsgesellschaft mbH im September 1986 geschlossen hat und der nach Genehmigung durch ihre Hauptversammlung aufgrund Eintragung in das Handelsregister am 21.11.1986 wirksam geworden ist. Der Vertrag setzt als Ausgleich für jedes Geschäftsjahr die Zahlung von 15,– DM und als Abfindung einen Betrag von 360,– DM pro Aktie im Nennwert von 100,– DM fest.

Das Landgericht hat die Anträge auf anderweitige Festsetzung des Ausgleichs und der Abfindung mit Beschluß vom 6.8.1993 zurückgewiesen. Mit ihren sofortigen Beschwerden erstreben die Antragsteller mit Unterstützung der Beteiligten zu 5 und 6 als gemeinsame Vertreter der außenstehenden Aktionäre eine Erhöhung des Ausgleichs- bzw. Abfindungsbetrages. Sie meinen, der Unternehmenswert müsse höher angesetzt werden. Es habe ein Verlustausgleichsanspruch der G. AG aus einem im Jahre 1983 mit der W. AG geschlossenen, bis zum 31.12.1988 befristeten Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag berücksichtigt werden müssen, weil dieser nicht wirksam gekündigt worden sei. Ferner seien die Grundstücke dieser Gesellschaft zu niedrig bewertet und die Kosten für Dekontaminierungsmaßnahmen für zwei Betriebsgrundstücke zu Unrecht, auf jeden Fall aber zu hoch, angesetzt worden.

Die W. Beteiligungsgesellschaft mbH, die durch Vertrag vom 2.8.1994 mit der G. Werke GmbH, der Beteiligten zu 4, verschmolzen worden ist, hat den Unternehmensvertrag mit Schreiben vom 21.2.1993 fristgemäß zum 31.12.1994 gekündigt. Die Beendigung des Vertrages ist am 25.10.1994, dem Tag der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister, im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden. Die Beteiligte zu 4 hat im Hinblick auf die Beendigung des Unternehmensvertrages im Beschwerdeverfahren beantragt, das Spruchstellenverfahren u.a. insoweit für erledigt zu erklären, als die Festsetzung einer Abfindung geltend gemacht wird.

Das Beschwerdegericht möchte diesem Antrag nicht stattgeben, sondern in der Sache entscheiden. Daran sieht es sich jedoch, soweit es um die Festsetzung der Abfindung geht, durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 2.8.1994 (veröffentlicht in AG 1994, 564 = DB 1994, 1918) gehindert. Es hat daher die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß §§ 306 Abs. 2, 99 Abs. 3 Satz 6 AktG i.V.m. § 28 Abs. 2 FGG zur Entscheidung vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Voraussetzungen für die Vorlage sind gegeben. Das Beschwerdegericht sieht sich zu Recht durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 2.8.1994 daran gehindert, über die Beschwerde der Antragsteller in der Sache zu entscheiden. Soweit über den Abfindungsanspruch zu befinden ist, würde es mit einer solchen Entscheidung von dem Oberlandesgericht Zweibrücken abweichen. Dieses hat in dem zitierten Beschluß entschieden, daß mit der Auflösung eines Unternehmensvertrages der Abfindungsanspruch erlischt, so daß ein vorher eingeleitetes Spruchstellenverfahren beendet wird.

III.

Der Antrag der Beteiligten zu 4, das Spruchstellenverfahren in der Hauptsache insoweit für erledigt zu erklären, als die Festsetzung einer Abfindung geltend gemacht wird, war zurückzuweisen. Das Verfahren hat sich dadurch, daß der Unternehmensvertrag aufgrund der Kündigung der W. Beteiligungsgesellschaft mbH per 31.12.1994 beendet worden ist, in der Hauptsache nicht erledigt.

1. In Rechtsprechung und Schrifttum ist umstritten, ob bei Beendigung des Unternehmensvertrages während des Spruchstellenverfahrens der Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre erlischt und das Spruchstellenverfahren infolgedessen seine Erledigung findet (bejahend OLG Karlsruhe, AG 1995, 139, 140; OLG Zweibrücken, AG 1994, 563, 564; KK/Koppensteiner, AktG, 2. Aufl., § 305 RdNr. 12; § 306 RdNr. 19 m.w.N.; Krieger in Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, Aktiengesellschaft, § 70 RdNr. 139 m.w.N. in Fn. 450; verneinend OLG Düsseldorf, AG 1990, 490, 491; AG 1995, 85, 86; ZIP 1996, 1610, 1611 f. (Vorlagebeschluß); Meilicke, AG 1995, 181, 183 ff.).

Der Senat entscheidet die Frage dahin, daß der Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre im Sinne des § 305 Abs. 1 AktG bei Beendigung des Unternehmensvertrages während des Spruchstellenverfahrens fortbesteht und in dem Spruchstellenverfahren darüber sachlich zu entscheiden ist.

2. Die Ansicht, der Abfindungsanspruch der außenstehenden Aktionäre erlösche unter den dargelegten Umständen, wird damit begründet, seine Geltendmachung setze das Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages voraus. Werde diese vertragliche Grundlage mit der Auflösung oder Aufhebung des Unternehmensvertrages beseitigt, könne der außenstehende Aktionär sein Abfindungsrecht, von dem er noch keinen Gebrauch gemacht habe, nicht mehr ausüben (vgl. u.a. OLG Zweibrücken, AG 1994, 563, 564; KK/Koppensteiner aaO, § 305 RdNr. 12). Diese Argumentation stützt sich allein auf formale rechtliche Gesichtspunkte. Sie berücksichtigt nicht, daß die außenstehenden Aktionäre dadurch einseitig benachteiligt werden, eine solche Handhabung des Gesetzes nicht verfassungskonform ist und der in § 305 Abs. 5 Satz 2 AktG getroffenen Regelung nicht hinreichend Rechnung getragen wird.

a) Durch den Unternehmensvertrag in der Form des kombinierten Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§ 291 AktG) werden u.a. die abhängige Gesellschaft der Leitung durch das herrschende Unternehmen unterstellt, das die organschaftliche Verantwortlichkeit bei Ausrichtung des Gesellschaftszweckes am Konzerninteresse für die Konzernleitung übernimmt (§§ 308 ff. AktG), die Bindung des Gesellschaftsvermögens eingeschränkt (§ 291 Abs. 3 AktG) und die Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Gewinnverwendung aufgehoben. Das herrschende Unternehmen erlangt dadurch das Recht, der abhängigen Gesellschaft nachteilige, die Interessen des herrschenden Unternehmens oder des Konzerns verfolgende Weisungen zu erteilen (§ 308 Abs. 1 AktG) und den von der abhängigen Gesellschaft erzielten Gewinn zu vereinnahmen. Das herrschende Unternehmen kann den Jahresüberschuß und damit auch den Gewinn dadurch erhöhen, daß es in entsprechender Weise von Ansatz- und Bewertungswahlrechten Gebrauch macht (vgl. dazu die Übersicht im Beck'schen Bilanzkommentar/Ellrott, 3. Aufl., § 284 RdNr. 87 und 101) und Rückstellungen oder Sonderposten mit Rücklagenanteil auflöst (§§ 249, 247 Abs. 3, 273, 281 Abs. 2 Satz 2 HGB). Ferner schließt es die Regelung des § 301 AktG nicht aus, daß das herrschende Unternehmen die Auflösung vorvertraglich gebildeter stiller Reserven bei der beherrschten Gesellschaft veranlaßt und auf diese Weise entweder den abzuführenden Gewinn erhöht und sich Gewinne im Wege der verdeckten Gewinnausschüttung verschafft (vgl. Hüffer, AktG, 2. Aufl., § 301 RdNr. 4; KK/Koppensteiner aaO, § 301 RdNr. 21 – jeweils m.w.N.), so daß die abhängige Gesellschaft nur noch über Grundkapital, gesetzliche Rücklagen und die vor Inkrafttreten des Unternehmensvertrages gebildeten freiwilligen Rücklagen verfügt. Darüber hinaus ist das herrschende Unternehmen infolge seiner Weisungsbefugnis in der Lage, die abhängige Gesellschaft ihrer Vermögenswerte weitgehend zu entkleiden oder sie vollständig in den Konzern einzubinden und ihr im Rahmen der von dem Konzern verfolgten Ziele eine bestimmte Funktion zuzuweisen, so daß es ihr nicht möglich ist, bei Beendigung des Unternehmensvertrages aus eigener Kraft fortzubestehen. Zutreffend weist das Beschwerdegericht darauf hin, daß in diesen Fällen der Unternehmenswert – und damit auch der von ihm abhängige Wert des Aktionärsanteils – weitgehend ausgezehrt ist.

Die Durchführung des Unternehmensvertrages führt somit bei den Aktionären der abhängigen Gesellschaft zu einer Beeinträchtigung ihrer Herrschafts- und Vermögensrechte einschließlich ihres Anspruchs auf Gewinnbeteiligung.

b) Diese Regelung stellt einen Eingriff in das nach Artikel 14 Abs. 1 GG geschützte Anteilsrecht des Aktionärs dar, der nur unter der Voraussetzung zulässig ist, daß die berechtigten Interessen der außenstehenden Aktionäre gewahrt werden (BVerfGE 14, 263, 277 ff.). Dazu gehört außer der – hier gegebenen – Möglichkeit, sich gegen rechtswidrige Unternehmensverträge zur Wehr zu setzen, daß den außenstehenden Aktionären für den erlittenen Rechtsverlust eine vollständige Entschädigung gewährt wird (BVerfGE 14, 263, 283).

Das Gesetz sieht zwei Möglichkeiten vor, die außenstehenden Aktionäre gegenüber den Verlusten, die bei ihnen mit der Durchführung des Unternehmensvertrages eintreten, abzusichern: Es gewährt ihnen einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen – festen oder variablen – Ausgleichs, mit dem es den Verlust ihrer Vermögensrechte kompensiert (§ 304 Abs. 1 AktG). Ferner billigt es ihnen einen Anspruch auf angemessene Abfindung zu, durch den sie für den Herrschaftsverlust und einen von dem Ausgleich nicht erfaßten Vermögensverlust entschädigt werden sollen (Kropff, AktG, 1965 S. 397). Beide Möglichkeiten können die außenstehenden Aktionäre gerichtlich überprüfen lassen (§ 304 Abs. 3 Satz 3, § 305 Abs. 5 Satz 2 AktG).

Wie das Beschwerdegericht zu Recht ausgeführt hat, würde die gesetzliche Regelung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen, wenn sie dahin verstanden werden müßte, daß der Anspruch der außenstehenden Aktionäre mit der während des Spruchstellenverfahrens eintretenden Beendigung des Unternehmensvertrages entfällt. Die Beispiele der Auflösung vorvertraglich gebildeter stiller Reserven und der durch Einbindung in die Konzernziele herbeigeführten Unfähigkeit der Gesellschaft, nach Beendigung des Unternehmensvertrages zu überleben, zeigen, daß die außenstehenden Aktionäre gegen die auf diese Weise eingetretenen Nachteile nicht durch Gewährung eines angemessenen Ausgleichs, sondern nur durch eine angemessene Abfindung abgesichert werden können. Könnte sich das herrschende Unternehmen darauf berufen, daß bei einer während des Spruchstellenverfahrens herbeigeführten Auflösung des Unternehmensvertrages eine Abfindung der außenstehenden Aktionäre, die von ihrer Abfindungsoption noch keinen Gebrauch gemacht haben, ausscheide, bestünde grundsätzlich die Gefahr, daß der Schutz, den das Gesetz diesen Aktionären durch die Regelung des § 305 Abs. 1 AktG gewährt, unterlaufen werden und das herrschende Unternehmen aus dem Vertrag einseitig Vorteile ziehen könnte. Da die Anteilsrechte auf diese Weise ganz oder zum Teil entwertet würden, ohne daß ihre Inhaber eine dementsprechende Entschädigung erlangen könnten, stünde die Regelung nicht in Einklang mit Artikel 14 Abs. 1 GG. Wie das Beschwerdegericht im einzelnen zutreffend dargelegt hat, wird diese Überlegung durch die Regelung des § 305 Abs. 4 Satz 3 AktG bestätigt.

Zu Recht stellt sich das Beschwerdegericht daher auf den Standpunkt, die gesetzliche Regelung der Abfindung könne vor Artikel 14 Abs. 1 GG nur dann Bestand haben, wenn die Abfindungsoption fortbestehe, bis das Gericht die angemessene Abfindung bestimmt habe.

c) Das Abfindungsangebot an die außenstehenden Aktionäre wird im Schrifttum als Abfindungsoption angesehen, die sich aus dem Unternehmensvertrag als berechtigendem Vertrag zugunsten Dritter ergibt und die der Annahme durch die Aktionäre bedarf (KK/Koppensteiner aaO, § 305 RdNr. 4; Hüffer aaO, § 305 RdNr. 3 jeweils m.w.N.). Dem ist zu folgen, so lange ein Spruchstellenverfahren noch nicht rechtshängig ist. Nach § 305 Abs. 5 Satz 2 AktG hat das Gericht die nach dem Vertrag zu gewährende Abfindung u.a. auch dann zu bestimmen, wenn der Vertrag die Gewährung einer Abfindung nicht vorsieht. Das Gesetz geht somit – im Gegensatz zu § 304 Abs. 3 Satz 1 AktG, der bei Fehlen einer Ausgleichsregelung die Nichtigkeit des Vertrages bestimmt – von der Wirksamkeit des Unternehmensvertrages aus. Daraus ist zu schließen, daß dieser Anspruch dem Grunde nach kraft Gesetzes gewährt wird. Dem Gericht fällt die Aufgabe zu, Art und Höhe des Abfindungsanspruchs im einzelnen festzusetzen. Daraus folgt weiter, daß dieser Anspruch zumindest dann nicht bei Beendigung des Vertrages wegfallen kann, wenn er bereits im Spruchstellenverfahren rechtshängig gemacht worden ist.

3. Der Fortbestand des Abfindungsanspruchs besteht nicht nur zu Gunsten der außenstehenden Aktionäre, die das Spruchstellenverfahren anhängig gemacht haben oder ihm beigetreten sind, sondern auch zu Gunsten der Aktionäre, die sich dem Verfahren nicht angeschlossen haben. Das folgt aus der in § 306 Abs. 4 Satz 2 AktG getroffenen Regelung, nach der zur Wahrnehmung ihrer Rechte ein gemeinsamer Vertreter zu bestellen ist.

4. Der Antrag der Beteiligten zu 4 war demnach zurückzuweisen. Die Sache war zur weiteren Durchführung des Verfahrens über die Festsetzung des Abfindungsanspruchs an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Röhricht, Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze, Dr. Kapsa, Kraemer

 

Fundstellen

Haufe-Index 1128057

BGHZ

BGHZ, 374

HFR 1998, 226

NJW 1997, 2242

NJW-RR 1998, 392

Nachschlagewerk BGH

WuB 1998, 807

ZIP 1997, 1193

JZ 1997, 1181

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