Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch bei der Schätzung, die wegen Verletzung der Nachweispflicht geboten ist, hat das FG von dem Sachverhalt auszugehen, der nach seiner überzeugung der Wirklichkeit am nächsten kommt.

 

Normenkette

AO § 171 Abs. 1, § 205 Abs. 2, §§ 205a, 96 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Stpfl.) betreibt ein ...geschäft, dessen Gewinn sie durch Vermögensvergleich nach § 5 EStG ermittelt. ...

In ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1958 wies die Stpfl. eine Darlehensschuld an "M" von 15.000 DM und eine solche an "A" von 10.000 DM aus. Gegenüber dem Revisionsbeklagten (FA) und im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens weigerte sie sich, die Anschriften der Darlehnsgeber anzugeben. Sie machte dazu geltend: Sie habe den Darlehnsgebern die Geheimhaltung versprochen, die Offenbarung führe zur Kündigung der Darlehen und damit zu erheblichen geschäftlichen Schäden, da sie bei ihrer angespannten Geschäftslage von anderer Seite, insbesondere von ihrer Sparkasse, den erforderlichen Ersatz für diese Kredite nicht erlangen könne. Die Offenbarung sei ihr deshalb nicht zumutbar. Bei den Beträgen handle es sich nicht um verschleierte eigene Einnahmen. Auch der Betriebsprüfer habe es für wahrscheinlich gehalten, daß echte Darlehen in Frage ständen. Gegen die Herkunft des Geldes aus eigenen Einnahmen spreche auch, daß die Buchführung und insbesondere die Kalkulation ordnungsgemäß gewesen und die Kassenführung von Angestellten besorgt worden sei.

Das FA behandelte die Darlehnsbeträge als weitere Betriebseinnahmen des Jahres 1958 und erhöhte deshalb in den Veranlagungen für das Jahr 1958 sowohl den gewerblichen Gewinn als auch den Umsatz, diesen um volle 25.000 DM.

Einspruch und Berufung (jetzt Klage) gegen den Umsatzsteuerbescheid 1958 hatten keinen Erfolg. Das FG führt zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus: Die Stpfl. habe keine Tatsachen vorgetragen, die die Zumutbarkeit der verlangten Angaben in Frage stellen können. Ohne diese Angaben lasse sich die erforderliche Gewißheit über die Herkunft der Beträge nicht gewinnen. Das FA habe sich daher mit Recht auf § 171 AO berufen und die Auskunft verlangt. Es sei wahrscheinlicher, daß die Mittel aus nicht versteuerten Betriebseinnahmen als aus Darlehen stammten. Von diesem der Stpfl. ungünstigen Sachverhalt sei nach der Rechtsprechung des BFH auszugehen, weil die Stpfl. ihre Mitwirkung an der Tatsachenaufklärung pflichtwidrig verweigert habe.

Gegen dieses Urteil legte die Stpfl. die vom FG zugelassene Rb. ein. Sie rügt das Zustandekommen der Feststellung über die Herkunft der 25.000 DM aus Betriebseinnahmen und führt dazu aus: Mit Rücksicht auf die drohenden geschäftlichen Nachteile sei ihr die Offenbarung der Darlehnsgläubiger unzumutbar gewesen. Die Unaufklärbarkeit habe deshalb für sie nicht zu nachteiligen Schlußfolgerungen führen dürfen. Aus der Auffassung des Betriebsprüfers über die Herkunft der Gelder, aus der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und der von Dritten besorgten Kassenführung habe das FG vielmehr die überzeugung gewinnen müssen, daß es sich nur um Darlehen handeln könne. Das FG habe es auch pflichtwidrig versäumt, die Frage, ob die Stpfl. Betriebseinnahmen in beträchtlicher Höhe der Buchführung entzogen habe, durch Vernehmung von Büroangestellten aufzuklären.

In einem erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingereichten Schriftsatz hat die Stpfl. noch folgende Verfahrensrüge erhoben: Das FG habe die zur Widerlegung einer Aussage des Betriebsprüfers benannten Zeugen nicht vernommen und das Urteil erlassen, ohne die Ablehnung des Beweisantrags bekanntzugeben. Die Stpfl. sei dadurch der Möglichkeit beraubt worden, anderweitige Beweise anzubieten und eine weitergehende Begründung vorzulegen.

Im übrigen gab die Stpfl. im Revisionsverfahren Namen und Anschriften des Gläubigers A an, der ihr das Darlehen von 10.000 DM gewährt haben soll.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb., die seit dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 als Revision zu behandeln ist, ist nicht begründet.

Nach § 288 AO a. F. konnte die Rb. und nach § 118 Abs. 1 FGO kann die Revision nur auf Rechtsverletzungen gestützt werden. Neues tatsächliches Vorbringen darf das Revisionsgericht nicht berücksichtigen. Die nunmehrige Benennung des Darlehnsgeber ist deshalb unbeachtlich. - Der Senat kann sich auch nicht mit der Rüge befassen, das FG habe einen substantiierten Beweisantrag übergangen, da diese Rüge gemäß § 290 Abs. 1, § 289 Abs. 2 AO a. F. in zulässiger Weise nur während des Laufs der Revisionsbegründungsfrist hätte erhoben werden können. Diese Frist hat die Stpfl. insoweit versäumt.

Entgegen der in der Revision vorgetragenen Rechtsauffassung war die Stpfl. gemäß § 171 Abs. 1 AO verpflichtet, über die Herkunft der als "Darlehen" verbuchten Beträge von 25.000 DM Auskunft zu geben. Nach dieser Vorschrift hat der Steuerpflichtige die Richtigkeit seiner Steuererklärung nachzuweisen und, wo seine Angaben zu Zweifeln Anlaß geben, diese zu ergänzen, den Sachverhalt aufzuklären und seine Behauptungen, soweit ihm dies nach den Umständen zugemutet werden kann, zu beweisen. Die Stpfl. hatte hier ihre gemäß § 166 Abs. 1 AO zur Steuererklärung zu rechnenden Angaben über die Darlehnseigenschaft der strittigen Beträge nach dem Verlangen des FA nicht zu beweisen, sondern lediglich durch genaue Bezeichnung der Darlehnsgeber zu ergänzen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist deshalb die Frage der Zumutbarkeit nicht zu prüfen. Das Auskunftsverlangen war auch nicht in das Ermessen des FA gestellt. Nach den Feststellungen des FG hatte das FA Zweifel über die Herkunft der Gelder und mußte sie nach dem Buchungstext und der Verweigerung weiterer Angaben auch haben. Das FA war deshalb nach § 205 Abs. 1 und 2 AO verpflichtet, die Stpfl. um Aufklärung anzugehen. Aber auch wenn dem FA ein Ermessensspielraum gegeben und die Zumutbarkeit zu prüfen gewesen wäre, könnte das Auskunftsverlangen nicht beanstandet werden. Denn die Stpfl. konnte sich nicht auf die Gefahr geschäftlicher Nachteile berufen, wenn sie nicht zugleich den nach Sachlage dringenden Verdacht ausräumte, daß ihr Schweigen auch entweder der Verschleierung ihres eigenen steuerlich unehrlichen Verhaltens oder dazu diente, einem anderen (Darlehnsgeber) die Früchte eines solchen Verhaltens zu sichern (vgl. BFH-Urteil IV 579/56 S vom 29. Oktober 1959, BFH 70, 68, BStBl III 1960, 26). Derartige Erklärungen hat die Stpfl. aber nicht abgegeben.

Die Herkunft der strittigen Beträge war ohne die verlangte Mitwirkung der Stpfl. nicht eindeutig festzustellen.

Irrig ist die im Revisionsvorbringen vorgetragene Auffassung, das FG sei auf Grund unstreitiger Tatsachen nach denkgesetzlichen Grundsätzen gezwungen gewesen, die Beträge als Darlehen zu beurteilen. Daß die kalkulatorische Prüfung keine Beanstandungen ergab, die Buchführung - abgesehen vom Nachweis der "Darlehen" - in Ordnung war, die Kassenführung in fremden Händen lag und sich der Betrieb im Jahre 1958 in einer angespannten Finanzlage befand, sind offensichtlich keine Umstände, aus denen zwingend auf die Eigenschaft der strittigen Beträge als Darlehen zu schließen wäre.

Zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen wäre das FG nach § 243 Abs. 1 AO a. F. nur verpflichtet gewesen, wenn es eine Möglichkeit hätte erkennen können, auch ohne die Mitwirkung der Stpfl. in der Behebung der Ungewißheit einen entscheidenden Fortschritt zu erzielen. Derartige Anhaltspunkte hat die Stpfl. aber nicht aufgezeigt. Die von ihr vermißte Vernehmung der Büroangestellten hätte nur zu der überzeugung führen können, daß diese Zeugen keine Kenntnisse über eine Verkürzung der Einnahmen gewonnen haben. Dieses Ermittlungsergebnis wäre aber im Verhältnis zum Wert der von der Stpfl. geforderten Aufklärung unbedeutend gewesen und hätte einen ebenfalls unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Wenn das FG nicht ohnehin das von der Stpfl. erwartete Beweisergebnis seiner Tatsachenwürdigung stillschweigend zugrunde gelegt hat, so ist jedenfalls die Unterlassung dieser Ermittlungen aus diesen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt (vgl. BFH- Entscheidung I 242/54 U vom 17. Januar 1956, BFH 62, 182, BStBl III 1956, 68 a. E.), zumal die Stpfl. die Beweiserhebung nicht einmal selbst angeregt hatte. Ein Verfahrensverstoß kann in dem gerügten Sachverhalt also nicht gesehen werden.

Im steuerlichen Verwaltungsverfahren wie im finanzgerichtlichen Verfahren gilt aus Gründen der allgemeinen Gleichheit und Gerechtigkeit der Besteuerung gemäß § 217 AO, § 96 Abs. 2 Satz 1 FGO (§§ 217, 244 Satz 1 AO a. F.) der Grundsatz, daß eine Besteuerungsgrundlage, soweit sie nicht ermittelt werden kann, geschätzt, also nach bloßen Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden kann. Insbesondere ist nach § 217 Abs. 2 AO zu schätzen, "wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft ... verweigert". Im Gegensatz zur Auffassung des FG bedeutet dieser Grundsatz allerdings nicht, daß die Gerichte im Falle der Auskunftsverweigerung "unter mehreren möglichen Sachverhalten in der Regel von dem dem Steuerpflichtigen ungünstigsten" auszugehen haben. Die für diese Auffassung angeführten Urteile des BFH (VI 129/60 U vom 13. Januar 1961, BFH 72, 390, BStBl III 1961, 144, und IV 205/63 vom 5. September 1963, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Rechtsspruch 46 zu § 204 AO) wie auch weitere einschlägige Entscheidungen (vgl. z. B. I 242/54 U vom 17. Oktober 1956, a. a. O.; IV 579/56 S vom 29. Oktober 1959, a. a. O., und V 5/57 U vom 23. Oktober 1958, BFH 68, 41, BStBl III 1959, 16) können nur dahin verstanden werden, daß die schuldhafte Verletzung der Aufklärungspflicht beim Versagen weitere Nachweismöglichkeiten die Feststellung des dem Steuerpflichtigen ungünstigsten Sachverhalts ermöglicht, wenn das FG von der größten Wahrscheinlichkeit dieses Sachverhalts überzeugt ist. Dem IV. Senat, der in seinen neueren Entscheidungen (IV 96/60 vom 13. August 1964, HFR 1964, 436, und IV 184/63 vom 9. März 1967, BFH 88, 212, BStBl III 1967, 349) diesen Grundsatz zwar anerkennt, aber doch innerhalb der Möglichkeiten eines "nicht sehr engen Schätzungsrahmens" das schätzende FA oder FG für verpflichtet hält, von dem dem Steuerpflichtigen ungünstigsten Sachverhalt auszugehen, vermag der erkennende Senat hierin nicht zu folgen. Eine solche Beweisregel - mag sie auch der Steuergerechtigkeit dienen - widerspricht dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 96 FGO), dessen Verletzung in Opportunitätserwägungen keine Rechtfertigung findet (vgl. auch Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 10 S. 270). Der Grundsatz des § 205 a Abs. 3 AO, wonach u. a. bei der Feststellung des Vermögens Schulden oder andere Lasten nicht abzusetzen sind, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen des FA zuwider die Gläubiger nicht genau bezeichnet, ist spezieller Art und kann deshalb bei Verletzung der Aufklärungspflicht im Bereich der Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer nicht ausdehnend herangezogen werden. Auch bei der Schätzung, die wegen Verletzung der Nachweispflicht geboten ist, hat daher das FG ohne Einschränkung von dem Sachverhalt auszugehen, der nach seiner überzeugung der Wirklichkeit am nächsten kommt. Weitere Erörterungen zu dieser Rechtsfrage sind hier nicht geboten, weil das angefochtene Urteil nicht auf der irrigen Rechtsauffassung des FG beruht. Deshalb erübrigt sich auch die Anrufung des Großen Senats.

Das FG hat nämlich auch in einer Hilfserwägung aus der Auskunftsverweigerung der Stpfl. den Schluß gezogen, daß die Herkunft der strittigen Beträge aus eigenen Betriebseinnahmen der Stpfl. wahrscheinlicher sei als die Herkunft aus Darlehen. Diese Feststellung ist nach den vorstehenden Ausführungen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und für den Senat daher bindend. Sie bildet die ausreichende Rechtsgrundlage für die Heranziehung der strittigen Beträge zur Umsatzsteuer (§ 11 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes).

Die Revision ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen. ...

 

Fundstellen

Haufe-Index 412754

BStBl III 1967, 686

BFHE 1967, 472

BFHE 89, 472

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