Leitsatz (amtlich)

Ein unrichtiger Bilanzansatz ist in der Regel im Rahmen der Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats des BFH Gr. S. 1/65 S vom 29. November 1965 (BFH 84, 392, BStBl III 1966, 142) bis zur Fehlerquelle zurück zu berichtigen. Wünscht der Steuerpflichtige eine andere mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu vereinbarende Verteilung des Fehlers auf vorhergehende Jahre, so kann diesem Verlangen entsprochen werden, wenn der Steuerpflichtige die zu ändernden Bilanzansätze bezeichnet und die dadurch berührten Veranlagungen noch berichtigt werden können.

 

Normenkette

EStG 1958 § 4 Abs. 1-2, § 5

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1959 die Verteilung der auf Grund einer Betriebsprüfung vorgenommenen Erhöhung des Warenbestandes.

Der Revisionsbeklagte (Stpfl.) betrieb eine Gold- und Silberschmiedewerkstatt und einen Einzelhandel mit Gold- und Silberwaren. Bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1964 wurde festgestellt, daß der Warenbestand zum 31. Dezember 1962 um 153 950 DM zu niedrig bewertet war. Da die Warenbewertung in den vorangegangenen Jahren den gleichen Fehler aufwies, verteilte der Betriebsprüfer den Mehrwert mit 75 000 DM auf das Wirtschaftsjahr 1959, mit je 26 000 DM auf die Wirtschaftsjahre 1960 und 1961 und mit 26 950 DM auf das Wirtschaftsjahr 1962. Das FA führte entsprechende Berichtigungsveranlagungen durch. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage begehrte der Stpfl. die Berichtigung der Anfangsbilanz zum 1. Januar 1959. Nach der Art des Betriebs sei es unmöglich, daß im Wirtschaftsjahr 1959 ein Mehrgewinn von 75 000 DM erzielt worden sei. Der Mehrgewinn sei im Verlauf vieler Jahre, deren Einkommensteuerschulden inzwischen verjährt seien, entstanden. Es liege ein Fall vor, bei dem auch nach der Rechtsprechung des BFH nach dem Grundsatz von Treu und Glauben die Möglichkeit für eine Durchbrechung des Bilanzen zusammenhangs gegeben sei. Der Stpfl. beantragte, die Anfangsbilanz zum 1. Januar 1959 um 66 666 DM zu erhöhen. Er ging bei dieser Berechnung davon aus, daß entsprechend der bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1957 durch den Betriebsprüfer vorgenommenen Erhöhung des Warenbestands um 50 000 DM für die Verteilung auf die Wirtschaftsjahre 1957 bis 1959 nur ein Mehrbetrag von 25 000 DM verbleibe.

Das FG stimmte der Rechtsprechung des BFH zum Bilanzenzusammenhang zu (Urteil I 136/60 S vom 27. März 1962, BFH 75, 10, BStBl III 1962, 273; Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S 1/65 S vom 29. November 1965, BFH 84, 392, BStBl III 1966, 142), gab aber trotzdem der Klage statt. Nach den angeführten BFH-Entscheidungen sei der falsche Bilanzansatz, soweit er auch in den Bilanzen der Vorjahre enthalten sei, bereits in der Schlußbilanz eines früheren noch nicht verjährten Steuerabschnitts richtigzustellen, und zwar sei die Schlußbilanz des ersten, noch berichtigungsfähigen und nicht verjährten Steuerabschnitts richtigzustellen. Das sei im Streitfall die Bilanz für das Wirtschaftsjahr 1956 gewesen. Der Prüfer habe deshalb auch die Jahre 1956 bis 1958 in die Prüfung einbeziehen müssen. Hierzu habe um so mehr Anlaß bestanden, als er bel der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1957 den Warenbestand um 50 000 DM erhöht und damit eindeutig zu erkennen gegeben habe, daß ein Mehrbetrag des Warenbestandes in Höhe von 75 000 DM nicht auf das Wirtschaftsjahr 1959 entfallen könne. Der Ansatz des vollen Betrages von 75 000 DM im Wirtschaftsjahr 1959 müsse als willkürlich bezeichnet werden. Das FA könne dagegen nicht einwenden, der Stpfl. sei jetzt, wo eine Wiederaufrollung der Veranlagungszeiträume 1956 bis 1958 wegen Verjährung nicht mehr möglich sei, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben an den Ansatz des Betrages von 75 000 DM im Jahre 1959 gebunden, da er im Einspruchsverfahren, als die Verjährung der Jahre 1956 bis 1958 noch nicht eingetreten gewesen sei, den Vorschlag des FA auf gleichmäßige Verteilung der 75 000 DM auf die Jahre 1956 bis 1958 abgelehnt habe. Denn die Durchführung des Vorschlags bedeutete im steuerlichen Endergebnis eine Schlechterstellung für den Stpfl. Entscheidend sei allein, daß im Zeitpunkt der Betriebsprüfung die Verjährung für diese Jahre noch nicht eingetreten gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

Erweist sich ein Bilanzansatz als zu niedrig, so ist die Bilanz, in der er sich befindet, durch Einsetzen des zutreffenden Betrages zu berichtigen. Beruht der unrichtige Bilanzansatz auf Umständen, die auch auf die Bilanzen vorangegangener Jahre eingewirkt haben (so im Streitfall eine nach einer bestimmten Methode vorgenommene Warenbewertung, deren Folge alljährlich ein zu niedriger Ansatz des Warenbestandes ist), so ist auch eine Berichtigung der Bilanzen der vorangegangenen Wirtschaftsjahre geboten. Diese Berichtigung findet ihre Grenze aber dort, wo sie die volle steuerliche Erfassung des Unterschiedes in den Bilanzansätzen unmöglich machen würde. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, die zuletzt durch den Beschluß des Großen Senats Gr. S. 1/65 S bestätigt wurde, darf ein rückwirkender Fehlerausgleich deshalb nur insoweit vorgenommen werden, als vorangegangene Veranlagungen und die ihnen zugrunde liegenden Bilanzen noch geändert werden können und geändert worden sind oder ein Fehler in diesen Bilanzen sich bisher steuerlich nicht ausgewirkt hat.

Zu der Frage, wie weit innerhalb dieser Grenzen eine Rückwärtsberichtigung fehlerhafter Bilanzansätze geboten ist, erklärte der Größe Senat, nach § 4 Abs. 2 EStG könne ein Steuerpflichtiger im Rahmen der Grundsätze von Treu und Glauben die Berichtigung früherer unrichtiger Bilanzen verlangen. Der Große Senat schloß sich damit dem Urteil des RFH VI A 348/36 vom 28. Januar 1937, RStBl 1937, 332, nicht an, nachdem das FA von mehreren Veranlagungen in der Regel nur die letzte oder die letzten zu berichtigen brauche. Die Ausführungen des Großen Senats sind vielmehr dahin zu verstehen, daß sowohl der Steuerpflichtige in der Regel die Rückwärtsberichtigung den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend bis zur Fehlerquelle verlangen kann, soweit eine solche Berichtigung nach den dargelegten Grundsätzen zulässig ist, als auch das FA grundsätzlich bis zur Fehlerquelle soweit als möglich zurückgehen muß. Wendet sich der Steuerpflichtige gegen die vom FA durchgeführten Bilanzberichtigungen der Vorjahre mit der Bitte, die Bilanzberichtigungen auf eine größere oder geringere Zahl von Jahren zu erstrecken oder die sich für das am weitesten zurückliegende Jahr ergebende Gewinnerhöhung angemessen auf mehrere Jahre zu verteilen, so bestehen in der Regel keine Bedenken dagegen, daß FA diesem Verlangen entspricht, wenn der Steuerpflichtige die zu berichtigenden Bilanzen und die zu ändernden Bilanzansätze im einzelnen bezeichnet. Voraussetzung ist aber, daß die den Wünschen des Steuerpflichtigen entsprechende anderweite Verteilung durch das FA oder das FG im Zeitpunkt dieser Verteilung rechtlich noch möglich ist, d. h. zu solchen Änderungen von Bilanzansätzen führt, die sich in Berichtigungsveranlagungen auswirken. Nur diese Auslegung der Ausführungen des Großen Senats über die Berichtigung bis zur Fehlerquelle wird dem im Vordergrund stehenden Grundsatz gerecht, daß die Rückwärtsberichtigung sich steuerlich in vollem Umfang auswirken muß.

Nach diesen Grundsätzen hätte der Stpfl. im Streitfall verlangen können, daß das FA bei den Berichtigungsveranlagungen die Rückwärtsberichtigung der fehlerhaften Warenbewertung bis zu dem Veranlagungszeitraum vornahm, für den damals noch keine Verjährung eingetreten war. Das war nach den Feststellungen des FG der Veranlagungszeitraum 1956. Dem Stpfl. kann nicht beigepflichtet werden, wenn er glaubt, einen Anspruch auf eine weitergehende Rückwärtsberichtigung allein deshalb zu haben, weil der Mehrgewinn im Lauf vieler inzwischen verjährter Wirtschaftsjahre entstanden sei. Er kann auch nicht unter Hinweis auf die Erhöhung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1957 verlangen, daß der jetzt voll dem Wirtschaftsjahr 1957 zugerechnete Mehrgewinn von 75 000 DM nur mit einem Teilbetrag von 25 000 DM auf die Veranlagungszeiträume 1957 bis 1959 verteilt wird. Dem stehen die dargelegten Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats Gr. S. 1/65 S entgegen, nach denen eine Rückwärtsberichtigung nur insoweit zulässig ist, als die nachträgliche Versteuerung der bisher unversteuert gebliebenen Beträge möglich ist. Die Zahl der Wirtschaftsjahre, auf die ein festgestellter Mehrgewinn hiernach verteilt werden kann, wird sich deshalb in vielen Fällen nicht mit der Zahl der Wirtschaftsjahre decken, in denen dieser Mehrgewinn entstanden ist.

Der Stpfl. hat eine Rückwärtsberichtigung des unrichtigen Bilanzansatzes bis zur Fehlerquelle im Rahmen des Beschluss Gr. S. 1/65 S nicht verlangt. Er hat im Gegenteil einen vom FA im Einspruchsverfahren gemachten dahin gehenden Vorschlag abgelehnt. Er hat auch nicht erklärt, welche andere Verteilung er im Rahmen dieser Grundsätze wünscht. Die Berichtigung, wie sie vom FA vorgenommen wurde, ist hiernach nicht zu beanstanden. Es kommt hinzu, daß nach der im Revisionsverfahren nicht bestrittenen Feststellung des FG eine Verteilung des Mehrgewinns auf die Veranlagungszeiträume ab 1956 im steuerlichen Ergebnis zu einer Schlechterstellung des Stpfl. geführt hätte. Es ist ungerechtfertigt, diese vom Stpfl. abgelehnte Verteilung nunmehr zu einem Zeitpunkt durchzuführen, in dem sich die Bilanzberichtigungen steuerlich nicht mehr auswirken können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412867

BStBl II 1968, 144

BFHE 1968, 430

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge