Leitsatz (amtlich)

Das Recht auf Neuveranlagung zur Vermögensteuer wird nicht allein dadurch verwirkt, daß das FA entsprechend seiner Ankündigung vorher schon durchgeführte Veranlagungen alsbald nach Abschluß einer Betriebsprüfung berichtigt und auch die Hauptveranlagung für einen späteren Zeitpunkt durchführt, während es mit der Neuveranlagung für einen früheren Stichtag noch längere Zeit zuwartet; die Hauptveranlagung auf einen späteren Stichtag setzt nicht voraus, daß die Neuveranlagungen für frühere Stichtage bereits durchgeführt sind.

 

Normenkette

VStG § 13 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die steuerpflichtigen Eheleute waren durch Bescheid vom 26. Juni 1964 zum 1. Januar 1963 zur Vermögensteuer veranlagt worden. Bei einem steuerpflichtigen Vermögen von 257 000 DM, in dem unter anderem eine Beteiligung der Steuerpflichtigen an der H-GmbH im Nennwert von 20 000 DM enthalten war, wurde die Vermögensteuer auf 2 540 DM festgesetzt. Anläßlich der Feststellungen einer Betriebsprüfung bei der GmbH wurde der gemeine Wert für je 100 DM des Stammkapitals der GmbH gemäß § 218 Abs. 4 AO zum 31. Dezember 1962, zum 31. Dezember 1963 und zum 31. Dezember 1964 erhöht.

In einem Nebenbericht zum Betriebsprüfungsbericht ist ausgeführt "für die Vermögensbesteuerung ist die Änderung der Anteilsbewertung zu beachten". Dieser Nebenbericht wurde dem Steuerpflichtigen im Dezember 1965 mit dem Hinweis zugesandt, daß "die nach diesem Bericht erforderlichen Berichtigungsveranlagungen in Kürze durchgeführt" würden. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) wertete den Betriebsprüfungsbericht im Jahre 1966 aus und berichtigte die Einkommensteuerveranlagung 1964 im April 1966 und die Vermögensteuerveranlagung zum 1. Januar 1963 im Juni 1966. In den Vermögensteuerakten befindet sich der vom Sachbearbeiter des Bezirks abgezeichnete Vermerk vom 24. Mai 1966 "Vermögensteuererklärung für den 1. Januar 1964 und 1. Januar 1965 zugesandt. Frist bis 10. Juni 1966". Weitere Vermerke desselben Sachbearbeiters vom 28. Juli 1966 und vom 10. August 1966 lauten für die Veranlagungszeitpunkte 1. Januar 1964 und 1965 "keine Neuveranlagung". Neuveranlagungen zum 1. Januar 1964 und 1. Januar 1965 unterblieben. Die Hauptveranlagung zum 1. Januar 1966 wurde im Januar 1967 durchgeführt.

Anläßlich einer Überprüfung der Akten durch die Vorprüfungsstelle wurde der Steuerfall im Mai 1970 wieder aufgegriffen. Mit Bescheid vom 25. August 1970 wurde die Vermögensteuer im Wege der Neuveranlagung zum 1. Januar 1965 auf 7 700 DM festgesetzt. Eine Neuveranlagung zum 1. Januar 1964 unterblieb wegen Verjährung.

Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG gab der Klage statt. Es war der Auffassung, das FA habe seinen Anspruch auf Durchführung einer Vermögensteuerneuveranlagung zum 1. Januar 1965 verwirkt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 VStG sowie der Rechtsgrundsätze über die Verwirkung. In der Ankündigung der erforderlichen Berichtigungsveranlagungen liege kein positives Verhalten des FA, das einen Vertrauenstatbestand hätte schaffen können.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der steuerpflichtige Ehemann ist im September 1971 verstorben. Alleinerbin ist seine Ehefrau. Sie beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 VStG wird die Vermögensteuer unter anderem dann neu veranlagt, wenn der nach § 4 Abs. 2 VStG abgerundete Wert des Gesamtvermögens, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, um mehr als 100 000 DM von dem nach § 4 Abs. 2 VStG abgerundeten Wert am letzten Veranlagungszeitpunkt abweicht. Diese Voraussetzung ist im Streitfall offensichtlich erfüllt. Zu Recht hat das FA die Steuerpflichtigen von Amts wegen (§ 13 Abs. 3 Satz 1 VStG) zum 1. Januar 1965 zur Vermögensteuer neu veranlagt.

Der Auffassung des FG, das FA habe im Streitfall sein Recht auf Neuveranlagung der Steuerpflichtigen zum 1. Januar 1965 verwirkt, kann der Senat nicht folgen. Die Verwirkung ist Ausfluß des auch im Steuerrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben. Verwirkung eines Steueranspruchs setzt ein positives Verhalten des FA voraus, das den Schluß zuläßt, das FA werde seinen Anspruch nicht weiter verfolgen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z. B. Entscheidungen V 91/63 U vom 16. September 1965, BFH 83, 441, BStBl III 1965, 657; V 177/63 vom 25. November 1965, HFR 1966, 94). Im Streitfall fehlt es an einem positiven Verhalten des FA, das die Annahme der Steuerpflichtigen hätte rechtfertigen können, das FA werde die aus den Feststellungen der Betriebsprüfung folgende Erhöhung der Vermögensteuer für den Stichtag 1. Januar 1965 nicht geltend machen. Nach dem Nebenbericht zum Betriebsprüfungsbericht mußten die Steuerpflichtigen damit rechnen, daß das FA die Erhöhung des gemeinen Wertes der Beteiligung für alle betroffenen Stichtage auf ihre Auswirkung bei der Vermögensteuer überprüfen werde. Hinsichtlich der Veranlagungszeitpunkte 1. Januar 1964 und 1965 hat das FA, abgesehen von der Aufforderung zur Abgabe der Vermögenserklärung für diese Stichtage und von rein internen Aktenvermerken, nichts unternommen. Damit, daß das FA im Juni 1966 lediglich die Vermögensteuerhauptveranlagung zum 1. Januar 1963 gemäß § 218 Abs. 4 AO änderte, ohne gleichzeitig auch die Neuveranlagungen zum 1. Januar 1964 und 1965 durchzuführen, gab es den Steuerpflichtigen keinen Anlaß zu der Annahme, daß von Neuveranlagungen zum 1. Januar 1964 und 1965 abgesehen werde. Diesen Schluß gestattete insbesondere auch nicht der Hinweis des FA vom Dezember 1965, daß die nach dem Nebenbericht zum Betriebsprüfungsbericht erforderlichen Berichtigungsveranlagungen "in Kürze" durchgeführt würden. Mit dem FA ist der Senat der Meinung, daß aus diesem Hinweis über den Zeitpunkt der Berichtigung vorher schon durchgeführter Veranlagungen nichts über den Zeitpunkt etwaiger Neuveranlagungen hergeleitet werden kann. Entscheidend ist, daß das FA ohne die Vermögenserklärungen der Steuerpflichtigen zum 1. Januar 1964 und 1965 überhaupt nicht prüfen konnte, ob zu diesen Stichtagen die Voraussetzungen einer Neuveranlagung (§ 13 Abs. 1 VStG) gegeben waren. Um die Voraussetzungen etwaiger Neuveranlagungen zum 1. Januar 1964 und 1965 prüfen zu können, hat das FA die Steuerpflichtigen bereits im Mai 1966 zur Abgabe von Vermögenserklärungen aufgefordert. Für die Frage, ob das FA das Recht auf Neuveranlagungen zum 1. Januar 1964 und 1965 verwirkt hat, ist ohne Bedeutung, ob die Erklärungsvordrucke den Steuerpflichtigen zugegangen sind oder nicht. Denn haben die Steuerpflichtigen die Erklärungsvordrucke erhalten, so wußten sie, daß das FA die Durchführung der Neuveranlagungen zum 1. Januar 1964 und 1965 beabsichtige. Sind die Erklärungsvordrucke dagegen nicht zugegangen, so mußten die bereits seinerzeit durch den Prozeßbevollmächtigten beratenen Steuerpflichtigen weiterhin mit einer Neuveranlagung zum 1. Januar 1964 und 1965 rechnen, solange das FA die Voraussetzungen der Neuveranlagungen wegen fehlender Steuererklärungen nicht geprüft hatte. Das FA hat zwar die Abgabe der Steuererklärungen nicht angemahnt, hierin liegt jedoch lediglich ein Unterlassen, das - entgegen der Auffassung des FG - auch nicht im Zusammenhang mit der Ankündigung, die Feststellungen der Betriebsprüfung in Kürze auszuwerten, als positives Verhalten des FA angesehen werden kann. Hinsichtlich der Neuveranlagungen zum 1. Januar 1964 und 1965 liegt somit lediglich eine bloße Untätigkeit des FA vor, die die Annahme einer Verwirkung des Rechts auf Neuveranlagung nicht zu rechtfertigen vermag. Hieran ändert - entgegen der Auffassung des FG - auch nichts, daß das FA die Hauptveranlagung zum 1. Januar 1966 bereits im Januar 1967 durchgeführt hat. Hauptveranlagung und Neuveranlagung zu einem Stichtag vor dem Hauptveranlagungszeitpunkt stehen selbständig nebeneinander. Die Hauptveranlagung auf einen späteren Stichtag setzt nicht voraus, daß die Neuveranlagungen zu früheren Zeitpunkten bereits durchgeführt sind. Sie schließt auch Neuveranlagungen auf frühere Stichtage nicht aus, weil diese Neuveranlagungen dem vorangehenden Hauptveranlagungszeitraum zugehören. In der Praxis wird häufig das Ergebnis der Hauptveranlagung dem FA erst Anlaß zur Prüfung geben, ob nicht bereits für einen früheren Stichtag die Voraussetzungen einer Neuveranlagung gegeben waren. Im Streitfall war das FA zur Hauptveranlagung der Steuerpflichtigen zum 1. Januar 1966 in der Lage, nachdem die Steuerpflichtigen die Vermögenserklärung zu diesem Stichtag abgegeben hatten. Dagegen lagen zu dieser Zeit die Erklärungen für die Stichtage 1. Januar 1964 und 1965 nicht vor.

Auch aus den Aktenvermerken des FA vom 28. Juli/10. August 1966, daß zum 1. Januar 1964 und 1965 keine Neuveranlagung der Steuerpflichtigen durchzuführen sei, kann eine Verwirkung des Rechts auf Neuveranlagung nicht hergeleitet werden. Bei diesen Vermerken handelt es sich um rein interne Maßnahmen ohne Außenwirkung. Solche Vermerke des FA sind, solange sie den Steuerpflichtigen nicht bekanntwerden, nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand zu schaffen. Danach hat das FA den Steuerpflichtigen keinen Anlaß dazu gegeben, sich auf die Nichtdurchführung der Neuveranlagung zum 1. Januar 1965 einzurichten.

Abgesehen hiervon haben die Steuerpflichtigen auch nicht vorgetragen, daß sie sich mit Rücksicht auf das Verhalten des FA in irgendeiner Form darauf eingerichtet hätten, die erhöhte Vermögensteuer werde nicht geltend gemacht. Auch hieran muß die Annahme einer Verwirkung des Rechts auf Neuveranlagung durch das FA scheitern.

Die Vorentscheidung war aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht. Die Festsetzung der Vermögensteuer durch das FA zum 1. Januar 1965 ist nicht zu beanstanden. Der Senat weist deshalb die Klage als unbegründet ab (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

 

Fundstellen

BStBl II 1972, 779

BFHE 1972, 233

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