Entscheidungsstichwort (Thema)
(Einfuhr in das Beitrittsgebiet: Maßgebende Zollvorschriften, Rückwirkung bei Zollrechtsänderungen, Vertrauensschutz - gemeinschaftliche Zollaussetzung: Gültigkeit, Vorabentscheidung des EuGH nicht erforderlich - Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht)
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Zollbehandlung von Waren, die von einem Unternehmen in der früheren DDR im Sommer 1990 bestellt, jedoch erst nach dem Beitritt eingeführt wurden (hier: im Beitrittsgebiet zum freien Verkehr abgefertigte Orangen aus Kuba), galten die Vorschriften des EG-Gemeinschaftszollrechts. Von der früheren DDR vorgesehene Zollbefreiungen für Einfuhren aus RGW-Ländern sind mit dem Wirksamwerden des Beitritts außer Kraft getreten.
2. Zur Frage der Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung bzw. Rückanknüpfung im Zusammenhang mit den durch den Beitritt bewirkten Zollrechtsänderungen (1.).
3. Zweifel an der Gültigkeit der auf Zollaussetzungen für Einfuhren aus osteuropäischen RGW-Ländern beschränkten gemeinschaftlichen Ausnahmeregelung bestehen nicht.
Orientierungssatz
1. Art. 29 des Einigungsvertrages --Vertrauensschutz zugunsten der gewachsenen außenwirtschaftlichen Beziehungen der DDR, insbesondere der bestehenden vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den RGW-Ländern, indessen nur nach Maßgabe entsprechender Ausnahmeregelungen-- enthält keine Zollbefreiung.
2. Eine unechte Rückwirkung von Rechtsänderungen ist grundsätzlich zulässig; ihre Zulässigkeit ist nur zu verneinen --ausnahmsweise--, wenn ein überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen auf eine bestehende günstigere Rechtslage anzuerkennen ist (vgl. BFH-Urteil vom 10.7.1990 VII R 12/88). Art. 13 Abs. 2 des Vertrages vom 18.5.1990 über die Schaffung einer Währungsunion, Wirtschaftsunion und Sozialunion sowie Art. 29 Abs. 1 des Einigungsvertrages sind indessen nicht geeignet, ein spezifisches Vertrauen auf das Fortbestehen einer einseitig vorgesehenen Zollbefreiung zu begründen.
3. Der allgemeine Gleichheitssatz, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört, besagt, daß vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre; dieser Maßstab gilt auch für die Prüfung, ob sich ein Begünstigungsausschluß als gleichheitswidrig darstellt (vgl. EuGH- Urteil vom 19.10.1977 Rs. 117/76, 16/77).
4. Eine Pflicht zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH (Art. 177 EWGV) bestand nicht, da das Gericht unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes (gleichheitswidriger Begünstigungsausschluß) keine Zweifel an der Gültigkeit der auf Zollaussetzungen für Einfuhren aus osteuropäischen RGW-Ländern beschränkten gemeinschaftlichen Ausnahmeregelung hat (vgl. BFH- Urteil vom 23.2.1988 VII R 31/86, 29/87).
Normenkette
EinigVtr Art. 8, 10, 29 Abs. 1; WWSUVtr Art. 13 Abs. 2; GG Art. 20 Abs. 3; EWGVtr Art. 177; EWGV 3568/90; ZTV DDR § 2 Abs. 1; EWGV 2144/87; EWGV 1031/88; KN UPos 080510; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein jetzt in Liquidation befindliches Unternehmen in dem im Beitrittsgebiet gelegenen Teil Berlins, schloß mit dem kubanischen Außenhandelsunternehmen C in Havanna im August 1990 einen Vertrag über die Lieferung von 20 000 t Orangen im vierten Quartal 1990. Wie sie vorträgt, ging sie dabei im Hinblick auf eine Informationsschrift des Ministeriums für Wirtschaft der ehemaligen DDR davon aus, daß die in der DDR bestehende Zollfreiheit für Einfuhren aus Ländern des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auch nach der Währungsunion Bestand behalten werde. Die bestellten Orangen trafen auf dem Schiffswege in Rostock ein und wurden dort durch das beklagte und revisionsbeklagte Hauptzollamt (HZA) unter Erhebung von Zoll zum freien Verkehr abgefertigt (Zollbescheide vom 13. und 15. November 1990).
Das Finanzgericht (FG) wies die gegen die Bescheide des HZA gerichtete Klage ab. Es führte aus, die gemäß dem mit der Wiedervereinigung im Beitrittsgebiet in Kraft getretenen Gemeinschaftsrecht erfolgte Verzollung sei rechtmäßig, insbesondere verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Rückwirkung, die darin bestehe, daß bei Vertragsschluß nach den damaligen DDR-Vorschriften (§ 2 Abs.1 der Verordnung über den Zolltarif und die statistische Nomenklatur vom 27.Juni 1990, GBl DDR I 1990, 620 --ZTVO--) noch Eingangsabgabenfreiheit gegolten, diese aber nicht mehr bei Verwirklichung des Steuertatbestandes bestanden habe, sei nur unechter Art und als solche unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig. Vertrauensschutz könne die Klägerin weder unter Berufung auf die deutsch/deutschen staatsvertraglichen Vereinbarungen noch individuell im Hinblick auf die amtliche Informationsschrift beanspruchen. Wenn auf Lieferungen aus dem RGW-Land Kuba Zölle erhoben würden, diese indes nach einer besonderen gemeinschaftsrechtlichen Regelung (Verordnung (EWG) Nr.3568/90 des Rates vom 4. Dezember 1990 --VO Nr.3568/90-- über die Einführung tariflicher Übergangsmaßnahmen aufgrund der Herstellung der deutschen Einheit..., Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 353/1) für osteuropäische, unter Abkommen der DDR mit den betreffenden RGW-Ländern fallende Ursprungswaren ausgesetzt worden seien, so liege darin auch kein Verstoß gegen das Willkürverbot. Wegen der Einzelheiten wird auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte 1993, 554 wiedergegebene Begründung der Vorentscheidung verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt, das FG habe die für die Rückwirkung geltenden Grundsätze verkannt und das Willkürverbot nicht hinreichend beachtet.
Im Streitfall liege unter Berücksichtigung der besonderen Ausgangslage bereits --mittelbar-- eine unzulässige echte Rückwirkung vor. Die VO Nr.3568/90 entfalte negativ, mit dem Ausschluß kubanischer Einfuhren von der Zollbefreiung, Rückwirkung auf den 3. Oktober 1990 (Wiedervereinigung), obwohl in Art.10 und 29 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 (BGBl II 1990, 898) --EV--, ohne Differenzierung zwischen den einzelnen RGW-Ländern, der spätere Erlaß einer rückwirkenden Ausnahmeregelung gefordert bzw. angekündigt sei. Eine solche Regelung habe nicht nur Staatsverträge, sondern auch privatwirtschaftliche Verträge zu berücksichtigen. Bis zur Verkündung der VO Nr.3568/90 habe sie --Klägerin-- aufgrund des bestehenden Vertrauenstatbestandes von der Fortschreibung einer Ausnahmeregelung auch für Kuba ausgehen dürfen. Dabei sei auch zu beachten, daß die ZTVO vor dem Hintergrund einer bereits faktisch bestehenden Zollunion erlassen worden sei.
Selbst wenn aber eine nur unechte Rückwirkung vorläge, so setze im Streitfall der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers Grenzen. Der Vertrauenstatbestand ergebe sich aus den einschlägigen Vorschriften des EV, den entsprechenden Bestimmungen im Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (BGBl II 1990, 518) --WV-- und der ZTVO. Vertrauensgesichtspunkte verlangten die Berücksichtigung zumindest der noch abzuwickelnden vertraglichen Verpflichtungen. Der in den von den Europäischen Gemeinschaften gebilligten Staatsverträgen enthaltene Hinweis auf noch zu erlassende Ausnahmeregelungen stelle eine Art Zusicherung des Gesetzgebers dar. Allgemeine Interessen müßten demgegenüber zurücktreten. Befristete Ausnahmen seien für Einfuhren aus sämtlichen RGW-Ländern notwendig.
Die Beschränkung der Zollaussetzungen auf den Handel mit osteuropäischen RGW-Ländern verstoße auch gegen das Gleichbehandlungsgebot. Die einzig vertretbare und angemessene Gestaltungsmöglichkeit des Gesetzgebers wäre auch insoweit die Einräumung einer Übergangsregelung zur Abwicklung der im Vertrauen auf die ZTVO geschlossenen Lieferverträge gewesen. Deren Notwendigkeit ergebe sich aus den staatsvertraglichen Vorgaben, die keine Beschränkung auf Übergangsregelungen nur zugunsten Osteuropas rechtfertigten.
Das HZA führt aus, im Streitfall liege nur eine sog. unechte Rückwirkung (auf den noch nicht abgewickelten Liefervertrag vom 17. August 1990) vor, die aus den Gründen der Vorentscheidung für zulässig zu erachten sei. Ein genereller und dazu vorrangiger Vertrauensschutz nach Art.29 EV bestehe nicht. Wesentliche Gründe für einen Vorrang der Einzelinteressen seien nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden. Die Differenzierung zwischen europäischen und anderen RGW-Ländern lasse sich durch Sachgründe --Rücksicht auf entsprechende besondere Abkommen und langfristige Verträge; Vermeidung einer wirtschaftlichen Instabilität; Unterstützung des Reformprozesses; künftige europäische Zusammenarbeit-- rechtfertigen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß die Zollerhebung auf die für die Klägerin zum freien Verkehr abgefertigten Sendungen mit Orangen aus Kuba rechtmäßig ist. Der Anwendung der der Verzollung zugrundeliegenden Zollvorschriften steht weder ein Rückwirkungsverbot noch der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegen. Die Begrenzung der Zollaussetzung auf Einfuhren aus osteuropäischen RGW-Ländern erscheint auch nicht willkürlich.
1. Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 ist im Beitrittsgebiet das Zollrecht des Bundes in Kraft getreten (Art.8 EV). Von diesem Zeitpunkt an gilt im Beitrittsgebiet auch das Gemeinschaftszollrecht einschließlich des sekundären Gemeinschaftsrechts, soweit keine von den Organen der Europäischen Gemeinschaften erlassenen Ausnahmeregelungen eingreifen (Art.10 Abs.1 und 2 EV). Eine solche, hier einschlägige Ausnahmeregelung bestand nicht. Bei der Abfertigung der von der Klägerin aus Kuba eingeführten Orangen zum freien Verkehr im November 1990 waren somit die geltenden Zollvorschriften --insbesondere der schon früher von der DDR autonom übernommene Gemeinsame Zolltarif --GZT-- (§ 1 Abs.1 ZTVO), dieser nunmehr als Gemeinschaftsrecht-- anzuwenden; die Zollschuld entstand in der sich aus diesen Vorschriften ergebenden Höhe, und zwar in der Person der Klägerin (Art.2 Abs.1 Buchst.a, Art.3 Buchst.a, Art.7 Buchst.a der Verordnung (EWG) Nr.2144/87 --VO Nr.2144/87-- des Rates über die Zollschuld vom 13. Juli 1987, ABlEG L 201/5; Art.2 Abs.1 der Verordnung (EWG) Nr.1031/88 des Rates vom 18. April 1988, ABlEG L 102/5; früher § 35a Abs.1, § 35 Abs.1 des Zollgesetzes --ZG--). Der GZT (Kombinierte Nomenklatur, Unterposition 0805 10) sah für Orangen Zölle vor, die im Streitfall erhoben wurden. Frühere einschlägige Vorschriften der DDR sind mit dem Wirksamwerden des Beitritts außer Kraft getreten. Das gilt insbesondere für die ZTVO, die in § 2 Abs.1 vorgesehen hatte, daß "unbeschadet" der zolltariflichen Bestimmungen (GZT ...) bis zum 31. Dezember 1990 Waren, für die im Rahmen des RGW Vereinbarungen bestehen und die für die DDR bestimmt sind, frei von Eingangsabgaben in die DDR eingeführt werden können. Zur Zeit der Zollabfertigungen bestand, entgegen der Auffassung der Klägerin, die von einer echten --negativen-- Rückwirkung der später erfolgten, nur bestimmte Einfuhren aus osteuropäischen RGW-Ländern begünstigenden Ausnahmeregelung ausgeht, eine Zollfreiheit somit nicht. Die VO Nr.2144/87 enthielt nur zollschuldrechtliche Regelungen, aber keinen (zolltariflichen) Befreiungstatbestand. Soweit die VO Nr.3568/90, die --für andere Fälle-- die in Art.29 Abs.2 EV vorgesehene Ausnahmeregelung enthält, auf die VO Nr.2144/87 Bezug nimmt (Art.1 Abs.1), hat dies lediglich für die Bestimmung des Begriffs "Eingangsabgaben" Bedeutung.
Eine Sonderregelung für "schwimmende Ware" --sollten denn die Sendungen, was nicht festgestellt worden ist, vor dem 3. Oktober 1990 auf den Weg gebracht worden sein-- sieht das Zollrecht grundsätzlich nicht vor (vgl. Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, B/35 Rdziff.3). Eine Ausnahme besteht hier nicht.
Art.29 EV --Vertrauensschutz zugunsten der gewachsenen außenwirtschaftlichen Beziehungen der DDR, insbesondere der bestehenden vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den RGW-Ländern, indessen nur nach Maßgabe entsprechender Ausnahmeregelungen-- enthält keine Zollbefreiung.
2. Eine gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit (vgl. Art.20 Abs.3 des Grundgesetzes) verstoßende unzulässige Rückwirkung liegt nicht vor. Eine echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen scheidet von vornherein aus (vorstehend Nr.1). Es erscheint aber auch zweifelhaft, ob eine unechte Rückwirkung mit Einwirkung auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung angenommen werden kann (hierzu näher etwa Senat, Urteil vom 10. Juli 1990 VII R 12/88, BFHE 162, 141, 145, BStBl II 1990, 929, mit Hinweisen auf die verfassungsrechtliche Rechtsprechung). Es kann sich nämlich bereits fragen, ob von einer --in ihrer Zulässigkeit nach deutschen verfassungsrechtlichen Maßstäben zu beurteilenden-- Rückwirkung auszugehen ist, wenn sich, wie hier, die beanstandete Einwirkung nicht infolge einer (unmittelbaren) Normsetzung des Gesetzgebers ergibt, sondern, wie die Klägerin zutreffend formuliert, durch einen "Wechsel der Zollrechtsordnung", das automatische Inkrafttreten des Gemeinschaftszollrechts aufgrund des Beitritts der DDR (ipso iure; vgl. Denkschrift der EG-Kommission "Die Gemeinschaft und die deutsche Einigung", BTDrucks 11/7770, S.20). Unabhängig hiervon läßt sich auch bezweifeln, ob von einer Einwirkung auf einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt die Rede sein kann, wenn im maßgebenden Zeitpunkt (Art.7 Buchst.a VO Nr.2144/87, früher § 35 Abs.1 ZG) Zollvorschriften bei der Zollbehandlung einer Ware angewendet werden, die vor Inkrafttreten der Zollvorschrift zwar bestellt, aber noch nicht eingeführt und womöglich noch nicht einmal auf den Weg gebracht worden ist. Der Senat braucht diesen Fragen aber nicht nachzugehen. Auch wenn eine unechte Rückwirkung im Sinne der in der deutschen verfassungsrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe vorläge --allenfalls sie käme in Betracht--, so wäre sie als zulässig zu bewerten.
Eine nur unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig; ihre Zulässigkeit ist nur zu verneinen --ausnahmsweise--, wenn ein überwiegendes schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen auf eine bestehende günstigere Rechtslage anzuerkennen ist (BFHE 162, 141, 145 m.N.). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben. Es fehlt bereits an einem --normativen-- Vertrauenstatbestand. Berufungsfähig wäre insoweit, neben der ZTVO, die irrevisibles, vom FG aber festgestelltes Recht enthält (vgl. insoweit etwa Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. Dezember 1993 I R 75/93, BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578, 580), allenfalls der WV, nicht der EV, der erst nach der Bestellung vereinbart worden und noch später in Kraft getreten ist.
Nach Art.13 Abs.2 WV genießen die gewachsenen außenwirtschaftlichen Beziehungen der DDR, insbesondere bestehende vertragliche Verpflichtungen gegenüber den RGW-Ländern, Vertrauensschutz und werden nach näherer Maßgabe fortentwickelt und ausgebaut. Diese Gewährleistung betrifft Beziehungen der DDR, d.h. Verpflichtungen aus Staatsverträgen bzw. Regierungsabkommen ("insbesondere") und aus Verträgen mit Unternehmen (vgl. Denkschrift zum WV, Art.13, BTDrucks 11/7350, S.105). Ob sie auch Beziehungen zwischen (Staatshandels-)Unternehmen der DDR und ausländischen Unternehmen meint --dann wohl allenfalls bestehende ("gewachsene"), nicht neu geknüpfte--, kann fraglich sein, braucht aber nicht entschieden zu werden. Jedenfalls ist Art.13 Abs.2 WV seiner allgemeinen Fassung nach nicht geeignet, ein spezifisches Vertrauen auf das Fortbestehen einer einseitig vorgesehenen Zollbefreiung zu begründen. Auch die Zollbefreiung selbst (§ 2 Abs.1 ZTVO) leistet dies nicht. Dabei kann hier offenbleiben, ob es sich bei den für die Klägerin zum freien Verkehr abgefertigten Orangen um Waren handelte, "für die im Rahmen des RGW Vereinbarungen bestehen" (vgl. nachstehend Nr.4). Auch wenn in diesem Zusammenhang hiervon ausgegangen wird, konnte das Vertrauen in die bis zum 31. Dezember 1990 vorgesehene Eingangsabgabenfreiheit sich nur auf Einfuhren in die DDR, nicht auf solche in das wiedervereinigte Deutschland (hier: Beitrittsgebiet) erstrecken. Schon der Wortlaut der Vorschrift gibt nicht mehr her. Bei ihr handelte es sich um ein Zeitgesetz, das ein (durch Verzögerung des Wiedervereinigungsprozesses bedingtes) Fortbestehen der DDR bis Jahresende 1990 als möglich voraussetzte. Mit diesem konnte aber im Hinblick auf die allseits bekannte Absicht, die Einheit Deutschlands alsbald zu vollenden (vgl. nur Präambel zum WV --GBl DDR I 1990, 332--), nicht gerechnet werden. Darüber hinaus bestätigt der später geschlossene EV --Art.29 Abs.2--, daß jede einseitige "Einmischung" in die Gemeinschaftskompetenz, hier: Tarifhoheit der Gemeinschaft, unterbleiben sollte (vgl. BTDrucks 11/7770, S.21). Dieser Grundsatz war auch von dem Verordnungsgeber zu beachten und ist, wie sich aus der Fassung von § 2 Abs.1 ZTVO ergibt, von ihm beachtet worden. Vor dem Hintergrund der seinerzeit bestehenden faktischen Zollunion (zu dieser näher Dorsch, Zollrecht, A Rdziff.35) ergibt sich nichts anderes. Soweit die aus ihr für den Handel der Gemeinschaft mit der DDR folgenden Vergünstigungen unbeschadet der DDR-Verpflichtungen aus Drittlandsabkommen gelten sollten (Art.2 Abs.2 der Verordnung (EWG) Nr.1794/90 des Rates vom 28. Juni 1990 über Übergangsmaßnahmen für den Handel mit der DDR, ABlEG L 166/1), war auch diese Bestimmung allein auf Präferenzen für Waren zu beziehen, die in die noch bestehende DDR eingeführt würden (vgl. auch BTDrucks 11/7770, S.32).
Käme es im übrigen auf eine Heranziehung von Art.29 EV an, so ergäbe sich aus ihm gleichfalls keine Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin. Art.29 Abs.1 EV entspricht im wesentlichen dem Art.13 Abs.2 WV, der eine solche nicht darzustellen vermag. Hinzu kommt, daß Art.29 EV nur nach Maßgabe bestehender Ausnahmeregelungen anwendbar ist (vorstehend Nr.1).
Kann hiernach ein berechtigtes Vertrauen der Klägerin in den Fortbestand der Zollfreiheit nicht anerkannt werden, so braucht nicht auf die Frage eingegangen zu werden, ob ein für sich gesehen schutzwürdiges Vertrauen sich gegenüber dem Allgemeininteresse durchzusetzen vermöchte.
3. Die Klägerin kann sich auch im Hinblick auf die Informationsschrift des DDR-Ministeriums für Wirtschaft nicht auf Vertrauensschutz berufen. Das hat die Vorinstanz mit zutreffender Begründung entschieden. Es ist jedoch unabhängig von den vom FG angeführten Gründen darauf hinzuweisen, daß die Informationsschrift schon nach ihrem Inhalt, der als bindend festgestellt anzusehen ist (§ 118 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung), das von der Klägerin reklamierte Vertrauen nicht zu rechtfertigen vermag. Die Schrift gibt in dem hier maßgebenden Zusammenhang lediglich wieder, was Art.13 Abs.2 WV und § 2 Abs.1 ZTVO enthalten, Aussagen also, die einen Vertrauenstatbestand nicht zu erzeugen vermögen (vorstehend Nr.2).
4. Auch mit der Rüge, die hier maßgebende Ausnahmeregelung enthalte, weil auf (befristete) Zollaussetzungen bei Einfuhren aus osteuropäischen RGW-Ländern beschränkt, einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluß von Importen aus dem RGW-Land Kuba, kann die Revision nicht durchdringen. Insoweit wendet die Klägerin sich --zuletzt-- richtigerweise nur gegen die mit der VO Nr.3568/90 getroffene Gemeinschaftsregelung. Die praktisch gleichlautende deutsche 30.Verordnung zur Änderung der Zolltarifverordnung (vom 24. September 1986) --Besondere Zollsätze gegenüber Ländern des RGW-- vom 29. November 1990 (BGBl II 1990, 1468) enthielt nur eine durch die VO Nr.3568/90 überholte vorläufige Regelung, die auf einer besonderen gemeinschaftsrechtlichen Ermächtigung beruhte (vgl. auch Art.2 der Verordnung (EWG) Nr.2684/90 des Rates vom 17. September 1990, ABlEG L 263/1).
Für die Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsrechtsakten spricht eine Vermutung. Eine Pflicht zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH --Art.177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft-- besteht nur, wenn das einzelstaatliche Gericht zumindest Zweifel an der Gültigkeit des Rechtsakts hat (z.B. Senat, Urteil vom 23. Februar 1988 VII R 31/86, 29/87, BFHE 152, 382, 392). Zweifel, wie sie die Klägerin unter Berufung auf den Gleichheitssatz äußert, bestehen für den Senat indessen nicht.
Der allgemeine Gleichheitssatz, der zu den Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts gehört, besagt, daß vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre; dieser Maßstab gilt auch für die Prüfung, ob sich ein Begünstigungsausschluß als gleichheitswidrig darstellt (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 1977 Rs.117/76, 16/77, EuGHE 1977, 1753, 1770 f.).
Im Streitfall spricht vieles dafür, daß es bereits an einer Vergleichbarkeit der von der Ausnahmeregelung erfaßten Sachverhalte und Einfuhrvorgängen, wie sie im Streitfall vorliegen, fehlt. Die Ausnahmeregelung gilt für Waren mit Ursprung in Bulgarien, der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Rumänien, der UdSSR und Jugoslawien, die unter näher angeführte Handelsabkommen der DDR mit diesen Ländern fallen, und zwar im Rahmen der vereinbarten Höchstmengen oder -werte. Sie respektiert damit bestehende staatsvertragliche Verpflichtungen. Solche sind jedoch im Streitfall nicht ersichtlich. Wie das FG ausgeführt hat, haben internationale vertragliche Verpflichtungen gegenüber Kuba in dieser Weise nicht bestanden (vgl. auch BTDrucks 11/7770, S.26: Kündigung anderer bilateraler Handelsabkommen, z.B. mit mittelamerikanischen Staaten, noch durch die DDR). Die Klägerin, die das Gegenteil darzulegen gehabt hätte, ist dem jedenfalls nicht ausdrücklich entgegengetreten.
Es kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, ob die den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden Lieferungen im Rahmen staatsvertraglicher Verpflichtungen zwischen der DDR und Kuba erfolgt waren. Selbst wenn hiervon auszugehen wäre, hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber, der durch die nach DDR-Recht geltende Zollbefreiung nicht verpflichtet werden konnte, eine Differenzierung vornehmen dürfen. Maßgebend sind insoweit die für die Beschränkung der Übergangsregelung in der Denkschrift (BTDrucks 11/7770, S.32) angegebenen Gründe ...
Fundstellen
Haufe-Index 65237 |
BFH/NV 1995, 29 |
BFHE 176, 83 |
BFHE 1995, 83 |
BB 1995, 86 (L) |
DB 1995, 358 (L) |
DStR 1995, 284-285 (KT) |
DStZ 1995, 221-222 (KT) |
HFR 1995, 155-156 (KT) |
StE 1995, 39 (K) |