Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Unterscheidung eines Mantels von einer Jacke

 

Leitsatz (NV)

Die Länge eines Kleidungsstücks ist für die Frage, ob Mantel (Kurzmantel) oder Jacke, kein Kriterium für die tarifliche Einordnung, wenn sie in dem Bereich liegt, der sowohl für Kurzmäntel als auch Jacken in Betracht kommt. In einem solchen Fall ist für die Tarifierung maßgebend, ob das Kleidungsstück nach seinen übrigen äußeren Merkmalen mehr einem Mantel oder einer Jacke gleicht.

 

Normenkette

KN Positionen 6202 1310 und 6202 9300

 

Tatbestand

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) für einen ,,Kinder-Mantel, Modell x" aus einem Gewebe mit 65 % Polyester und 35 % Baumwolle. In der vZTA wies die OFD die Ware als ,,eine den Windjacken ähnliche Ware aus Geweben aus Chemiefasern, für Mädchen" der Unterposition 6202 9300 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zu. Die Klägerin legte Einspruch mit dem Ziel der Einordnung der Ware als Mantel (Kurzmantel) in die Unterposition 6202 1310 ein. Die OFD wies den Einspruch mit der folgenden Begründung zurück: Es handle sich um ein Kleidungsstück für Mädchen in der Konfektionsgröße 122. Es ähnele den Windjacken. Die Rückenlänge betrage 61 cm. Nach den Körpermaßtabellen des DOB-Verbandes werde bei Mädchenoberkleidung der Konfektionsgröße 122 der halbe Oberschenkel bei einer Rückenlänge von 58,5 cm erreicht. Das zu tarifierende Erzeugnis reiche daher in seiner Rückenlänge etwas über den halben Oberschenkel hinaus. Wegen dieser Länge erfülle die Ware die Bedingungen von Windjacken nicht voll. Das äußere Erscheinungsbild des Kleidungsstücks entspreche aber mehr dem einer Windjacke bzw. einer windjackenähnlichen Ware als dem eines Mantels. Typisches Merkmal seien insbesondere die beiden aufgesetzten, bis fast zum unteren Rand reichenden Taschen und das Zugband am unteren Rand. Das Kriterium der Länge sei für die Einreihung des Erzeugnisses als Mantel (Kurzmantel) nicht entscheidend.

Mit ihrer Klage beantragt die Klägerin, die vZTA und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und eine vZTA ,,dahingehend zu erteilen", daß das Erzeugnis der Position 6202 1310 KN zugeordnet wird. Zur Begründung trägt die Klägerin im wesentlichen vor:

Entscheidend sei, ob das zu tarifierende Erzeugnis ein Mantel oder ein jackenähnliches Kleidungsstück sei. Dabei komme es allein auf die Rückenlänge an. Im konkreten Falle habe das zu tarifierende Erzeugnis selbst einem Kind mit einer Körpergröße von 126 cm noch bis zum Knie gereicht. Unter einem Mantel sei in der Modebranche ein mindestens schenkellanges Überbekleidungsstück für Damen und Herren zu verstehen, das länger als eine Jacke sei, das aber in der Kurzform als ,,Kurzmantel" vorkommen könne. Die OFD habe auch zu wenig Rücksicht genommen auf die vielfältigen Erscheinungsformen der Mode in den letzten Jahren. Die äußere Erscheinung der Bekleidungsstücke habe so vielgestaltige Formen angenommen, daß man sich bei Bekleidungsstücken sehr häufig gerade auf Grund des optischen Eindrucks nicht immer unbedingt sicher darüber klar sein müsse, in welche Kategorie das jeweilige Bekleidungsstück gehöre. Zugband und Reißverschluß seien keine Anhaltspunkte dafür, daß kein Mantel vorliege. Wegen der Diversifikation der Modephänomene bedürfe es des Rückgriffs auf eindeutige sprachliche Übereinkünfte größerer Bevölkerungskreise. Würde man anders verfahren, so wären brauchbare Regeln im Umgang mit den notwendigen bekleidungstechnischen Definitionen überhaupt nicht mehr gewährleistet.

Die OFD beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen. Sie macht geltend: Zum Zwecke der Einreihung eines Erzeugnisses in die KN sei nicht nur auf die Länge abzustellen, sondern seien weitere Merkmale von Bedeutung. Diese anderen Merkmale wiesen das Erzeugnis als eine den Windjacken ähnliche Ware der Unterposition 6202 9300 KN aus. Hinsichtlich der Länge des Erzeugnisses sei festzuhalten, daß das Kleidungsstück etwas über den halben Oberschenkel und nicht bis zu den Knien reiche. Die von der Klägerin angewandet Form der Längenermittlung durch Anprobe bei mehreren Kindern führe zu keinem verwertbaren Ergebnis, da dieses durch verschiedene Faktoren beeinfluß sein könne. Deshalb verbleibe nur der Rückgriff auf die Körpermaßtabellen des DOB-Verbandes.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Die OFD hat die zu tarifierende Ware zu Recht der Unterposition 6202 9300 KN zugewiesen.

Die von der angefochtenen vZTA erfaßte Ware ist, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, in die Position 6202 KN einzureihen (,,Mäntel [einschließlich Kurzmäntel], Umhänge, Anoraks, Windjacken, Blousons und ähnliche Waren, für Frauen oder Mädchen"). Diese Position ist in die Unterpositionen ,,Mäntel (einschließlich Kurzmäntel), Umhänge und ähnliche Waren" (Unterpositionen 6202 1100 bis 6202 1900) und ,,andere" (Unterpositionen 6202 9100 bis 6202 9900) unterteilt. Ohne Rechtsirrtum hat die OFD entschieden, daß die Ware kein Mantel oder Kurzmantel im Sinne der genannten Bestimmungen ist und daher, da aus Chemiefasern bestehend, der Unterposition 6202 9300 zuzurechnen ist.

Dem Wortlaut der Position 6202 allein ist eine eindeutige Abgrenzung der Unterposition ,,Mantel" zu Unterposition ,,andere", wie z. B. Windjacken, nicht zu entnehmen. Eine Definition des Begriffes ,,Mantel" fehlt in der KN. Auch die Erläuterungen zur KN geben über ihn keinen Aufschluß. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch unterscheiden sich Mäntel von Jacken im wesentlichen dadurch, daß letztere im allgemeinen kürzer sind als die Mäntel. Dafür spricht auch die Definition der ,,Windjacke" in den Erläuterungen zur KN (Position 6201 Rdnr. 33.0), wonach Windjacken nur ,,reichen bis zu den Hüften oder knapp darüber hinaus". Da aber im allgemeinen Sprachgebrauch einerseits auch verhältnismäßig kurze Kleidungsstücke (etwa bis zu den Knien reichend) als Mäntel (Kurzmäntel), andererseits manche kaum kürzere Kleidungsstücke als Jacke bezeichnet werden, kann die Länge allein jedenfalls dann nicht als Auslegungskriterium genügen, wenn sie in dem Bereich liegt, der sowohl für Mäntel als auch für Jacken in Betracht kommt. In einem solchen Fall muß - wovon die OFD zu Recht ausgegangen ist - auch anhand der besonderen Merkmale des zu beurteilenden Kleidungsstückes entschieden werden, ob es im Sinne der Position 6202 KN ein Mantel, eine Windjacke oder eine ähnliche Ware ist.

Das zu tarifierende Erzeugnis hat die Konfektionsgröße 122. Seine Rückenlänge beträgt 61 cm, an den längsten Stellen etwa 64 cm. Bei Zugrundelegung der Körpermaßtabellen des DOB-Verbandes - Mädchen-Größen-Tabellen auf Grund repräsentativer Reihenmessungen 1981/82 an 10 000 Frauen und Mädchen - errechnet sich die Länge bis zum halben Oberschenkel auf 58,5 cm. Das streitige Erzeugnis reicht also nur um 2,5 bis 5,5 cm weiter nach unten, erreicht also nach den repräsentativen Messungen des DOB-Verbandes kaum das Knie. Danach spricht einiges dafür, daß die Ware nicht die Länge erreicht, die nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein Mantel (Kurzmantel) haben muß.

Aber auch wenn der Senat unterstellt, daß im allgemeinen Sprachgebrauch auch manche Kleidungsstücke, die nicht bis zum Knie reichen, als Kurzmäntel angesprochen werden, kann in einem solchen Grenzfall jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, daß dies auch gilt für Erzeugnisse, deren äußeres Erscheinungsbild wesentlich den Jacken gleicht, aber nicht den Mänteln. So aber ist es bei der streitbefangenen Ware.

In ihrem äußeren Erscheinungsbild entspricht das Kleidungsstück mehr dem einer Windjacke bzw. einer windjackenähnlichen Ware als dem eines Mantels. Gegen die Qualifizierung als Mantel sprechen insbesondere die beiden aufgesetzten, bis fast zum unteren Rand reichenden Taschen und das Zugband im unteren Rand sowie die Gummizüge an den Ärmelenden. Abgesehen von der Länge weist das Kleidungsstück alle Merkmale einer Windjacke auf, wie sie in den Erläuterungen zur KN (Position 6201 Rdnr. 34.0 bis 40.0) zusammengestellt sind, d. h. lange Ärmel, eine durchgehende Öffnung vorn, die mit einem Reißverschluß zu schließen ist, ein Futter, weder abgesteppt noch wattiert, einen Kragen und eine Form der Verengung im unteren Teil des Kleidungsstücks.

Nach allem kann das zu tarifierende Erzeugnis nicht als Mantel im Sinne der Position 6202 KN angesehen werden. Wegen seiner Länge ist es zwar auch keine Windjacke im Sinne dieser Vorschrift. Da diese jedoch nach ihrem Wortlaut auch ,,ähnliche Waren" enthält, ist das Erzeugnis, wie die OFD zu Recht entschieden hat, als eine den Windjacken ähnliche Ware im Sinne der Position 6202 KN anzusehen.

In ihrer Klagebegründung wendet die Klägerin ein, allein die Rückenlänge sei für die Abgrenzung eines Mantels von einer Windjacke maßgebend. Der Senat folgt dieser Auffassung nicht. Gerade bei Berücksichtigung des modischen Aspektes der Kleidungsstücke, auf den die Klägerin besonders abhebt, ist davon auszugehen, daß bei Abstellen auf die Rückenlänge allein in vielen Fällen eine klare Abgrenzung nicht möglich wäre. Um überhaupt zu einer auf objektiven Grundlagen beruhenden Tarifierung kommen zu können, bleibt daher nur, diese danach vorzunehmen, ob das Kleidungsstück nach seinen objektiven Merkmalen mehr einem Mantel oder mehr einer Windjacke gleicht. Daher kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf die von ihr zitierten Definitionen von ,,Mantel" und ,,Jacke" im Textil- und Modelexikon (5. Aufl., Deutscher Fachverlag GmbH, Frankfurt am Main) berufen. Danach ist ein Mantel ein mindestens schenkellanges, eine Jacke ein kürzeres bequemes Oberbekleidungsstück. Diese Definition ist für den Regelfall durchaus brauchbar, erlaubt aber eine Abgrenzung nicht bei Kleidungsstücken, deren Länge in dem Bereich liegt, der sowohl bei Kurzmänteln als auch bei Jacken vorkommt. Nicht stichhaltig ist schließlich auch der Hinweis der Klägerin, im konkreten Fall hätte bei durchschnittlich großen Kindern das zu tarifierende Kleidungsstück bis zum Knie gereicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies zutrifft. Jedenfalls sind die - offenbar auf zahlreichen Probemessungen beruhenden - Mädchen-Größen-Tabellen des DOB-Verbandes nach Überzeugung des Senats eine zutreffendere tatsächliche Grundlage für die Beurteilung der hier maßgebenden Längenverhältnisse.

Da sich im vorliegenden Fall im wesentlichen eher Fragen der Anwendung als der Auslegung des KN ergeben und der Senat im übrigen die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts für offenkundig hält (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3 415), sieht der Senat von der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 177 Abs. 1 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) ab.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416500

BFH/NV 1990, 270

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge