Leitsatz (amtlich)

Zum umsatzsteuerlichen Begriff der Sachgesamtheit.

 

Normenkette

UStG 1934 § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 3; UStDB 1938 § § 12, 52 Ziff. 1, § 52 Ziff. 3

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.), eine Motorenfabrik, befaßt sich mit dem Ausbohren und Ausschleifen der Zylinder von gebrauchten Motoren; sie liefert die für die ausgeschliffene Zylinderweite passenden neuen Kolben mit, die sie von verschiedenen Unternehmern bezieht, stellt sie gesondert in Rechnung und beansprucht für die Lieferung der beigegebenen, wenn auch nicht mit den Zylindern verbundenen Kolben die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG).

Streitig ist, ob die Bfin. neben einer Werkleistung, dem Ausschleifen der Zylinder, eine hiervon umsatzsteuerlich getrennt zu beurteilende Lieferung bewirkt hat. Die Vorinstanzen haben Kolben und Zylinder als Sachgesamtheit betrachtet und den gesamten Vorgang einheitlich als Werklieferung beurteilt.

Nach den Feststellungen der Vorinstanz bezieht die Bfin. von mehreren Firmen Motorenkolben verschiedener Fabrikate, diese wieder untergeteilt nach Motorentypen und innerhalb dieser wieder nach Größenklassen. Die Bfin. unterhält ein verhältnismäßig großes Lager von derartigen Kolben, damit sie in der Lage ist, Kolben jeder Art und Größe entsprechend den kurzfristigen Aufträgen der Reparaturwerkstätten liefern zu können. Diese überlassen der Bfin. den ihnen zur Überholung übergebenen Motor ihrer Kunden, dessen Zylinder nun die Bfin. auf die nächste passende Kolbengröße ausschleift, oder, wenn ein weiteres Ausschleifen nicht mehr möglich ist, durch Einsetzen einer Zylinderbuchse wieder für eine kleinere Kolbengröße verwendbar macht. Zu einem einwandfreien Funktionieren des zugehörigen Motors erweist es sich als notwendig, das Ausschleifen oder Einsetzen der Buchse in den Zylinder genau nach dem betreffenden Kolben, der eingesetzt werden soll, vorzunehmen. Es müssen deshalb während des Feinschliffs genaue Messungen an Kolben und Zylinder vorgenommen werden. Danach wird der Kolben in den Zylinder eingesetzt und so an den Auftraggeber (Reparaturwerkstätte) zurückgesandt. Der Kolben wird dabei nicht mit der Kolbenstange verbunden, die sich in der Regel gar nicht beim Motorblock befindet.

Die gegen die Ablehnung der Großhandelsvergünstigung für die Lieferung der Kolben gerichtete Rechtsbeschwerde (Rb.) führt aus, daß von einer Werklieferung nicht gesprochen werden könne; denn die Verfügungsmacht über den zu bearbeitenden Gegenstand, den Zylinder, verbleibe bei den Kunden des Auftraggebers (Autoreparaturwerkstätte), weshalb die Rückgabe keine Lieferung darstellen könne. Es sei von der Bfin. lediglich ein Arbeitserfolg geschuldet, zu dem die Lieferung der gebrauchsfertig bezogenen und unbearbeitet gebliebenen Kolben als zweiter, selbständig als Großhandelslieferung zu beurteilender Tatbestand trete.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Wenn sich die Bfin. in erster Linie darauf beruft, ihr sei über die Zylinder nicht die Verfügungsmacht in dem Sinne eingeräumt worden, daß sie wie ein Eigentümer darüber hätte verfügen können, so daß die Rückgabe des bearbeiteten Zylinders keine Lieferung darstellen könne, so ist demgegenüber auf § 3 Abs. 2 UStG zu verweisen. Hiernach wird eine Leistung auch dann als Lieferung (Werklieferung) angesehen, wenn der Unternehmer die Bearbeitung oder Verarbeitung eines Gegenstandes übernommen hat und hierbei Stoffe verwendet, die nicht bloß als Zutaten oder sonstige Nebensachen zu betrachten sind. Die Besonderheit des Streitfalles liegt lediglich darin, daß an dem Kolben, den die Bfin. als alleinigen Liefergegenstand ansieht, keinerlei Bearbeitung vorgenommen wird, diese sich vielmehr auf den im Eigentum des Kunden des Bestellers (Autoreparaturwerkstätte) stehenden Zylinder beschränkt. Dem Besteller kommt es jedoch allein darauf an, den Zylinder so bearbeitet zurückzuerhalten, daß der mitgelieferte Kolben genau in ihn hineinpaßt. Die Auffassung der Vorinstanz, daß es sich deshalb um einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang handelt, der für steuerliche Zwecke nicht in eine Werkleistung (Ausschleifen der Zylinder) und in eine steuerbegünstigte Großhandelslieferung (Lieferung von Kolben) zerlegt werden darf, läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Dabei kann es für den Begriff der Werklieferung im Sinne des § 3 Abs. 2 UStG jedenfalls dann nicht auf die Eigentumsverhältnisse ankommen, wenn die beiden Gegenstände nach der Bearbeitung des einen und der nunmehrigen Zusammenfügung eine Sacheinheit bilden, die als Lieferungsgegenstand geschuldet wird. Auch insoweit hebt die Vorentscheidung unter Berufung auf das Urteil des Reichsfinanzhofs V 170/40 vom 13. Juni 1941 (Reichssteuerblatt -- RStBl. -- 1941 S. 567) zutreffend hervor, es sei für den Begriff der Sacheinheit nicht wesentlich, daß Zylinder und Kolben noch kein Enderzeugnis oder eine Fertigware darstellen, sondern daß für die Gebrauchsfähigkeit des Motors noch die Verbindung beider durch die Kolbenstange unerläßlich sei. Denn eine Sachgesamtheit kann sich bereits auf einer Vorstufe der Fertigung ergeben. Es ist auch nicht einzusehen, daß sich nach Auffassung der Rb. eine andere Beurteilung nur im Falle einer Spezialanfertigung ergeben könnte, die aber nicht Gegenstand des Streitverfahrens sei; denn auch bei dem hier zu untersuchenden Tatbestand muß der Unternehmer weisungsgemäß den Zylinder so ausbohren und ausschleifen, bis der von ihm ausgewählte und schließlich eingefügte Kolben hineinpaßt. Man kann also nicht, wie es die Rb. tut, die Mitlieferung des Kolbens als nur in losem Zusammenhange mit der Arbeitsleistung stehend bezeichnen. Freilich könnte, wie die Bfin. meint, ihr Auftraggeber die benötigten Kolben auch selbst auf Lager halten oder sich von dritter Seite beschaffen. Dies ist aber hier unstreitig nicht geschehen, und für die Beurteilung des der Prüfung unterbreiteten Sachverhalts ist allein der tatsächliche Ablauf der Geschäftsvorfälle maßgebend. Das von der Rb. angeführte Schrifttum und die ihm zugrunde liegende Rechtsprechung (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V 48/38 vom 3. November 1939, RStBl. 1940 S. 22) betrifft die Fälle der Materialbeistellung, in denen es streitig war, ob eine steuerbare Lieferung des Bestellers vorliegt und ob der Unternehmer von dem für das Gesamtwerk vereinbarten Entgelt den Teil nicht zu versteuern braucht, der dem Wert der zur Verfügung gestellten Stoffe entspricht. Im Streitfall kommt es jedoch allein auf den auf der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beruhenden Begriff des einheitlichen wirtschaftlichen Vorgangs und der Sachgesamtheit an. Beide Begriffe hat die Vorentscheidung nicht verkannt. Ihr war deshalb im Ergebnis beizutreten.

Die Bfin. hat mündliche Verhandlung beantragt. Es erscheint angezeigt, gemäß § 294 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung vorerst ohne eine solche zu entscheiden.

 

Fundstellen

BStBl III 1953, 260

BFHE 1954, 682

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