Leitsatz (amtlich)

Durch die bloße Vereinbarung eines Kaufs bei gleichzeitigem Rückkauf ohne Besitzerwechsel kann die Verfügungsmacht an einer Ware grundsätzlich nicht übertragen werden. Es ist in Fällen dieser Art regelmäßig entweder ein entgeltlicher Verzicht auf die Herausgabe der Ware oder eine entgeltliche Abtretung des Anspruchs auf abschöpfungsfreie Einfuhr anzunehmen.

 

Normenkette

UStG § 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 4; UStDB § 2 Abs. 1, 3; Getreidegesetz §§ 7, 8 Abs. 1, 3; BGB §§ 241, 667

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Stpfl.), eine Schälmühle, führt einen Teil ihrer Erzeugnisse (Haferflocken, Hafergrütze, Gerstengraupen) zu Weltmarktpreisen, die erheblich unter den Inlandspreisen liegen, in das Ausland aus. Sie erwirbt nach der deutschen Getreidemarktordnung dadurch das Recht, die für die Herstellung der ausgeführten Fertigwaren benötigte Menge an Rohgetreide zu Weltmarktpreisen aus dem Ausland "abschöpfungsfrei" einzuführen, d. h. ohne den sonst bei der Einfuhr von Getreide zum Ausgleich des Unterschiedes zwischen Weltmarktpreis und Inlandspreis erhobenen Abschöpfungsbetrag an die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel (EVSt-G) zu entrichten. Durch die Einfuhr der Rohprodukte zum Weltmarktpreis (also ohne Abschöpfung) werden die Unternehmen der deutschen Ernährungsindustrie in die Lage versetzt, ihre Endprodukte ebenfalls zu Auslandspreisen zu exportieren und auf dem Auslandsmarkt wettbewerbsfähige Angebote abzugeben.

Die Stpfl. führt das abschöpfungsfreie Getreide nicht selbst ein, sondern bezieht es über Importeure. Das Verfahren, das hierbei zu beachten ist, spielt sich folgendermaßen ab: Die Stpfl. beantragt unter Einreichung der Nachweise über die Ausfuhr der Fertigprodukte bei der EVSt-G die Genehmigung zur abschöpfungsfreien Einfuhr einer entsprechenden Menge von Rohprodukten derselben Art. Mit dem "Genehmigungsbescheid" erklärt sich die EVSt-G bereit, mit der Antragstellerin (Stpfl.) oder einer von ihr zu beauftragenden Importfirma einen "Übernahmevertrag" gemäß § 8 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über den Verkehr mit Getreide und Futtermitteln (Getreidegesetz) vom 4. November 1950, BGBl 1950 S. 721, für die abschöpfungsfreie Einfuhr einer bestimmten Menge ausländischen Getreides abzuschließen. Die EVSt-G schließt den Übernahmevertrag in der Regel mit dem von der Stpfl. benannten Importeur ab. Dieser wickelt daraufhin das Einfuhrgeschäft ab.

Soweit die Stpfl. das eingeführte Getreide nicht für den eigenen Bedarf benötigt (z. B. weil sie zur Herstellung der Fertigprodukte Getreide aus eigenen Lagerbeständen verwendet), überläßt sie es gegen Zahlung eines Betrages, der in etwa dem Unterschied zwischen dem inländischen Marktpreis und dem Devisenweltmarktpreis cif Nordseehafen entspricht, dem betreffenden Importeur. Streitig ist, ob in diesem Vorgange eine auf Grund eines Kaufs (Kommissionsgeschäfts) und gleichzeitigen Rückkaufs getätigte, nach § 4 Nr. 4 UStG umsatzsteuerfreie Getreidelieferung der Stpfl. an den Importeur oder eine mit 4 v. H. umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung der Stpfl. an den Importeur, nämlich ein Verzicht der Stpfl. auf Herausgabe der eingeführten Waren bzw. eine Abtretung des Anspruchs auf abschöpfungsfreie Einfuhr, zu erblicken ist.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) und das FG haben eine mit 4 v. H. steuerpflichtige sonstige Leistung der Stpfl. an den Importeur angenommen. Mit der hiergegen eingelegten Rechtsbeschwerde, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (vgl. § 184 Abs. 2, §§ 115 ff. FGO), rügt die Stpfl. Verletzung von Bundesrecht. Sie führt im wesentlichen aus, die Auffassung des FG, der zur Beurteilung stehende Vorgang bilde ein einheitliches Ganzes und Verkauf und Rückkauf des Getreides stellten nur eine formale Rechtskonstruktion ohne wirtschaftlichen Inhalt dar, sei rechtsirrig. Das FG verkenne die wirtschaftlichen Zusammenhänge, insbesondere die typischen Erscheinungsformen des Getreidegeschäfts. Das starken Preisschwankungen unterworfene und kostenempfindliche Massengut "Getreide" werde überall "durchgehandelt", d. h. gleichzeitig eingekauft und verkauft und aus Gründen der Kostenersparnis unter Ausschaltung von Handelsstufen im Strecken- und Reihengeschäft abgewickelt. Die Struktur des Getreidehandels und das von der EVSt-G bei der Ausfuhr von Getreideerzeugnissen und bei der entsprechenden Einfuhr von Rohgetreide gehandhabte Verfahren hätten zur natürlichen Folge, daß der Herstellungsbetrieb ausländisches Getreide durch einen Importeuer kaufen lasse und es ihm wieder verkaufe. Ein- und Verkauf müßten gleichzeitig erfolgen, um spekulative Verluste durch Veränderung der Märkte auszuschließen. Die Beteiligten ahmten das in § 8 des Getreidegesetzes für die Beziehungen zwischen der EVSt-G und dem Einführer gewählte Rechtsinstitut des "Kaufs" und "Rückkaufs" nach. Das Einkaufs- und Kommissionsgeschäft einerseits und das Rückkaufsgeschäft anderseits seien getrennt zu beurteilen. Sie würden als sogenanntes Reihengeschäft im Sinne des § 2 Abs. 3 UStDB aufgezogen, bei dem lediglich die Besonderheit bestehe, daß Drittlieferer und Endabnehmer ein und dasselbe Unternehmen seien.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat keinen Erfolg.

Die Gewährung von Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 4 UStG setzt u. a. eine Lieferung voraus. Der Begriff "Lieferung" ist nach den Vorschriften des Umsatzsteuerrechts zu beurteilen. Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen Leistungen, durch die der Unternehmer den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen. Der Lieferer kann aber dem Abnehmer nur dann die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschaffen, wenn er sie zuvor selbst besaß. Hieran fehlt es im Streitfalle. Die Stpfl. erwirbt an dem eingeführten Getreide keine Verfügungsmacht. Es werden zwischen der Stpfl. und dem Importeur Kauf und Rückkauf gleichzeitig vereinbart. Ein Wechsel des Besitzers der Ware findet auf Grund des Kauf-/Rückkaufgeschäfts nicht statt. Die Ware verläßt das Lager des Importeurs erst bei dessen Lieferung an einen Dritten. Durch die bloße Vereinbarung eines Kaufs bei gleichzeitigem Rückkauf ohne Besitzerwechsel kann die Verfügungsmacht nicht übertragen werden.

Entgegen der Ansicht der Stpfl. findet im Streitfalle auch kein "Reihengeschäft" statt. Ein solches ist gegeben, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und diese Geschäfte dadurch erfüllt werden, daß der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft. Die Lieferung an den letzten Abnehmer gilt dann gleichzeitig als Lieferung eines jeden Unternehmers in der Reihe (§ 2 Abs. 3 UStDB). Es liegen also mehrere Verpflichtungs-(Umsatz-) Geschäfte vor, die durch eine Warenbewegung erfüllt werden. Im Streitfalle wird aber auf Grund der Vereinbarung zwischen der Stpfl. und dem Importeur die Ware nicht bewegt, sondern bleibt beim Importeur. Nach dem Wortlaut des Gesetzes muß in Erfüllung der Umsatzgeschäfte dem letzten Abnehmer in der Reihe die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft werden; er darf sie nicht - wie im Streitfalle - schon besitzen. Die in § 2 Abs. 3 UStDB gebrauchten Worte "Reihe" und "letzter" Abnehmer bedingen das Vorhandensein von mindestens drei Beteiligten. Man kann nicht - wie es in dem von der Stpfl. angezogenen Urteil des FG Nürnberg I 11-15/62 vom 24. Mai 1964 geschieht - die EVSt-G als dritten Beteiligten einführen. Denn diese tätigt mit dem Einführer keine Umsatzgeschäfte. Die Stpfl. weist selbst zutreffend darauf hin, daß "Übernahme" und "Abgabe" der eingeführten Ware gemäß § 8 Abs. 3 des Getreidegesetzes (trotz der dort gebrauchten Worte "Kauf" und "Rückkauf") nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine privatrechtlichen, sondern öffentlich-rechtliche Vorgänge sind, weil sich die EVSt-G - gemäß § 7 des Getreidegesetzes eine Anstalt des öffentlichen Rechts - und der Einführer nicht als gleichrangige Vertragspartner, sondern als Hoheitsträger und Rechtsunterworfener gegenüberstehen. In Übereinstimmung hiermit hat der Senat (für die entsprechende Regelung bei der Einfuhr von Vieh und Fleisch - vgl. § 17 Abs. 3 des Gesetzes über den Verkehr mit Vieh und Fleisch - Vieh- und Fleischgesetz - vom 25. April 1951, BGBl I 1951 S. 272, im folgenden VuFlG -) entschieden, daß es sich um nichtsteuerbare Vorgänge handelt, deren Befreiung von der Umsatzsteuer in den betreffenden Gesetzen (§ 17 Abs. 3 letzter Satz VuFlG, § 8 Abs. 3 letzter Satz des Getreidegesetzes) überflüssig ist und nur der Klarstellung dient (vgl. Urteil des BFH V 98/63 vom 9. März 1967, BFH 88, 434, BStBl III 1967, 503).

Mangels eines dritten Beteiligten entfällt nicht nur die umsatzsteuerrechtliche Sonderform der Reihenlieferung, sondern auch die im Getreidehandel übliche Erscheinung des "Durchhandelns", auf die sich die Stpfl. zur Stützung ihrer Rechtsauffassung beruft. Beim Kauf-/Rückkaufgeschäft zwischen nur zwei Beteiligten liegt ein "Zurückhandeln" vor, dem (außer für Spekulationszwecke) eine wirtschaftliche Bedeutung dann nicht zukommt, wenn sich das "Handeln" und das "Zurückhandeln" gleichzeitig vollziehen. Zutreffend bemerkt das FG, daß der Verkauf des eingeführten Rohgetreides seitens des Importeurs an die Stpfl. bei gleichzeitigem Rückkauf als eine formale Rechtskonstruktion ohne wirtschaftlichen Inhalt zu beurteilen ist. Sie kann - wie oben ausgeführt - die Grundlage weder für eine gewöhnliche Lieferung noch für eine Reihenlieferung bilden.

Wirtschaftlich gesehen bleibt die Tatsache übrig, daß sich die Stpfl. vom Importeur gegen Überlassung des eingeführten Rohgetreides den durch den Verzicht der EVSt-G auf die Abschöpfung freiwerdenden Unterschiedsbetrag zwischen dem höheren Inlandspreis und dem niedrigeren Welthandelspreis für Getreide auszahlen läßt, um die von ihr hergestellten Fertigerzeugnisse zu konkurrenzfähigen Preisen in das Ausland ausführen zu können. Ob man mit dem FA als Gegenleistung der Stpfl. einen entgeltlichen Verzicht auf einen Herausgabeanspruch (§ 667 BGB) annimmt oder (im Hinblick darauf, daß die Überlassung des eingeführten Getreides an den Importeur von vornherein vorgesehen ist) mit dem FG die Gegenleistung der Stpfl. darin erblickt, daß sie die EVSt-G veranlaßt, den "Übernahmevertrag" auf den Importeur als Berechtigten auszustellen, und dadurch den Anspruch auf abschöpfungsfreie Einfuhr an diesen abtritt, läuft auf dasselbe hinaus. Denn eine "sonstige Leistung" im Sinne des § 1 Nr. 1 UStG ist jegliches Tun oder Unterlassen (Dulden), zu dem sich ein Unternehmer nach § 241 BGB verpflichten kann. Es mag sein, daß der Anspruch des Exporteurs bestimmter Fertigerzeugnisse auf abschöpfungsfreie Einfuhr einer entsprechenden Menge von Rohprodukten grundsätzlich nicht übertragbar ist. Im Verhältnis des Exporteurs zum Importeur ist eine Übertragungsmöglichkeit jedoch gegeben, was daraus folgt, daß sich die EVSt-G in ihren Genehmigungsbescheiden ausdrücklich bereit erklärt, einen "Übernahmevertrag" für die abschöpfungsfreie Einfuhr entweder mit der Stpfl. oder mit einer von ihr zu beauftragenden Importfirma abzuschließen, und daß die Übernahmeverträge in der Regel tatsächlich mit der Importfirma abgeschlossen werden. Offensichtlich hat die Stpfl. die Rechtslage früher ebenso beurteilt. Denn sie hat in den bei den Akten befindlichen Rechnungen an die Importfirmen ihre Leistung selbst als Überlassung von Lizenzen bzw. Anrechten bzw. Anrechtscheinen bzw. Exportnachweisen beurteilt.

Da für die im Streitfalle in Betracht kommenden sonstigen Leistungen im UStG weder eine Steuerbefreiung noch eine Steuerermäßigung vorgesehen ist, haben die Vorinstanzen die Stpfl. insoweit zu Recht mit 4 v. H. zur Umsatzsteuer herangezogen. Die Revision der Stpfl. war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen. Die Bestimmung des Streitwerts beruht auf § 140 Abs. 3 FGO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412814

BStBl II 1968, 110

BFHE 1968, 379

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