Leitsatz (amtlich)

Welche Gesichtspunkte sind bei Aufstellung der Wirtschaftlichkeitsberechnung (Halbsatz 1) zu beachten und nach welchen Gesichtspunkten ist das Vorliegen offenbarer Härte (Halbsatz 2) zu beurteilen?

 

Tatbestand

Die Eigentümerin der in B. belegenen Grundstücke, für die zwar getrennte Einheitswerte festgestellt sind, die im Grundbuch jedoch offenbar eine Einheit bilden und mit einer einheitlichen Hypothek belastet worden sind, hat gemäß § 5 Abs. 4 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 7. September 1948, Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes S. 88, den Antrag gestellt, die auf die aus der Hypothek entstandene Umstellungsgrundschuld für 1949 fällig gewordenen Leistungen zu erlassen. Sie hat den Antrag mit der unwirtschaftlichen Lage der Grundstücke und ihren eigenen gedrückten Verhältnissen begründet.

Das Finanzamt und ihm folgend die Oberfinanzdirektion haben dem Antrag nicht stattgegeben. Auf die Berufung hat das Finanzgericht die Entscheidung der Oberfinanzdirektion aufgehoben. Es hat die Voraussetzungen eines Erlasses wegen Unwirtschaftlichkeit der Grundstücke verneint, aber ausgesprochen, daß die Verwaltungsbehörden in der Ermessensentscheidung hinsichtlich der Lage der Schuldnerin die ihnen gezogenen Grenzen überschritten hätten, und dem Antrag in vollem Umfange stattgegeben.

Gegen diese Entscheidung hat die Oberfinanzdirektion Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt. Sie rügt, daß das Finanzgericht einen Ermessensmißbrauch als vorliegend angenommen habe, obwohl sie den Richtlinien des Bayerischen Ministers der Finanzen vom 23. Februar 1949, Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen S. 121, gefolgt sei. Wenn das Finanzgericht geglaubt habe, zur Aufhebung gelangen zu müssen, dann hätte es nicht selbst entscheiden dürfen, sondern die Sache an die Oberfinanzdirektion zurückzuverweisen gehabt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist begründet.

Das Finanzgericht entnimmt die Befugnis, bei Aufhebung der Ermessensentscheidung der Oberfinanzdirektion selbst zu entscheiden, zu Unrecht dem Gutachten des Großen Senats D 1/51 S vom 17. April 1951, Bundessteuerblatt 1951 III S. 107 ff. Der Große Senat hat am Schlusse des Gutachtens folgendes ausgeführt:

"7) Die Steuergerichte haben bei reinen Ermessensakten der Finanzverwaltungsbehörden lediglich das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens durch die Finanzverwaltungsbehörden eingehalten sind. Sie sind nicht berechtigt, selbst das Ermessen auszuüben. Kommt das Gericht zu der Überzeugung, daß die Berufung berechtigt ist, daß also ein Rechtsverstoß vorliegt, so hebt es die mit Rechtsmängeln behafteten Bescheide der Verwaltungsbehörden auf."

Der in dem Gutachten weiter erwähnte Sonderfall ist hier nicht gegeben.

Der Große Senat hat damit an dem seit jeher geltenden Grundsatz, daß die Gerichte, soweit es sich um Verwaltungsakte handelt, die Verwaltung wohl zu kontrollieren, ihre Entscheidungen aber nicht zu ersetzen haben, festgehalten. Das angegriffene Urteil unterliegt daher der Aufhebung. Die Sache geht an das Finanzamt zurück, das den Streitfall in seiner Gesamtheit wieder aufzurollen haben wird. Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

§ 5 Abs. 4 a. a. O. enthält im Halbsatz 1 und 2 Vergünstigungen, die auf verschiedenen Ebenen liegen. Halbsatz 1 stellt auf die wirtschaftliche Lage des Grundstücks, Halbsatz 2 auf die individuellen Verhältnisse des Eigentümers (Schuldners) ab.

Zu Halbsatz 1: Auf die Vergünstigungen hat die Schuldnerin, wie der Senat in den Entscheidungen III 132/51 S und III 274/51 S vom 31. Januar 1952 bzw. 4. Juli 1952, Bundessteuerblatt 1952 III S. 53 bzw. 207, ausgeführt hat, einen Rechtsanspruch, wenn die dort normierten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Vorinstanzen haben das Vorliegen dieser Voraussetzungen verneint. Sie sind, von unerheblichen Abweichungen abgesehen, von der von der Schuldnerin angegebenen Summe der Mieterträge von 10 041 DM ausgegangen. Diesen Erträgnissen hat die Oberfinanzdirektion den in den Richtlinien des Bayerischen Ministers der Finanzen zugelassenen Höchstsatz für Aufwendungen für Unterhaltung und Instandsetzung mit 22,2 % von 10 041 DM gegenübergestellt. Dies war unrichtig. Das Finanzgericht hat in zutreffender Anwendung der Rechtsprechung des Senats (vgl. die oben angeführten Urteile) den Betrag auf die von der Schuldnerin geltend gemachten tatsächlichen Aufwendungen von 3891 DM erhöht. In einer Prüfung, ob diese Aufwendungen im Sinne der Entscheidung III 274/51 S nachgewiesen und notwendig sind, ist es nicht eingetreten. In der Berufungsschrift hatte die Schuldnerin weitere Aufwendungen in Höhe von 3935 DM geltend gemacht. Die Berücksichtigung dieser Aufwendungen hat das Finanzgericht abgelehnt, weil die Tilgung der von den Mietern vorgelegten Kosten für die Wiederherstellung der Räume nicht 1949 erfolgt sei.

Zwecks Beurteilung des Antrags aus Halbsatz 1 ist eine Wirtschaftlichkeitsberechnung aufzumachen, die einerseits die tatsächlich angefallenen Mieten, andererseits die getätigten Aufwendungen berücksichtigt. Haben die Mieter durch Vorschüsse, die in den folgenden Jahren mit der Miete verrechnet werden, die Instandsetzung des Grundstücks finanziert, dann sind die vorgelegten Beträge wie ein dem Vermieter gewährtes Darlehen zu behandeln. Dies bedeutet, daß im Jahre 1949 die Mieten auzusetzen sind, die auf dieses Jahr entfallen. Mit Vorschüssen verrechnete Mieten sind Tilgung des Darlehens. Zu ermitteln sind also die Mietbeträge, die in 1949 effektiv gezahlt sind zuzüglich der Beträge, die als durch Verrechnung gezahlt gelten. Den so errechneten Erträgnissen sind in der Wirtschaftlichkeitsberechnung sämtliche Aufwendungen für Unterhaltung und Instandsetzung gegenüber zu stellen, die in 1949 getätigt, nachgewiesen und als notwendig anzuerkennen sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie mit eigenen Mitteln der Eigentümerin oder mit einem von den Mietern oder Dritten gewährten Darlehen bewirkt sind. Die Einstellung eines Betrags für Abnutzung (Absetzung für Abnutzung -- AfA --) ist nicht zulässig, weil § 5 Abs. 4 Halbsatz 1 nicht auf das wertmäßige Ergebnis des Jahres, sondern auf die Liquidität der Verwaltung des Grundstücks, nämlich darauf abstellt, ob die geschuldeten Leistungen auf die Umstellungsgrundschuld aus den Geldeingängen (Mieten) aufgebracht werden können, nachdem die in Abs. 4 bezeichneten Kosten (Geldausgänge) gedeckt sind.

Zu Halbsatz 2: Führt die so aufgemachte Wirtschaftlichkeitsberechnung nicht zu dem von der Schuldnerin begehrten Erfolg, dann bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Einziehung der fälligen Leistungen aus sonstigen Gründen zu einer offenbaren Härte führt. Hier handelt es sich, wie Oberfinanzdirektion und Finanzgericht zutreffend angenommen haben, um eine Ermessensentscheidung, die der Nachprüfung durch die Steuergerichte nur in den durch das Gutachten des Großen Senats gezogenen Grenzen unterliegt.

Die Oberfinanzdirektion beruft sich auf die Richtlinien des Bayerischen Ministers der Finanzen; sie ist der Meinung, daß von einem Ermessensmißbrauch nicht gesprochen werden könne, wenn sich die Verwaltungsbehörden an die ministeriellen Anweisungen hielten.

Diese Auffassung ist nicht frei von Rechtsirrtum. Auch bei der Bindung an ministerielle Erlasse kann eine Überschreitung des Ermessens dann vorliegen, wenn in dem Erlaß selbst der Ermessungsrahmen zu eng gespannt ist. Dies ist vorliegend der Fall. § 5 Abs. 4 Halbsatz 2 stellt auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners ab. Es sollen die individuellen Verhältnisse berücksichtigt werden. Diesem Erfordernis wird der Erlaß des Bayerischen Ministers der Finanzen nicht gerecht. Er begnügt sich damit, für die Entscheidung, ob die Belastung tragbar ist oder zu offenbaren Härten führt, auf das Alter bzw. die Erwerbsunfähigkeit des Schuldners abzustellen, und legt für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage feste Normalbeträge als Existenzminimum fest. Hiergegen sind insoweit keine Bedenken zu erheben, als die Begrenzung des Existenzmihimums lediglich die Bedeutung einer allgemeinen Regel hat. Die festen Einkommensbeträge dürfen jedoch nicht ausschließlich zugrunde gelegt werden. Die Genzen des Ermessens sind zu eng gezogen, wenn die besonderen Verhältnisse des einzelnen Schuldners dabei außer Betracht gelassen werden; dann liegt eine Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit des Schuldners nicht vor. Aus diesem Grund hat der Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 8. März 1951 LA 8230 I -- 51/51, Bundessteuerblatt 1951 Teil I S. 262, vorgesehen, daß neben dem festgelegten Existenzminimum die besonderen Umstände berücksichtigt werden müssen (§ 19 Abs. 1). Der Erlaß findet (§ 25) erstmalig auf die Erlaßanträge des Kalenderjahrs 1950 Anwendung. Der darin zum Ausdruck gebrachte, nach Auffassung des Senats selbstverständliche Grundsatz, daß über die individuelle Lage des Schuldners nicht hinweg gegangen werden darf, muß bei jeder zu § 5 Abs. 4 Halbsatz 2 ergehenden Entscheidung in Betracht gezogein werden.

Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des Halbsatzes 2 gegeben sind, ist auszugehen von dem nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen ermittelten Einkommen, wobei zu beachten ist, daß die Rechtskraft des Einkommensteuerbescheids für dieses Verfahren nicht bindet. Es wird auf das Urteil des Senats III 16/53 U vom 27. Februar 1953, Bundessteuerblatt 1953 Teil III S. 112, verwiesen.

Bei der Einkommensteuerveranlagung hat das Finanzamt in Übereinstimmung mit den Angaben der Steuerpflichtigen die Brutto-Mietserträge auf 10 041 DM festgestellt. Es wird angenommen werden können, daß hierin die in 1949 verrechneten Vorschüsse als Mietseingang zutreffend enthalten sind. Der von der Steuerpflichtigen geltend gemachten Belastung durch Gewährung des Unterhalts an Mutter und Tante hat das Finanzamt in der Weise Rechnung getragen, daß es gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen Betrag von 1263 DM abgesetzt hat. Wird in dem gegenwärtigen Erlaßverfahren von dem um 1263 DM gekürzten Einkommen ausgegangen, dann ist der Streit um die Frage, wie weit der Kreis der Angehörigen im Sinne der Minister-Richtlinien zu ziehen ist, gegenstandslos. Eine Vergünstigung über den nach § 33 EStG gewährten Betrag hinaus wird nicht in Frage kommen.

Zu prüfen bleibt weiter, ob nicht -- unabhängig von der Belastung durch den Unterhalt -- besondere Umstände vorliegen, die berücksichtigt werden müssen. Hier kommen möglicherweise Aufwendungen in Frage, die der Schuldnerin durch nachgeholte Anschaffungen für durch Kriegseinwirkung verloren gegangenen Hausrat und dergleichen entstanden sind. Die Schuldnerin wird Gelegenheit haben, ihr Vorbringen auf Seite 7 der Berufungsschrift hinsichtlich der ihr durch Ausbombung entstandenen Schäden und der Beseitigung derselben zu ergänzen. Endlich ist aber noch folgendes zu beachten:

Die Art, in der die Finanzierung der Wiederinstandsetzung des Hauses erfolgt ist, führt dazu, daß Aufwendungen, die nach dem Willen des Gesetzgebers im Interesse der Wiedergewinnung von Wohnraum berücksichtigt werden sollen, der Schuldnerin nicht gutgebracht werden können, weil sie in einem früheren Jahr getätigt sind, während ihr die um die verrechneten "Vorschüsse" erhöhten Mieten voll in einem späteren Jahre zugerechnet werden. In diesem aus der Kopplung der Vorfinanzierung der Aufwendungen mit den Mieten entstehenden Nachteil kann ein besonderer Umstand liegen, der zu einer offenbaren Härte führt. Das Finanzamt wird daher auch zu prüfen haben, ob und in welchem Umfange vor 1949 mit Vorschüssen Aufwendungen getätigt worden sind, die nach § 5 Abs. 4 Halbsatz 1 anrechnungsfähig gewesen wären, der Schuldnerin aber dadurch verloren gehen, daß Aufwendungen und die um die verrechneten Vorschüsse erhöhten Mieten nicht in der gleichen Wirtschaftlichkeitsberechnung zum Ausdruck kommen, und dann möglicherweise nach der wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin zu einer Ermäßigung gelangen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407766

BStBl III 1953, 304

BFHE 1954, 33

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