Leitsatz (amtlich)

Tarifierung einer durch Behandlung nativer Maisstärke mit einem Alkali hergestellten Ware als „lösliche Stärke” im Sinne der Tarifst. 35.05 A.

 

Normenkette

ZT Tarifst. 35.05 A; ZT Tarifst. 35.05 B

 

Tatbestand

Die Klägerin stellte am 4. Mai 1976 bei der Beklagten (Oberfinanzdirektion – OFD –) den Antrag, ihr eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) zu erteilen für eine Ware, die sie als „X” bezeichnete und von der sie eine Probe beifügte. Zur Frage nach dem Verwendungszweck gab sie an, die Ware solle als Klebstoff zur Herstellung von Gipsplatten und Papiersäcken dienen. Die OFD erteilte ihr am 13. September 1976 die vZTA, daß die Ware als „lösliche Stärke” zur Tarifst. 35.05 A gehöre. Sie sei entstanden durch Behandlung nativer Maisstärke mit dem Alkali Natriumhypochlorid. Die Untersuchung der Probe habe ergeben, daß die Ware ein weißes, mehlfeines, freifließendes Pulver sei, das sich als leicht korrodierte Maisstärke darstelle und in heißem Wasser nach kurzem Gelzustand sich mit einer geringen Trübung auflöse.

Mit dem hiergegen erhobenen Einspruch begehrte die Klägerin, die Ware als „Klebstoff aus Stärke” der Tarifst. 35.05 B zuzuweisen. Die OFD wies den Einspruch am 17. August 1977 mit folgender Begründung zurück:

Die Ware sei in den Zolltarif (ZT) nach den festgestellten Beschaffenheitsmerkmalen einzuordnen. Sie sei eine modifizierte Stärke und nicht ein Klebstoff im Sinne des ZT. Der Einwand der Klägerin, nach den Erläuterungen zum Zolltarif (ErlZT) zu Tarifst. 35.05 Teil I, Rdnr. 4 werde „lösliche Stärke” als Produkt eines Kochvorgangs von Stärke mit Wasser oder auch der schonenden Einwirkung verdünnter Säure auf Stärke definiert, sei berechtigt. Da jedoch in der Tarifst. 35.05 A nur Dextrine und lösliche Stärken namentlich genannt seien, bleibe nichts anderes übrig, als alle mit Chemikalien mäßig behandelten Stärken, die zu keinen ausgesprochenen Derivaten führten, durch die Behandlung jedoch kalt- oder warmwasserlöslich geworden seien, zolltariflich den „löslichen Stärken” zuzuordnen. Nach den ErlZT zu Tarifst. 35.05 Teil I, Rdnr. 6 würden Klebstoffe aus Stärke durch „Behandeln von Stärke mit Alkali (insbesondere Ätznatron)” gewonnen. Die Auslegung dieser Randnummer könne nicht dazu führen, daß alle Stärken, die während eines Herstellungsprozesses auch mit Alkali behandelt würden, ohne weiteres als Klebstoff aus Stärke im Sinne der angeführten ErlZT gelten müßten.

Die Klägerin macht geltend: X sei als „Klebstoff aus Stärke” der Tarifst. 35.05 B zuzuweisen. Denn es sei gemäß der Definition von „Klebstoff aus Stärke” in den ErlZT zu Tarifst. 35.05 Teil I, Rdnr. 6 das Ergebnis einer Behandlung von Stärke mit alkalischer Substanz (Hypochlorid). Es werde auch tatsächlich als Klebstoff verwendet. Das Bemühen der OFD, den „löslichen Stärken” im Sinne der Tarifst. 35.05 A alle mit Chemikalien behandelten Stärken, die zu keinen ausgesprochenen Derivaten führten, durch die Behandlung jedoch kalt- oder warmwasserlöslich geworden seien, gleichzustellen, widerspreche dem Wortlaut der ErlZT zu Tarifnr. 35.05 und könne sich nicht auf X erstrecken. Dieses sei ein Derivat der Stärke, weil es durch eine chemische Behandlung von Stärke entstanden sei. Jede chemische oder physikalische Behandlung von Stärke führe zu einem Derivat derselben. Es sei nicht möglich, zwischen „ausgesprochenen” und anderen Derivaten zu unterscheiden.

Die Klägerin beantragt, die Einspruchsentscheidung vom 17. August 1977 aufzuheben und zu entscheiden, daß das Produkt X der Tarifst. 35.05 B ZT zugewiesen werde.

Die OFD beantragt, die Klage als unbegründet abzuweisen, und trägt vor:

Die Klägerin habe in ihrem Schreiben vom 21. Mai 1976 an die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) mitgeteilt, daß die Spezialstärke X, die Gegenstand der angefochtenen vZTA sei, eine oxydierte Stärke sei, d. h. eine native Maisstärke, die mit Natriumhypochlorid hydrolisiert worden sei. Diesem Vortrag hat die Klägerin nicht widersprochen. Mit ihren übrigen Ausführungen macht die OFD im wesentlichen geltend, die Spezialstärke X sei zu Recht nach ihrer Beschaffenheit als oxydierte Stärke der löslichen Stärke an die Seite gestellt und der Tarifst. 35.05 A zugewiesen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Bei der Entscheidung der Frage, ob die Ware, für die die Klägerin bei der OFD eine vZTA beantragt hat, als „lösliche Stärke” der Tarifst. 35.05 A oder als „Klebstoff aus Stärke” der Tarifst. 35.05 B zuzuweisen war, ist davon auszugehen, daß der ZT in der Regel im Interesse der Rechtssicherheit und leichten Nachprüfbarkeit vorzugsweise auf Einordnungskriterien zurückgreift, die auf den objektiven Beschaffenheitsmerkmalen und Eigenschaften des Erzeugnisses beruhen, deren Vorliegen im Zeitpunkt der Verzollung nachgeprüft werden kann. Demgemäß kommt es hier auf die objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware an, wie sie im Wortlaut der Tarifnr. 35.05 und möglicherweise in den Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – EGH – vom 8. Dezember 1977 Rs. 62/77, EGHE 1977, 2343).

Die zum Abschn. VI ZT gehörende Tarifnr. 35.05 lautet:

„Dextrine und Dextrinleime; lösliche oder geröstete Stärke; Klebstoffe aus Stärke.”

Diese Begriffe bezeichnen Erzeugnisse der chemischen Industrie und verwandter Industrien (vgl. die Überschrift des Abschn. VI, die nach der Allgemeinen Tarifierungs-Vorschrift – ATV – 1 Sätze 1 und 2 als Hinweis gilt). Die in der Tarifnr. 35.05 erwähnten Stoffe entstehen durch physikalische oder chemische Veränderung von Stärke. Die Veränderungen bestehen in einem Abbau der Stärke. Die dabei entstehenden Umwandlungsprodukte kann man nach der Intensität des Abbaus in drei Gruppen einteilen; nämlich in modifizierte Stärken, Stärkederivate und abgebaute Stärken (vgl. Ullmanns Enzyklopädie der technischen Chemie, 3. Aufl., Bd. 16 S. 316 ff.). Modifizierte Stärken unterscheiden sich von den nativen Stärken besonders dadurch, daß sie beim Erhitzen in wäßriger Suspension ohne Quellen in Lösung gehen und daß ihre wäßrigen Aufkochungen eine geringe Viskosität zeigen. Sie werden deshalb als „lösliche” oder „dünnkochende” Stärken bezeichnet (vgl. Ullmann, a. a. O. S. 325, 342, 343; Bd. 9 S. 583 f.; Winnacker-Küchler, Chemische Technologie, 3. Aufl., Bd. 3 S. 590 ff.). Lösliche Stärke entsteht nicht nur dann, wenn zum schwachen Abbau der nativen Stärke eine Säure verwendet wird, sondern auch beim Einsatz eines Alkali oder eines Oxydationsmittels (vgl. Ullmann, a. a. O., Bd. 9 S. 583 f.; Winnacker-Küchler, a. a. O.).

Die Tarifst. 35.05 A erfaßt „lösliche Stärke” schlechthin, stellt also nur darauf ab, daß die Ware die objektiven Merkmale und Eigenschaften aufweist, die mit diesem Begriff verbunden sind, nicht aber auf die Frage, wie die Ware hergestellt worden ist. Als Erzeugnis der chemischen Industrie ist die „lösliche Stärke” eine durch Einwirkungen auf native Stärke erreichte bestimmte Modifikation derselben, die besonders durch eine Löslichkeit zum Ausdruck kommt. Die Löslichkeit besteht darin, daß dieses Erzeugnis im Gegensatz zur nativen Stärke beim Kochen in Wasser keinen Kleister, sondern eine dünne Flüssigkeit liefert, also ohne Quellen in Lösung geht (vgl. Ullmann, a. a. O., Bd. 16 S. 325, 342; Winnacker-Küchler, a. a. O., S. 595 f.).

Das der angefochtenen vZTA zugrunde gelegte Erzeugnis X ist eine „lösliche Stärke” im Sinne der Tarifst. 35.05 A.

Nach dem von der Klägerin nicht bestrittenen Ergebnis der Untersuchung der Ware handelt es sich um ein weißes, mehlfeines, freifließendes, geruchloses Pulver mit neutralem Geschmack, das aus nativer Maisstärke durch deren Behandlung mit Natriumhypochlorid entstanden ist und sich als Modifikation der Stärke darstellt. Diese Modifikation kommt dadurch zum Ausdruck, daß X sich in heißem Wasser nach kurzem Gelzustand rasch auflöst.

Die Klägerin selbst hat in ihrem bei den Akten befindlichen Schreiben vom 21. Mai 1976 an die ZPLA bestätigt, daß sich das X als eine „Modifikation” der Stärke darstellt. Ihre Auffassung, es könne deshalb nicht als „lösliche Stärke” der Tarifst. 35.05 A zugewiesen werden, weil es der Definition der „löslichen Stärke” in den ErlZT zu Tarifnr. 35.05 Teil I Rdnr. 4 nicht entspreche, ist rechtsirrig. Diese Erläuterungen sind keine Rechtsnormen und können daher nicht verbindlich sein für die Abgrenzung eines Begriffs des ZT, wenn sie auch nach der Rechtsprechung des EGH bei der Auslegung von Tarifbegriffen als „Erkenntnismittel” dienen. Es kommt hinzu, daß der Tarifbegriff „lösliche Stärke” nur die objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses anspricht, nicht aber auch die Frage, wie das Erzeugnis hergestellt worden ist. Es ist daher schon sachlich nicht gerechtfertigt, die auf bestimmte Herstellungsweisen der löslichen Stärke abgestellten ErlZT zu Tarifnr. 35.05 Teil I Rdnr. 4 als eine Definition des Begriffes „lösliche Stärke” aufzufassen. Im übrigen wäre es nicht gerechtfertigt, eine nicht gemäß dieser Erläuterung durch Säure, sondern durch ein Oxydationsmittel modifizierte, jedoch nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften einer säuremodifizierten Stärke gleiche Ware anders zu tarifieren als diese.

X kann nicht als „Klebstoff aus Stärke” der Tarifst. 35.05 B zugewiesen werden, weil es – wie die Klägerin in ihrem Schreiben an die ZPLA vom 21. Mai 1976 selbst ausgeführt hat – nur eine Modifikation der Stärke, eine oxydierte Stärke darstellt, also trotz seiner Ableitung aus nativer Stärke eine Stärke geblieben ist. Klebstoff aus Stärke könnte nur vorliegen, wenn Stärke in Klebstoff umgewandelt, also ein anderes Erzeugnis als Stärke gewonnen worden wäre. Die Tatsache, daß das sich nur als Modifikation einer Stärke darstellende X als Klebstoff verwendbar ist, macht es nicht zum Klebstoff aus Stärke. Ob schon die Modifikation einer nativen Stärke zu einem „Derivat” führt, kann dahinstehen, da X jedenfalls die Eigenschaften einer „löslichen Stärke” aufweist.

Die Entscheidung der Tarifierungsfrage ergibt sich somit bereits aus dem Wortlaut der Tarifst. 35.05 A und B. Sonstige Vorschriften des ZT kommen für die Entscheidung der Tariffrage im vorliegenden Fall nicht zum Zuge. Da der Rechtsstreit keine Frage über die Auslegung einer Vorschrift des ZT ergeben hat, war es nicht erforderlich, nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Vorabentscheidung des EGH einzuholen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514670

BFHE 1979, 243

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