Leitsatz (amtlich)

Das Bayer. Gesetz zur Erhebung einer Notabgabe für den Wohnungsbau vom 14. Juni 1949 (Bay. GVBl. 1949 S. 135) ist für seine Geltungsdauer vom 1. April 1949 bis zum 31. März 1950 nicht unwirksam.

 

Normenkette

Bayer. Gesetz zur Erhebung einer Notabgabe für den Wohnungsbau vom 14. Juni 1949 (Bay. GVBl. 1949 S. 135); RFAG § 17 b; GG Art. 105 Abs. 2

 

Tatbestand

Auf Grund des Bayer. Gesetzes zur Erhebung einer Notabgabe für den Wohnungsbau vom 14. Juni 1949 (BBNAG) -- Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt (Bay. GVBl.) 1949 S. 135 -- hat das Finanzamt Starnberg die Baunotabgabe für das im Eigentum des Beschwerdeführers (Bf.) stehende Gebäude mit Bescheid vom 25. Oktober 1949 für das Rechnungsjahr 1949 nach einem Baunotabgabewert von 16 600 DM auf 83 DM festgesetzt.

In der Berufungsbegründung hat der Bf. geltend gemacht, die Steuerfestsetzung entbehre einer rechtlichen Grundlage, weil das BBNAG gegen das Grundgesetz in zweierlei Hinsicht verstoße:

1. In § 18 der Durchführungsbestimmungen zum BBNAG sei die Anfechtung der von den Brandversicherungsämtern festgestellten Zustandswerte für die Zwecke der Berechnung der Abgabe ausgeschlossen. Indem das Gesetz die Abgabe auf einem nicht mehr anfechtbaren Wert aufbaue, versage es den Steuerpflichtigen (Stpfln.) den ihnen verfassungsmäßig zustehenden Rechtsschutz;

2. das BBNAG verstoße gegen die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes, von der dieser in Gestalt des Soforthilfegesetzes Gebrauch gemacht habe.

Das Finanzgericht hat das Vorliegen beider Verstöße verneint. Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Bf. mit der Begründung, die auch der Berufung zugrunde gelegen hat.

Das Bayer. Staatsministerium der Finanzen ist auf Ersuchen des Senats dem Verfahren beigetreten. Es hat beantragt, die Rb. zurückzuweisen, und ausgeführt, der Bundesfinanzhof könne, wenn er das BBNAG als gegen das Grundgesetz verstoßend ansehe, nicht in der Sache selbst entscheiden, er habe in diesem Fall vielmehr das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz liege nicht vor. Zur Begründung dieser Auffassung hat das Bayer. Staatsministerium der Finanzen weitere Ausführungen gemacht.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. hat keinen Erfolg.

Das BBNAG verstößt nicht gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit. Es trifft zu, daß jedem Stpfl. Rechtsmittel gegen Steuerfestsetzungen im Rahmen der Gesetze zustehen. Auch nach dem BBNAG ist der steuerliche Rechtsweg gegeben: § 9 Absatz 3 BBNAG eröffnet den Stpfln. das Berufungsverfahren nach den Vorschriften der Reichsabgabenordnung. Die Stpfln. können hiernach z. B. Befreiungsgründe geltend machen, ihre Passivlegitimation bestreiten, die Steuerberechnung beanstanden oder vortragen, der der Berechnung der Abgabe zugrunde gelegte Wert sei nicht, wie das Gesetz es vorschreibe, der für Zwecke der Brandversicherung festgestellte Zustandswert. Zu Unrecht stellt der Bf. es als eine unzulässige Einschränkung seines Rechtsschutzes hin, wenn § 18 der Durchführungsbestimmungen zum BBNAG -- gestützt auf § 10 Absatz 2 des Gesetzes -- die Anfechtung der von den Brandversicherungsämtern festgestellten Zustandswerte für die Zwecke der Berechnung der Abgabe ausschließt; denn es handelt sich hierbei, soweit der Zustandswert für Zwecke der Brandversicherung in Betracht kommt, nicht um einen Wertfestsetzungsakt innerhalb des Veranlagungsverfahrens des BBNAG, der Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens sein könnte, vielmehr um eines der bereits vor der Steuerfestsetzung bestehenden steuerlichen Tatbestandsmerkmale, ebenso wie es Lage, Art oder Größe des Gebäudes sind. Hinsichtlich steuerlicher Tatbestandsmerkmale kann im Rechtsmittelverfahren nur darüber gestritten werden, ob sie erfüllt sind oder nicht. Soweit sie erfüllt sind, ist von dem Tatbestand so, wie er vorliegt, auszugehen; der Tatbestand darf nicht durch einen gedachten Tatbestand ersetzt werden, wie er nach der Auffassung von Beteiligten hätte vorliegen sollen. Es läßt sich allerdings nicht verkennen, daß es sich für den Bf. als nachteilig erweisen kann, daß er bei der Feststellung des Zustandswerts für die Zwecke der Brandversicherung von der später hierauf gestützten steuerlichen Belastung nichts gewußt hat und jetzt nicht mehr in der Lage ist, ein Rechtsmittel dagegen einzulegen. Dies ist indessen eine Gefahr, mit der man stets bei Wertfestsetzungen rechnen muß, weil Vermögensabgaben auf einen Stichtag der Vergangenheit abgestellt zu sein pflegen. Für den Gesetzgeber ist es in solchen Fällen technisch oft geboten, auf feststehende ältere Bewertungen zurückzugehen.

Das im Juni 1949 verkündete BBNAG ist am 1. April 1949 für das mit diesem Tage anlaufende Rechnungsjahr in Kraft getreten. Der Senat kann sich deshalb nicht darauf beschränken, gemäß dem Antrage in der Rb. zu prüfen, ob das BBNAG mit den bundesrechtlichen Bestimmungen vereinbar gewesen ist, sondern hat auch festzustellen, ob das BBNAG schon ab 1. April 1949 bis zum Inkrafttreten von bundesrechtlichen Bestimmungen zulässig gewesen ist; denn das Grundgesetz ist zwar mit dem 23. Mai 1949 in Kraft getreten; aber wie Bundesgesetze nach Artikel 122 des Grundgesetzes (GG) erst vom Zusammentritt des Bundestags an, d. h. vom 7. September 1949 an, zustandekommen konnten, so ist auch die Rezeption alten Rechts als Bundesrecht, das in dieser Eigenschaft dem BBNAG hätte entgegenstehen können, erst zu diesem Zeitpunkt erfolgt (so auch Bonner Kommentar zum GG Artikel 125, II, 3 b). Dies ergibt sich aus Artikel 123 Absatz 1 GG; dort ist bestimmt, daß das alte Recht aus der gesamten Zeit, die vor dem Zusammentritt des Bundestags gelegen hat, fortgilt, soweit nicht das Grundgesetz entgegensteht. Hätte der Gesetzgeber als maßgebenden Zeitpunkt für die Rezeption des alten Rechts, sei es als Bundes-, sei es als Landesrecht, nicht den vorerwähnten 7. September 1949, sondern den 23. Mai 1949, den Tag des Inkrafttretens des Grundgesetzes, angesehen, so hätte Artikel 123 Absatz 1 GG von dem Recht aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gesprochen. Es ist auch anzunehmen, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes über die Fortgeltung alten Rechts (Artikel 123 bis 125 GG) altes Recht erfassen wollten, das von den bis zum Inkrafttreten des Artikels 122 Absatz 1 GG bestehenden gesetzgebenden Gewalten geschaffen war. Das muß insbesondere für die Gesetzgebungsbefugnis der zonalen oder bizonalen Zwischenstufen (z. B. des Wirtschaftsrats) gelten, die nach Artikel 122 Absatz 1 GG erst vom Zusammentritt des Bundestags an geendet hat. Wie sich hieraus von selbst ergibt, konnte auch die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes erst mit dem 7. September 1949 wirksam werden.

Hinsichtlich der in erster Linie zu behandelnden, vor dem 7. September 1949 liegenden Zeitspanne fragt es sich, inwieweit die Länder während dieser Zeit überhaupt durch andere als ihre eigenen Bestimmungen und diejenigen der Besatzungsmächte gebunden gewesen sind. In dieser Beziehung ist vor allem an § 17 b des Reichsfinanzausgleichsgesetzes (RFAG) zu denken, eine Vorschrift, die den Ländern und Gemeinden des Deutschen Reiches die Erhebung von Wohnraum- und Mietsteuern (einschließlich der sogenannten Wohnraumluxussteuer) untersagt hat; sie ist durch § 27 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen geschaffen worden, damit die einheitliche Besteuerung des Grundbesitzes innerhalb des damaligen Reichsgebiets gesichert werde. Sie ist zwar auf der einen Seite eine Finanzausgleichsvorschrift; auf der anderen Seite läßt sich aber ihr äußerer und innerer enger Zusammenhang mit der Grundsteuergesetzgebung des Deutschen Reiches nicht verkennen.

Man könnte versucht sein zu sagen, daß die Vorschrift des § 17 b a. a. O. als Bestandteil der Finanzausgleichsbestimmungen, die das Finanzverhältnis zwischen Reich und Ländern regelten, mit dem Zusammenbruch des Reiches am 8. Mai 1945, zumindest für die Zeit bis zum Zusammentritt des Bundestags, gegenstandslos geworden sei. Der Senat nimmt das nicht an. Mit dem grundsätzlichen Fortbestande des alten Reichsgefüges hat auch das frühere Reichsrecht -- mit der Maßgabe gewisser Änderungen und Ausnahmen, die sich teils aus dem Durchbruch rechtsstaatlichen Denkens nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft, teils auf Grund des Besatzungsrechts und gewisser Strukturänderungen des Staatsgefüges ergeben haben -- und mit ihm der § 17 b nach dem 8. Mai 1945 fortgegolten, und zwar als Reichsrecht für alle deutschen Länder im ganzen. Keinesfalls ist § 17 b Landesrecht geworden; dem Urteil des Bayer. Verfassungsgerichtshofs vom 4. April 1950 Vf. 157 -- VII -- 49, VF 206 -- VII -- 49 (Steuer und Wirtschaft -- StW -- 1950 Nr. 87) kann nicht beigepflichtet werden, soweit es ausführt, das Reichsfinanzausgleichsgesetz sei mit der Besetzung Deutschlands im Mai 1945 Landesrecht geworden und habe als bayerisches Landesrecht fortgegolten. Es ist nicht denkbar, daß Bestimmungen, die den Finanzausgleich zwischen dem alten Reich und den Ländern geregelt haben, als Recht eines einzelnen dieser Länder fortgegolten hätten. Dies hätte dem Sinn und Zweck der Vorschriften nicht entsprochen.

Im allgemeinen haben demnach die früheren Reichsgesetze über den 8. Mai 1945 hinaus fortbestanden. Anderenfalls hätten sie vom Grundgesetz nicht rezipiert werden können. Die Fortgeltung des alten Reichsrechts hat es indessen nicht ausgeschlossen, daß nach dem militärischen Zusammenbruch die Ausübung der Befugnisse und Rechte, die sich aus dem Reichsfinanzausgleichsgesetz ergaben, zeitweise geruht hat, wie ja auch eine einheitliche Reichsfinanzverwaltung nicht mehr bestanden hat. Dies gilt auch für § 17 b a. a. O.

Darüber hinaus hat die Militärregierung durch Artikel III des Militärregierungsgesetzes (MilRegG) Nr. 64 es den Ländern zur Pflicht gemacht, Vorschriften zur Erhebung weiterer Steuern zu erlassen, soweit dies zur Deckung der Ausgaben durch öffentliche Einnahmen erforderlich gewesen ist. Die einzelnen Länder konnten und mußten dieser Weisung entsprechen und waren insoweit befugt, Recht zu setzen, das mit dem grundsätzlich weitergeltenden Reichsrecht in Widerspruch stand oder dieses abänderte. Notgesetzgebung der Länder war an sich geboten und durch MilRegG Nr. 64 ausdrücklich gedeckt. Die Länder haben für die Zeit bis zum Zusammentritt des Bundestags von ihren diesbezüglichen Befugnissen weitgehend Gebrauch gemacht (vgl. Bonner Kommentar, Artikel 125, II 3 b).

Das streitige BBNAG ist ein Landesnotgesetz dieser Art gewesen. Zweifellos widersprach es dem § 17 b RFAG. Der Erlaß des BBNAG war aber zur Zeit des Ergehens zulässig, weil zumindest während der Übergangszeit vor dem Zusammentritt des Bundestags die Ausübung der Befugnisse und Rechte, die sich aus dem Reichsfinanzausgleichsgesetz ergaben, zeitweise geruht hat, die Länder sich in einem Notstand hinsichtlich der Schaffung notwendiger Einnahmen befanden, und weil Artikel III MilRegG Nr. 64 für die damalige Übergangszeit den Erlaß von Notsteuergesetzen den Ländern zur Pflicht machte.

Demnach kann aus § 17 b RFAG die Rechtsunwirksamkeit des BBNAG nicht hergeleitet werden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß das BBNAG sich Geltungsdauer nur für das Rechnungsjahr 1949/50 beigemessen hat. Die hier gemachten Ausführungen würden freilich nicht dazu ausreichen, auch die Gültigkeit eines Landesgesetzes dieser Art zu begründen, das nach dem Zusammentritt des Bundestags für ein späteres Rechnungsjahr erlassen worden wäre.

Der Senat hat keinen Anlaß genommen, in der Frage der Fortgeltung des § 17 b RFAG als alten Reichsrechts für die Zeit bis zum 7. September 1949 die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anzurufen. Zwar entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach Artikel 126 GG Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten von Recht als Bundesrecht. An einer solchen Meinungsverschiedenheit fehlt es indessen im vorliegenden Falle. Das dem Verfahren beigetretene Bayer. Staatsministerium der Finanzen hat zu § 17 b a. a. O. überhaupt nicht Stellung genommen. Ebensowenig hat der Bf. diese Vorschrift geltend gemacht. Es handelt sich im übrigen im vorliegenden Falle auch nicht um die Frage, ob § 17 b a. a. O. Bundesrecht geworden ist, sondern darum, ob § 17 b a. a. O., schon bevor er etwa Bundesrecht wurde, fortgegolten hat.

Auch in der weiteren Frage, ob das BBNAG die Vorschriften des Grundgesetzes über die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes verletzt hat, war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht einzuholen, weil der Senat das auf das Rechnungsjahr 1949 beschränkte BBNAG nicht für verfassungswidrig hält (Artikel 100 GG).

Der Einwand des Bf., das vom Wirtschaftsrat für das ehemalige Vereinigte Wirtschaftsgebiet erlassene Soforthilfegesetz stehe dem BBNAG entgegen, weil es zur konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes gemäß Artikel 105 Absatz 2 Ziffer 2 GG gehöre, geht fehl. Die Soforthilfeabgabe wie auch die Soforthilfesonderabgabe sind Abgaben von bestimmten Vermögensarten und stellen eine außerordentliche Vermögensabgabe dar, die für die Länder der amerikanischen Besatzungszone gemäß Artikel 125 in Verbindung mit Artikel 105 Absatz 2 Ziffer 2 GG Bundesrecht geworden ist. Steuergegenstand des BBNAG dagegen sind lediglich Gebäude (in Bayern). Somit stellt das BBNAG keine konkurrierende Gesetzgebung im Verhältnis zum Soforthilfegesetz dar.

Auch rücksichtlich der Realsteuern verstößt es nicht gegen den Grundsatz der konkurrierenden Gesetzgebung; denn es ist kein Realsteuergesetz. Realsteuern im Sinne des Artikels 105 Absatz 2 Ziffer 3 GG sind lediglich die Grundsteuer und die Gewerbesteuer. Dies ergibt sich aus § 1 Absatz 3 der Reichsabgabenordnung (AO) in der Fassung des § 28 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936. Daß das Grundgesetz unter Realsteuern nichts anderes versteht, zeigt der Hinweis in Artikel 105 Absatz 2 Ziffer 3 auf die Hebesätze; diese sind für die Grundsteuer und Gewerbesteuer typisch. Demnach ist die bayerische Baunotabgabe nicht als Grundsteuer anzusprechen. Ihr unterliegen nicht Grundstücke schlechthin, sondern lediglich Gebäude. Die bayerische Baunotabgabe wird nicht nach den Grundsätzen der Grundsteuer festgesetzt und ruht nicht, wie jene, als öffentliche Last auf dem Steuergegenstand.

Die weitere und naheliegende Frage, ob die bayerische Baunotabgabe eine Verbrauchsteuer sei und insofern gemäß Artikel 105 Absatz 2 Ziffer 1 GG die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes beeinträchtige, oder ob sie dies nicht tue, weil sie einen örtlich bedingten Wirkungskreis habe, kann und muß im vorliegenden Falle dahingestellt bleiben, weil der Bund eine entsprechende Abgabe nicht erhebt.

Nach den vorstehenden Ausführungen verstößt das BBNAG nicht gegen das Grundgesetz.

Da das BBNAG gemäß der Entscheidung des Bayer. Verfassungsgerichtshofs vom 4. April 1950, der sich der Senat insoweit anschließt, auch nicht gegen die Bayerische Verfassung verstößt, war die Rb. mit der Kostenfolge des § 307 AO als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407343

BStBl III 1952, 74

BFHE 1953, 184

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge