Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlaß von Steuern

 

Leitsatz (NV)

Bestandskräftig festgesetzte Steuern dürfen im Billigkeitsverfahren nur dann auf ihre Rechtmäßigkeit nachgeprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren.

 

Normenkette

AO 1977 § 227

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war bis zum 31. Dezember 1975 Inhaberin einer Fabrik. Am 20. Dezember 1973 kaufte sie ein Grundstück.

Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) erhob antragsgemäß nach § 1 Nr. 1 GrEStStrukturG NW vom 24. November 1969 (GV NW - 1969, 878, BStBl I 1970, 136) zunächst keine Steuer. Es erteilte die Unbedenklichkeitsbescheinigung.

Am 28. Dezember 1973 schenkte die Klägerin das Grundstück ihrem im Betrieb tätigen Neffen. Bis dahin war das Grundstück nicht für den steuerbegünstigten Zweck verwendet worden. Zum 1. Januar 1976 übertrug die Klägerin auch die Fabrik auf den Neffen, der den Betrieb fortführte.

Bei einer Ortsbesichtigung am 16. Juni 1978 stellte das FA fest, daß das erworbene Grundstück weder ganz noch teilweise gewerblich genutzt wurde.

In der Schenkung des Grundstückes durch die Klägerin an den Neffen sah das FA eine Aufgabe des steuerbegünstigten Zweckes. Mit Bescheid vom 24. Juli 1978 erhob es Grunderwerbsteuer. Die Steuerfestsetzung ist bestandskräftig.

2. 1978 beantragte die Klägerin den Erlaß der Steuer. Die Schenkung des Grundstückes könne nur im Zusammenhang mit der Übertragung des Betriebes gesehen werden. Beide Übertragungen seien innerhalb der Fünfjahresfrist im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge geschehen. Schenkgeber und Schenknehmer des Grundstückes müßten daher als identisch angesehen werden, so daß der Eigentumswechsel am Grundstück steuerrechtlich unschädlich und die Erhebung der Steuer sachlich unbillig sei.

Das FA lehnte den Erlaß ab.

Die Beschwerde wies die OFD als unbegründet zurück.

Auf die Klage hob das FG den ablehnenden Bescheid des FA sowie die Beschwerdeentscheidung der OFD auf und verpflichtete das FA, ,,die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu bescheiden".

Mit der Revision beantragt das FA, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet.

Das Urteil des FG muß aufgehoben werden, weil es auf unrichtiger Anwendung des § 227 AO 1977 beruht. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unrichtig angewendet hat das FG diese Vorschrift insofern, als es stillschweigend davon ausgegangen ist, das FA und die OFD hätten bei ihrer Entscheidung über den Erlaßantrag der Klägerin auch uneingeschränkt zu prüfen gehabt, ob die bestandskräftig gewordene Festsetzung des Grunderwerbsteueranspruchs rechtmäßig gewesen sei. Indessen dürfen bestandskräftig festgesetzte Steueransprüche im Billigkeitsverfahren nur dann auf ihre Rechtmäßigkeit nachgeprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (vgl. Urteil des BFH vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, 257, BStBl II 1981, 611). Denn andernfalls würde die Bestandskraft eines Steuerbescheides ausgehöhlt werden.

Das angefochtene Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler, denn es ist nicht auszuschließen, daß das FG ohne ihn anders entschieden hätte.

Der erkennende Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die Verpflichtungsklage ist abzuweisen.

Der Verwaltungsakt des FA in Gestalt der Beschwerdeentscheidung der OFD ist rechtmäßig. Er darf vom Gericht nur daraufhin überprüft werden, ob die Ablehnung des Erlasses der Grunderwerbsteuer rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Ermessensfehler dieser Art liegen nicht vor. Insbesondere ist der bestandskräftig festgesetzte Grunderwerbsteueranspruch nicht offensichtlich und eindeutig falsch. Er beruht vielmehr auf dem Gesetz, wie es in ständiger Rechtsprechung vom BFH ausgelegt worden ist (vgl. Urteile vom 22. Januar 1975 II R 62/73, BFHE 115, 67, BStBl II 1975, 391; vom 30. Juli 1980 II R 15/80. BFHE 131, 406, 408, BStBl II 1980, 755, und vom 13. Oktober 1982 II R 164/80, BFHE 137, 90, BStBl II 1983, 139). Überdies lagen zwischen dem Kauf des Grundstückes am 20. Dezember 1973 und der Schenkung an den Neffen am 28. Dezember 1973 nur acht Tage. In dieser kurzen Zeit konnte die Klägerin keine Betriebserweiterung in einem Umfang beginnen, der ihr schützenswertes Interesse daran hätte begründen können, ihren und ihres Neffen Grundstückserwerb im Rahmen der Steuerbefreiung des § 1 Nr. 1 GrEStStrukturG NW als eine Einheit anzusehen.

Von der Möglichkeit, sich gegen den vermeintlich fehlerhaften Grunderwerbsteuerbescheid zu wehren, hat die Klägerin Gebrauch gemacht. Sie hat Einspruch eingelegt, aber davon abgesehen, gegen die ihren Einspruch zurückweisende Entscheidung Anfechtungsklage zu erheben. An dieser Möglichkeit war sie nicht durch ein ungerechtfertigtes Verhalten der Finanzbehörden gehindert worden. Vielmehr war die Entscheidung, eine Anfechtungsklage nicht zu erheben, in vollem Umfang von der Klägerin und ihrem Prozeßbevollmächtigten zu vertreten, wie die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung einräumt.

Umstände, die es nach Treu und Glauben gebieten könnten, die Grunderwerbsteuer in der begehrten Höhe zu erlassen, sind nicht erkennbar. Selbst wenn die Finanzverwaltung in anderen Fällen möglicherweise zu Unrecht Steuern erlassen hätte, war das FA im vorliegenden Fall trotzdem gemäß § 227 AO 1977 zur Prüfung verpflichtet, ob die Einziehung der Steuer ,,nach Lage des einzelnen Falles", d. h. des hier zu beurteilenden Sachverhaltes, unbillig war. Einen Anspruch auf ,,Gleichstellung im Unrecht" gibt es nicht.

 

Fundstellen

BFH/NV 1987, 681

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