Leitsatz (amtlich)

Ein Grundstück wird bereits dann zu gewerblichen Zwecken mitbenutzt (§ 75 Abs. 5 Satz 4 BewG 1965), wenn alle wesentlichen objektiven Vorkehrungen, insbesondere die bauliche Gestaltung, für die nachfolgende tatsächliche gewerbliche Mitbenutzung getroffen sind.

 

Normenkette

BewG 1965 § 75 Abs. 5

 

Tatbestand

Umstritten ist, welcher Grundstücksart das Grundstück der Kläger und Revisionskläger (Kläger) zuzuordnen ist.

Die Kläger sind Eigentümer eines an einem Südhang gelegenen 3 000 qm großen bebauten Grundstücks. Sie errichteten hierauf in den Jahren 1970/71 ein Gebäude mit zwei Vollgeschossen, einem Untergeschoß und einem im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) noch nicht ausgebauten Dachgeschoß. Im rückwärtigen Teil schließt sich an das Erdgeschoß ein ebenerdiger einstöckiger Anbau für Praxisräume mit einer Doppelgarage sowie einem Abstell- und Kühlraum an. Außerdem befindet sich auf dem Grundstück eine Schwimmhalle.

Die Gesamtnutzfläche des Gebäudes beträgt über 800 qm. Davon entfallen auf die Wohnräume der Familie der Kläger etwa 280 qm, auf den Praxisteil etwa 190 qm und auf die Schwimmhalle rund 100 qm. Für weitere Räume mit einer Nutzfläche von insgesamt etwa 220 qm wurde dem Kläger im Jahr 1972 die Konzession zum Betrieb einer Privatkrankenanstalt (Klinik) erteilt. Der Klinikbetrieb wurde im Jahr 1977 aufgenommen.

In den Praxisräumen betreibt der Kläger, der zugleich Chefarzt am ... Krankenhaus in A ist, eine Arztpraxis.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte für das Grundstück der Kläger im Wege der Nachfeststellung zum 1. Januar 1974 die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück (Betriebsgrundstück) und im Sachwertverfahren einen Einheitswert von ... DM fest. Dagegen richtete sich der Einspruch der Kläger. Nach Hinweis auf die Möglichkeit einer anderen Feststellung bezüglich der Vermögens- und der Grundstücksart setzte das FA in der Einspruchsentscheidung den Einheitswert herab und stellte gleichzeitig für das Grundstück die Grundstücksart Einfamilienhaus fest.

Die Klage blieb ohne Erfolg.

Mit der Revision rügen die Kläger in erster Linie unrichtige Anwendung der Abgrenzungsmerkmale von Einfamilienhaus und gemischtgenutztem Grundstück. Ihrer Ansicht nach kommt es entscheidend darauf an, daß in dem Gebäude eine Privatklinik betrieben werden sollte. Dieses Vorhaben sei bereits bei der Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1974 zu berücksichtigen. Da die für den Praxis- und Klinikteil benötigte Fläche 69 v. H. der Gesamtfläche des Gebäudes betrage, sei schon allein aus diesem Grund die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück festzustellen. Im übrigen weise das Gebäude weder seinem äußeren Erscheinungsbild noch seiner inneren Gestaltung nach den Charakter eines Einfamilienhauses auf.

Nach Ansicht der Kläger ist das Grundstück zumindest der Grundstücksart "Zweifamilienhaus" zuzuordnen; denn der für die Privatklinik bestimmte Teil des Gebäudes erfülle sämtliche an eine Wohnung zu stellenden Anforderungen. Daß eine voll eingerichtete Küche fehle, stehe dem nicht entgegen. Entscheidend sei vielmehr, daß die fraglichen Räume mit Waschbecken, Anschlüssen für Wasser, Abfluß und Starkstrom, ausgestattet seien. Überdies schließe nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die gemeinsame Nutzung einer Küche die Annahme mehrerer Wohnungen nicht aus. Im Streitfall sollten aber die Räume im Obergeschoß von der im Erdgeschoß liegenden Küche über den Speiseaufzug mitversorgt werden.

Die Kläger rügen ferner, das FG habe entscheidungserhebliche Beweisanträge übergangen.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

a) die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung insoweit aufzuheben, als sie die Artfeststellung betreffen,

hilfsweise, die Grundstücksart Zweifamilienhaus festzustellen und

b) den Einheitswert nach Maßgabe der der Einspruchsentscheidung zugrunde liegenden Rauminhalte und Kubikmeter-Preise festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

1. Nach § 75 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) 1965 ist ein Grundstück u. a. nur dann in die Grundstücksart "gemischtgenutztes Grundstück" einzuordnen, wenn es nicht die Merkmale eines Einfamilienhauses erfüllt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein Grundstück auch dann als Einfamilienhaus gilt, wenn es zwar zu gewerblichen Zwecken mitbenutzt wird, dadurch aber die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 5 Satz 4 BewG 1965).

Ein Grundstück wird regelmäßig für andere als Wohnzwecke mitbenutzt, wenn Teile des Grundstücks (Gebäudes) einer anderen als wohnlichen Nutzung tatsächlich zugeführt sind. Eine gewerbliche (freiberufliche) Mitbenutzung liegt aber auch dann vor, wenn am Bewertungsstichtag alle wesentlichen objektiven Vorkehrungen, insbesondere die bauliche Gestaltung, für die nachfolgende tatsächliche gewerbliche (freiberufliche) Mitbenutzung getroffen sind. Bereits durch das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird die Nutzung des Grundstücks (Gebäudes) nachhaltig bestimmt. Das Grundstück ist in einem solchen Fall jedoch nur dann als gemischtgenutztes Grundstück anzusehen, wenn die unmittelbar und in angemessener Zeit nachfolgende tatsächliche Mitbenutzung für gewerbliche (freiberufliche) Zwecke zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Einfamilienhauscharakters führt.

2. Das FG ist demgegenüber bei seiner Entscheidung von der Rechtsauffassung ausgegangen, daß nur bei einer tatsächlichen Mitbenutzung für andere als Wohnzwecke die Eigenart eines Grundstücks als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt sein könne. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben.

Die Sache ist nicht spruchreif. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen lagen am maßgeblichen Stichtag 1. Januar 1974 (vgl. § 23 Abs. 2 BewG 1965) zwar die baulichen und öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen für den Klinikbetrieb vor. Darüber hinaus dürfte auch davon auszugehen sein, daß der persönliche Wohnbedarf der Familie der Kläger reichlich gedeckt war. Das FG hat jedoch - von seiner Rechtsauffassung ausgehend zutreffend - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, die es dem Senat ermöglichen würden, abschließend darüber zu befinden, ob hinsichtlich der zu anderen als Wohnzwecken genutzten bzw. vorgesehenen Räume sämtliche unter 1) genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Sache war daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Im zweiten Rechtsgang hat das FG folgendes zu beachten:

a) Entgegen der Ansicht der Kläger ist die Schwimmhalle nicht dem gewerblich, sondern dem privat genutzten Teil des Grundstücks zuzurechnen; denn die dem Kläger erteilte Klinikkonzession umfaßt nicht die Schwimmhalle.

b) Entgegen der Auffassung der Kläger kann nicht die Grundstücksart "Zweifamilienhaus" festgestellt werden. Insoweit fehlt es an der nach § 75 Abs. 6 Satz 1 BewG 1965 erforderlichen zweiten Wohnung. Die für Klinikzwecke bestimmten Räume im Obergeschoß können mangels einer Küche nicht als selbständige Wohnung angesehen werden. Die fraglichen Räume weisen zwar Versorgungsanschlüsse auf. Ein Raum, in dem lediglich Installationsmöglichkeiten für eine Küche gegeben sind, kann jedoch nicht als Küche angesehen werden (vgl. BFH-Urteil vom 24. November 1978 III R 81/76, BFHE 126, 565, BStBl II 1979, 255).

Der Einwand der Kläger, eine Wohnung könne auch bei gemeinsamer Nutzung einer Küche vorliegen, ist unbegründet. Der erkennende Senat hat zwar in seiner Entscheidung vom 26. September 1958 III 244/57 U (BFHE 68, 410, BStBl III 1959, 157) in einem besonders liegenden Fall die Ansicht vertreten, daß der Wohnungsbegriff nicht allgemein fordere, daß jede Mietpartei eine eigene Küche habe. Der Senat kann unerörtert lassen, inwieweit dies noch der heutigen Verkehrsauffassung entspricht (vgl. Urteile vom 20. Februar 1970 III R 164/66, BFHE 99, 46, BStBl II 1970, 525, und III R 81/76). Im Streitfall können sich die Kläger jedenfalls nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Räume im Obergeschoß von der Küche im Erdgeschoß mitversorgt werden sollten; denn zum maßgeblichen Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1974 wurde in den fraglichen Räumen im Obergeschoß kein selbständiger Haushalt geführt. Von letzterem geht aber die Entscheidung III 244/57 U aus.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73116

BStBl II 1979, 433

BFHE 1979, 442

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