Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält an der in seinem Urteil VII 37/65 vom 23. Juli 1968, BFH 93, 362, vertretenen Auffassung fest, daß die durch die EWG-Abschöpfungsbestimmungen 1962 vorgeschriebenen Warenverkehrsbescheinigungen D. D. 4 – außer im Reiseverkehr – das einzig zugelassene Mittel für den Nachweis der für die Anwendung des innergemeinschaftlichen Abschöpfungssatzes erforderlichen Umstände ist.

 

Normenkette

ZG § 12 Abs. 3; AZO § 22 Abs. 2; AbG § 2; EWGV 19/62 Art. 19 Abs. 2; EWGV 86/62; EWGV 19/62 Nr. 14

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Abschöpfung für Weichweizen aus Frankreich, den die Klägerin am 22. August 1962 zum freien Verkehr abfertigen ließ, nach dem höheren „Drittlandsabschöpfungssatz” zu berechnen ist, weil die in der Warenverkehrsbescheinigung (WVB) D. D. 4 vorgedruckte Frage nach der zu gewährenden Erstattung nicht beantwortet ist.

Der Einspruch blieb erfolglos.

Die Vorentscheidung gab der Berufung statt.

Mit der nunmehr als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde macht das Hauptzollamt (HZA) geltend, daß der richtige Abschöpfungssatz von der abfertigenden Zollstelle nur festgestellt werden könne, wenn ihr nachgewiesen werde, aus welchem Mitgliedstaat das einzuführende Getreide komme und welche Art der Erstattung bei der Ausfuhr bezahlt worden sei. Dieser Nachweis habe nur durch die ordnungsgemäß ausgefüllte und von den zuständigen Behörden des ausführenden Mitgliedstaats bescheinigte WVB D. D. 4 erbracht werden können.

Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BdF) führt aus, daß Grundlage der in der WVB D. D. 4 gestellten Frage nach der Höhe der Erstattung die Regelung in Art. 19 Abs. 2 der EWG-VO Nr. 19 sei. Die EWG-VO Nr. 86 habe das System der EWG-VO Nr. 19 weder eingeschränkt noch abgeändert. Die WVB D. D. 4 werde lediglich durch das Erfordernis „weiterer Angaben” nach Art. 2 der EWG-VO Nr. 86 ergänzt. Der Nachweis, daß keine Erstattung gezahlt worden ist, könne gegenüber den Abfertigungsbeamten nur durch die entsprechende Eintragung in der als einziges Nachweisdokument zugelassenen WVB D. D. 4 erbracht werden. Das Muster der WVB D. D. 4 mit den seine Veröffentlichung im Bundesanzeiger (BAnz.) begleitenden Bestimmungen, hier die EWG-Abschöpfungsbestimmungen 1962, ergänze die Vorschrift des § 22 Abs. 2 der Allgemeinen Zollordnung (AZO), bilde einen integrierenden Bestandteil davon und habe damit selbst den Charakter einer Rechtsverordnung erhalten. Diese, nicht aber der die WVB D. D. 4 bekanntgebende Erlaß, müsse den Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 des Grundgesetzes (GG) entsprechen. Die Veröffentlichung habe nur deklaratorischen Charakter. Die WVB D. D. 4 sei eine nach § 22 Abs. 2 AZO transformierte EWG-Entscheidung. Gegenüber der Drittlandsabschöpfung sei die Binnenabschöpfung kein aliud, da diese von der Drittlandsabschöpfung dadurch abgeleitet werde, daß die Drittlandsabschöpfung um einen Pauschbetrag vermindert werde (Art. 2 Abs. 1, 11 Abs. 1 EWG-VO Nr. 19). Dieser Pauschbetrag stelle die Präferenz dar, die den Einfuhren aus den Mitgliedstaaten gegenüber den Drittlandseinfuhren zugestanden werde. Die Mitgliedslandsabschöpfung stelle im Verhältnis zu der höheren Drittlandsabschöpfung einen „günstigeren Zollsatz” im Sinne des § 12 Abs. 3 des Zollgesetzes (ZG) dar.

Der BdF beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Klägerin weist darauf hin, daß Frankreich als Niedrigpreisland bei der Ausfuhr von Getreide nach der Bundesrepublik Deutschland (BRD) gemäß Art. 19 Abs. 2 a EWG-VO Nr. 19 keine Erstattungen gewähren dürfe. Im Streitfall sei auch tatsächlich keine gezahlt worden. Das Muster der WVB D. D. 4 sei zwar auf den Beweis aller Möglichkeiten ausgerichtet, von deren Eintritt die Anwendung der innergemeinschaftlichen Abschöpfungen abhängig gemacht werden könnte. Diese Regelung treffe aber nicht die materiell-rechtlichen Vorschriften und Voraussetzungen, von deren Erfüllung die Anwendung der innergemeinschaftlichen Abschöpfungen abhängig sei. Diese seien in der EWG-VO Nr. 86 enthalten. Danach müsse das ausgeführte Getreide in dem ausführenden Mitgliedstaat geerntet worden sein. Diese Einschränkung gegenüber sonstigen innergemeinschaftlichen Abschöpfungen solle verhindern, daß das höherwertige Drittlandsgetreide mit der Drittlandsabschöpfung in einen Hochpreis-Mitgliedstaat eingeführt werde und dafür bei der Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat der um den Pauschbetrag gekürzte Abschöpfungsbetrag niedriger als die Drittlandsabschöpfung käme. Eine Erstattung dürfe aber nur dann gewährt werden, wenn Drittlandsgetreide ausgeführt werde. Dadurch sei das Wahlrecht des Art. 19 Abs. 2 der EWG-VO Nr. 19 modifiziert und eingeschränkt worden. Nach Art. 2 der EWG-VO Nr. 86 sei nur der Wachstumsnachweis in der WVB D. D. 4 zu bescheinigen, nicht aber die Zahlung einer Erstattung, weil eine solche nicht zugelassen sei. Rechtsgrundlage für die Deutschen Ausführungsbestimmungen über die WVB D. D. 4 habe nur eine Rechtsnorm des EWG-Rechts sein können. Die Entscheidung der EWG-Kommission vom 17. Juli 1962 habe Verordnungscharakter, weil sie Rechte und Pflichten der Einzelnen begründe. Würde dem Ausführer eine Bescheinigung in der WVB D. D. 4 verweigert, müsse sich dieser dagegen auf eine Rechtsnorm stützen können, um die Bescheinigung im Klageweg erzwingen zu können. Bei Nichteinhalten der Vorlagefrist könne ein Rechtsverlust eintreten. Die Ermächtigung in § 12 Abs. 3 ZG erlasse aber nicht die Fristsetzung. Bei der Frage, ob die innergemeinschaftlichen Abschöpfungen oder die Drittlandsabschöpfungen zu erheben seien, gehe es nicht darum, daß ein allgemeiner Abschöpfungssatz ermäßigt werde, sondern darum, ob dieser oder jener Abschöpfungssatz anzuwenden sei. Deshalb sei die Berufung auf § 12 Abs. 3 ZG und § 22 Abs. 2 AZO verfehlt. Die Verweisung in § 22 Abs. 2 AZO auf Vorschriften, die es noch gar nicht gebe, sei verfassungsrechtlich nicht zulässig. Die Abschöpfungsbestimmungen enthielten auch keinen Hinweis auf die zugrundeliegende Rechtsverordnung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil VII 37/65 vom 23. Juli 1958, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 93 S. 362 – BFH 93, 362 –, entschieden hat, ist die aufgrund der EWG-Abschöpfungsbestimmungen 1962 vorgeschriebene WVB D. D. 4 – außer im Reiseverkehr – das einzige Mittel für den Nachweis der für die Anwendung des innergemeinschaftlichen Abschöpfungssatzes erforderlichen Umstände. An dieser Auffassung wird festgehalten. Wie in dem genannten Urteil ausgeführt ist, ist Rechtsgrundlage für die Einführung der WVB D. D. 4 nicht etwa die Entscheidung der EWG-Kommission vom 17. Juli 1962, die lediglich an die Mitgliedstaaten gerichtet ist und daher – anders als eine Verordnung (VO) – nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt (Art. 189 Abs. 4 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – EWGV –), sondern § 12 Abs. 3 ZG in Verbindung mit § 22 Abs. 2 Satz 1 AZO. Die innergemeinschaftliche Abschöpfungsregelung stellt gegenüber der Anwendung der Drittlandsabschöpfung eine günstigere Zollbehandlung im Sinne des § 12 Abs. 3 ZG dar. Beide Abschöpfungssätze kommen für ein und dieselbe Ware in Betracht, wobei deren Präferenzbehandlung von ihrem Ursprung bzw. von der Nichtgewährung von Erstattungen abhängig ist. Daß die Abschöpfungen in den verschiedenen Fällen nach unterschiedlichen Grundsätzen berechnet werden, ist demgegenüber nicht entscheidend.

In der zu Recht aufgrund der Ermächtigung des § 12 Abs. 3 ZG erlassenen Rechtsverordnung, nämlich in § 22 Abs. 2 AZO, hat der BdF die Form des Nachweises zwar nicht unmittelbar in Gestalt eines Musters bestimmt, sondern allgemein vorgeschrieben, daß „die vorgesehene Weise” des Nachweises, d. h. die in der betreffenden Zollunion, Freihandelszone usw. bestimmte Weise im BGBl oder BAnz. veröffentlicht werden muß. Der Verordnungsgeber hat damit die international vorgesehene Form des Nachweises in seinen Willen aufgenommen und zum Ausdruck gebracht, daß dieser Nachweis nach nationalem Recht gelten soll. Angesichts dieser Übernahme von international verbindlichen Regelungen in nationales Recht bedarf es keines weiteren Rechtsetzungsaktes des Verordnungsgebers, sondern nur der Veröffentlichung der übernommenen Regelung in der in der VO festgelegten, der Verkündung einer VO entsprechenden Form. Die in § 22 Abs. 2 AZO enthaltene Bezugnahme auf eine internationale Bestimmung hält der Senat auch aus der Erwägung für ausreichend, daß es sich bei dieser Übernahme in nationales Recht nur um die Erfüllung von Verpflichtungen handelt, die sich schon aus der internationalen Bindung der Vertragspartner ergeben, im übrigen der Verordnungsgeber oft selbst schon beim Zustandekommen der internationalen Bestimmung über die Form des Nachweises für günstigere abgabenrechtliche Behandlungen mitgewirkt hat, wie sich daraus ergibt, daß im Streitfall die Notifizierung und Verkündung der internationalen Bestimmung der nationalen Veröffentlichung des bereits verbindlichen Textes erst nachgefolgt ist. Da die Veröffentlichung der Form im BGBl oder im BAnz. vorgeschrieben ist und die so veröffentlichte Form des Nachweises keine andere sein kann, als sie aufgrund der internationalen Verpflichtung, hier der Entscheidung der EWG-Kommission vom 17. Juli 1962 gemäß Art. 189 Abs. 4 EWGV, vorgesehen ist, kann jeder Gemeinschaftsangehörige voraussehen, welchen Nachweis er zu erbringen hat, um die günstigere Abschöpfungsregelung zu erreichen. In einem solchen Fall ist es nach Auffassung des Senats nicht erforderlich, daß auch die jeweils verschiedenen Formblätter in Form einer Rechtsverordnung oder unter ausdrücklicher Anführung von § 12 Abs. 3 ZG und § 22 Abs. 2 AZO veröffentlicht werden, vielmehr genügt es, daß das Formblatt der WVB D. D. 4 durch einen BdF-Erlaß – hier die Abschöpfungsbestimmungen 1962 – unter Ausführung der zugrunde liegenden, durch Rechtsverordnung transformierten Entscheidung der Kommission im BAnz. veröffentlicht worden ist.

Entgegen der Ansicht der Klägerin begründet die Entscheidung der EWG-Kommission keine Rechte und Pflichten der Einzelnen. Da sie an die Mitgliedstaaten gerichtet ist, bedarf sie erst der Transformation in das nationale Recht. Diese ist aufgrund des § 12 Abs. 3 ZG in Verbindung mit § 22 Abs. 2 AZO geschehen. Der Ausführer kann sich daher auch nicht unmittelbar auf die Entscheidung der EWG-Kommission stützen, um Bescheinigungen auf der WVB D. D. 4 im Klageweg zu erzwingen. Die Einhaltung einer Vorlagefrist, die in der WVB D. D. 4 vorgeschrieben ist, ist als zur Form des Nachweises gehörig anzusehen; denn es handelt sich um eine solche Form des Nachweises, wenn die Bescheinigung der Zollstelle des Ausfuhrlandes zeitnah sein muß, d. h. bei der Vorlage nicht länger als eine bestimmte Frist zurückliegen darf. Die Bestimmung der Vorlagefrist ist daher durch § 12 Abs. 3 ZG in Verbindung mit § 22 Abs. 2 AZO ebenfalls gedeckt.

Die im Formular enthaltene Frage nach der Erstattung gründet sich auf Art. 19 Abs. 2 der EWG-VO Nr. 19 (ABlEG 933/33 = BZBl 1962, 818). Danach kann der ausführende Mitgliedstaat bei Ausfuhren nach einem anderen Mitgliedstaat unter gewissen Voraussetzungen den Getreidepreis durch Gewährung einer Drittlandserstattung auf Weltmarktebene oder durch Gewährung einer Erstattung des Unterschiedsbetrages zwischen seinem Frei-Grenze-Preis und dem Schwellenpreis des einführenden Mitgliedstaates auf dessen Preisniveau herabschleusen. Nach der gewährten oder nichtgewährten Erstattung richtet sich die Höhe der zu erhebenden Abschöpfung. Der Nachweis der Art der Erstattung ist in Abschn. B der WVB D. D. 4 vorgeschrieben. Damit sind die Zollstellen irgendwelcher Ermittlungen etwa darüber, welcher Mitgliedstaat zur Zeit ein Hochpreis- oder ein Niedrigpreisland ist, enthoben. Auf die Behauptung der Klägerin, daß Frankreich das niedrigste Preisniveau und die BRD das höchste Preisniveau habe und daß diese „gerichtsbekannte Tatsache” keinen Erstattungsnachweis erfordere, kommt es daher nicht an. Die Klägerin kann demgemäß daraus auch nicht herleiten, daß die WVB D. D. 4 nur den französischen Ursprung nach der EWG-VO Nr. 86 zu beweisen habe. Es ist gerade der Zweck der WVB D. D. 4, eine einheitliche für alle Zollstellen der Gemeinschaft verbindliche Nachweisurkunde darzustellen, um die Abfertigung nicht von der genauen Kenntnis der vielfach unübersichtlichen einzelnen Abschöpfungsregelungen oder gar des verschiedenen Preisniveaus der einzelnen Mitgliedstaaten abhängig zu machen.

Nach dem Wortlaut ihrer Präambel beruht die EWG-VO Nr. 86 auf der EWG-VO Nr. 19, insbesondere auf deren Art. 15 Abs. 4 der die Kommission zum Erlaß der Bestimmungen ermächtigt, die erforderlich sind, um bei den aus Mitgliedstaaten oder dritten Ländern stammenden Erzeugnissen Verkehrsverlagerungen zu vermeiden, die sich aus unterschiedlichen Abschöpfungsbeträgen zwischen den Mitgliedstaaten oder zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern ergeben könnten. Die EWG-VO Nr. 86 berührt aber nicht die Frage der Erstattung für ein aus dem ausführenden Mitgliedstaat stammendes Erzeugnis im Rahmen der EWG-VO Nr. 19. Nach dem klaren Wortlaut des Art. 2 der EWG-VO Nr. 86 muß die wie in allen anderen Fällen vorzulegende WVB D. D. 4 für den nach der EWG-VO Nr. 86 zu erbringenden Nachweis noch „weitere Angaben” enthalten, nämlich eine Erklärung des Exporteurs, daß das Getreide im ausführenden Mitgliedstaat geerntet sei, und einen bestätigenden Sichtvermerk in Teil A bzw. B der WVB D. D. 4. Da es in Anbetracht dieses klaren Wortlauts nicht auf eine Auslegung der EWG-VO Nr. 86 ankommt, hält der erkennende Senat die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EGH) nach Art. 177 EWGV nicht für geboten. Da die Vorinstanz nach dem Vorstehenden zu Unrecht den Binnenabschöpfungssatz aufgrund der EWG-VO Nr. 86 angewendet hat, war sie aufzuheben.

 

Fundstellen

BFHE 1969, 175

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