Leitsatz (amtlich)

Der Bilanzansatz für ein Wirtschaftsgut, das in früheren Wirtschaftsjahren entnommen, in den folgenden Wirtschaftsjahren gleichwohl weiterhin als Betriebsvermögen bilanziert wurde, ist in der Schlußbilanz des ersten berichtigungsfähigen Veranlagungszeitraums nach dem Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs in der Weise richtigzustellen, daß er erfolgsneutral, also zu Lasten des Kapitals ausgebucht wird. Eine erfolgswirksame Berichtigung durch Ausbuchung des Bilanzansatzes als Aufwand und Hinzurechnung des Teilwerts, den das Wirtschaftsgut im Jahr der Entnahme hatte, ist nicht zulässig (Anschluß an die BFH-Urteile vom 21. Juni 1972 I R 189/69, BFHE 106, 422, BStBl II 1972, 874, und vom 23. Juli 1975 I R 210/73, BFHE 117, 144, BStBl II 1976, 180).

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1-2, § 6 Abs. 1 Nr. 4

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1965, ob im Streitjahr eine Berichtigung des Bilanzansatzes der Wertpapiere, die im Hinblick auf die Entnahme von Bezugsrechten in den Vorjahren erforderlich ist, nach dem Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs erfolgsneutral zu Buchwerten oder erfolgswirksam zu Teilwerten durchzuführen ist.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist selbständiger Malermeister. Er ermittelt seinen Gewinn nach § 5 EStG.

Der Kläger hat seinen Gewerbebetrieb zum 1. Januar 1961 mit allen Aktiven und Passiven unter Fortführung der Buchwerte von einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts übernommen, die aus ihm und seiner Mutter bestand. Die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts hatte in den Jahren 1952 bis 1955 Wertpapiere erworben und diese in ihren Bilanzen jeweils mit den Anschaffungskosten ausgewiesen. Der Bilanzwert zum 31. Dezember 1955 betrug 9 430,42 DM. Diesen Wert führte die Gesellschaft unverändert fort.

In seiner Eröffnungsbilanz zum 1. Januar 1961 wies der Kläger diese Wertpapiere mit ihrem bisherigen Buchwert von 9 430,42 DM aus (Investment-Anteile 2 000 DM, sonstige Wertpapiere 7 430,42 DM). Dieser Bilanzansatz blieb in den Folgejahren unverändert und ist demgemäß auch in den Bilanzen zum 31. Dezember 1964 und 31. Dezember 1965 enthalten.

Sowohl die Gesellschafter der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts als auch der Kläger als Einzelunternehmer übten in den Jahren 1956 bis 1964 mehrfach Bezugsrechte aus, die sich aus den bilanzierten Wertpapieren ergaben. Die hierdurch erworbenen jungen Aktien wiesen die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts und der Kläger nicht in ihren Bilanzen aus; sie behandelten sie vielmehr als Privatvermögen.

Die Gewinnfeststellungsbescheide der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts und die Einkommensteuerbescheide des Klägers für die Jahre bis 1964 sind bestandskräftig.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) vertrat im Anschluß an eine beim Kläger im Jahre 1969 durchgeführte Betriebsprüfung, die sich auf die Jahre 1965 bis 1967 erstreckte, die Auffassung, die Bezugsrechte seien mit ihrer Ausübung zum Erwerb junger Aktien für das Privatvermögen jeweils entnommen worden. Diese Entnahmen hätten mit den Teilwerten angesetzt werden müssen. In Höhe der Differenz zwischen den Teilwerten und den Buchwerten der Bezugsrechte (nach der Gesamtwertmethode errechneter Teil der Anschaffungskosten der Wertpapiere) seien Entnahmegewinne entstanden. Aus Gründen des Bilanzenzusammenhangs müßte diese bisher unterbliebene bilanzmäßige Behandlung der Entnahme der Bezugsrechte (Kürzung des Bilanzansatzes der Wertpapiere; Ansatz der Entnahme mit dem Teilwert) für die vor dem 1. Januar 1965 entnommenen Bezugsrechte in 1965 erfolgswirksam nachgeholt werden. Hieraus errechne sich für die vor dem 1. Januar 1965 entnommenen Bezugsrechte ein Entnahmegewinn von 2 488 DM (Teilwerte 5 018,42 DM abzüglich Buchwerte 2 530,42 DM).

Auf dieser Grundlage erließ das FA am 30. Oktober 1969 einen gemäß § 222 AO berichtigten Einkommensteuerbescheid für 1965.

Den Einspruch des Klägers wies das FA zurück.

Die Klage, mit der sich der Kläger gegen die Erfassung eines Entnahmegewinns im Streitjahr für die vor dem 1. Januar 1965 entnommenen Bezugsrechte wandte, hatte Erfolg. Das FG setzte die Einkommensteuer 1965 herab. Es entschied, die Berichtigung des Bilanzansatzes für Wertpapiere zum 31. Dezember 1965 führe hinsichtlich der bereits vor dem 1. Januar 1965 entnommenen Bezugsrechte nicht zu einer nachträglichen Gewinnverwirklichung. Zwar seien die Bilanzansätze für Wertpapiere in den Bilanzen zum 31. Dezember 1964 und 31. Dezember 1965 unrichtig, weil dabei die Entnahmen von Bezugsrechten vor dem 1. Januar 1965 nicht berücksichtigt seien; der Bilanzansatz zum 31. Dezember 1965 sei aber in der Weise richtigzustellen, daß die Buchwerte der Bezugsrechte in 1965 erfolgsneutral über das Privatkonto auszubuchen seien.

Mit der Revision beantragt das FA sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das FA rügt unrichtige Anwendung des § 4 Abs. 1 und 2 und des § 5 EStG.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Der Senat pflichtet der Vorentscheidung darin bei, daß die Ausübung von Bezugsrechten aus Aktien des Betriebsvermögens zum Erwerb von jungen Aktien für das Privatvermögen als Entnahme der Bezugsrechte zu werten ist. Bezugsrechte sind bei einer Entnahme gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG mit dem Teilwert anzusetzen. Die Buchwerte (Anschaffungskosten) der Wertpapiere des Betriebsvermögens sind gleichzeitig um den darin enthaltenen und nach der sogenannten Gesamtwertmethode zu ermittelnden Teil der Buchwerte (Anschaffungskosten) der entnommenen Bezugsrechte zu vermindern (siehe Urteil des BFH vom 6. Dezember 1968 IV R 174/67, BFHE 94, 251, BStBl II 1969, 105).

Für den Streitfall folgt hieraus, daß der in der Schlußbilanz des Klägers zum 31. Dezember 1964 enthaltene Wertansatz der Wertpapiere (und in ähnlicher Weise die Bilanzansätze für die Vorjahre) unrichtig war, nämlich um 2 530,42 DM zu hoch.

2. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, der auch für Kaufleute gilt, die ihren Gewinn nach § 5 EStG ermitteln, ist (steuerpflichtiger) Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahrs und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Als "Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs" ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (insbesondere Urteil vom 27. März 1962 I 136/60 S, BFHE 75, 10, BStBl III 1962, 273; Beschluß vom 29. November 1965 GrS 1/65 S, BFHE 84, 392, BStBl III 1966, 142; Urteil vom 13. September 1973 IV R 5/70, BFHE 110, 280, BStBl II 1973, 846; siehe dazu auch Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 4 EStG Rdnr. 77 c), an der der erkennende Senat ausdrücklich festhält, das Betriebsvermögen anzusetzen, das der Veranlagung dieses Jahres zugrunde lag, und zwar grundsätzlich - von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen - auch dann, wenn und soweit die das Betriebsvermögen darstellende Bilanz (des vorangegangenen Wirtschaftsjahres) unrichtige Wertansätze enthielt, sofern eine Berichtigung der vorausgegangenen Veranlagungen, denen die unrichtigen Wertansätze zugrunde gelegen haben, und damit der Bilanz für diese vorangegangenen Wirtschaftsjahre z. B. wegen Verjährung oder wegen Bestandskraft der Veranlagung (und des Fehlens verfahrensrechtlicher Möglichkeiten zur Berichtigung) nicht mehr möglich ist (Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs). In einem derartigen Fall ist der falsche Bilanzansatz in der Steuerbilanz des auf die bestandskräftig veranlagten Wirtschaftsjahre folgenden Wirtschaftsjahres richtigzustellen.

Für den Streitfall bedeutet dies, daß der Bilanzansatz für Wertpapiere in der Schlußbilanz des Streitjahres 1965 richtigzustellen ist, denn die Prozeßbeteiligten gehen übereinstimmend davon aus, daß die Veranlagungen der vorangegangenen Jahre, insbesondere der Jahre, in denen die Bezugsrechte entnommen wurden, bestandskräftig sind und aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr berichtigt werden können.

3. Die Vorentscheidung vertritt die Auffassung, der falsche Bilanzansatz in der Schlußbilanz zum 31. Dezember 1964 sei in der Schlußbilanz des Streitjahres 1965 in der Weise richtigzustellen, daß der auf die entnommenen Bezugsrechte entfallende Teil des Buchwerts (Anschaffungskosten) der bilanzierten Wertpapiere erfolgsneutral über das Privatkonto auszubuchen sei; eine erfolgswirksame Korrektur - sei es durch Behandlung der erforderlichen Minderung des Buchwerts für die Wertpapiere als außerordentlichen Aufwand, sei es durch außerbilanzielle Zurechnung der damaligen Teilwerte der entnommenen Bezugsrechte bei gleichzeitiger erfolgswirksamer Ausbuchung des auf die Bezugsrechte entfallenden Teils der Buchwerte der Wertpapiere - hält die Vorentscheidung für unzulässig.

Die Vorentscheidung befindet sich in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung, die den Urteilen des I. Senats des BFH vom 21. Juni 1972 I R 189/69 (BFHE 106, 422 [426], BStBl II 1972, 874) und vom 23. Juli 1975 I R 210/73 (BFHE 117, 144 [149], BStBl II 1976, 180) zugrunde liegt. Danach sind Wirtschaftsgüter, die Betriebsvermögen waren, aber durch Nutzungsänderung notwendiges Privatvermögen geworden sind und die im Jahr der Nutzungsänderung (Entnahme) nicht ausgebucht und deshalb in den Folgejahren bilanziell zu Unrecht als Betriebsvermögen ausgewiesen worden sind, bei der ersten folgenden Veranlagung, die sich als berichtigungsfähig erweist, in der Schlußbilanz erfolgsneutral mit dem Buchwert auszubuchen.

Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Er hat erwogen, ob nicht gefordert werden müßte, daß der unrichtige Bilanzansatz im berichtigungsfähigen Veranlagungszeitraum in gleicher Weise richtigzustellen ist, wie er im nicht mehr berichtigungsfähigen Veranlagungszeitraum richtigzustellen gewesen wäre; dies mit der Folge, daß z. B. Wirtschaftsgüter, die in früheren Veranlagungszeiträumen entnommen, jedoch zu Unrecht weiterhin als Betriebsvermögen bilanziert wurden, erfolgswirksam mit demjenigen Teilwert auszubuchen wären, den sie im Jahr der Entnahme hatten.

Für den Streitfall würde dies bedeuten, daß die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen wäre, weil dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid eine derartige Auffassung zugrunde liegt.

Der Senat sieht sich jedoch an einer derartigen Entscheidung, die dem Grundsatz der richtigen Besteuerung des einzelnen Geschäftsvorfalls entspräche und damit den die Rechtsprechung zum Bilanzenzusammenhang, insbesondere den BFH-Beschluß GrS 1/65 S beherrschenden Grundgedanken am nächsten käme, durch den Umstand gehindert, daß das EStG keine entsprechende Bewertungsvorschrift enthält. § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist nicht anwendbar, da diese Vorschrift voraussetzt, daß in dem Wirtschaftsjahr, dessen Gewinn ermittelt werden soll, ein Wirtschaftsgut entnommen wurde, und nur für diesen Fall eine Bewertung mit dem Teilwert im Jahre der Entnahme vorsieht.

Aus dem in § 4 Abs. 1 EStG enthaltenen Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs folgt allerdings, daß bei der Korrektur eines unrichtigen Bilanzansatzes in der Schlußbilanz des ersten berichtigungsfähigen Veranlagungszeitraums nicht außer Betracht bleiben kann, auf welche Art und Weise der Bilanzansatz unrichtig geworden ist. Denn die Erkenntnis, daß ein unrichtiger Bilanzansatz in der Schlußbilanz richtiggestellt werden muß, sagt noch nichts darüber aus, ob dies erfolgswirksam, also durch Ausbuchung des Bilanzansatzes als Aufwand, oder erfolgsneutral, also zu Lasten des Kapitals zu geschehen hat. Diese Frage läßt sich nur durch einen Rückgriff auf die Ursachen für die Unrichtigkeit des Bilanzansatzes klären und ist dann dahin zu beantworten, daß der Bilanzansatz erfolgswirksam oder erfolgsneutral richtigzustellen ist, je nachdem, ob das Wirtschaftsgut in früheren Jahren aus betrieblichen oder aus privaten Gründen aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden ist. Wurde z. B. ein Wirtschaftsgut in früheren Jahren im betrieblichen Bereich zerstört, gleichwohl aber sein Buchwert weiterhin bilanziert, so ist der Buchwert erfolgswirksam auszubuchen. Wurde hingegen ein Wirtschaftsgut in früheren Jahren entnommen, sein Buchwert aber gleichwohl weiterhin bilanziert, so ist der Buchwert erfolgsneutral auszubuchen. Dieser notwendige Rückgriff auf die Ursachen für die Unrichtigkeit eines Bilanzansatzes kann aber nichts daran ändern, daß im Jahr der Fehlerkorrektur nur der noch vorhandene unrichtige Bilanzansatz (Buchwert) - sei es erfolgswirksam, sei es erfolgsneutral - ausgebucht werden kann; der erwähnte Rückgriff kann nicht dazu führen, daß eine nicht existente Bewertungsvorschrift angewendet wird (etwa des Inhalts, daß der Teilwert anzusetzen ist, den das Wirtschaftsgut im Jahr seiner Entnahme hatte). Ebensowenig kann der Rückgriff so umfassend sein, daß die in früheren Jahren unterbliebene zutreffende steuerrechtliche Behandlung schlichtweg nachgeholt wird.

Im Ergebnis wirkt die vom Senat für zutreffend erachtete Art der Richtigstellung eines durch eine Entnahme in einem vorangegangenen Jahr unrichtig gewordenen Bilanzansatzes im Weg einer erfolgsneutralen Ausbuchung freilich, wie die Revision des FA zu Recht hervorhebt, nicht anders als eine Berichtigung der Eröffnungsbilanz des Jahres der Berichtigung. Das ist aber keine Durchbrechung des Bilanzenzusammenhangs, sondern eine durch den Mangel einschlägiger Bewertungsvorschriften bedingte Begrenzung des Bilanzenzusammenhangs.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72168

BStBl II 1977, 148

BFHE 1977, 369

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