Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Sind nicht nur einkommenserhöhende, sondern auch einkommensmindernde neue Tatsachen bekanntgeworden, so darf nach § 26 Abs. 2 Ziff. 2 Sätze 2 und 3 EStG 1957 die getrennte Veranlagung der Ehegatten auch in diesem Falle nicht zu einer Unterschreitung des im bisherigen Steuerbescheid festgesetzten Steuerbetrages führen, wenn die nach § 222 AO durchzuführende Berichtigungsveranlagung bei Beibehaltung der Zusammenveranlagung nur zu einer überschreitung des im bisherigen Steuerbescheid festgesetzten Steuerbetrages geführt hätte.

Wird ein Einkommensteuerfall - bei Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich - auf Grund neuer Tatsachen nach § 222 AO wieder aufgerollt, so werden auch alle diejenigen Folgewirkungen, die auf eine Berichtigung des Vorjahresergebnisses zurückzuführen sind, in diese Wiederaufrollung einbezogen, so daß die Berichtigung der Veranlagung ausschließlich auf § 222 AO und nicht auch auf § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG beruht.

 

Normenkette

EStG § 26 Abs. 2 Ziff. 2; AO § 222 Abs. 1 Nrn. 1-2; StAnpG § 4 Abs. 3 Ziff. 2

 

Tatbestand

Die mit je 25 v. H. an einer OHG gewinnbeteiligten Eheleute wurden ursprünglich durch einen im Juni 1956 unanfechtbar gewordenen Einkommensteuerbescheid für 1954 nach § 26 EStG a. F. zu einer Einkommensteuer von 8.729 DM zusammen veranlagt. Dabei wurden ihre Gewinnanteile aus der OHG mit je 15.617 DM, insgesamt also mit 31.234 DM, zugrunde gelegt. Eine im Januar 1959 bei der OHG durchgeführte Betriebsprüfung, die sich unter anderem auf die nach § 215 Abs. 2 AO einheitlich und gesondert durchgeführte Gewinnfeststellung der Jahre 1952 bis 1956 erstreckte, führte für 1953 und 1954 zu folgenden änderungen:

Das Jahr 1954 betreffende Mietvorauszahlungen und Anzahlungen im Gesamtbetrage von 26.760 DM, die von der Gesellschaft zu Lasten des Gewinns 1953 berücksichtigt worden waren, wurden zum 31. Dezember 1953 aktiviert. Dieser Aktivposten wurde zu Lasten des Gewinns 1954 aufgelöst.

Dieser Gewinnminderung für 1954 stehen für den gleichen Veranlagungszeitraum Gewinnerhöhungen im Gesamtbetrage von 14.622 DM gegenüber, und zwar durch Aktivierung von Herstellungsaufwand, Kürzung von Rückstellungen und Minderung von Betriebsausgaben (Spenden).

Demzufolge ergab sich für 1954 eine Gewinnminderung von (26.760 DM ./. 14.622 DM =) 12.138 DM, die sich auf die Gewinnanteile der Eheleute mit je 3.034,50 DM, insgesamt also für beide Eheleute mit 6.069 DM auswirkte. Auf dieser Grundlage berichtigte das Finanzamt die Gewinnfeststellung der OHG. Nach der bei den Einkommensteuerakten befindlichen Mitteilung vom 7. Oktober 1959 erfolgte die Berichtigung auch für 1954 "gem. § 222 AO".

Das Finanzamt vertrat im Gegensatz dazu im Veranlagungsverfahren die Auffassung, daß es sich bei der zu 1. genannten Gewinnminderung von 26.760 DM für 1954 lediglich um eine durch die Berichtigung des Endvermögens 1953 bedingte Folgewirkung im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) und nicht um einen Sachverhalt im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO handle. Da andererseits die Berichtigung bzw. die Erhöhung des Gewinns 1954 nur auf neuen Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO beruhe, auf die nach der gesetzlichen Regelung des § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 eine Unterschreitung der ursprünglich festgesetzten Einkommensteuer von 8.729 DM im Wege getrennter Veranlagung nicht gestützt werden könne, sei die sich im Endergebnis für 1954 auf 12.138 DM belaufende Gewinnminderung ausschließlich als Folgewirkung im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG aufzufassen. Demgemäß sei die nach § 218 Abs. 4 AO gebotene änderung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids unter Beibehaltung der bisherigen Art der Veranlagung (Zusammenveranlagung) durchzuführen. In diesem Sinne ist das Finanzamt verfahren. Es ergab sich gegenüber der ursprünglichen Steuer von 8.729 DM nunmehr eine Steuer von 5.797 DM.

Die Bg. wandten sich gegen die Zusammenveranlagung und begehrten ihre getrennte Veranlagung mit voller steuerlichen Auswirkung, das heißt ohne die in § 26 Abs. 2 Ziff. 2 letzter Satz EStG 1957 enthaltene Begrenzung. Sie sind der Auffassung, infolge der Doppelfunktion des Betriebsvermögens als Endvermögen und als Anfangsvermögen seien die hinsichtlich der Mietvorauszahlungen und der Anzahlungen bekanntgewordenen neuen Tatsachen auch als neue Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO aufzufassen, die für 1954 eine niedrigere Veranlagung rechtfertigen.

Das Finanzgericht ist dem gefolgt. Es hat die getrennte Veranlagung der Bg. durchgeführt und die Einkommensteuer 1954 des Bg. auf 2.225 DM, die der Bgin. auf 2.244 DM festgesetzt, so daß sich gegenüber der Festsetzung des Finanzamts eine Gesamtminderung von (5.797 DM ./. 4.469 DM =) 1.328 DM ergab.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet. Der Vorentscheidung ist beizutreten.

Das Finanzgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Wie sich aus dem letzten Satz (Satz 3) der Ziff. 2 in Abs. 2 des § 26 EStG 1957 ergebe, rechtfertige eine nach § 218 Abs. 4 AO erfolgte Berichtigungsveranlagung eine getrennte Veranlagung nur dann, wenn der maßgebliche Grundlagenbescheid im Wege einer Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 oder 2 AO geändert worden sei. Diese Voraussetzung sei gegeben, und zwar in dem Sinne, daß die Bg. mit voller steuerlicher Auswirkung, das heißt also ohne jede Einschränkung, getrennt zu veranlagen seien. Nach der genannten Bestimmung des EStG 1957 sei zur getrennten Veranlagung mit uneingeschränkter steuerlicher Auswirkung erforderlich, daß eine neue Tatsache bekanntgeworden sei, die nach § 222 AO im Wege der Berichtigungsveranlagung zu einem gegenüber dem ursprünglichen Steuerbetrag niedrigeren Steuerbetrag führe. Eine neue Tatsache in diesem Sinne sei aber die vom Betriebsprüfer festgestellte Tatsache, daß bisher dem Jahr 1953 belastete Betriebsausgaben in Wirklichkeit das Jahr 1954 beträfen. Dem könne nicht entgegengehalten werden, daß die Feststellung der nicht in das Jahr 1953 gehörenden Anzahlungen und Vorauszahlungen "primär und überwiegend" sei. Mit dem gleichen Recht sei von dem Gesamtaufwand des Jahres 1954 auszugehen und festzustellen, daß ein Teil dieses Aufwands sich nicht gewinnmindernd auf das Ergebnis dieses Jahres ausgewirkt habe. Für die Beurteilung der Frage, ob für 1954 eine Tatsache vorliegt, die eine geringere Veranlagung rechtfertigt, komme es nicht darauf an, wie sich die Aufwandsverlagerung im Jahre 1953 ausgewirkt habe.

Diese Ausführungen des Finanzgerichts sind rechtlich zutreffend.

Das Gesetz stellt - wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat - in § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 die nach § 218 Abs. 4 AO erfolgenden änderungen für die Frage der getrennten Veranlagung und deren steuerliche Auswirkung den nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 AO erfolgenden Berichtigungsveranlagungen gleich, soweit die nach § 218 Abs. 4 AO ergehenden änderungsbescheide auf einer Berichtigung der zugrunde liegenden gesonderten Feststellungen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 AO, das heißt also im Sinne dieser Vorschrift auf einer Aufrollung der ursprünglichen Feststellungen, beruhen. Daß nur derartige änderungsbescheide nach § 218 Abs. 4 AO gemeint sind, ergibt sich eindeutig auch aus Satz 2 des § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957. Es wäre in diesen Fällen nicht gerechtfertigt gewesen, Steuerpflichtige von den Vorteilen der getrennten Veranlagung nur deshalb auszuschließen, weil die in Betracht kommenden Besteuerungsgrundlagen entgegen der Regel des § 213 Abs. 1 AO nicht im Veranlagungsverfahren, sondern im Falle der Mitunternehmergemeinschaft einheitlich und gesondert nach § 215 Abs. 2 AO und im Falle des Einzelunternehmens gesondert nach § 6 der Verordnung über die Zuständigkeit im Besteuerungsverfahren vom 3. Januar 1944 (RGBl 1944 I S. 11 = RStBl 1944 S. 17) festzustellen sind, was sich mit besonderer Deutlichkeit gerade im letztgenannten Falle des Einzelunternehmers erweist (vgl. auch Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 8. Auflage, S. 1369; Hartmann-Böttcher, Großkommentar zur Einkommensteuer, § 26 EStG 1957 Anm. 5 b und 5 e).

Dem Finanzgericht ist auch darin beizupflichten, daß die Bg. nur dann mit voller steuerlicher Auswirkung getrennt veranlagt werden können, wenn die Voraussetzung für eine Berichtigungsveranlagung nach § 222 AO in dem Sinne vorliegt, daß diese Berichtigung bei Beibehaltung der Zusammenveranlagung zu einer Unterschreitung des ursprünglichen Steuerbetrags, das heißt zu einer "niedrigeren Veranlagung", führen würde (vgl. die in gleichem Sinne ergangene Entscheidung des Finanzgerichts Stuttgart IV 45/60 vom 26. Juli 1960, Entscheidungen der Finanzgerichte, 1961, S. 113). Diese rechtliche Folgerung ergibt sich unmittelbar aus § 26 Abs. 2 Ziff. 2 Sätze 2 und 3 EStG 1957, die den Fall betreffen, daß in verschiedenartige Richtung gehende - z. B. gewinnmindernde und gewinnerhöhende - neue Tatsachen bekanntgeworden sind. Die Vorschrift stellt entscheidend auf das steuerliche Ergebnis der Berichtigung im Falle der bisherigen Veranlagungsart ab. Würde die ursprüngliche Steuer im Falle der Zusammenveranlagung überschritten, so ergibt sich - wie die Vorschrift klarstellt - "danach", daß nur eine höhere Veranlagung rechtfertigende neue Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO vorliegen und daß demgemäß die getrennte Veranlagung der Ehegatten nicht dazu führen darf, die ursprüngliche Steuer zu unterschreiten. Bei dieser rechtlichen Beurteilung wird auch der im Schrifttum ausgetragene Streit über den Begriff der sogenannten "Folgetatsachen" weithin gegenstandslos, und zwar in allen den Fällen, in denen auch bei Bejahung "ermäßigender" Folgetatsachen als Tatsachen im Sinne des § 222 AO wegen gleichzeitig bekanntgewordener "erhöhender" neuer Tatsachen im Falle der Zusammenveranlagung nur die Voraussetzungen des § 222 AO im Sinne einer höheren Veranlagung erfüllt wären (mit der sich daraus für die steuerliche Auswirkung der getrennten Veranlagung ergebenden Begrenzung).

Hiernach besteht auch keine Möglichkeit für die im Schrifttum vertretene Auffassung, daß bei Bekanntwerden gewichtiger neuer - beispielsweise - gewinnmindernder und gewinnerhöhender Tatsachen, auf Grund deren also eine Berichtigungsveranlagung entweder nach Ziff. 1 oder nach Ziff. 2 des § 222 Abs. 1 AO in Betracht kommt, die Rechtskraft der ursprünglichen Veranlagung schlechthin aufgehoben ist, so daß sich die getrennte Veranlagung in jedem Falle steuerlich voll auswirkt, auch wenn es bei Beibehaltung der Zusammenveranlagung zu einer höheren Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO gekommen wäre (so z. B.: Blümich-Falk, a. a. O., S. 1368; Hartmann-Böttcher, a. a. O., § 26 EStG 1957 Anm. 5 c 2; Paulick, Mitteilungsblatt der Steuerberater, 1959, S. 124 ff.). Für eine solche Auslegung bleibt nach der in § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 getroffenen Regelung kein Raum. Sie würde auch nach der Auffassung des Senats zu einer ungerechtfertigten Besserstellung gegenüber denjenigen Steuerpflichtigen führen, deren Veranlagung vor dem 21. Februar 1957 endgültig rechtskräftig abgeschlossen worden ist (ß 26 Abs. 5 EStG 1957).

Schließlich tritt der Senat der Vorinstanz auch darin bei, daß die Voraussetzungen für eine im Falle der Zusammenveranlagung niedrigere Berichtigungsveranlagung nach § 222 AO vorliegen.

In Ergänzung der Vorentscheidung wird hierzu bemerkt: Daß nach der Rechtsprechung das berichtigte Endvermögen 1953 infolge der Doppelfunktion dieses Vermögens zugleich - als Anfangsvermögen - bindendes Merkmal im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG für das Folgejahr 1954 ist, bedeutet nicht, daß die insoweit im Wege der Betriebsprüfung festgestellten neuen Tatsachen nur Gegenstand einer begrenzten Folgeänderung im Sinne der genannten Vorschrift sein könnten und daß sie nicht - wie hier - in Verbindung mit anderen, den Gewinn 1954 betreffenden neuen Tatsachen zu einer Wiederaufrollung des Steuerfalles nach § 222 AO führen könnten. Bereits der Reichsfinanzhof hat jedenfalls für den Fall, daß "noch andere, neue Tatsachen" vorliegen, über die begrenzte Folgeänderung hinaus eine "allgemeine Neuaufrollung" des Steuerfalles für zulässig erachtet (Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 1664/30 vom 2. September 1931, RStBl 1932 S. 159; VI A 1935/32 vom 24. Januar 1934, RStBl 1934 S. 217). Welches Verfahren das Finanzamt im Einzelfalle einschlägt, werden die Umstände ergeben. War der in Betracht kommende Veranlagungszeitraum nicht in die Betriebsprüfung einbezogen, so wird sich das Finanzamt im Hinblick auf eine spätere (turnusmäßige) Betriebsprüfung auf eine Folgeänderung beschränken. Das Ziel einer solchen änderung ist nicht die "richtige" Steuer, sondern eben nur die sich aus der Folgewirkung ergebende, durch sie begrenzte Folgeänderung. Im Streitfalle ist das Jahr 1954 in der Reihe anderer Jahre Gegenstand einer nach § 162 Abs. 10 AO durchgeführten Betriebsprüfung gewesen. Das Ziel dieser Prüfung ist die "richtige" Steuer und damit die Aufrollung des gesamten Steuerfalles im Sinne des § 222 AO. Der Prüfer hat den gesamten Steuerfall zu überprüfen. Es verstößt insbesondere gegen Treu und Glauben, wenn er im Rahmen seiner Prüfungsaufgabe bestimmte, für den Steuerpflichtigen günstige Tatsachen übergeht. Einer späteren nochmaligen Betriebsprüfung für den gleichen Veranlagungszeitraum würden in erhöhtem Masse der Einwand mangelnder Sachaufklärung entgegenstehen. Alle diese Momente spielen bei der begrenzten Folgeänderung im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG keine Rolle.

Der Senat trägt daher keine Bedenken gegen die Annahme, daß es sich im vorliegenden Falle für 1954 um eine Berichtigungsfeststellung im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO handelt (so auch im Ergebnis: Krollmann, Der Betriebs-Berater, 1958, S. 514; Paulick, a. a. O.; Vogt, Rechts- und Wirtschaftspraxis - RWP - 1958, 14 D, Abgabenordnung II B 13/58, Lieferung 367 S. 51 ff.). Der Senat stimmt insbesondere Paulick darin zu, daß es "zu konstruiert" wäre, in einem Falle wie dem vorliegenden eine durch eine Berichtigung gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO ergänzte Folgeberichtigung nach § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG anzunehmen.

Da im übrigen - wie dargelegt - im Falle der Zusammenveranlagung die ursprüngliche Steuer in Auswirkung der Berichtigungsfeststellung um rund 3.000 DM unterschritten würde, hat die Vorinstanz die Bg. zutreffend ohne Begrenzung getrennt veranlagt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410230

BStBl III 1961, 574

BFHE 1962, 847

BFHE 73, 847

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