Leitsatz (amtlich)

In dem gleichzeitigen Wechsel aller Gesellschafter einer Personengesellschaft unter Fortführung der Firma und des Handelsgeschäfts ist nicht ein Fortbestehen der bisherigen Gesellschaft unter Ausscheiden der alten und Eintritt neuer Gesellschafter, sondern eine Geschäftsveräußerung der alten an eine neue Gesellschaft im Sinne des § 85 UStDB 1951 zu erblicken.

 

Normenkette

UStDB 1951 § 85; UStG 1951 § 1 Nr. 1, § 4 Nr. 8

 

Tatbestand

Streitig ist, ob in dem g eichzeitigen Wechsel aller Gesellschafter einer KG eine Geschäftsveräußerung im ganzen im Sinne von § 85 UStDB zu sehen ist.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) ist eine KG. Ihr gehörten bis zum 31. Juli 1959 die A-GmbH (GmbH) als persönlich haftende Gesellschafterin und Herr B sowie seine Söhne als Kommanditisten an. Die drei Kommanditisten waren zugleich die alleinigen Gesellschafter der GmbH.

Durch notariellen Vertrag vom 31. August 1959 schieden mit Wirkung vom 1. August 1959 die bisherigen Gesellschafter aus der Steuerpflichtigen aus. Anstelle der GmbH trat Herr C als persönlich haftender Gesellschafter und anstelle der Herren B Herr D als Kommanditist in die Steuerpflichtige ein. Der Gesellschaftsvertrag vom 2. Januar 1953 wurde aufgehoben mit der Folge, daß sich in Zukunft die rechtlichen Verhältnisse der KG ausschließlich nach den Vorschriften des HGB richten sollten. Die Auseinandersetzungsansprüche (Gesamtabfindungen) der ausscheidenden Gesellschafter wurden zuzüglich eines "Aufgeldes" von … DM nach der von den alten und neuen Gesellschaftern gemeinsam auf den 31. Juli 1959 aufgestellten Bilanz errechnet. In der Eröffnungsbilanz zum 1. August 1959 wurden die meisten Gegenstände des Anlagevermögens mit erheblich höheren Werten angesetzt als in der Schlußbilanz zum 31. Juli 1959 (insgesamt rund dreimal höhere Werte). Die bisherigen Kommanditisten gaben ihre Zustimmung dazu, daß das Unternehmen der KG unter der alten Firma fortgeführt wurde. Im Jahre 1961 wurde der Name der B-KG in C-KG umgeändert.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) sah den Gesellschafterwechsel als Geschäftsveräußerung im ganzen an. Das FA erließ einen Umsatzsteuerbescheid, in dem es die Steuerpflichtige außer mit den Entgelten für die in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1959 ausgeführten laufenden Umsätze mit dem Veräußerungsentgelt für die Besitzposten gemäß § 85 UStDB 1951 zur Umsatzsteuer heranzog. Der Bescheid, der unter der bisherigen Steuernummer erging, wurde B als dem bisherigen Zustellungsvertreter der Steuerpflichtigen zugestellt. Gegen den Steuerbescheid legte B Sprungberufung ein. Er machte geltend, die Steuerpflichtige habe ihr Unternehmen nicht veräußert. Vielmehr sei die KG unter Beibehaltung ihrer Firma unverändert von den neu eingetretenen Gesellschaftern fortgeführt worden. Ein solcher Gesellschafterwechsel sei kein umsatzsteuerbarer Vorgang.

Das FG wies die Sprungberufung als unbegründet zurück. Seiner Auffassung nach ist der Wechsel aller Gesellschafter - wirtschaftlich gesehen - wie die Übertragung des Unternehmens im ganzen zu beurteilen, weil der Wille der alten Gesellschafter dahin gegangen sei, ihr Unternehmen an Dritte gegen Zahlung des vollen Verkaufswertes zu übergeben.

Mit der Rb. wird gerügt, das Verfahren leide an einem wesentlichen Mangel….

In materiell-rechtlicher Hinsicht rügt die Steuerpflichtige unrichtige Rechtsanwendung. Die KG habe ihr Unternehmen nicht an Dritte übereignet, sondern nach Ausscheiden der bisherigen Gesellschafter mit neuen Gesellschaftern fortgesetzt. Die gleichzeitige Veräußerung aller Gesellschaftsanteile löse trotz des damit verbundenen Wechsels der wirtschaftlichen Eigentümer keine Umsatzsteuerpflicht aus. Die Veräußerungen der Gesellschaftsanteile seien nach § 4 Nr. 8 UStG 1951 umsatzsteuerfrei.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandelnde Rb. (§ 184 Abs. 2, §§ 115 ff. FGO) ist unbegründet.

I.

Ein wesentlicher Verfahrensmangel liegt nicht vor….

II.

In materiell-rechtlicher Hinsicht ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.

Zutreffend hat schon das FG darauf hingewiesen, daß auf dem zivilrechtlichen Sektor die Auffassungen darüber, ob bei einem gleichzeitigen Wechsel aller Gesellschafter einer Personengesellschaft die Gesellschaft fortbesteht oder aufgelöst und neugegründet wird, auseinandergehen. Während die einen eine Auflösung und Neugründung der Gesellschaft annehmen, wenn die bisherigen Gesellschafter sämtlich ausscheiden und an ihre Stelle unter Fortführung der alten Firma und Übernahme des Handelsgeschäfts neue Gesellschafter treten (so Weipert in Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 2. Auflage, § 130, Anmerkung 14; grundsätzlich auch Schlegelberger-Gessler, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 4. Auflage, § 130, Anmerkung 2), wollen andere die Entscheidung darüber, ob in diesem Falle eine Auflösung und Neugründung oder ein Fortbestehen der Gesellschaft vorliegt, der Willensentschließung der Beteiligten überlassen (so Hueck, "Das Recht der OHG", 3. Auflage, § 27 II 5, S. 291). Es ist dem FG darin zu folgen, daß es für das Gebiet der Umsatzsteuer als einer an wirtschaftliche Vorgänge anknüpfenden Steuer nicht entscheidend darauf ankommen kann, ob erst die alten Gesellschafter ausscheiden und dann die neuen Gesellschafter eintreten (= Auflösung und Neugründung) oder erst die neuen Gesellschafter eintreten und dann die alten ausscheiden (= Fortsetzung der Gesellschaft). Das muß insbesondere dann gelten, wenn der Gesellschafterwechsel durch ein und denselben Vertrag und an ein und demselben Tage vollzogen wird. In einem solchen Falle ist wirtschaftlicher Hintergrund des Rechtsgeschäfts nicht die Abtretung von Gesellschaftsanteilen (über die Gesellschaft oder unmittelbar) an Dritte, sondern die Veräußerung des gesamten Unternehmens seitens der bisherigen Personengruppe an eine andere gegen Zahlung des vollen Verkaufswertes. Nicht die äußere Form, in die der Vorgang gekleidet wird (hier Gesellschafterwechsel), sondern sein wirtschaftlicher Kern ist entscheidend. Die Absicht der Beteiligten ging im Streitfall dahin, das Unternehmen zu einem angemessenen Preis zu verkaufen. Darauf deuten außer der allgemeinen Lebenserfahrung und den besonderen Umständen des Falles verschiedene Vereinbarungen im notariellen Vertrage vom 31. August 1959 hin (Aufhebung des bestehenden Gesellschaftsvertrages, Gewährung eines hohen "Aufgeldes", außergewöhnliche Abweichungen bei der Bewertung des Anlagevermögens in der Schlußbilanz und in der Eröffnungsbilanz).

Es ist richtig, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und Bundesfinanzhofs in dem Ausscheiden eines Gesellschafters oder mehrerer Gesellschafter aus einer Personengesellschaft ein steuerbarer Umsatz der Gesellschaft an die verbleibenden Gesellschafter nicht zu erblicken ist. Diese Rechtsprechung beruht auf dem im BGB (§ 738 Abs. 1 Satz 1) und HGB (§§ 105 Abs. 2, 138, 142 Abs. 3) verankerten Prinzip des Zuwachsens des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen bei den in der Gesellschaft verbleibenden Gesellschaftern. Wenn ― wie im Streitfall ― alle Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheiden, kann ― wirtschaftlich gesehen ― ein "Zuwachsen" nicht stattfinden. Es ist etwas anderes, ob die Personengruppe, die hinter der Gesellschaft steht, teilweise erhalten bleibt oder völlig verschwindet und einer anderen Personengruppe Platz macht. Tritt an die Stelle der bisherigen Gesellschafter nicht eine andere Personengruppe, sondern eine Einzelperson, so wird aus der Gesellschaft das Unternehmen eines Einzelkaufmanns. In beiden Fällen ändert sich die personelle Substanz des Unternehmens von Grund auf. Es wäre ein unbefriedigendes Ergebnis, wollte man einen Einzelkaufmann, der sein Unternehmen gegen Entgelt an einen anderen Einzelkaufmann abgibt, zur Umsatzsteuer heranziehen, nicht dagegen eine Personengesellschaft, aus der alle bisherigen Gesellschafter gleichzeitig (oder zwecks Verschleierung des wirklichen Sachverhalts in kurzen Zeitabständen hintereinander) ausscheiden und ihr Unternehmen gegen Zahlung des vollen Kaufwertes anderen Gesellschaftern oder einer Einzelperson überlassen.

Die Vorinstanz hat zu Recht eine Geschäftsveräußerung der alten an die neue Gesellschaft im Sinne des § 85 Abs. 1 UStDB 1951 angenommen. Eine solche ist gegeben, "wenn ein Unternehmen …. im ganzen übereignet wird". Eine Übereignung in diesem Sinne liegt vor, wenn das Unternehmen dergestalt auf einen anderen (Einzelperson oder Personengemeinschaft) übergegangen ist, daß der andere in der Lage ist, wirtschaftlich wie ein Eigentümer zu verfügen. Mit anderen Worten: Das Unternehmen muß seinen wirtschaftlichen Eigentümer gewechselt haben. Dies trifft im Streitfall zu.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68096

BStBl II 1968, 595

BFHE 1968, 351

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