Leitsatz (amtlich)

1. Die Finanzverwaltungsbehörden sind an die nach § 8 Abs. 2 GüKG ergangene Entscheidung der höheren Landesverkehrsbehörde nicht gebunden.

2. Befördert ein Händler, der zugleich genehmigten Güterfernverkehr betreibt, mit Fahrzeugen des Güterfernverkehrs von ihm verkaufte Güter zum Käufer, dann steht der Annahme von Werkfernverkehr nicht entgegen, daß über die Beförderung ein besonderer Beförderungsvertrag abgeschlossen ist.

3. Der Senat hält an seiner Entscheidung II 84/55 U vom 14. Dezember 1955 (BStBl 1956 III S. 14, Slg. Bd. 62 S. 32) fest.

 

Tatbestand

Die Bfin. -- eine Offene Handelsgesellschaft, die am 30. Juni 1954 als solche ihre Tätigkeit eingestellt hat -- betrieb sowohl genehmigten Güterfernverkehr als auch Baustoffgroßhandel und Einzelhandel mit Kohlen und Holz. Sie hat wiederholt von ihr verkaufte Baustoffe mit eigenen zum Güterfernverkehr zugelassenen Kraftfahrzeugen von ihren Lieferfirmen zu ihren Abnehmern unmittelbar befördert, also ohne die Baustoffe vorher auf Lager genommen zu haben. Sie erteilte dabei den Abnehmern außer der Rechnung für die gelieferten Baustoffe noch eine Rechnung für die Beförderung. Erfüllungsort der Lieferung war die Verladestelle. Der Versand erfolgte auf Rechnung und Gefahr der Abnehmer. Unter Zugrundelegung der für die Beförderung vereinnahmten Entgelte führte sie, soweit Fernverkehr vorlag, die Beförderungsteuer für Beförderungen im Güterfernverkehr ab.

Das Finanzamt sah diese Beförderungen, die vielfach als Direkttransporte im Streckengeschäft bezeichnet werden, als solche im Werkfernverkehr an. Es forderte daher für die in der Zeit vom 20. März 1951 bis zum 31. Januar 1955 durchgeführten Beförderungen dieser Art unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen mit Bescheiden vom 21. März 1955 Beförderungsteuer in Höhe von 37 300 DM nach. In der Einspruchsentscheidung setzte das Finanzamt unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung seiner Auffassung, daß diese Beförderungen als Werkverkehr anzusehen seien, den nachgeforderten Steuerbetrag auf 18612,49 DM herab, nachdem von der Bfin. inzwischen die Steuerberechnungsgrundlagen angegeben worden waren. Das Finanzamt bezog sich für seine Auffassung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs II 84/55 U vom 14. Dezember 1955 (BStBl 1956 III S. 14, Slg. Bd. 62 S. 32).

Auf die Berufung der Bfin. ermäßigte das Finanzgericht die nachgeforderte Steuer auf 14814,27 DM, weil die Bfin. bereits am 30. Juni 1954 zu bestehen aufgehört habe, also nur die Beförderungen der in Betracht kommenden Art bis zu diesem Zeitpunkt für eine Steuernachforderung in Frage kämen. Das Finanzgericht versagte jedoch im übrigen der Berufung den Erfolg, da entgegen der Meinung der Bfin. und entgegen der von der zuständigen höheren Landesverkehrsbehörde vertretenen Auffassung in der auf Veranlassung der Bfin. am 25. Januar 1957 getroffenen Entscheidung nach § 8 Abs. 2 des Güterkraftverkehrsgesetzes (GüKG) vom 17. Oktober 1952 (BGBl 1952 I S. 697) die in Betracht kommenden Beförderungen solche im Werkfernverkehr gewesen seien.

Zur Begründung der von ihr dagegen eingelegten Rb. machte die Bfin. in erster Linie geltend, daß die Finanzbehörde und die Steuergerichte an die erwähnte Entscheidung der zuständigen höheren Landesverkehrsbehörde vom 25. Januar 1957 gebunden seien. Darin habe diese Behörde ausgesprochen, daß es sich bei den in Frage stehenden Beförderungen "um genehmigungspflichtigen Güterfernverkehr und nicht um Werkverkehr" handle. Die Bfin. bezieht sich für die Frage der Bindung auf ein Rechtsgutachten vom 7. März 1958, in dem ausgeführt wird, daß es sich bei der Entscheidung nach § 8 Abs. 2 GüKG um einen feststellenden Verwaltungsakt handle, den die Behörden und Gerichte anerkennen müßten und an den im besonderen auch die Finanzbehörden und die Steuergerichte gebunden seien. Im übrigen seien auch die in Frage stehenden Beförderungen tatsächlich keine solchen im Werkverkehr.

Der Senat hat zunächst den Bescheid vom 9. November 1960 nach § 294 Abs. 2 AO erlassen, der jedoch durch den Antrag auf Anberaumung der mündlichen Verhandlung seine Wirkung verloren hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. hat keinen Erfolg.

Der Meinung der Bfin. kann nicht gefolgt werden, daß die Finanzbehörde an die nach § 8 Abs. 2 GüKG ergangenen Entscheidungen der höheren Landesverkehrsbehörde gebunden sei. Zwar hält der Senat für die Verneinung der Bindung nicht mehr an der im Bescheid vom 9. November 1960 dafür gegebenen Begründung fest. Es ergibt sich aber aus der Vorschrift des § 204 Abs. 1 AO, daß die Finanzbehörde an eine solche Entscheidung nicht gebunden ist. Nach dieser Vorschrift hat das Finanzamt "die steuerpflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer wesentlich sind". Danach besteht keine allgemeine Bindung der Steuerbehörden und Steuergerichte an die Entscheidungen anderer Behörden, auch wenn diese für ihr Aufgabengebiet gesetzlich zur Entscheidung berufen sind. Eine Ausnahme besteht nur für rechtsgestaltende (rechtsbegründende) Verwaltungsakte oder für solche Verwaltungsakte, für die eine Bindung besonders vorgeschrieben ist. Um einen rechtsgestaltenden (rechtsbegründenden) Verwaltungsakt aber handelt es sich bei der Entscheidung nach § 8 Abs. 2 GüKG nicht, da die Entscheidung selbst kein Recht entstehen läßt. Zum Unterschied von anderen feststellenden Verwaltungsakten (z. B. nach § 93 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes vom 27. Juni 1956, BGBl 1956 I S. 523) und von Entscheidungen nach § 32 des Gesetzes über den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen -- GFG -- vom 26. Juni 1935 (RGBl 1935 I S. 788) über Entscheidungen der höheren Verwaltungsbehörde nach § 3 a. a. O. (vgl. die entsprechende Vorschrift des § 8 Abs. 2 GüKG) ist für Entscheidungen nach § 8 Abs. 2 GüKG im Gesetz keine Bindung vorgeschrieben. § 32 GFG ist übrigens durch § 15 Abs. 2 Nummer 1 des Güterfernverkehrs-Änderungsgesetzes (GFGÄndG) vom 2. September 1949 (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1949 S. 306) mit Wirkung vom 7. September 1949 außer Kraft gesetzt und durch § 12 GFGÄndG, der eine Bindung nicht mehr enthielt, ersetzt worden. Der Meinung der Bfin., daß eine Bindungsvorschrift überhaupt nur deklaratorische Bedeutung habe, also eigentlich überflüssig sei, kann nicht gefolgt werden. Gegen die Annahme der Bindung spricht auch die Tatsache, daß eine Beteiligung der Finanzbehörden -- zum Unterschied von anderen an der Entscheidung nach § 8 Abs. 2 GüKG interessierten Stellen -- im Verfahren nach § 8 Abs. 2 a. a. O. nicht vorgesehen ist. Eine solche Beteiligung aber wäre im Falle der Bindung angesichts der steuerlichen Belange geboten. Zuzugeben ist, daß es für den betroffenen Unternehmer mißlich ist, wenn der gleiche Sachverhalt von den verschiedenen staatlichen Behörden unterschiedlich beurteilt wird. Dies kann aber nicht dazu führen, eine Bindung schlechthin als gegeben anzusehen. Soweit in Rechtsprechung, im Schrifttum und in dem von der Bfin. beigebrachten Rechtsgutachten zur Bindung der Finanzbehörden an Entscheidungen nach § 8 Abs. 2 GüKG die gegenteilige Meinung vertreten wird, vermag ihr der Senat nicht zu folgen.

Hiernach hängt die Entscheidung über den Streitfall davon ab, ob die Vorinstanzen zu Recht das Vorliegen von Werkfernverkehr im Streitfall angenommen haben, und zwar im Gegensatz zur Entscheidung der höheren Landesverkehrsbehörde vom 25. Januar 1957, jedoch in Übereinstimmung mit der Meinung des Bundesministers für Verkehr in seinem Schreiben vom 1. März 1961 an den Bundesminister der Finanzen, das in der mündlichen Verhandlung vorgetragen wurde. Nach nochmaliger Prüfung kommt der Senat zur Bejahung dieser Frage. Der Begriff des Werkfernverkehrs richtet sich gemäß § 2 des Gesetzes zur Wiedererhebung der Beförderungsteuer im Möbelfernverkehr und im Werkfernverkehr und zur Änderung von Beförderungsteuersätzen vom 2. März 1951 (BGBl 1951 I S. 159) nach den verkehrsrechtlichen Vorschriften, also für die Beförderungen der in Betracht kommenden Art bis einschließlich 18. Oktober 1952 nach § 3 GFGÄndG und für die Beförderungen ab 19. Oktober 1952 nach § 48 GüKG. Die in Betracht kommenden Beförderungen sind nicht nur solche "für eigene Zwecke" der Bfin. im Sinne des § 3 Abs. 1 GFGÄndG bzw. des § 48 Abs. 1 GüKG, sondern es liegen auch die weiteren in den Nummern 1 bis 4 der genannten Vorschriften angeführten Voraussetzungen, insbesondere das Erfordernis nach Nummer 2 (Heranschaffung der Güter zum Unternehmen, Fortschaffung vom Unternehmen), vor. Es mag sein, daß im Streitfall bürgerlich-rechtlich von der Bfin. mit ihren Kunden jeweils zwei Verträge abgeschlossen wurden, ein Kaufvertrag und ein Beförderungsvertrag. Der Begriff "für eigene Zwecke" ist jedoch wirtschaftlich aufzufassen. Wirtschaftlich hängt der Beförderungsvertrag mit dem Kaufvertrag eng zusammen, da der Beförderungsvertrag ohne den Kaufvertrag -- wenigstens im Regelfall -- nicht abgeschlossen worden wäre. Diente nun, was nicht bezweifelt werden kann, der Kaufvertrag den eigenen Zwecken der Bfin., dann ist bei dem Zusammenhang der Beförderung mit dem Kaufvertrag auch die Beförderung wirtschaftlich als den eigenen Zwecken der Bfin. dienend anzusehen. Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise kann es dann auf die von den Parteien gewählte bürgerlich-rechtliche Gestaltung nicht entscheidend ankommen. Der Senat hält auch nach nochmaliger Prüfung an seiner Entscheidung II 84/55 U vom 14. Dezember 1955 fest. Danach ist eine Heranschaffung der Güter zum Unternehmen und eine Fortschaffung der Güter vom Unternehmen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nummer 2 GFGÄndG und des § 48 Abs. 1 Nummer 2 GüKG bei einem Handelsunternehmen in der Regel auch dann gegeben, wenn das Unternehmen die Güter unmittelbar von seinem Lieferanten zu seinem Abnehmer (sogenannter Direkttransport im Streckengeschäft des Handels) befördert.

Hiernach war zu entscheiden, wie geschehen.

 

Fundstellen

BStBl III 1961, 418

BFHE 1962, 413

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