Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Beförderungsteuern ist seit Inkrafttreten des § 45 Abs. 3 BefStDV ein besonderer im Gesetz selber vorgesehener schriftlicher Bescheid im Sinne des § 222 Abs. 1 AO zu erteilen.

Beförderungsteuerbescheide können seit Inkrafttreten des § 45 Abs. 3 BefStDV nur unter den Voraussetzungen des § 222 AO berichtigt werden, auch wenn die Verwaltung den gesetzlich vorgeschriebenen Bescheid in einer übergangszeit tatsächlich nicht erteilt hat.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1; BefStDV § 45 Abs. 3

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) betreibt in (B) ein Omnibusunternehmen. Er befördert u. a. seit über 30 Jahren mit behördlicher Genehmigung Personen auf der Linie B - R. Die Einnahmen aus dieser Linie wurden bis zum 31. Mai 1955 richtig mit 10,714 v. H. des Beförderungspreises versteuert. Mit Schreiben vom Juli 1955 teilte der Stpfl. dem mit der Revision beklagten Finanzamt T als Beförderungsteuerstelle der Oberfinanzdirektion (FA) mit, daß auf Grund der änderung des BefStG ab 1. Juni 1955 der Orts- und Nachbarortslinienverkehr der Beförderungsteuer nicht mehr unterliege und bei ihm die Nachweisung für den Fernlinienverkehr entfalle. Er überreichte statt dessen die Nachweisungen über den Orts- und Nachbarortslinienverkehr; die Voranmeldung für die Umsatzsteuer hatte er dem FA R zugeleitet.

Mit Schreiben vom Februar 1956 überreichte der Stpfl. dem FA "einen Fahrplan, woraus die Haltestellen zum Aus- und Einsteigen ersichtlich sind, sowie eine Skizze über Verlauf der Linie mit Einzeichnung der politischen Gemeinden". Der auf Karton gedruckte und offenbar zum Aushang bestimmte Fahrplan wies die Fahrzeiten und Preise für täglich fünf Fahrten in jeder Richtung aus. Auf der überschläglich mit Kugelschreiber auf einen Formenbogen des Stpfl. gezeichneten Skizze waren die Grenzen der politischen Gemeinden B, K und R eingestrichelt. Eine rote Linie markierte den Fahrweg des Omnibusses von B nach R. 11 Haltestellen waren namentlich eingezeichnet. Die Haltestelle S lag danach innerhalb der Gemeinde R. Im Text zu der Skizze heißt es u. a.: "Ausgangspunkt der Nachbarortslinie ist B, Endpunkt R. Politische Gemeinden sind: B - K - R. Die übrigen Haltestellen sind nur kleine Siedlungen und Höfe". Das FA behandelte die Linie als beförderungsteuerfreie Nachbarortslinie und unterwarf sie der Umsatzsteuer mit 4 v. H.

Anläßlich einer Beförderungsteuer-Betriebsprüfung im April 1959 stellte der Prüfer des FA nach Rückfragen beim Landratsamt B und auf der Gemeinde P fest, daß die Haltestelle S nicht - wie in der Skizze des Stpfl. angegeben - in den Gemeindebereich R fällt, sondern in den Gemeindebereich P. Somit, führte der Prüfer aus, durchfahre die Linie B - R vier politische Gemeinden und nicht, wie der Stpfl. angegeben habe, nur drei; die Linie falle deshalb nicht mehr unter den Begriff "Nachbarortslinie", sondern sei eine normale Fernlinie. Eine Beförderungsteuerbefreiung für die Einnahmen sei nicht möglich. Die Beförderungsteuerbefreiung sei bisher zu Unrecht in Anspruch genommen. Der Beförderungsteuer mit 10,714 v. H. des Beförderungspreises seien folgende Einnahmen zu unterwerfen: 1. Juni bis 31. Dezember 1955 15.885 DM ------------------------ 1956 32.615 DM ------------------------ 1957 33.595 DM ------------------------ 1958 40.940 DM.

Das FA forderte mit Nachholbescheid für 1955 und mit Berichtigungsbescheiden gemäß § 222 AO für 1956 bis 1958 die auf diese Beförderungspreise anfallende Beförderungsteuer nach. Der Stpfl. legte gegen die Bescheide Einspruch mit der Begründung ein, daß mangels neuer Tatsachen eine Berichtigung gemäß § 222 AO ausscheide. Dem FA hätten der Fahrplan und die Skizze mit sämtlichen Haltestellen vorgelegen. Es habe deren Nachprüfung unterlassen, sonst hätte es feststellen müssen, daß er S irrtümlich als zu R gehörig angenommen habe.

Das FA hat den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, der Stpfl. betreibe die Linie seit über 30 Jahren; es sei anzunehmen, daß ihm die örtlichen Verhältnisse bekannt gewesen seien. Das FA habe sich auf die Richtigkeit der Erklärungen des Stpfl. verlassen müssen und keine Veranlassung gehabt, sie anzuzweifeln und nachzuprüfen. Ein Steuerpflichtiger könne sich nicht auf Versäumung der Ermittlungspflicht des FA berufen, wenn er selbst unrichtige oder unvollständige Erklärungen abgegeben habe.

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seines Urteils aus: Die Steuernachholung für 1955 sei gemäß § 223 AO ohne Einschränkung zulässig; die Berichtigung für 1956 bis 1958 entspreche den gesetzlichen Voraussetzungen des § 222 AO. Die vom Prüfer festgestellte Tatsache sei neu gewesen. Der Stpfl. habe ausdrücklich versichert, daß ausschließlich die Gemeinden R, K und B durchfahren würden. In Anbetracht der Mitwirkungspflicht sowie der langen Berufserfahrung und Ortskenntnis des Stpfl. habe sich das FA auf diese Erklärung verlassen dürfen. Es bedeute eine überspannung der Ermittlungspflicht des FA, wenn man von diesem weitere Rückfragen beim Landratsamt bzw. den betroffenen Gemeinden verlange.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und die angefochtenen Beförderungsteuerbescheide waren gemäß §§ 126 Abs. 3 Nr. 1, 121, 100 Abs. 1 FGO aufzuheben. Die Berichtigungen für 1955 bis 1958 waren rechtswidrig.

Seit Inkrafttreten des § 45 Abs. 3 BefStDV 1955 wird für die Beförderungsteuer ein im Gesetz vorgesehener schriftlicher Bescheid erteilt, und Beförderungsteuerfestsetzungen sind bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 222 AO zu berichtigen. Die streitigen Beträge können aber im Streitfall nicht gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gefordert werden. Ob die von der Betriebsprüfung aufgedeckte Tatsache, daß nicht drei, sondern vier Gemeinden durchfahren wurden, neu war, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls rechtfertigt diese Tatsache für sich betrachtet im vorliegenden Falle nicht den Wegfall der Steuerbefreiung im Nachbarortslinienverkehr; denn die Zahl der durchfahrenen Gemeinden ist für die Steuerbefreiung nicht ausschlaggebend.

Die Vorinstanzen haben rechtsirrtümlich angenommen, daß Nachbarortslinienverkehr vorliege, wenn drei politische Gemeinden durchfahren würden, Fernlinienverkehr dagegen, wenn vier politische Gemeinden durchfahren würden.

Grundsätzlich unterliegt die Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b. BefStG 1955 der Beförderungsteuer. Befreit von dieser Beförderungsteuer sind Personenbeförderungen mit Kraftomnibussen im Nachbarortslinienverkehr gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b BefStG. Nachbarortslinienverkehr im Sinne dieser Befreiungsvorschrift ist nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 2 Satz 2 BefStG der zugelassene Linienverkehr, bei dem Ausgangs- und Endpunkt der Linie in benachbarten Gemeinden liegen, wenn Haltestellen zum Aus- und Einsteigen nur innerhalb dieser Gemeinden bestehen und die Gemeinden wirtschaftlich und verkehrsmäßig eng verbunden sind, so daß der Verkehr entsprechend dem öffentlichen Verkehrsbedürfnis nach Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Tarifgestaltung einem Omnibuslinienverkehr in einer der in Betracht kommenden Gemeinden gleichzusetzen ist. Die Gemeinden, in denen Anfangs- und Endpunkt der Linie sowie Haltestellen liegen, müssen "benachbarte" Gemeinden im Sinne der Steuerbefreiungsvorschrift sein. Für die Bestimmung dieses nicht klaren Begriffs bietet das Gesetz selbst einige Anhaltspunkte. Entscheidend ist eine enge wirtschaftliche und verkehrsmäßige Verbundenheit zwischen den Gemeinden, die jedoch nicht unmittelbar aneinandergrenzen müssen. über die Zahl der Gemeinden, die benachbart sein können, sagt das Gesetz weder direkt noch indirekt etwas aus; es schränkt die Zahl somit auch nicht ein. Ob die enge wirtschaftliche und verkehrsmäßige Verknüpfung, auf die allein es für "benachbarte" Gemeinden ankommt, geprüft und bejaht worden ist, läßt der Akteninhalt nicht erkennen.

Auch für die Zeit vom 1. Juni 1955 bis 31. Dezember 1955 hätte das FA nur gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigen können, wenn es einen im Gesetz selber vorgesehenen schriftlichen Bescheid erteilt hätte, wie er in § 45 Abs. 3 BefStDV in Verbindung mit § 61 BefStDV auch für diesen Zeitraum vorgesehen ist. Die Verwaltung hat das Veranlagungsverfahren, das einem solchen Bescheid vorausgeht, einheitlich aber erst ab 1. Januar 1956 eingeführt (vgl. Erlaß des Bundesministers der Finanzen IV A/4 - S 6610-26/55 vom 18. November 1955, BStBl I 1955, 693). Befolgt die Verwaltung eine gesetzliche Vorschrift verspätet, so dürfen daraus keine Nachteile für den Steuerpflichtigen erwachsen. Es würde sich ungünstig für den Steuerpflichtigen auswirken, wenn § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO, der gegenüber § 223 AO engere Grenzen für eine Berichtigung zieht, nicht angewendet werden würde.

Durch die Aufhebung der Berichtigungsbescheide treten die ursprünglichen Veranlagungen für die Jahre 1956 bis 1958 wieder in Kraft, wobei die übrigen Feststellungen des Betriebsprüfers unberücksichtigt bleiben müssen, da die Mehrsteuer für jedes Veranlagungsjahr 100 DM nicht erreicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412317

BStBl III 1967, 42

BFHE 1967, 125

BFHE 87, 125

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