Leitsatz (amtlich)

Die Kürzung des Gewinns aus Gewerbebetrieb um 3 v. H. des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen gehörenden Grundbesitzes und die Kürzung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs um die Einheitswerte, mit denen die Betriebsgrundstücke in dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs enthalten sind, finden auch statt, soweit der Grundbesitz zum Deckungsstock eines Versicherungsunternehmens gehört.

 

Normenkette

GewStG § 9 Nr. 1, § 12 Abs. 3 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Revisionskläger I und Revisionsbeklagte II (Steuerpflichtiger) ist ein Versicherungsverein a. G., der die Krankenversicherung betreibt. Im Anschluß an die Betriebsprüfung erließ der Revisionskläger II und Revisionsbeklagte I (das FA) endgültige einheitliche Gewerbesteuermeßbetragsbescheide für die Erhebungszeiträume II/1948 bis 1956 und einen erstmaligen einheitlichen Gewerbesteuermeßbescheid für 1957, denen er die Ergebnisse der Betriebsprüfung zugrunde legte. Der Steuerpflichtige focht diese Bescheide in mehreren Punkten an, von denen in der Revision noch die folgenden streitig sind:

1. Alterungsrückstellungen

2. Schadenrückstellungen

3. Rückstellungen für Schadenbearbeitungskosten

4. Rückstellung für die Abführungsverpflichtung nach § 22 43. UGDV (Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission Nr. 21 S. 352)

5. Kürzung des Gewerbeertrags um 3 v. H. des Einheitswerts des zum Deckungsstock gehörenden Grundbesitzes

6. Schwankungsrückstellung als Dauerschuld.

Bezüglich der Streitpunkte Nr. 1 bis 4 wird auf das Urteil des Senats in der Körperschaftsteuersache der Steuerpflichtigen II/1948 bis 1957, Az. I 114/65, vom heutigen Tag, Bezug genommen.

Zu den weiteren Streitpunkten Nr. 5 und 6 ergibt sich folgender Sach- und Streitstand.

5. Kürzung des Gewerbeertrags um 3 v. H. des Einheitswerts des zum Deckungsstock gehörenden Grundbesitzes

Der Steuerpflichtige kürzte in seinen Gewerbesteuererklärungen für die streitigen Erhebungszeiträume den Gewerbeertrag um 3 v. H. des Einheitswerts des zum Deckungsstock gehörenden Grundbesitzes. Das FA ließ diese Kürzung nicht zu. Der Steuerpflichtige machte geltend, wenn die Kürzung wegfalle, müßten die gesamten tatsächlichen Erträge des Deckungsstocks, auch soweit sie über den rechnungsmäßigen Zinsen lägen, ausgeschieden werden.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg.

Das FG, dessen Entscheidung in EFG 1965, 278 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der zum Deckungsstock gehörende Grundbesitz sei durch die Anerkennung der Alterungsrückstellung als Schuld (keine Hinzurechnung als Dauerschuld) im Einheitswert nicht mehr enthalten. Daher bedürfe es keiner besonderen Kürzung mehr.

Mit der Revision beruft sich der Steuerpflichtige auf das Gutachten des RFH I D 1/43 vom 26. November 1943 (RStBl 1944, 171), dessen Ausführungen das FG unvollständig berückcksichtigt habe. Der RFH habe aus der Unanwendbarkeit der Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 1 GewStG die logische Folgerung gezogen, daß eine Zurechnung der Nutzungen des Deckungsstockes zum Gewerbeertrag nicht in Betracht komme.

6. Schwankungsrückstellung als Dauerschuld

Das FA rechnete die Schwankungsrückstellung, die der Steuerpflichtige gebildet hatte, bei der Ermittlung des Gewerbekapitals als Dauerschuld wieder hinzu.

Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das FG hat die Schwankungsrückstellung nicht als Dauerschuld behandelt.

Dagegen richtet sich die Revision des FA, mit der unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG) gerügt wird.

Der Steuerpflichtige beantragt, die im Einkommen enthaltenen Nutzungen des Deckungsstocks bei Ermittlung des Gewerbeertrags auszuscheiden.

Das FA beantragt, das angefochene Urteil insoweit aufzuheben, als die Schwankungsrückstellung bei der Ermittlung des Gewerbekapitals nicht als Dauerschuld hinzugerechnet wurde, und die im Schriftsatz vom 22. März 1965 aufgeführten Beträge als Dauerschulden zu behandeln.

Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, nur die im Schriftsatz vom 5. Juli 1965 aufgeführten Beträge als Dauerschulden hinzuzurechnen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revisionen führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

5. Kürzung des Gewerbeertrags um 3 v. H. des Einheitswerts des zum Deckungsstock gehörenden Grundbesitzes

In diesem Punkt erweist sich die Revision des Steuerpflichtigen im Ergebnis als unbegründet. Die Kürzung des Gewinns aus Gewerbebetrieb nach § 9 Nr. 1 GewStG und des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs nach § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG darf dem Steuerpflichtigen nicht versagt werden.

Nach § 9 Nr. 1 GewStG ist bei der Ermittlung des Gewerbeertrags die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 3 v. H. des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen gehörenden Grundbesitzes zu kürzen. Nach § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG wird die Summe des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs und der Hinzurechnungen gekürzt um die Summe der Einheitswerte, mit denen die Betriebsgrundstücke in dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs enthalten sind. Die Tatbestände beider Vorschriften sind im Streitfall erfüllt. Der Steuerpflichtige hat Grundbesitz und dieser Grundbesitz gehört zu seinem Betriebsvermögen. An dieser rechtlichen Feststellung sieht sich der Senat nicht dadurch gehindert, daß der Grundbesitz des Steuerpflichtigen zum Deckungsstock gehört. Der RFH hat zwar in dem Gutachten I D 1/43 (a. a. O.) ausgeführt, der Deckungsstock scheide wirtschaftlich aus dem Betriebsvermögen des Versicherungsunternehmens aus und bilde eine Art Sondervermögen. Der Senat hat in dem Urteil I 293/61 vom 21. Juli 1966, (BFH 89, 279, BStBl III 1967, 631) offengelassen, ob es richtig sei, daß der Deckungsstock wirtschaftlich aus dem Betriebsvermögen ausscheide. Er hat seine - mit dem RFH-Gutachten I D 1/43 (a. a. O.) übereinstimmende - Entscheidung, daß die Deckungsrückstellung keine Dauerschuld sei, mit der Natur des Deckungsstocks als Sondervermögen und dem engen Zusammenhang des Deckungsstocks mit der Deckungsrückstellung begründet (§§ 65 bis 78 des Versicherungsaufsichtsgesetzes - VAG -). Auch im gegenwärtigen Rechtsstreit braucht der Senat nicht abschließend zu prüfen, ob die Vorschriften des VAG über den Dekkungsstock und über die Deckungsrückstellung die Aussage rechtfertigen, der Deckungsstock scheide "wirtschaftlich" aus dem Betriebsvermögen aus. Denn nach § 9 Nr. 1, § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG kommt es allein darauf an, ob der Grundbesitz steuerrechtlich zum Betriebsvermögen des Versicherungsunternehmens gehört. Diese Frage ist auch für den Grundbesitz, der im Deckungsstock enthalten ist, zu bejahen. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 GewStDV ist die Frage, ob und wieweit im Sinne des § 9 Nr. 1 des Gesetzes Grundbesitz zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehört, nach den Vorschriften des EStG oder KStG zu entscheiden. Das steht im Einklang mit dem Gesetz, das den nach den Vorschriften des EStG oder KStG zu ermittelnden Gewinn als maßgeblich für den Gewerbeertrag erklärt (§ 7 GewStG). Nach den Vorschriften des EStG und des KStG gehören zum Betriebsvermögen alle Wirtschaftsgüter, die dem Betrieb zu dienen bestimmt sind. Die Bestände des Deckungsstocks dienen dem Betrieb des Versicherungsunternehmens. Denn durch den Deckungsstock sollen die künftigen Ansprüche der Versicherten aus den Versicherungsverträgen sichergestellt werden. Der Deckungsstock wird zwar zu diesem Zweck von dem übrigen Vermögen gesondert verwaltet (§ 66 Abs. 5 VAG), er wird durch einen Treuhänder überwacht (§ 70 VAG) und darf grundsätzlich nur zur Erfüllung der Ansprüche der Versicherten nach dem Eintritt des Versicherungsfalles verwendet werden (§ 77 VAG). Er erfüllt insofern, wie das Urteil des BFH I 293/61 (a. a. O.) sagt, eine andere Funktion als das Betriebsvermögen bei den übrigen Gewerbetreibenden. Aber er gehört gleichwohl rechtlich zum Betriebsvermögen des Versicherungsunternehmens.

Daran ändert auch nichts, daß dem Deckungsstock eine Deckungsrückstellung als bilanzrechtlicher Ausdruck der künftigen Verpflichtung des Versicherungsunternehmens aus den Versicherungsverträgen gegenübersteht. Denn ein Wirtschaftsgut scheidet nicht dadurch aus dem Betriebsvermögen aus, daß eine Verpflichtung des Unternehmens besteht, deren Erfüllung durch dieses Wirtschaftsgut sichergestellt werden soll. Der RFH hat in dem angeführten Gutachten I D 1/43 (a. a. O.) ausgeführt, das Ausscheiden des Deckungsstocks aus dem Betriebsvermögen habe auch das Ausscheiden der Deckungsrückstellung aus dem Betriebsvermögen zur Folge. Gerade diese Feststellung zeigt, daß sie, verstanden als ein rechtliches Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen, nicht haltbar wäre. Denn ihre Folge wäre, daß der Deckungsstock und die Deckungsrückstellung in der Bilanz des Versicherungsunternehmens nicht anzusetzen wären (§ 6 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 5 EStG).

Die Anwendung der Kürzungsvorschriften des § 9 Nr. 1, § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG im Streitfall scheitert auch nicht daran, daß der gesetzgeberische Grund für diese Kürzungen in der Vermeidung der doppelten Belastung der Grundstücke mit Grundsteuer und Gewerbesteuer liegt (RFH-Gutachten I D 1/43, a. a. O.; BFH-Urteile I 61/50 U vom 16. Januar 1951, BFH 55, 127, BStBl III 1951, 49; I 258/64 vom 5. Oktober 1967, BFH 90, 299, BStBl II 1968, 65). Wie der Senat in dem Urteil I 61/50 U (a. a. O.) ausgeführt hat, ist der erwähnten Gesetzesbegründung keine Gesetzeskraft beizulegen, da sie im Wortlaut des Gesetzes keinen Ausdruck gefunden hat. Die Kürzungsvorschriften sind daher, wie dieses Urteil weiter sagt, auch anzuwenden, wenn im Einzelfall die Grundstücke nicht zur Grundsteuer herangezogen worden sind. Außerdem bestehen Bedenken gegen die Feststellung des RFH-Gutachtens I D 1/43 (a. a. O.), die rechnungsmäßigen Erträge der Grundstücke, die zum Deckungsstock gehörten, seien der Gewerbesteuer nicht unterworfen, die gesetzgeberischen Voraussetzungen für die Kürzungsvorschriften - Vermeidung der doppelten Belastung mit Grundsteuer und Gewerbesteuer - lägen daher insoweit nicht vor. Der Gewerbesteuer unterliegen nicht die einzelnen Erträge, sondern der Gewerbeertrag und das Gewerbekapital (§ 6 Abs. 1 GewStG). Die maßgebliche Größe für die Ermittlung des Gewerbeertrags ist nicht der einzelne Ertrag, sondern wiederum der Gewinn aus Gewerbebetrieb und damit der Überschuß der Erträge über die Aufwendungen (§ 7 GewStG, § 6 Abs. 1 KStG, § 5 EStG). Da die Grundstücke, wie oben ausgeführt, zum Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen zählen, stellen die Erträge aus diesen Grundstücken Betriebseinnahmen dar, die bei der Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb als Erträge anzusetzen sind. Die Tatsache, daß diesem Ansatz auf der Seite der Erträge ein gleichhoher Betrag in der Zuführung zur Deckungsrückstellung auf der Seite der Aufwendungen gegenübersteht, ändert daran nichts. Zwar besteht eine enge rechtliche Beziehung zwischen der Höhe des Deckungsstocks und seiner rechnungsmäßigen Erträge einerseits und der Deckungsrückstellung andererseits (§ 66 Abs. 1 VAG). Diese Beziehung ist aber nicht von der Art, daß die rechnungsmäßigen Erträge wegen der entsprechenden Zuführung zur Deckungsrückstellung als überhaupt nicht oder etwa als für Rechnung der Versicherten bezogen zu gelten hätten.

Soweit der Senat in dem Urteil I 107/65 vom 9. Oktober 1968 (BFH 93, 553) eine andere Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht fest.

Können somit dem Steuerpflichtigen die Kürzungen nach § 9 Nr. 1 GewStG, § 12 Abs. 3 Nr. 1 GewStG nicht versagt werden, so entfällt andererseits der vom Steuerpflichtigen angeführte Grund für sein Verlangen, die überrechnungsmäßigen Erträge bei der Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb abzusetzen.

6. Schwankungsrückstellung als Dauerschuld

In diesem Punkt ist die Revision des FA begründet. Die Schwankungsrückstellungen sind, wie der Senat in dem Urteil I 278/63 vom 12. Juni 1968 (BFH 93, 154, BStBl II 1968, 715) näher begründet hat, als Dauerschulden zu beurteilen. Hinzugerechnet werden nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG die Schwankungsrückstellungen, soweit sie bei der Feststellung des Einheitswerts abgezogen worden sind. Über die Feststellung des Einheitswerts für die streitigen Erhebungszeiträume ist noch nicht rechtskräftig entschieden. Sie ist Gegenstand eines Verfahrens vor dem BFH (Az. III R 76/66). Das FG wird nach der Zurückverweisung der Sache prüfen, ob es in diesem Verfahren vor oder nach rechtskräftiger Erledigung des Verfahrens über die Feststellung des Einheitswerts entscheiden will. Im ersten Fall greifen § 218 Abs. 4 AO, § 35b GewStG ein, im zweiten Fall kann bereits das FG seiner Entscheidung die rechtskräftige Entscheidung über die Höhe des Einheitswerts und damit über die Höhe der abgezogenen Schwankungsrückstellungen berücksichtigen.

 

Fundstellen

BStBl II 1972, 390

BFHE 1972, 464

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