Leitsatz (amtlich)

Bei einer in die Grundstücksart der Einfamilienhäuser einzuordnenden Eigentumswohnung wird die Eigenart als Einfamilienhaus nicht durch die Intensität der gewerblichen Mitbenutzung von Flächen wesentlich beeinträchtigt, die zum Miteigentum gehören, aber von der Wohnung räumlich getrennt liegen.

 

Normenkette

BewG 1965/1974 § 93; BewG 1965/1974 § 75 Abs. 5

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eigentümer einer Eigentumswohnung, die im zweiten Obergeschoß eines aus Eigentumswohnungen bestehenden Gebäudes liegt, und die eine Wohnfläche von 56,50 qm hat. Das Wohnungseigentum besteht aus dem Sondereigentum an der Wohnung und einem Miteigentumsanteil von 65/1000 an dem gemeinschaftlichen Eigentum. Zu dem gemeinschaftlichen Eigentum gehören ein Laden und eine Gastwirtschaft im Erdgeschoß mit einer Nutzfläche von zusammen 157 qm.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte für dieses Wohnungseigentum zum 1. Januar 1964 einen Einheitswert von 22 800 DM und die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück fest. Dieser Feststellungsbescheid wurde unanfechtbar.

Die Kläger beantragten, zum 1. Januar 1974 eine Artfortschreibung durchzuführen und die Grundstücksart Einfamilienhaus festzustellen, weil der Anteil der gewerblichen Miete unter 20 v. H. der Gesamtmiete liege. Das FA lehnte diesen Antrag ab.

Der Einspruch war erfolglos.

Auf die Klage hat das Finanzgericht (FG) das FA verpflichtet, für das Wohnungseigentum der Kläger die Grundstücksart Einfamilienhaus festzustellen.

Die Revision des FA rügt, das FG habe § 93 i. V. m. § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG) unrichtig angewandt. Ein unvoreingenommener Betrachter würde das Gebäude, in dem sich die Eigentumswohnung der Kläger befindet, als Gesamtheit ansehen und es als Wohnhaus mit Laden und Gaststätte, folglich als gemischtgenutzes Grundstück, werten. Das Objekt "Einfamilienhaus" in diesem Gebäude werde von der Verkehrsauffassung gar nicht erkannt, weil es eine gesetzliche Fiktion sei.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 68 Abs. 1 Nr. 3 BewG bildet jedes Wohnungseigentum eine wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens und ist damit ein Grundstück i. S. des Bewertungsgesetzes (vgl. § 70 Abs. 1 BewG). Das Wohnungseigentum ist für sich zu bewerten, d. h. ohne Berücksichtigung der damit im räumlichen Zusammenhang stehenden anderen Eigentumswohnungen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 BewG). § 93 Abs. 1 Satz 2 BewG schreibt vor, daß die Grundstücksart nach der Nutzung des Gebäudeteils zu bestimmen ist, der auf das Wohnungseigentum entfällt. Dieser Gebäudeteil umfaßt das Sondereigentum an der Wohnung und den Miteigentumsanteil an den im gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer stehenden Grundstücksteilen (vgl. § 1 Abs. 1 und 5 des Wohnungseigentumsgesetzes - WEG -).

2. Befindet sich auf einem Grundstück i. S. des Bewertungsrechts nur eine Wohnung, so ist zuerst zu prüfen, ob dieses Grundtsück in die Grundstücksart der Einfamilienhäuser einzuordnen ist. Erst wenn diese Frage zu verneinen ist, kommt die Einordnung in die Grundstücksart der gemischtgenutzten Grundstücke in Betracht (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. Dezember 1973 III R 158/72, BFHE 111, 264, BStBl II 1974, 195).

Nach § 75 Abs. 5 BewG ist ein Einfamilienhaus ein Wohngrundstück, das nur eine Wohnung enthält. Wird dieses Wohngrundstück zu gewerblichen oder öffentlichen Zwecken mitbenutzt, so bewirkt diese Mitbenutzung nur dann eine Änderung der Grundstücksart, wenn dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Dieser Rechtsgrundsatz ist, wie sich aus der vorbehaltslosen Verweisung des § 93 Abs. 1 Satz 2 BewG auf § 75 BewG ergibt, auch für die Artbestimmung einer Eigentumswohnung maßgebend. Dabei stimmt der Senat dem FG zu, daß die Kriterien für die Artbestimmung nur aus der zu bewertenden wirtschaftlichen Einheit entnommen werden können. Die Auffassung des FA, daß die Verhältnisse des Gesamtbauwerks für die Artbestimmung der einzelnen in diesem Bauwerk vorhandenen Eigentumswohnung heranzuziehen sind, verstößt gegen § 2 Abs. 1 Satz 1 BewG.

3. Nach der Rechtsprechung des Senats wird durch Mitbenutzung eines Einfamilienhauses für gewerbliche (freiberufliche) oder öffentliche Zwecke die Eigenart des Einfamilienhauses dann wesentlich beeinträchtigt, wenn die hierfür genutzte Fläche wenigstens die Hälfte der gesamten Wohn- und Nutzfläche erreicht oder, falls diese Fläche geringer ist, wenn die Intensität der Mitbenutzung dem Einfamilienhauscharakter abträglich ist (vgl. Urteil vom 23. September 1977 III R 18/77, BFHE 124, 73, BStBl II 1978, 188). Diese Grundsätze gelten auch für die Artbestimmung von Eigentumswohnungen. Jedoch ist es hier geboten, den Umstand zu berücksichtigen, daß bei Eigentumswohnungen die im Sondereigentum und die im Miteigentum stehenden Flächen meistens räumlich getrennt liegen und trotzdem zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefaßt werden.

Soweit Räume der im Sondereigentum stehenden Wohnung selbst für gewerbliche Zwecke genutzt werden (z. B. ein Raum wird als Agenturbüro oder als Schneiderwerkstätte genutzt), ergeben sich gegenüber Einfamilienhäusern im natürlichen Sinn des Begriffs keine Besonderheiten. Werden dagegen nur (oder auch) zur wirtschaftlichen Einheit des Wohnungseigentums gehörende Nutzflächen des Miteigentums für gewerbliche Zwecke genutzt, so wird nach Auffassung des Senats die Eigenart der Eigentumswohnung als Einfamilienhaus nur dann wesentlich beeinträchtigt, wenn die sich aus dem Sondereigentum und dem Anteil am Miteigentum zusammensetzende (reale und ideelle) Gesamtfläche der wirtschaftlichen Einheit wenigstens zur Hälfte gewerblichen Zwecken dient. Dagegen ist die Intensität der gewerblichen Mitbenutzung des Miteigentumsanteils im Gegensatz zum Einfamilienhaus im natürlichen Sinn dann ohne Bedeutung, wenn die Wohnung und die im Miteigentum stehenden Flächen räumlich getrennt liegen. Auf die Intensität der gewerblichen Mitbenutzung dieser Flächen könnte es nur dann ankommen, wenn die im Sondereigentum stehende Wohnung und die im Miteigentum stehenden gemeinschaftlichen Flächen in räumlichem Zusammenhang stehen und zwischen der Wohnung und den gemeinschaftlichen Flächen ein sachlicher Nutzungszusammenhang gegeben ist (z. B. der Ladeninhaber ist Sondereigentümer der daran anschließenden Wohnung). Denn dann sind Nutzungsverhältnisse gegeben, die mit denen eines Einfamilienhauses im natürlichen Sinn vergleichbar sind, so daß die hierzu ergangene Rechtsprechung des Senats unverändert anwendbar ist.

Im Streitfall liegt die Wohnung der Kläger im zweiten Obergeschoß, die Laden- und Gaststättenräume, an denen die Kläger als Miteigentümer zu 65/1000 beteiligt sind, befinden sich im Erdgeschoß. Die gewerbliche Mitbenutzung des Einfamilienhauses "Wohnungseigentum" beeinträchtigt somit den Wohncharakter der Eigentumswohnung schon aufgrund der räumlichen Entfernung der gewerblich genutzten Flächen der wirtschaftlichen Einheit nicht. Eine Bewertung als gemischtgenutztes Grundstück wegen des Umfangs der gewerblich genutzten Fläche (nach den Feststellungen des FG 18 v. H. der Gesamtfläche) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Entscheidung des FG entspricht damit der Rechtslage.

4. Das FA wendet noch ein, daß nach Abschn. 49 Abs. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Richtlinien zur Bewertung des Grundvermögens eine im Miteigentum der Wohnungseigentümer stehende Wohnung, die nicht als Hausmeisterwohnung genutzt werde, dazu führe, daß die Eigentumswohnungen in die Grundstücksart der Mietwohngrundstücke einzuordnen seien. Hierzu stehe es im Widerspruch, wenn die gewerbliche Mitbenutzung von gemeinschaftlichen Flächen auf die Grundstücksart keinen Einfluß haben sollte.

Der Senat kann in diesem Verfahren nicht darüber entscheiden, ob die vom FA für seinen Rechtsstandpunkt herangezogene Richtlinienanweisung der Rechtslage entspricht. Er kann nur noch einmal darauf hinweisen, daß die Merkmale für die Bestimmung der Grundstücksart aus der zu bewertenden wirtschaftlichen Einheit gewonnen werden müssen. Dieser Ausgangspunkt läßt es fraglich erscheinen, ob ein Wohnungseigentum mit einem Miteigentumsanteil an einer weiteren Wohnung so angesehen werden könnte, daß das Wohnungseigentum mehr als eine Wohnung umfaßt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72992

BStBl II 1979, 130

BFHE 1979, 324

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