Leitsatz (amtlich)

Zu den gemäß § 9 Abs. 3 VO AusfErst EWG vom 24. Januar 1968 (BAnz Nr. 18 vom 26. Januar 1968) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 21. November 1969 (BAnz Nr. 222 vom 29. November 1969) von der Versandzollstelle sinngemäß anzuwendenden Zollvorschriften über die Zollbehandlung gehören auch die Bestimmungen der §§ 16 und 17 ZG über die Zollbeschau und die sich daraus ergebenden Vermutungen.

 

Normenkette

VO AusfErst EWG 1968 § 9 Abs. 3; ZG §§ 16-17

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ im Jahre 1970 mit 22 Kontrollexemplaren zur Ausfuhr nach Ungarn bestimmtes Fleisch von Hausrindern als frisches Fleisch in der Form von quartiers compensés der Tarifst. 02.01 A II a 1 bb 11 beim Zollamt (ZA X zum Versand abfertigen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt – HZA –) gewährte der Klägerin auf Grund der Verordnung (EWG) Nr. 1712/70 der Kommission vom 21. August 1970 – VO Nr. 1712/70 – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 188/13 vom 22. August 1970), VO Nr. 1912/70 der Kommission vom 23. September 1970 (ABlEG Nr. L 211/8 vom 24. September 1970), VO Nr. 2068/70 der Kommission vom 15. Oktober 1970 (ABlEG Nr. L 229/25 vom 16. Oktober 1970) und VO Nr. 2100/70 der Kommission vom 20. Oktober 1970 (ABlEG Nr. L 232/16 vom 21. Oktober 1970) durch sieben Bescheide vom Oktober und November 1970 antragsgemäß Ausfuhrerstattungen. Im Jahre 1971 führte eine Betriebsprüfung zu dem Ergebnis, daß es sich bei der ausgeführten Ware nicht um Irisches, sondern um gefrorenes oder wiederaufgetautes Fleisch gehandelt habe. Daraufhin forderte das HZA durch Bescheid vom 4. September 1972 die Ausfuhrerstattung für 2096 Rinderviertel zurück. In der ablehnenden Entscheidung über den hiergegen erhobenen Einspruch führte es aus, die Klägerin habe nach den Verwertungsmeldungen ihrer Filiale in X insgesamt 2 140 Rinderviertel dem Kühlhaus entnommen und als quartiers compensès nach Ungarn exportiert.

Die sodann erhobene Klage hatte nur in Höhe eines Teilbetrages Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus:

Für gefrorene oder wiederaufgetaute Rinderviertel habe es im streitigen Zeitraum für die Ausfuhr nach Drittländern keine Erstattung gegeben. Seit dem Inkrafttreten der VO Nr. 1523/70 der Kommission vom 29. Juli 1970 (ABlEG Nr. L 167/28 vom 30. Juli 1970) am 4. August 1970 habe wiederaufgetautes Fleisch erstattungsrechtlich nicht mehr als frisches oder gekühltes Fleisch behandelt werden können.

Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß 1 828 der ausgeführten 2 096 Vorder- und Hinterviertel gefroren oder aufgetaut gewesen seien. Im Zeitraum vom 21. September bis 22. November 1970 seien nach eigener Darstellung der Klägerin 2 238 gefrorene Vorder- und Hinterviertel aus dem Kühlhaus ausgelagert und ihrem Filialbetrieb zugeführt worden. Die Auslagerungszahlen stimmten mit den Feststellungen der Betriebsprüfer überein. Für die laut Betriebsprüfungsbericht in der Zeit vom 25. September bis 20. November 1970 vorgenommenen Auslagerungen von insgesamt 1 828 Rindervierteln habe sich ergeben, daß diese Menge nach Ungarn geliefert worden sei. Der Umstand, daß bei der überwiegend stichprobenweisen Beschau der Ware frische Rinderviertel festgestellt worden seien, spreche nicht gegen die hier getroffenen Feststellungen. Da jeweils auch frische Viertel in den Waggons vorhanden gewesen seien, könnten die gefrorenen oder aufgetauten Viertel bei der Beschau übersehen worden sein.

Die gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 des Zollgesetzes (ZG) ausgelöste Beschaffenheitsvermutung sei demzufolge durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt worden.

Für die vom 19. bis 25. Oktober 1970 aus dem Kühlhaus ausgelagerten 312 Rinder viertel habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, daß sie Gegenstand der Ausfuhrsendungen vom 23. Oktober 1970 geworden seien. Der Rückforderungsbescheid sei ohnehin nur noch von 268 gefrorenen Vorder- und Hintervierteln ausgegangen. Aber auch insoweit fehle es an dem unabhängig von den Exportlieferscheinen festgestellten Auslagerungsgewicht der Gefrierpartie. Die Betriebsprüfer hätten dieses Gewicht – wie der Zeuge A bekundet habe – nicht den wöchentlichen Verwertungsmeldungen entnehmen können, sondern hätten es mit Hilfe der Stückzahl 312 aus den Exportlieferscheinen festgestellt. Diese Art der Ermittlung des Gesamtgewichts der 312 Viertel enthalte Irrtumsmöglichkeiten und führe nicht zu einer genügenden Identifizierung der Auslagerungspartie mit Teilpartien in mehreren Ausfuhrsendungen. Für diese Identifizierung sei es unerläßlich, daß zwei Merkmale gegeben seien, die die Auslagerungspartie direkt kennzeichneten. Das sei in den anderen Fällen mit der Anzahl der Viertel und dem Gesamtgewicht der Fall gewesen. Beide Merkmale hätten sich nämlich aus den wöchentlichen Verwertungsmeldungen der Klägerin ergeben. Es stehe auch nicht fest, daß sich stets die ersten Zeilen der Exportlieferscheine auf die gefrorenen Viertel bezogen hätten, wovon die Prüfer jedoch ausgegangen seien.

Da es sich beim Rückforderungsbescheid um die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts handele, müsse das HZA beweisen, daß die Voraussetzungen für die Rücknahme vorlägen. Somit sei der Rückforderungsbescheid insoweit aufzuheben, als er die Ausfuhr von 268 Vorder- und Hintervierteln betreffe.

Gegen diese teilweise Aufhebung des Rückforderungsbescheides richtet sich die Revision des HZA, mit der es geltend macht:

Hinsichtlich der vier Ausfuhrsendungen vom 23. Oktober 1970 meine das FG zu Unrecht, es sei nicht nachgewiesen, daß auch in diesen zum Teil gefrorene oder wiederaufgetaute Rinderviertel enthalten gewesen seien. Die Klägerin habe für 268 der ausgelagerten 312 gefrorenen Viertel weder erklären noch nachweisen können, wo sie geblieben seien. Sie habe im Vorverfahren allgemein eingeräumt, daß aufgetaute Partien ausgeführt worden sein könnten. In diesen vier Ausfuhrfällen liege wie auch in den 18 Parallelfällen eine völlige Übereinstimmung zwischen Auslagerung und Versandabfertigung vor. Das FG habe in den 18 Parallelfällen bei seiner Beweiswürdigung eine Reihe bestimmter Umstände für wesentlich gehalten und auf Grund dieses Ergebnisses habe es festgestellt, daß gefrorene bzw. aufgetaute Viertel in der vom Betriebsprüfungsdienst ermittelten Größenordnung ausgeführt worden seien. Diese Umstände lägen auch bei den vier umstrittenen Ausfuhrsendungen vor. Es verstoße gegen die Denkgesetze und anerkannte Erfahrungssätze, daß das FG hier diese Umstände bei seiner Beweiswürdigung unterschiedlich bewerte. Es handele sich nämlich um Parallelpartien eines kurzen, abgrenzbaren Zeitraums.

Selbst wenn man mit dem FG als nicht nachgewiesen ansehe, daß in den vier umstrittenen Fällen 268 gefrorene bzw. aufgetaute Vorder- und Hinterviertel enthalten gewesen seien, erscheine sein Urteil rechtsfehlsam.

§ 7 Abs. 1 VO AusfErst EWG 1968 vom 24. Januar 1968 (BAnz. Nr. 18 vom 26. Januar 1968, BZBl 1968, 917) bestimme, daß der Antragsteller die Voraussetzungen für den Erstattungsanspruch darzulegen und die notwendigen Beweise zu erbringen habe. Diese Nachweispflicht des Antragstellers gelte nicht nur für den Zeitraum bis zur Gewährung der Erstattung, sondern auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – zu Unrecht gewährte Erstattungen zurückzufordern seien. Auch das Gemeinschaftsrecht sehe vor, daß der Ausführer für die von ihm behaupteten Tatsachen nachweispflichtig sei (z. B. Art. 3 VO Nr. 1041/67 der Kommission vom 21. Dezember 1967, ABlEG 314,9 vom 23. Dezember 1967, Art. 6 VO Nr. 885/68 des Rates vom 28. Juni 1968, ABlEG Nr. L 156,2 vom 4. Juli 1968). Aus dem Wesen der Erstattung als einer Leistungsgewährung ergebe sich, daß derjenige, der sie in Anspruch nehmen wolle, ihre Voraussetzungen auch nachweisen müsse. Diese Nachweispflicht entfalte im EWG-Erstattungsrecht auch im Rahmen einer Rückforderung ihre volle Wirkung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat ohne Rechtsverstoß der gegen den Bescheid des HZA vom 4. September 1972 erhobenen Klage insoweit stattgegeben, als das HZA durch diesen Bescheid für 268 am 23. Oktober 1970 nach Ungarn ausgeführte Rinderviertel die zunächst gewährten Erstattungen zurückgefordert hat. Die Rechtmäßigkeit der Zurücknahme der früheren Erstattungsbescheide nach § 12 VO AusfErst EWG 1968 hing davon ab, ob „die Voraussetzungen für die Gewährung der Erstattung nicht vorgelegen haben” und ob ihr etwa die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstanden (vgl. BFH-Urteil vom 10. Mai 1977 VII R 118/75, BFHE 123, 240). Die Gewährung der Erstattung für die ausgeführten Rinderviertel setzte voraus, daß es sich um frisches Fleisch, nicht aber um gefrorenes oder wiederaufgetautes Fleisch handelte (vgl. VO Nr. 1523/70).

Das FG war nach § 76 Abs. 1 FGO verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt bezüglich der Frage zu erforschen, ob das von der Klägerin ausgeführte Fleisch frisch oder ob es gefroren bzw. aufgetaut war; dabei hatte es die Beteiligten heranzuziehen. Hierbei ist das FG von der zutreffenden Auffassung ausgegangen, daß das ZA bei der Abfertigung des Fleisches zum Versand gemäß § 9 Abs. 3 VO AusfErst EWG 1968 die Zollvorschriften über die Erfassung des Warenverkehrs und die Zollbehandlung sinngemäß anzuwenden hatte und daß zu diesen Zollvorschriften die Bestimmungen der §§ 16 und 17 ZG über die Zollbeschau und die mit ihr zusammenhängenden Vermutungen gehören. Es hat festgestellt, daß bei stichprobenweiser Beschau des Fleisches frische Rinderviertel ermittelt worden sind und die Beschaffenheitsvermutung des § 17 Abs. 1 Satz 2 ZG ausgelöst, also die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift erfüllt worden sind. Es wurde also auf Grund des Ergebnisses der Stichproben gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 ZG vermutet, daß es sich auch bei dem nicht geprüften Teil der Ware um frische Rinderviertel handelte.

Diese widerlegbare Vermutung enthob indessen nicht das FG seiner Pflicht, von Amts wegen der dem Rückforderungsbescheid zugrunde gelegten Behauptung des HZA nachzugehen, die in der Zeit vom 25. September bis zum 20. November 1970 von der Klägerin nach Ungarn ausgeführten 22 Sendungen Rinderviertel hätten 2 096 gefrorene oder aufgetaute Viertel enthalten, die aus dem Kühlhaus entnommen worden seien. Aufzuklären war, inwieweit die aus dem Kühlhaus entnommenen Rinderviertel Bestandteile der Ausfuhrsendungen geworden sind. Bei dieser Identitätsprüfung hat das FG abgestellt auf die Stückzahl, die Gewichte, das Auslagerungs- bzw. Ausfuhrdatum und auf die Möglichkeit eines sonstigen Verbleibs der Ware.

Bezüglich der Stückzahl, Gewichte und Auslagerungsdaten hat das FG die dem Rückforderungsbescheid zugrunde gelegten Feststellungen des Betriebsprüfungsberichts mit dem Ziel nachgeprüft, sie mit dem Inhalt der Exportlieferscheine zu vergleichen. Dabei ergab sich durch die Vernehmung des Zeugen A, daß die entsprechenden Feststellungen in den Anlagen zum Betriebsprüfungsbericht aus den wöchentlichen Verwertungsmeldungen stammten, jedoch die Gewichtsfeststellung für die vom 19. bis 25. Oktober 1970 ausgelagerten 312 Viertel in Anlagen zum Betriebsprüfungsbericht mit Hilfe der Stückzahl 312 den Exportlieferscheinen entnommen worden waren.

Das FG hat § 96 Abs. 1 FGO nicht verletzt.

Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Bei der ihm danach obliegenden freien Beweiswürdigung muß das Gericht sich im Rahmen der Denkgesetze und der anerkannten Erfahrungssätze halten. Das FG hat dagegen nicht dadurch verstoßen, daß es die Identität der ausgelagerten Viertel mit Teilen der Ausfuhrsendungen in den noch umstrittenen vier Ausfuhrfällen verneint, in den übrigen 18 Fällen aber bejaht hat. Eine unterschiedliche Beurteilung der beiden Fallgruppen war durch die Tatsache gerechtfertigt, daß die Prüfer in den 18 Fällen die Gewichte der ausgelagerten Viertel den Verwertungsmeldungen der Klägerin entnommen hatten, in den vier noch streitigen Fällen jedoch anhand der ausgelagerten Stückzahl von 312 aus den Exportlieferscheinen festgestellt hatten. Das FG konnte auf Grund dieser an den Exportpartien orientierten Feststellung des Gewichts der ausgelagerten 312 Viertel zu der Überzeugung kommen, daß wegen der bei dieser Art der Gewichtsermittlung bestehenden Irrtumsmöglichkeiten es an einer genügenden Identifizierung der ausgelagerten Viertel mit den ausgeführten fehle. Es liegen keine Parallelfälle in dem Sinne vor, daß alle für ihre Beurteilung maßgeblichen Umstände gleich gewesen wären. Das FG hat pflichtgemäß jeden einzelnen Fall geprüft und konnte bei den vier noch strittigen Fällen wegen der vom Zeugen A bekundeten Besonderheit hinsichtlich des Gewichts der ausgelagerten 312 Viertel zu einem anderen Ergebnis in der Frage der Identität mit der ausgeführten Ware kommen als bei den übrigen 18 Fällen. Es hat die bloße Möglichkeit einer solchen Identität mit Recht nicht als ausreichend angesehen, sondern gefordert, daß sie wie in den 18 übrigen Fällen auf eine von den Exportlieferscheinen unabhängige Feststellung sowohl der Menge als auch des Gesamtgewichts der ausgelagerten Ware gestützt werden kann.

Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß das HZA den Nachteil tragen muß, der sich daraus ergibt, daß nicht geklärt werden konnte, ob 268 der 312 aus dem Kühlhaus ausgelagerten Viertel Gegenstand der Ausfuhren geworden sind. Das ergibt sich aus der nach dem Ergebnis der stichprobenweisen Beschau gemäß § 9 Abs. 3 VO AusfErst EWG 1968 i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 2 ZG eingetretenen Vermutung, daß frische Rinderviertel ausgeführt worden sind. Mit der dem angefochtenen Widerrufsbescheid zugrunde gelegten Behauptung, es seien gefrorene Rinderviertel ausgeführt worden, hätte das HZA nur durchdringen können, wenn die Vermutung durch das Ergebnis der gerichtlichen Aufklärung des Sachverhalts widerlegt worden wäre. Das war aber bei den noch strittigen, 268 Viertel umfassenden vier Ausfuhren nicht der Fall.

Soweit das HZA sich darauf beruft, daß nach § 7 Abs. 1 VO AusfErst EWG 1968 der Antragsteller die Voraussetzungen für den Erstattungsanspruch darzulegen und die notwendigen Bescheide zu erbringen habe, und meint, diese Pflicht treffe den Antragsteller auch dann, wenn die ihm gewährte Erstattung zurückgefordert werde, übersieht es die auf § 9 Abs. 3 VO AusfErst EWG 1968 und § 17 Abs. 1 Satz 2 ZG beruhende Vermutungswirkung der durch die Versandzollstelle vorgenommenen stichprobenweisen Zollbeschau.

 

Fundstellen

BFHE 1979, 336

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