Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Kinderermäßigung nach § 32 Abs. 2 Ziff. 3 Buchst. b EStG 1961 für ein eheliches Stiefkind kann dem Stiefvater nur gewährt werden, solange die Ehe mit der leiblichen Mutter des Stiefkinds besteht. Der Senat tritt der entgegenstehenden Rechtsauffassung der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 398/54 U vom 24. November 1955 (BStBl 1956 III S. 16, Slg. Bd. 62 S. 41) nicht bei.

 

Normenkette

EStG § 32/2/1, § 32/2/3/b, § 33a

 

Tatbestand

Der Bg. war von 1951 bis 1958 mit einer Frau verheiratet, die einen im Jahre 1947 geborenen Sohn aus ihrer früheren Ehe in die Ehe mit dem Bg. mitgebracht hatte. Diese Ehe des Bg. wurde im Jahre 1958 geschieden. Der Bg. kommt seither für seinen Stiefsohn nicht mehr auf, der auch nicht in seinem Haushalt lebt. Der Bg. verheiratete sich im Jahre 1959 erneut.

Das Finanzamt versagte dem Bg. bei der Lohnsteuer für 1963 den beantragten Kinderfreibetrag für seinen Stiefsohn.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt und sprach dem Bg. den Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 2 Ziff. 3 Buchst. b EStG 1961/63 zu, weil der Sohn auch nach der Scheidung der Ehe noch der Stiefsohn des Bg. geblieben sei. Es stützte seine Rechtsansicht vor allem auch auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 398/54 U vom 24. November 1955 (BStBl 1956 III S. 16, Slg. Bd. 62 S. 41). Es führte aus, es sei rechtlich ohne Bedeutung, ob, wie in dem Fall der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 398/54 U a. a. O. die Stiefkindschaft begründende Ehe durch Tod des Ehegatten oder - wie im Streitfall - durch Scheidung aufgelöst werde; denn nach § 1590 Abs. 2 BGB dauere die Schwägerschaft fort, auch wenn die Ehe, durch die sie begründet worden sei, aufgelöst werde.

Der Vorsteher des Finanzamts rügt mit der Rb. unrichtige Anwendung von § 32 Abs. 2 Ziff. 3 Buchst. b EStG 1961/63 und führte aus, ein Stiefvater könne nach der Scheidung Kinderermäßigung für sein Stiefkind nicht mehr beanspruchen. Werde eine Ehe durch Tod aufgelöst, so wirkten zwar die Familienbande noch über den Tod des Ehegatten hinaus fort und begründeten eine sittliche Verpflichtung für den Stiefvater, für den Unterhalt des Sohnes seiner verstorbenen Frau (seines Stiefsohnes) zu sorgen. Bei einer Ehescheidung würden aber die Familienbande gewollt beendet. Der Stiefvater habe in einem solchen Falle keine sittliche Pflicht, das Stiefkind weiter zu unterhalten. Schwägerschaft allein begründe bürgerlich-rechtlich kein Kindschaftsverhältnis, sondern habe im wesentlichen nur die rechtliche Bedeutung eines Ehehindernisses. Wenn das Familienband durch Scheidung der Ehe aufgelöst werde, könne man nicht mehr von einer Stiefkindschaft sprechen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.

Nach § 32 Abs. 2 Ziff. 3 Buchst. b EStG 1961/63 stehen einem Steuerpflichtigen Kinderfreibeträge für "eheliche Stiefkinder" zu. Das bürgerliche Recht kennt den Begriff des "ehelichen Stiefkindes" nicht. Der nur dem Steuerrecht angehörende Begriff "eheliches Stiefkind" muß darum nach Sinn und Zweck des Steuergesetzes ausgelegt werden. Es ist zwar im allgemeinen nicht mehr Voraussetzung für die Gewährung eines Kinderfreibetrags, daß der Steuerpflichtige auch tatsächlich den Unterhalt für das Kind trägt. Der Steuergesetzgeber geht aber doch wohl davon aus, daß kraft des bestehenden Familienbandes der Steuerpflichtige, dem der Kinderfreibetrag gewährt wird, in aller Regel auch tatsächlich den Unterhalt leistet. Dabei nimmt er im Interesse der Vereinfachung der Steuererhebung und um nicht allzusehr in die Familienverhältnisse eindringen zu müssen, allerdings in Kauf, daß in Ausnahmefällen einem Steuerpflichtigen ein Kinderfreibetrag gewährt wird, der seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt oder bei entsprechenden Vermögens- oder Einkommensverhältnissen des Kindes dem Kind keinen Unterhalt zu leisten braucht; es können sogar Kinderfreibeträge für dasselbe Kind doppelt gewährt werden. Ein Stiefvater trägt, solange die Ehe mit der Mutter besteht, für deren Sohn (sein Stiefkind) in aller Regel tatsächlich den Unterhalt, wenngleich bürgerlich-rechtlich eine Unterhaltspflicht des Stiefvaters für sein Stiefkind nicht besteht. Bei gemeinsamer Haushaltsführung kann und wird oft sogar eine stillschweigende Vereinbarung zwischen den Eheleuten anzunehmen sein, daß der Ehemann für das Stiefkind aufzukommen hat (Palandt, Kommentar zum BGB, 22. Aufl., Anm. 1 zu § 1360 a). Ist indessen das zwischen den Eheleuten bestehende und in der Regel den Unterhalt des Stiefkindes sichernde Familienband der Ehe fortgefallen, so fehlt ein wesentliches Merkmal, das den Gesetzgeber bestimmte, bei Kindschaftsverhältnissen normalerweise von der Nachprüfung abzusehen, ob auch tatsächlich Unterhalt gewährt worden ist. Als "eheliches Stiefkind" im Sinne des § 32 Abs. 2 Ziff. 3 Buchst. b EStG 1961/63 kann man bei sinngerechter Auslegung des Gesetzes darum nur solche Stiefkinder ansehen, die durch das bestehende Eheband zwischen den Eheleuten (ihren "Eltern") dem Stiefvater auch tatsächlich eng verbunden sind. Es kann nach Auffassung des Senats nicht im Sinne des Gesetzes liegen, einem Stiefvater nach vielleicht nur kurzer Ehe noch für lange Jahre Kinderfreibeträge für Kinder seiner geschiedenen oder verstorbenen Frau zu gewähren, auch wenn er sich um diese Kinder nicht kümmert, nur weil er die Kinder als seine "Stiefkinder" bezeichnet.

Das bedeutet allerdings nicht, daß einem Stiefvater, der nach der Auflösung der die Stiefkindschaft begründenden Ehe weiterhin für sein Stiefkind sorgt, überhaupt keine Steuerermäßigung gewährt werden könnte. Sorgt nämlich ein solcher Stiefvater weiter für sein Stiefkind, so werden dadurch oft die Voraussetzungen für eine Pflegekindschaft im Sinne von § 32 Abs. 2 Ziff. 3 Buchst. f EStG erfüllt. Ist das nicht der Fall, so kann § 33 a Abs. 1 und 2 EStG 1961/63 anwendbar sein. Denn - entgegen der Meinung des Finanzamts - kann sich aus der früheren Ehe mit der Mutter des Kindes durchaus eine sittliche Pflicht des Stiefvaters zur weiteren Unterstützung seines Stiefkindes ergeben. So kommen z. B. Stiefväter oft für ihre Stiefkinder auf, auch nachdem ihre Ehe durch den Tod ihrer Ehefrauen, der Mutter der Kinder, gelöst ist. In solchen Fällen werden die Stiefkinder oft als "Pflegekinder" ihres Stiefvaters anzusehen sein. Sollte das indessen im Einzelfall nicht möglich sein, so besteht kein vernünftiger Grund dem Stiefvater die Steuerfreiheit nach § 33 a Abs. 1 und 2 EStG zu versagen.

Der erkennende VI. Senat der nunmehr nach der Geschäftsverteilung des Bundesfinanzhofs für dieses Sachgebiet zuständig ist, tritt der Entscheidung IV 398/54 U a. a. O., soweit sie mit den obigen Grundsätzen nicht vereinbar ist, nicht bei.

Die Vorentscheidung, die auf anderer Rechtsauslegung beruht, war daher wegen unrichtiger Anwendung von § 32 EStG aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Sprungberufung war als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410915

BStBl III 1963, 488

BFHE 1964, 460

BFHE 77, 460

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