Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung rechtlichen Gehörs

 

Leitsatz (NV)

Konnte der Kläger aufgrund des Verlaufs der mündlichen Verhandlung und des Verhaltens des Beklagtenvertreters (Umstellung des Klageabweisungsantrags) nicht damit rechnen, daß Unterhaltsleistungen nur für eine statt - wie beantragt - für mehrere Personen berücksichtigt würden, so liegt darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

 

Normenkette

FGO § 119 Nr. 3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte in seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1988 u.a. Unterhaltszahlungen in Höhe von 17500 DM für seinen in der Türkei lebenden Vater sowie weitere - nicht näher benannte - Angehörige als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Er legte dazu im Laufe der sich anschließenden Erörterungen mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) folgende Unterlagen vor:

- Unterhaltsbescheinigungen vom 12. Februar 1988 für seinen Vater und seine beiden Schwägerinnen, nach denen keine der unterstützten Personen über eigenes Einkommen oder Vermögen verfügt;

- Belege über die Einzahlung von 10000 DM bei der Post an die Bank X in Ankara und von 1500 DM bei der Türk. Y-Bank;

- eine Erklärung des Vaters des Klägers vom 10. Juli 1988 über den Empfang von Bargeld in Höhe von 6000 DM durch den Boten A;

- eine Kopie des Reisepasses von A, mit Ein- und Ausreisedatum/Türkei sowie

- einen Auszug aus dem Register des Standesamtes C/Türkei (nebst deutscher Übersetzung) betreffend den Kläger und seine Angehörigen.

Das FA lehnte die Berücksichtigung der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastung mit der Begründung ab, die vorgelegten Unterlagen reichten weder als Nachweis für die Bedürftigkeit der Angehörigen noch als Nachweis für den Geldempfang aus.

Der Einspruch blieb erfolglos.

Während des Klageverfahrens beantragte der Kläger, den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 8. Oktober 1991 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Das FA schränkte seinen ursprünglichen Klageabweisungsantrag in der mündlichen Verhandlung dahin ein, daß es die Abweisung nur noch für den über 6000 DM hinausgehenden Betrag begehrte.

Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah hinsichtlich der Unterstützung des Vaters die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung nach § 33a Abs. 1 EStG als nachgewiesen an und ließ unter Hinweis auf die sog. Ländergruppeneinteilung (Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 17. August 1987 IV B 6 S 2365 - 49/87, BStBl I 1987, 620) den Abzug von 2/3 des höchstmöglichen Abzugsbetrages von 4500 DM, nämlich 3000 DM, als außergewöhnliche Belastung zum Abzug zu. Es führte zur Begründung u.a. aus, der Kläger habe die Unterhaltsbedürftigkeit des Vaters durch eine amtliche Bescheinigung der Heimatbehörde belegt, deren Richtigkeit vom FA nicht in Frage gestellt werde. Der Kläger habe auch nachgewiesen, daß der im Januar 1988 bei der Post auf ein Konto der Bank X eingezahlte Betrag von 10000 DM an den Vater gelangt sei. Zwar sei auf der Rückseite des Posteinlieferungsscheins als Begünstigter eine namentlich andere Person als der Vater bezeichnet. Den Vorhalt, es fehle der erforderliche Nachweis, daß dieses Geld an den Vater als Letztempfänger gelangt sei, habe der Kläger jedoch durch Vorlage einer Empfangsbestätigung des Vaters vom 27. Januar 1988 ausgeräumt. Diese Bestätigung sei unterschriftlich identisch mit der auf dem gleichen Vordruck abgegebenen Erklärung des Vaters vom 10. Juli 1988 betr. die Inempfangnahme von (weiterem) Bargeld in Höhe von 6000 DM.

Unterhaltsfreibeträge für weitere unterstützte Angehörige in der Türkei seien dem Kläger jedoch nicht zu gewähren. Zwar habe der Kläger amtliche (türkische) Unterhaltsbescheinigungen für zwei Schwägerinnen vorgelegt, doch keinerlei Nachweise darüber geführt, daß diese beiden Personen auch Unterstützungsleistungen von ihm erhalten hätten. Hierüber gebe es weder Bankbelege noch sonstige geeignete Nachweise. Bei dieser den Kläger betreffenden Beweissituation könne seiner Klage hinsichtlich weiterer Unterhaltszahlungen nicht entsprochen werden.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Versagung rechtlichen Gehörs, mangelnde Sachverhaltsaufklärung sowie die Verletzung materiellen Rechts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Kläger rügt zu Recht die Verletzung rechtlichen Gehörs. Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) gewährleistet den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, sich zu Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 11. Oktober 1978 2 BvR 214/76, BVerfGE 49, 325). Dem Kläger ist im Verfahren vor dem FG dieses Recht versagt worden, denn er hatte vor Ergehen der Entscheidung keine Gelegenheit, sich zu der für das FG erheblichen Tatsache zu äußern, daß Unterstützungszahlungen für weitere unterstützte Personen nicht nachgewiesen worden seien. Vor allem aufgrund des Verlaufes der mündlichen Verhandlung und des Verhaltens des FA-Vertreters (Umstellung des Klageabweisungsantrages und Anerkennen von 6000 DM als außergewöhnliche Belastung) mußte der Kläger davon ausgehen, daß nur noch der Nachweis der Zahlung an den Vater umstritten war, nicht aber die Weiterleitung von Teilbeträgen an weitere zusammen mit ihm im gleichen Haushalt lebende Angehörige, zumindest an die beiden Schwägerinnen, für deren Bedürftigkeit amtliche Bescheinigungen vorlagen. Er konnte vor allem nicht damit rechnen, daß nur die Unterstützungsleistungen für eine Person als außergewöhnliche Belastung Berücksichtigung finden werde. Unter den gegebenen Umständen liegt hierin eine das Recht auf Gehör verletzende Überraschungsentscheidung des FG.

Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist ein Revisionsgrund, der regelmäßig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt, weil nach § 119 Nr. 3 FGO unwiderleglich vermutet wird, daß das Urteil des FG auf dem gerügten Fehler beruht. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn es auf das Vorbringen des Revisionsklägers unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen kann (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. November 1989 I R 14/88, BFHE 159, 112, BStBl II 1990, 386; vom 11. April 1990 I R 80/89, BFH/NV 1991, 440).

Eine solche Ausnahme ist im Streitfall nicht gegeben. Für die materiell-rechtliche Entscheidung kann es u.a. darauf ankommen, daß ein Nachweis über die Inempfangnahme von Bargeld durch alle dann nicht erforderlich ist, wenn - wie nach dem Vortrag des Klägers auch im Streitfall - die unterstützten Personen in einem gemeinsamen Haushalt leben, die Unterstützungsleistungen aber nur an den Haushaltsvorstand geleistet worden sind (vgl. dazu BMF-Schreiben vom 5. Juni 1989 IV B 6 - S 2352 - 15/89, BStBl I 1989, 181). Feststellungen dazu, ob im Streitfall von derartigen Gegebenheiten auszugehen ist, hat das FG nicht getroffen.

Die Versagung des rechtlichen Gehörs stellt einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 119 Nr. 3 FGO). Das angefochtene Urteil war deshalb, ohne daß es eines Eingehens auf die weiteren Verfahrensrügen und auf die materiellen Rechtsfragen bedurfte, aufzuheben und die Sache war an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 557

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