Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Auslegung eines Revisionsantrags; zur Geltendmachung einer pauschalen Lohnsteuerschuld

 

Leitsatz (NV)

1. Auch wenn der Revisionskläger wörtlich einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids stellt, kann die Auslegung des Antrags ergeben, daß es ihm in Wirklichkeit um die ersatzlose Aufhebung der Vorentscheidung und des Haftungsbescheids geht.

2. Eine pauschale Lohnsteuerschuld kann nicht durch Haftungsbescheid geltend gemacht werden.

 

Normenkette

EStG 1975 § 40a Abs. 1, § 42d; FGO § 120 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Landwirt. In den Streitjahren 1973 bis 1976 beschäftigte er mehrere Aushilfskräfte. Die an diese Aushilfskräfte gezahlten Löhne unterwarf der Kläger einem pauschalen Steuersatz in Höhe von 2 v.H. Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, die Aushilfslöhne seien mit 10 v.H. zu versteuern. Zwar könne eine Beschäftigung in geringem Umfang und gegen geringen Arbeitslohn bejaht werden; es fehle aber an einer Beschäftigung von Fall zu Fall für eine im voraus bestimmte Arbeit von vorübergehender Dauer. Im Hinblick hierauf bat der Kläger, die Lohnsteuer mit dem Pauschalsteuersatz in Höhe von 10 v.H. zu erheben.

Unter Beifügung der Bemerkungen des Lohnsteuer-Außenprüfers erließ das FA einen als Haftungsbescheid überschriebenen Bescheid vom 7. Juli 1976 und forderte vom Kläger . . . Lohnsteuer mit der Bemerkung an, daß der Kläger für diesen Betrag nach § 42 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) hafte.

Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage machte der Kläger geltend, der Haftungsbescheid sei nichtig, da die Lohnsteuer durch Steuerbescheid hätte nachgefordert werden müssen. Zur materiellen Rechtslage vertrat er die Auffassung, die Voraussetzungen für die Anwendung des Steuersatzes in Höhe von 2 v.H. seien gegeben.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Dem Kläger sei zwar zuzugeben, daß der Nachforderungsbetrag durch Steuerbescheid und nicht durch einen Haftungsbescheid hätte geltend gemacht werden müssen. Der angefochtene Haftungsbescheid lasse sich aber entweder im Wege der Auslegung oder durch Umdeutung als Steuerbescheid aufrechterhalten. Bestehe der maßgebliche Inhalt von Bescheiden aus der Bezeichnung der angeforderten Steuer nach Art, Zeitraum und Betrag sowie aus der Benennung des betroffenen Steuerpflichtigen, so nehme der Haftungsbescheid des FA den Kläger trotz der unrichtigen Überschrift und der unzutreffenden Begründung in Wirklichkeit als Schuldner der pauschalen Lohnsteuer und nicht als Haftenden in Anspruch. Dies könne im Streitfall dem Hinweis auf die Prüfungsbemerkungen in Verbindung mit der alternativen Bezugnahme auf Einbehaltung und Übernahme der Lohnsteuer mit ausreichender Bestimmtheit entnommen werden. Gehe man dagegen davon aus, daß sich der Inhalt des Bescheides auch auf die Kennzeichnung der zugrundeliegenden Steuerpflichtverhältnisse (z.B. Schuld oder Haftung) beziehe, so sei der Haftungsbescheid des FA fehlerhaft, da er durch Überschrift und Begründung in Verbindung mit dem alternativen Hinweis auf Einbehaltung und Übernahme der Lohnsteuer den Kläger zu Unrecht als Haftungsschuldner in Anspruch nehme. Der bei dieser Auffassung fehlerhafte Haftungsbescheid könne aber in einen fehlerfreien Steuerbescheid umgedeutet werden; denn Steuerbescheid und Haftungsbescheid seien auf das gleiche Ziel, die Nachzahlung von Lohnsteuer, gerichtet. Auch die Rechtsfolgen des Steuerbescheides seien für den Kläger nicht ungünstiger als die des Haftungsbescheides. Einwendungen aus den persönlichen Verhältnissen der Aushilfskräfte gingen praktisch nicht verloren. Unterschiede in den Anforderungen an den Inhalt der Bescheide und in den Voraussetzungen für ihre Berichtigung könnten außer Betracht bleiben. In der Sache sei der angefochtene Bescheid gerechtfertigt, da der Kläger nach den bis Ende 1974 geltenden maßgeblichen Verwaltungsvorschriften im Zusammenhang mit § 42 a EStG vor 1975 und den anschließend geltenden Rechtsvorschriften (§ 40 a EStG 1975) eine Pauschalierung in Höhe von 2 v.H. der Aushilfslöhne nicht hätte durchführen dürfen.

Mit seiner - vom FG zugelassenen - Revision beantragte der Kläger, die Nichtigkeit des Haftungsbescheides festzustellen bzw. hilfsweise, den Haftungsbescheid aufzuheben. Er ist der Auffassung, der Bescheid könne nicht dahin ausgelegt werden, daß mit ihm eine Steuerschuld geltend gemacht werde. Der Bescheid sei eindeutig als Haftungsbescheid erlassen worden, wie sich insbesondere aus dem Hinweis auf § 42 d EStG ergebe. Eine Umdeutung des Haftungsbescheides in einen Steuerbescheid sei nicht zulässig. In der Sache habe das FG zu Unrecht eine Beschäftigung von Fall zu Fall verneint. Denn einer Beschäftigung von Fall zu Fall stehe nicht entgegen, wenn Aushilfskräfte zwar regelmäßig wiederkehrend, aber jeweils - wie im Streitfall - aufgrund neuer (befristeter) Arbeitsverträge tätig würden.

Das FA beantragt, die Revision abzuweisen. Es ist der Auffassung, die Revision sei unzulässig, weil sich aus dem Revisionsantrag nicht eindeutig ergebe, in welchem Umfang eine Änderung des finanzgerichtlichen Urteils begehrt werde. Der Kläger habe lediglich beantragt, die Nichtigkeit des Haftungsbescheides festzustellen bzw. diesen Haftungsbescheid aufzuheben. Er habe hingegen versäumt, auch formal das finanzgerichtliche Urteil anzugreifen. Werde ein finanzgerichtliches Urteil nicht formal angegriffen, so liege kein bestimmter Antrag i.S. des § 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor. Weiterhin habe der Kläger sich nicht mit dem angegriffenen Urteil auseinandergesetzt. Dazu reiche nicht aus, wenn der Kläger lediglich vortrage, eine Umdeutung des Haftungsbescheides in einen Steuerbescheid sei nach herrschender Meinung nicht möglich. Im übrigen sei aber auch die Vorentscheidung rechtlich zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zulässig.

Entgegen der Auffassung des FA entspricht die Revision des Klägers den Anforderungen des § 120 Abs. 2 FGO. Insbesondere hat der Kläger einen bestimmten Antrag gestellt. Aus seinem Schriftsatz vom 11. Mai 1981 folgt eindeutig, in welchem Umfang er die Vorentscheidung aufzuheben begehrt und aus welchen Gründen er sie für fehlerhaft hält. Wenn der Kläger auch wörtlich einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Haftungsbescheides gestellt hat, so geht es ihm doch um die ersatzlose Aufhebung der Vorentscheidung und des Haftungsbescheides. Das FA übersieht, daß das Gericht zwar nicht über das Klagebegehren hinausgehen darf, daß es aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist.

Die Revision des Klägers ist auch begründet.

Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom 19. November 1979 sowie des Haftungsbescheides vom 7. Juli 1976. Das FA hat den Kläger zu Unrecht durch Lohnsteuerhaftungsbescheid in Anspruch genommen. Der Senat hat mehrfach entschieden, daß die pauschale Lohnsteuerschuld der §§ 40 bis 40 b EStG durch Steuerbescheid und nicht durch Haftungsbescheid geltend gemacht werden muß (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Januar 1983 VI R 35/78, BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472; vom 29. April 1983 VI S 10/82, BFHE 138, 379, BStBl II 1983, 517; vom 2. Dezember 1983 VI R 47/80, BFHE 140, 143, BStBl II 1984, 362; vom 15. März 1985 VI R 30/81, BFHE 143, 226, BStBl II 1985, 581; vom 1. August 1985 VI R 28/79, BFHE 144, 244, BStBl II 1985, 664, unter III. 1. der Entscheidungsgründe). Ein Haftungsbescheid, in dem eine pauschale Lohnsteuerschuld festgesetzt ist, ist insoweit aufzuheben. Entgegen der Auffassung des FG kann ein Haftungsbescheid auch nicht etwa in einen Pauschalierungssteuerbescheid umgedeutet werden, da Lohnsteuerhaftungsbescheid und Pauschalierungssteuerbescheid nicht auf das gleiche Ziel gerichtet sind (vgl. im einzelnen BFH-Urteil vom 7. Dezember 1984 VI R 72/83, BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170; Beschluß in BFHE 138, 379, BStBl II 1983, 517).

Im vorliegenden Streitfall hat, wie sich aus dem Haftungsbescheid in Verbindung mit den beigefügten Prüfungsbemerkungen eindeutig ergibt, das FA den Kläger auf eine pauschale Lohnsteuer i.S. des § 40 a Abs. 1 EStG in Anspruch genommen. Im Unterschied zu dem dem Urteil des Senats vom 25. Mai 1984 VI R 223/80 (BFHE 141, 54, BStBl II 1984, 569) zugrundeliegenden Sachverhalt hat sich der Kläger auch mit einer Pauschalierung nach § 40 a Abs. 1 EStG einverstanden erklärt. Da der Kläger unter diesen Umständen unzutreffend durch Lohnsteuerhaftungsbescheid in Anspruch genommen worden ist, war dieser Bescheid ersatzlos aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414565

BFH/NV 1987, 401

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge