Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Gegen die Festsetzung von Zuschlägen i. S. des § 35 Absatz 4 EStG 1949 ist das Berufungsverfahren gegeben.

 

Normenkette

EStG § 35 Abs. 4; AO §§ 228-229

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist alleiniger Inhaber der Fabrik in ...... Bei einer überprüfung seines Betriebes durch die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts ...... im November 1949 ergab sich, daß die in der RM-Zeit ab 31. Dezember 1946 dem Finanzamt eingereichten Inventuren den Bestand der Firma an ... nicht vollständig ausgewiesen hatten, wodurch die Betriebsergebnisse für die Steuerabschnitte 1946, 1947 und I/1948 nicht in voller Höhe zur Besteuerung gelangt waren. Am 23. November 1949 erkannte der Bf. im Beisein seines Rechtsbeistandes, des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters ......, einen Mehrgewinn von insgesamt 150.000 RM für diese Steuerabschnitte an. Nachdem ihm die Höhe der zu erwartenden Mehrsteuern mit ca. 15.000 DM bezeichnet worden war, erkannte der Bf. die festgestellten Besteuerungsgrundlagen vorbehaltlos und unwiderruflich an und verzichtete auf die Einlegung von Rechtsmitteln gegen die auf dieser Grundlage zu erlassenden Steuerbescheide. Gleichzeitig unterwarf er sich einer Geldstrafe von 5.000 DM für seine vorsätzlich bewirkten Steuerverkürzungen.

Mit Bescheiden vom 9. Mai 1950 setzte das Finanzamt - für die Jahre 1946 und 1947 im Wege der Berichtigung nach § 222 der Reichsabgabenordnung - die Einkommensteuer für 1946 nach einem Gewinn von 90.000 RM auf 74.778 RM, für 1947 nach einem Gewinn von 109.000 RM auf 92.923 RM und für I/1948 nach einem Gewinn von 78.000 RM auf 68.786 RM fest. Da für sämtliche in den Gesamtzeitraum fallende Kalendervierteljahre die geleisteten Vorauszahlungen um mehr als 25 v. H. hinter den tatsächlich zu entrichten gewesenen Vorauszahlungsbeträgen zurückgeblieben waren, erhob das Finanzamt mit diesen Bescheiden zu der festgesetzten Einkommensteuer nach § 35 Absatz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Artikels XVI Ziffer 6 des Kontrollratsgesetzes Nr. 12 Zuschläge von 15 v. H. und zwar für 1946 zum Betrage von 11.216 RM, für 1947 in Höhe von 13.938 RM und für I/1948 zu 11.817 RM, insgesamt also in Höhe von 36.971 RM.

Mit Schreiben vom 16. Mai 1950 legte der Bf. gegen die Einkommensteuerbescheide Einspruch ein. Mit Schreiben vom 6. Juni 1950 zog er diese Einsprüche zurück, legte jedoch mit gleichem Schreiben Einspruch gegen die in den Bescheiden festgesetzten Strafzuschläge ein. Der Bf. wendet folgendes ein:

Er habe in der Verhandlung vom 23. November 1949 auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet, nachdem ihm eröffnet worden war, daß die nachzuzahlenden Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuern ca. 15.000 DM betrügen. Die Festsetzung von Strafzuschlägen, von denen in der Verhandlung keine Rede gewesen sei, überschreite den ihm angegebenen Betrag um 3.697,10 DM. Der Verzicht auf Rechtsmittel sei hierdurch unwirksam geworden.

Er habe sich in der Verhandlung vom 23. November 1949 einer Geldstrafe von 5.000 DM unterworfen. Es sei unzulässig, neben dieser Geldstrafe noch Strafzuschläge gemäß § 35 Absatz 4 EStG 1949 festzusetzen.

Der Verzicht auf die Einlegung von Rechtsmitteln sei unter einem unzulässigen Druck durch die an der Verhandlung vom 23. November 1949 beteiligten Beamten erzwungen worden.

Nach den Verwaltungsanweisungen dürften Strafzuschläge nur beim Vorliegen eines Verschuldens festgesetzt werden. Ein solches liege bei ihm nicht vor. Er habe die Steuerhinterziehung aus einem übergesetzlichen Notstand heraus begangen. Es sei seinerzeit von der Militärregierung beabsichtigt gewesen, alle vorhandenen Rohstoffe zu erfassen, um sie auf die noch vorhandenen Betriebe gleichmäßig zu verteilen. Hätte er alle Rohstoffe angegeben, so wären ihm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so erhebliche Mengen beschlagnahmt worden, daß sein Betrieb zum Erliegen gekommen wäre. Die äußerlich den Tatbestand einer strafbaren Handlung bildende Steuerhinterziehung sei das einzige Mittel gewesen, seinen lebenswichtigen Betrieb aufrechtzuerhalten und damit dem Schutz der deutschen Volkswirtschaft zu dienen. Mindestens lägen Billigkeitsgründe vor, von der Erhebung der Strafzuschläge Abstand zu nehmen.

Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht hat ausgeführt, daß dem Bf. in der Verhandlung vom 23. November 1949 die maßgebenden Besteuerungsgrundlagen bekanntgegeben worden seien. Wenn darüber hinaus noch die ungefähre Höhe der Steuerforderungen mit insgesamt 15.000 DM genannt worden sei, ohne daß etwaige Zuschläge gemäß § 35 Absatz 4 EStG 1949 in Betracht gezogen wurden, so sei diese bei der Bedeutung der mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen für die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichtes ohne Belang.

Auch von dem Rechtsmittelverzicht abgesehen, könne das Rechtsmittel in sachlicher Beziehung nicht zum Erfolge führen. Gegen die Einkommensteuer selbst seien von dem Bf. keine Einwendungen erhoben worden. Bedenken gegen die Höhe der Schätzungen bestünden nicht. Der Zuschlag habe die gleiche Rechtsnatur wie der Strafzuschlag nach § 18 Absatz 4 Ziffer 2 b des Soforthilfegesetzes, mit dem sich der Bundesfinanzhof in dem Urteil III 71/50 U vom 16. Dezember 1950 (Bundessteuerblatt - BStBl. - 1951 Teil III S. 35) befaßt habe. Hiernach habe der Zuschlag keinen strafrechtlichen Charakter. Er sei vielmehr als steuerlicher Nachteil aufzufassen, der denjenigen treffen soll, der durch sein steuerunehrliches Verhalten die Erhebung der Steuer gefährdet habe, zu der der Zuschlag zu erheben sei. Der Zuschlag stelle daher keine Strafe, sondern eine zusätzliche Einkommensteuer dar.

Das Finanzgericht lehnt es weiterhin ab, einen übergesetzlichen Notstand anzuerkennen. Der Bf. sei nicht berechtigt gewesen, sich mit Rücksicht auf seinen Betrieb über die damals geltenden Wirtschaftsbestimmungen hinwegzusetzen und zur Vermeidung der Erfassung seiner Vorräte dem Finanzamt unzutreffende Inventuren vorzulegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist im Ergebnis unbegründet:

Es kann dahingestellt bleiben, ob seitens des Finanzamts ein unzulässiger Druck auf den Bf. ausgeübt worden ist, da der Rechtsmittelverzicht bereits aus einem anderen Grunde unwirksam ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, der sich der erkennende Senat anschließt, ist ein Rechtsmittelverzicht im Sinne des § 248 der Reichsabgabenordnung auch dann zulässig, wenn die Steuerbehörde einen Steuerbescheid noch nicht erlassen hat. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerpflicht dem Grunde und der Höhe nach erkennbar ist, so daß der Steuerpflichtige durch die Verzichtserklärung nicht der Willkür der Steuerbehörden ausgesetzt wird (siehe Urteil des Reichsfinanzhofs VI 386/39 vom 26. Juli 1939, Reichssteuerblatt 1939 S. 946). Dem Bf. war in der Verhandlung vom 23. November 1949 eine Steuersumme von ca. 15.000 DM genannt worden. Er hat die dieser Steuersumme zugrundegelegten Besteuerungsgrundlagen unter Verzicht auf Einlegung von Rechtsmitteln vorbehaltlos und unwiderruflich anerkannt. Auf die beabsichtigte Festsetzung der Zuschläge in Höhe von 3.697,10 DM ist der Bf. nicht hingewiesen worden. Grundlage seines Anerkenntnisses und seines Rechtsmittelverzichts war nur die ihm genannte Steuersumme von ca. 15.000 DM. Wenn das Finanzamt neben dieser Steuersumme noch Zuschläge verlangt, so wird hiermit der Rechtsmittelverzicht, und zwar in vollem Umfange hinfällig. Einer Aufhebung der Vorentscheidung bedarf es jedoch nicht, da ihr in sachlicher Beziehung beizutreten ist.

Wenn das Finanzgericht unter Hinweis auf das eine ähnliche Rechtslage betreffende Urteil des Bundesfinanzhofs III 71/50 U vom 16. Dezember 1950 (BStBl. 1951 Teil III S. 35) die Auffassung vertritt, daß der Zuschlag keinen strafrechtlichen Charakter habe, sondern eine zusätzliche Einkommensteuer sei, so ist dies nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Falle ist die Rechtslage insofern noch klarer, als die Vorschrift den Zuschlag ausdrücklich als eine "zusätzliche Steuer" bezeichnet. Im gleichen Sinne wie die Vorbehörde hat bereits das Finanzgericht Tübingen in seinem Urteil I 177/48 vom 15. Dezember 1948 (Steuer und Wirtschaft 1949 Nr. 8) entschieden. Stellt aber der Strafzuschlag eine zusätzliche Steuer dar, so ist ihre Festsetzung im Berufungsverfahren anfechtbar. Auch mit Rücksicht auf Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes wäre die Versagung des Berufungsverfahrens nicht zu verantworten. Bei der engen Verbindung zwischen Steuer und Zuschlag sind, auch verfahrensrechtlich betrachtet, getrennte Rechtsmittelverfahren nicht tragbar. Soweit der erkennende Senat in nicht veröffentlichten Entscheidungen eine andere Auffassung vertreten hat, wird an ihr nicht festgehalten.

Da der Zuschlag keinen strafrechtlichen Charakter hat, ist der Einwand des Bf., daß der Grundsatz des "ne bis in idem" verletzt sei, von der Vorbehörde zutreffend zurückgewiesen worden.

Der Bf. hat sich weiterhin darauf berufen, daß nach den Einkommensteuer-Richtlinien für die streitigen Steuerabschnitte (Steuer- und Zollblatt 1947 S. 303, 1948 S. 109 und 1949 S. 89) von der Erhebung eines Strafzuschlages abzusehen sei, wenn die geringere Zahlung auf Umständen beruhe, die der Steuerpflichtige nicht zu vertreten hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich hierbei um Billigkeitsmaßnahmen der Verwaltungsbehörden handelt, die für die Steuergerichte bindend sind. Nachdem das Finanzgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise tatsächlich festgestellt hat, daß der Bf. nicht berechtigt gewesen ist, sich mit Rücksicht auf seinen Betrieb über die damals geltenden Wirtschaftsgesetze hinwegzusetzen und dem Finanzamt unrichtige Inventuren vorzulegen, kann der Bf. nicht geltend machen, daß ein Verschulden nicht vorliege.

Der Rechtsbeschwerde war daher der Erfolg zu versagen.

 

Fundstellen

BStBl III 1952, 116

BFHE 1953, 293

BFHE 56, 293

StRK, EStG:35/4 R 2

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