Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Beruhen Mehraufwendungen eines Arbeitnehmers für Verpflegung wegen mehr als zwölfstündiger Abwesenheit von der Wohnung darauf, daß der Arbeitnehmer aus privaten Gründen seine Wohnung in einer ungewöhnlich weiten Entfernung von seinem Arbeitsort gewählt oder beibehalten hat, so sind die Mehraufwendungen keine Werbungskosten.

Als ungewöhnlich weite Entfernung ist regelmäßig eine Entfernung von mehr als 40 km anzusehen.

 

Normenkette

EStG §§ 9, 12 Abs. 1; LStDV § 20/2

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) war Amtsgerichtsrat in A. Er ist seit einigen Jahren in dem etwa 65 km entfernten B. beschäftigt und wurde schließlich nach dort versetzt. Er behielt auch nach seiner Versetzung seine Wohnung in A. bei und fährt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln (Bundesbahn und Straßenbahn) zu seiner Dienststelle und zurück. Sein öffentlicher Arbeitgeber ersetzt ihm weder die Fahrtkosten noch gibt er ihm einen Zuschuß zur Verpflegung. Für das Jahr 1961 gewährte ihm das Finanzamt einen Lohnsteuerfreibetrag von 2.853 DM, in dem ein Verpflegungsmehraufwand von 1,50 DM täglich für 220 Tage wegen mehr als 12stündiger Abwesenheit von seiner Wohnung, also 330 DM, enthalten waren. Ein weiterer Lohnsteuerermäßigungsantrag vom 25. Januar 1962, mit dem er eine Erhöhung des Lohnsteuerfreibetrags für 1961 um 709 DM beantragte, führte zu einer Erhöhung des Lohnsteuerfreibetrags für 1961 um nur 8 DM auf 2.861 DM; denn im Gegensatz zur ersten Freibetragsgewährung rechnete das Finanzamt nunmehr den geltend gemachten Verpflegungsaufwand nicht mehr zu den Werbungskosten. Auf den Einspruch des Stpfl. wurde der Lohnsteuerfreibetrag für 1961 zwar auf 2.954 DM erhöht; hinsichtlich des Mehraufwands für Verpflegung bestätigte jedoch die Einspruchsentscheidung die angefochtene ablehnende Entscheidung des Finanzamts.

Die Berufung des Stpfl. hatte Erfolg. Das Finanzgericht erkannte die streitigen 330 DM als Werbungskosten an. Es führte aus, es sei für die Anerkennung des Verpflegungsmehraufwands als Werbungskosten unerheblich, daß der Stpfl. sich nicht bemüht habe, seinen Wohnsitz nach B. zu verlegen. Der Bundesfinanzhof habe in seinen ersten Entscheidungen zu dieser Frage, z. B. in den Urteilen IV 104/50 U vom 17. November 1950 (BStBl 1951 III S. 6, Slg. Bd. 55 S. 14) und IV 119/53 U vom 17. September 1953 (BStBl 1953 III S. 322, Slg. Bd. 58 S. 81) allerdings gefordert, daß der Arbeitnehmer nicht aus persönlichen Gründen außerhalb seines Beschäftigungsortes wohne. Diese Voraussetzung sei aber in den späteren Entscheidungen offenbar fallengelassen worden; denn nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs IV 291/55 U vom 4. Oktober 1956 (BStBl III S. 370, Slg. Bd. 63 S. 452) komme dem Hin- und Rückweg keine entscheidende Bedeutung zu. In den Urteilen IV 393/54 U vom 3. Februar 1955 (BStBl 1955 III S. 109, Slg. Bd. 60 S. 283), VI 44/55 U vom 12. Dezember 1956 (BStBl 1957 III S. 29, Slg. Bd. 64 S. 78) werde gleichfalls der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie schlechten Verkehrsverbindungen keine Bedeutung beigemessen. Die Rechtsprechung habe den Mehrverpflegungsaufwand immer mehr typisiert und allein noch auf die durch Arbeitszeit und Arbeitsweg bedingte Abwesenheit von mehr als 12 Stunden abgestellt. Auf die Entfernung zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte komme es daher nicht an. Ein Arbeitnehmer, der in einer Großstadt, ihren Rand- oder Einzugsgebieten wohne und einen langen Weg zur Arbeitsstätte habe, dürfe steuerlich nicht günstiger stehen als ein anderer Arbeitnehmer, der außerhalb seines Arbeitsortes und dessen Einzugsgebiet wohne, aber infolge günstiger Verkehrsbedingungen keinen längeren Arbeitsweg habe als jener. In beiden Fällen könne die Entfernung der Wohnung von der Arbeitsstätte durch - überdies schwer feststellbare - persönliche Gründe bestimmt sein. Bei auswärts wohnenden Arbeitnehmern komme außerdem noch der Streit über die kaum zu ermittelnden Grenzen des Einzugsgebietes hinzu. Es sei daher sinnvoll und stehe in Einklang mit der Rechtsentwicklung, die Entfernung der Wohnung außer Betracht zu lassen und allein auf die Abwesenheitsdauer von 12 Stunden abzustellen.

Der Vorsteher des Finanzamts betont in seiner Rb., daß die Aufwendungen für die Ernährung grundsätzlich zu den nach § 12 Abs. 1 EStG bei der Einkommensteuer (Lohnsteuer) nicht abzugsfähigen Aufwendungen der privaten Lebensführung gehörten und daß sie vom Bundesfinanzhof nur ausnahmsweise als Werbungskosten anerkannt würden, wenn infolge einer beruflich bedingten, ungewöhnlich langen Abwesenheit von der Wohnung einem Arbeitnehmer zusätzliche Verpflegungsaufwendungen entständen. Diese Ausnahme sei nur dann vertretbar, wenn ein Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen ungewöhnlich lange von seiner Wohnung abwesend sein müsse. Wenn, wie im Streitfall, ein Steuerpflichtiger seine Wohnung aus freiem Entschluß in einer größeren Entfernung als 40 km von seinem Arbeitsort beibehalte, lägen diese Voraussetzungen nicht vor.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Daß der Stpfl. am 25. Januar 1962 noch eine Erhöhung seines Lohnsteuerfreibetrags für 1961 beantragt hat, wurde von den Vorinstanzen mit Recht als zulässig angesehen. Der von ihm angestrebte Freibetrag konnte sich allerdings nicht mehr bei der Besteuerung seiner laufenden Gehaltszahlungen auswirken, wohl aber bei dem Lohnsteuerjahresausgleich für 1961. Der Antrag wurde daher von den Vorinstanzen zutreffend als Antrag im Rahmen des Lohnsteuerjahresausgleichs behandelt. Bei seiner Bearbeitung war das Finanzamt, wie das Finanzgericht zutreffend angenommen hat, berechtigt, auch die Richtigkeit des bisher bereits gewährten Freibetrags nachzuprüfen. Es durfte zwar wegen der besonderen Bestimmungen für den Lohnsteuerjahresausgleich keinen niedrigeren Freibetrag festsetzen, als er am Ende des Jahres 1961 auf der Lohnsteuerkarte des Stpfl. eingetragen war. Dies ist aber auch nicht geschehen. Es konnte aber anstelle der von ihm nunmehr nicht mehr als berücksichtigungsfähig angesehenen Beträge andere Aufwendungen als Werbungskosten ansetzen. Verfahrensmäßig ist daher die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden.

Der Vorsteher des Finanzamts weist in seiner Rb. zutreffend darauf hin, daß die Kosten der Ernährung zu den Aufwendungen der Lebensführung gehören, die nach § 12 Ziff. 1 EStG bei der Einkommensteuer (Lohnsteuer) grundsätzlich nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden können. Der Bundesfinanzhof hat in dem angeführten Urteil IV 104/50 U (a. a. O.) eine Ausnahme zugelassen, wenn einem Arbeitnehmer infolge einer ungewöhnlich langen Abwesenheit von seiner Wohnung ein Mehraufwand für Verpflegung entsteht, der aus dem Rahmen der üblichen Haushaltsführung und der allgemeinen Lebenshaltung herausfällt. In diesem Ausnahmefall beruht ein für die Ernährung gemachter Aufwand so überwiegend auf beruflicher Veranlassung, daß er auch bei der Besteuerung als beruflich veranlaßt anzusehen ist und eine Berücksichtigung bei den Werbungskosten als vertretbar erscheint. Daß ausschließlich berufliche Gründe die Ursache der mehr als 12stündigen Abwesenheit von der Wohnung sein müssen, wurde in den Urteilen IV 393/54 U (a. a. O.) und IV 589/54 U vom 10. Februar 1955 (BStBl 1955 III S. 110, Slg. Bd. 60 S. 287) nochmals besonders betont. Auch in den übrigen vom Finanzgericht angeführten Entscheidungen wird - in der Regel sogar im Rechtssatz - hervorgehoben, daß ausschließlich berufliche Gründe die Ursache der mehr als 12stündigen Abwesenheit sein müssen. Es trifft also nicht zu, daß der Bundesfinanzhof seine grundsätzliche Einstellung für die ausnahmsweise Berücksichtigung von Verpflegungskosten bei den Werbungskosten geändert hat. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die lange Abwesenheit darauf zurückzuführen ist, daß der Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen seinen Wohnort in erheblicher Entfernung von seinem Beschäftigungsort gewählt hat (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 119/53 U, a. a. O.).

Der Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort kommt allerdings in der Regel keine Bedeutung zu, wenn es sich um eine übliche Entfernung handelt. Was "üblich" ist, kann nur nach den örtlichen Verhältnissen im Einzelfall beurteilt werden. Es spricht aber vieles dafür, eine Entfernung von mehr als 40 km im allgemeinen nicht mehr als üblich anzusehen (vgl. auch Urteil des Senats VI 33/58 U vom 16. Mai 1958, BStBl 1958 III S. 303, Slg. Bd. 657 S. 81). Die Entfernung des Wohnorts des Steuerpflichtigen von seinem Arbeitsort ist mit etwa 65 km jedenfalls nicht mehr als üblich zu bezeichnen. Entscheidend ist aber im Streitfall, daß der Stpfl. unstreitig aus ausschließlich persönlichen Gründen seine Wohnung in dieser Entfernung von seinem Dienstort beibehalten hat, und daß die mehr als 12stündige Abwesenheit von seiner Wohnung deshalb nicht durch ausschließlich berufliche Gründe, sondern durch ausschließlich private Gründe veranlaßt ist. Damit fehlt eine unerläßliche Voraussetzung für die steuerliche Berücksichtigung eines Mehraufwands für Verpflegung bei den Werbungskosten.

Die Vorentscheidung, die von anderen Grundsätzen ausgeht, war deshalb aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da die Einspruchsentscheidung zum zutreffenden Ergebnis gelangt ist, war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411398

BStBl III 1965, 31

BFHE 1965, 90

BFHE 81, 90

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