Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelnder Steuerbevollmächtigter kann Bürgschaftsübernahme zugunsten eines Mandanten als gewillkürtes Betriebsvermögen und Verluste hieraus als Betriebsverluste behandeln, soweit er die Bürgschaften im Rahmen einer zusätzlich zu seiner steuerberatenden Tätigkeit übernommenen Geschäftsüberwachungs- und Geschäftsführungstätigkeit für den Mandanten übernommen hat.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, § 4/4; StAnpG § 1 Abs. 3

 

Tatbestand

Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1957, ob der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger - Stpfl. -) seinen Gewinn aus freiberuflicher Tätigkeit um einen Verlust vermindern kann, der ihm durch Inanspruchnahme aus zwei Bürgschaften für einen Mandanten in Höhe von insgesamt 3 158,70 DM entstand.

Der Stpfl., im Streitjahr Buchsachverständiger und Helfer in Steuersachen mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG, betreute seit 1955 den Mandanten E. Ab 1. Oktober 1956 übernahm er im Auftrag des E., der als Spediteur selbständig unterwegs war, die überwachung und Besorgung der gesamten Geschäftsführung. In fünf- bis sechsstündiger Tätigkeit täglich hatte er im wesentlichen die für E. fahrenden Lastzüge abzufertigen und die Beschaffung der zum Betrieb eines Lastzugs erforderlichen Gelder bei der Tankfirma B. zur Betankung des Lastzugs und bei einer Bank zur überbrückung der Zeit zwischen den entstehenden Kosten und den Einnahmen aus dem Lastzug zu sorgen. Da die beiden Kreditgeber nicht bereit waren, dem E. Kredite ohne übernahme der Bürgschaft durch den Stpfl. zu gewähren, übernahm dieser die Bürgschaften, zumal er damit rechnen konnte, die Kredite jeweils aus den eingehenden Geldern zurückzuzahlen. Die Aufrechterhaltung des Geschäfts des E. war nach den vom Finanzgericht (FG) seiner Würdigung zugrunde gelegten Feststellungen in erster Linie erforderlich, um laufende Betriebsausgaben wie Löhne, Steuern, Versicherungen, aber auch die eigenen Honoraransprüche des Stpfl. abdecken zu können, die sich im Zeitpunkt der in Betracht kommenden Bürgschaftsübernahmen auf 1240 DM beliefen. Das Honorar des Stpfl. betrug zunächst monatlich 65 DM, erhöhte sich ab 1. Oktober 1956 aber auf 620 DM. Zur Inanspruchnahme aus der Bürgschaft kam es im Jahr 1957, weil der Lastzug des E. verunglückte und auch dessen andere Lastzüge stillgelegt werden mußten.

Nach Ablehnung seines Begehrens durch das Finanzamt (FA) und den Steuerausschuß gab das FG dem Stpfl. auf seine Berufung gegen die Einspruchsentscheidung recht. Das FG führte in seiner nach mündlicher Verhandlung ergangenen Entscheidung im wesentlichen aus: Wenn sich ein Buchsachverständiger, der unstreitig einem Bücherrevisor gleichstehe, zur Erhaltung und Vermehrung seines Verdienstes aus der Haupttätigkeit als Buchsachverständiger auf das Ersuchen eines Kunden um Geldbeschaffung oder Geldvermittlung einlasse, so werde ein Zusammenhang der hierauf gerichteten Tätigkeit mit der Ausübung seines Berufes und die Behandlung der Tätigkeit als Hilfsgeschäft nicht ohne weiteres abgelehnt werden dürfen (so für den Fall des Bücherrevisors: Urteil des RFH VI 559/28 vom 13. Juni 1928, RStBl 1928, 379). Dann könne es dem Buchsachverständigen auch nicht verwehrt sein, die auf Geldbeschaffung gerichtete Tätigkeit so vorzunehmen, wie er es zur Erreichung des Zwecks für angezeigt erachte und, sofern es nötig sei, selbst eine Haftung zu übernehmen, oder wie der Stpfl. es getan habe, den Kreditgebern für die Tilgung der Kredite zu bürgen, weil der Geldgeber mit dem Geldsucher nur in dieser Weise Geschäfte machen wolle; dadurch werde der Charakter des ganzen Geschäfts als eines Hilfsgeschäfts des Buchsachverständigen nicht berührt. Solche Hilfsgeschäfte lägen hier vor; sie hätten nach Anlaß, Begründung und Durchführung ausschließlich in der beruflichen Sphäre des Stpfl. gelegen. Wenn E., wie das FA in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, bei übernahme der Bürgschaften bereits zahlungsunfähig gewesen sei, so spreche das noch nicht hinreichend gegen die nach den Gesamtumständen begründete Annahme, der Stpfl. habe die Bürgschaft zur Erhaltung seiner laufenden Honorare sowie zur Sicherung seiner bestehenden rückständigen Honoraransprüche übernommen, um E. instand zu setzen, Einnahmen zu erzielen. Das sei, wenn der mit den verbürgten Krediten finanzierte Lastzug des E. nicht verunglückt wäre, auch nicht von vornherein ausgeschlossen gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die ab 1. Januar 1966 als Revision zu behandelnde Rb. des FA, das ohne Angriff auf die tatsächlichen Feststellungen des FG unrichtige Rechtsanwendung und einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten rügt, der darin bestehen soll, daß das FG auf den Hinweis der Zahlungsunfähigkeit des E. durch das FA in der mündlichen Verhandlung sich durch Beiziehung der Vollstreckungsakten nicht vergewissert habe, daß dem Stpfl. die prekäre Lage des E. bei der übernahme der Bürgschaft bereits voll bekannt gewesen sei, woraus sich ergebe, daß er die Bürgschaft nur aus außerbetrieblichen Gründen übernommen haben könne, ist nicht begründet.

Der Senat hält im Grundsatz daran fest, daß Angehörige der freien Berufe Darlehnshingaben und Bürgschaftsübernahmen ihren Auftraggebern gegenüber nicht zum Betriebsvermögen ziehen, Verluste hieraus nicht als betriebliche Verluste geltend machen können. (Vergleiche hierzu Urteil des Senats IV 109/59 U vom 28. Januar 1960, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 70 S. 456 - BFH 70, 456 -, BStBl III 1960, 172). Diese rechtliche Beurteilung beruht entscheidend auf der Standesauffassung der freien Berufe und damit der allgemeinen Verkehrsauffassung, wonach derartige Betätigungen auf dem Gebiet der Geldgeschäfte im allgemeinen den freien Berufen fremd sind. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß sie der freie Berufsangehörige im Rahmen seines Privatvermögens eingeht. Das gilt vor allem auch für die Fälle, in denen der Freiberufler durch ein solches Geldgeschäft sich einen Auftraggeber zu erhalten oder einen solchen zu gewinnen beabsichtigt. Der Einordnung der genannten Vorgänge nach der Verkehrsauffassung muß auch die steuerliche Beurteilung des Sachverhalts Rechnung tragen, § 1 Abs. 3 StAnpG (§ 6 Abs. 2 EStG 1925).

Hieraus folgt, daß der Umfang des gewillkürten Betriebsvermögens für die Angehörigen der freien Berufe gegenüber den Gewerbetreibenden, insbesondere den Vollkaufleuten (vgl. hierzu Urteil des Senats IV 167/64 U vom 10. Dezember 1964, BFH 82, 356, BStBl III 1965, 377), mindestens was derartige Vorgänge anbetrifft, nicht unwesentlich eingeschränkt ist. Die Hinzurechnung zum Betriebsvermögen kommt nur in Betracht, soweit die Verkehrsauffassung für eine solche Würdigung Raum läßt und darüber hinaus eine gewisse, nicht zu lose allgemeine objektive Beziehung zur freiberuflichen Tätigkeit erkennbar ist, wodurch dieser gedient und sie gefördert wird. Der Senat tritt insoweit dem Urteil des BFH I 53/63 vom 11. Januar 1966, BStBl III 1966, 218, bei. ähnlich auch das Urteil des Senats IV 220/63 S vom 6. Dezember 1963, BFH 78, 344, BStBl III 1964, 134, für die Anerkennung von Bewirtungsspesen der freien Berufsangehörigen als Betriebsausgaben. Der Senat sprach auch hier aus, daß die Besonderheiten der freien Berufe, die sich nicht mit der gleichen Gewinnerzielungsabsicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligen wie die Gewerbetreibenden, nicht außer acht zu lassen und an die Darlegungs- und Nachweispflicht strenge Anforderungen zu stellen sind. Für die Frage der bei Freiberuflern nach der Verkehrsauffassung im allgemeinen auf außerberuflichem Gebiet liegenden Darlehnshingaben und Bürgschaftsübernahmen, insbesondere zugunsten von Auftraggebern, haben nach Auffassung des Senats gleichartige Grundsätze zu gelten.

Im Streitfall kann nun dem FG darin nicht gefolgt werden, wenn es sich für die Anerkennung der Bürgschaftsübernahmen des Stpfl. als gewillkürtes Betriebsvermögen und der hieraus sich ergebenden Verluste als Betriebsverluste auf das Urteil des RFH VI A 529/28 beruft. Die dort allgemein für einen Bücherrevisor ausgesprochenen Grundsätze sind für den Stpfl., der in erster Linie auch seinem Mandanten gegenüber Steuerbevollmächtigter war, nicht anwendbar. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob sie in der ausgesprochenen Allgemeinheit zu billigen sind. Das FG hat indes in tatsächlicher Hinsicht und mangels einer zulässigen und begründeten Rüge seiner Sachverhaltsfeststellung durch das FA in nach § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindender Weise festgestellt, daß der Stpfl. auch die Geschäftsführung für seinen häufig abwesenden Mandanten E. übernommen und hierbei für die Beschaffung der für den Betrieb benötigten laufenden geldlichen Betriebsmittel zu sorgen hatte, die die Geldgeber ohne die übernahme der Bürgschaft für den Mandanten durch ihn nicht gewähren wollten. Hierdurch traten in der beruflichen Tätigkeit des Stpfl. für seinen Mandanten, die der Senat gleichwohl steuerlich noch als im Rahmen einer freien Berufstätigkeit liegend ansehen zu dürfen glaubt, gewisse gewerbliche Merkmale hervor, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, den strengen Standpunkt über die Einordnung geldgeschäftlicher Betätigungen zugunsten der Auftraggeber von Freiberuflern hier nicht zur Geltung zu bringen. Es tritt in einem solchen Fall das nach der Verkehrsauffassung als solches in der privaten Sphäre des Stpfl. liegende Eigeninteresse an dem Geschäft zugunsten einer objektiven beruflichen Bedingtheit jedenfalls soweit zurück, daß es für die steuerliche Beurteilung nicht mehr allein entscheidend sein kann. Geschäftsüberwachung und Geschäftsführungstätigkeit selbst, die der Stpfl. zusätzlich zu seiner steuerberatenden Tätigkeit dem E. gegenüber übernahm, rechtfertigen es, die Bürgschaftsübernahmen als gewillkürtes Betriebsvermögen und die hierdurch entstandenen Verluste als Betriebsverluste anzuerkennen. Hier waren die Bürgschaftsübernahmen geeignet und bestimmt, der beruflichen Tätigkeit des Stpfl. zu dienen und sie zu fördern, da sie in Erfüllung des ihm erteilten Auftrags geleistet wurden.

Der vom FA gerügte Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten liegt nicht vor. Es könnte sich allenfalls um eine mangelnde Sachaufklärung durch das FG handeln. Das FG unterstellte indes ausdrücklich die Richtigkeit des finanzamtlichen Vorbringens. Es maß jedoch dem Umstand, daß der Mandant E. im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahmen durch den Stpfl. schon weitgehend zahlungsunfähig war, angesichts der übrigen objektiven Veranlassung der Bürgschaftsübernahmen keine entscheidende Bedeutung mehr bei. Das ist nicht zu beanstanden. Die Fälle der Urteile des erkennenden Senats IV 85/59 vom 4. August 1960, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 238; IV 287/60 U vom 12. Dezember 1963, BFH 79, 184, BStBl III 1964, 299, die gegen die rechtliche Beurteilung des FG sprechen könnten, lagen insoweit anders. Hier fehlte es bereits an objektiv hinreichenden Merkmalen, die eine Zurechnung der Bürgschaftsübernahmen zum gewillkürten Betriebsvermögen des Stpfl. hätten rechtfertigen können. Im Fall des Urteils IV 287/60 U kam hinzu, daß sich eine eindeutig außerbetriebliche Beziehung feststellen ließ, die den Stpfl. zur übernahme der Bürgschaft veranlaßt hatte. An dem allgemeinen Gedanken, daß durch Zurechnung von Vorgängen zum gewillkürten Betriebsvermögen nicht Verluste auf die betriebliche Sphäre eines Steuerpflichtigen überwälzt werden können, hält der Senat fest. Dieser Gedanke kann jedoch nicht soweit reichen, Vorgänge, für die nach den tatsächlichen Feststellungen ein hinreichender wirtschaftlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Stpfl. besteht, ein für allemal aus der betrieblichen Sphäre auszuscheiden und damit die Anerkennung betrieblicher Verluste auszuschließen. Wenn das FG bei seiner Würdigung davon ausging, daß im Streitfall die objektive Beziehung der Bürgschaftsübernahmen zur beruflichen Tätigkeit des Stpfl. ausreichte, um die Vorstellung, wegen der bereits bestehenden Zahlungsunfähigkeit seines Auftraggebers komme bei vernünftiger Würdigung eine betriebliche Bürgschaftsübernahme nicht mehr in Betracht, in den Hintergrund treten zu lassen, so hält der Senat diese Würdigung für möglich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412199

BStBl III 1966, 591

BFHE 1966, 587

BFHE 86, 587

BB 1966, 1215

DB 1966, 1590

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge