Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anwendung des § 32 a EStG 1949 hinsichtlich eines durch ordnungsmäßige Buchführung ermittelten großen gewerblichen Gewinns wird nicht durch ausgeschlossen, daß der Steuerpflichtige daneben einen geringfügigen nach der VOL ermittelten landwirtschaftlichen Gewinn hat.

StAnpG § 1 Abs. 2, EStG 1949 § 32 a, EStDV 1949 § 46, EStR II/1948 und 1949 Abschnitte 107, 201,

 

Normenkette

EStG § 32a; EStDV § 46; StAnpG § 1 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) wies für 1949 auf Grund ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung einen gewerblichen Gewinn von 88.360 DM aus, für den er die Anwendung des § 32 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1949 beantragte. Da er auch eine kleine Landwirtschaft betrieb, deren Gewinn nach der Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft vom 2. Juni 1949 (VOL) ermittelt wurde (für 1949: 1.149 DM), lehnte das Finanzamt unter Berufung auf Abschnitt 206 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) II/1948 und 1949 den Antrag ab, weil der Gewinn aus der Landwirtschaft nicht auf Grund einer ordnungsmäßigen Buchführung ermittelt sei. Das Finanzgericht gewährte dem Bf. für 1949 zwar die Vergünstigung für den nichtentnommenen Gewinn (ß 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG 1949), bestätigte aber die Auffassung des Finanzamts, daß § 32 a EStG 1949 nicht anwendbar sei. Es begründete seine Entscheidung wie folgt: § 46 letzter Satz der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1949 bestimme, daß Steuerpflichtige mit mehreren Betrieben die Vergünstigung des § 32 a EStG nur in Anspruch nehmen könnten, wenn der Gewinn in allen Betrieben auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt sei. § 32 a EStG 1949 habe andere Voraussetzungen als § 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG 1949 und § 3 der Steueränderungsverordnung (StändVO), die es genügen ließen, wenn bei mehreren Betrieben innerhalb der gleichen Einkunftsart die Gewinne auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt seien (Abschnitt 107 Abs. 5 EStR II/1948 und 1949 und Urteil des Reichsfinanzhofs VI 74/44 vom 3. Mai 1944, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1944 S. 731). Die Abweichung in der Rechtslage ergebe sich schon daraus, daß die überschrift zu § 32 a EStG 1949 laute: "Steuererleichterung für buchführende Gewerbetreibende und für buchführende Landwirte". Ein Steuerpflichtiger habe, wenn er Gewinne aus mehreren Betrieben habe, kein Wahlrecht, welchen Gewinn er nach § 32 a EStG 1949 begünstigt haben wolle. Die Vorschrift könne nur auf alle Gewinne oder überhaupt nicht angewendet werden. Die Verwaltungsanweisungen in Abschnitt 201 Abs. 2 und Abschnitt 206 Abs. 1 EStR II/1948 und 1949 entsprächen dem Gesetz.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) macht der Bf. geltend, § 32 a EStG 1950 weiche in der Fassung ("Summe der Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft und aus Gewerbebetrieb") von § 32 a EStG 1949 ab. Die Auffassung des Finanzgerichts sei für 1950 vertretbar, nicht aber für 1949. Für 1949 genüge es - ebenso wie für § 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG 1949 - auch für § 32 a, wenn innerhalb der gleichen Einkunftsart die Gewinne mehrerer Betriebe auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt seien. Der Gewinn aus Landwirtschaft betrage nur 1,3 v. H. des Gewinns aus Gewerbebetrieb. Die Einrichtung einer Buchführung für die kleine Landwirtschaft hätte nicht gelohnt. Die EStR II/1948 und 1949, die die vom Finanzgericht vertretene Auslegung des § 32 a EStG 1949 gebracht hätten, seien erst am 5. Juli 1950 erlassen worden. Zu dieser Zeit hätte der Bf., selbst wenn er es gewollt hätte, eine Buchführung für das bereits abgelaufene Wirtschaftsjahr 1949/1950 nicht mehr einrichten können. Es widerspreche auch dem Zweck des § 32 a EStG, einen Steuerpflichtigen wegen eines Bagatellgewinns, der nicht auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt sei, mit einem Vielfachen dieses Betrages an Einkommensteuer zu belegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Der Senat hat in der Entscheidung IV 206/52 U vom 15. April 1953 (Slg. Bd. 57 S. 427, Bundessteuerblatt - BStBl. - III S. 166) bereits zu der Frage Stellung genommen, ob die Anwendung des § 32 a EStG 1949 voraussetze, daß die Summe der Gewinne aus Land- und Forstwirtschaft und aus Gewerbebetrieb auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt sei. Auf die Einwendungen des Bf. gegen die dort vertretene Rechtsauffassung des Senats braucht nicht näher eingegangen zu werden, da die Rb. aus einem anderen Grund Erfolg hat. Die Vorentscheidung trägt nämlich dem Umstand nicht Rechnung, daß der landwirtschaftliche Gewinn im Verhältnis zum gewerblichen Gewinn nur geringfügig war. Nach § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) sind bei der Auslegung von Steuergesetzen unter anderem der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung zu berücksichtigen. Die Auslegung darf nicht formal am Wortlaut einer Bestimmung haften, sondern hat die steuerpolitische sowie die volks- und betriebswirtschaftliche Zielsetzung des Gesetzgebers mit in Erwägung zu ziehen. In Grenzfällen ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber, wenn er die Grenzfälle in seine überlegungen einbezogen hätte, sie entsprechend dem Zweck und der wirtschaftlichen Bedeutung des Gesetzes geregelt hätte. Es ist Aufgabe der Steuergerichte, in zweifelhaften Grenzfällen, die unvermeidlich auftreten, dem wirklichen Willen des Gesetzes Geltung zu verschaffen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 57/52 U vom 8. September 1953, BStBl. III S. 344). In diesem Zusammenhang ist zu erwägen: § 32 a EStG gehört in den Kreis der Vorschriften, die seit der Währungsumstellung in das Einkommensteuerrecht eingefügt wurden, um mittelbar den hohen Steuertarif zu mildern und durch die Steuermilderung den Betrieben die Möglichkeit zu geben, Eigenkapital zu bilden und damit die durch Krieg, Zusammenbruch, Wirtschaftszerrüttung und andere Umstände notwendig gewordene Erneuerung der Betriebsanlagen durchzuführen. Gegenüber diesen schwerwiegenden steuerpolitischen und volkswirtschaftlichen Belangen dürfen formale Bedenken nicht in den Vordergrund treten. Aus ähnlichen überlegungen ist der Senat auch Versuchen entgegengetreten, die Vergünstigungen, die an die Ordnungsmäßigkeit einer Buchführung geknüpft sind, durch allzu strenge und formale Anforderungen an die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung einzuschränken. Er hat darum zum Beispiel die Vergünstigung auch gewährt, wenn für Geschäfte, die nur einen geringen Umfang hatten und im Rahmen des Gesamtergebnisses unwesentlich waren, die ordnungsmäßige Buchführung fehlte, so daß eine ergänzende Schätzung geringen Ausmaßes zu dem im übrigen auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ausgewiesenen Gewinn erforderlich war. Aus dem gleichen Grund hat er in dem zur Veröffentlichung freigegebenen Urteil IV 99/53 U vom 25. März 1945 den § 10 a EStG 1950 dahin ausgelegt, daß ein unwesentlicher VOL-Gewinn nicht dazu führen könne, für einen wesentlich größeren gewerblichen Gewinn, der auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt ist, die Vergünstigung für den nichtentnommenen Gewinn zu versagen. Es hat an sich einen guten Sinn, wenn § 10 a EStG 1950 und § 32 a EStG 1949 und § 32 a EStG 1950 die Vergünstigungen davon abhängig machen, daß die Gewinne aus allen Betrieben auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt sein müssen. Es widerspräche aber dem steuerpolitischen Zweck und der volkswirtschaftlichen Bedeutung des § 32 a EStG, einem Steuerpflichtigen durch Versagung der Vergünstigung in Fällen der vorliegenden Art eine Mehrsteuer aufzuerlegen, die ein Mehrfaches des in Frage stehenden Gewinns ausmacht, so daß der Steuerpflichtige besser stünde, wenn er den landwirtschaftlichen Gewinn überhaupt nicht gehabt hätte. Im vorliegenden Fall ist der Teil des Gewinns, der nicht auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt wurde, im Verhältnis zum Gesamtgewinn geringfügig. Das Finanzgericht hat unter Anwendung des § 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG 1949 die Einkommensteuer auf 52.896 DM festgesetzt. Bei Anwendung des § 32 a EStG betrüge sie dagegen nur etwa 43.600 DM. Durch den Ansatz des landwirtschaftlichen Gewinns von 1.149 DM entstünde mithin eine Mehrsteuer von etwa 9.300 DM. Ein solches Ergebnis kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Eine allgemeine Grenze, wann ein nicht durch ordnungsmäßige Buchführung ermittelter Teil des Gesamtgewinns unerheblich ist, setzt der Senat nicht, weil es auf die Umstände des Einzelfalles ankommt. Im vorliegenden Fall sind aus den angeführten Gründen die Voraussetzungen zu bejahen.

Die Vorentscheidung ist wegen rechtsirriger Nichtanwendung des § 32 a EStG aufzuheben. Die Zurückverweisung an das Finanzamt ist zweckmäßig, da die anderen Voraussetzungen des § 32 a EStG 1949 bisher nicht geprüft sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407975

BStBl III 1954, 251

BFHE 1955, 110

BFHE 59, 110

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