Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Bedeutung der bürgerlich-rechtlichen Form eines Vertrages für das Steuerrecht. Im Zweifel ist maßgebend, wie die Beteiligten im Verhältnis zueinander den Vertrag anwenden.

Ist nicht der Erbbauberechtigte, sondern der Besteller des Erbbaurechts und Mieter der Hersteller und wirtschaftliche Eigentümer eines errichteten Gebäudes, so ist der Besteller des Erbbaurechts zur Inanspruchnahme der erhöhten AfA nach § 7 b EStG berechtigt.

 

Normenkette

EStG § 7b; StAnpG § 11/4

 

Tatbestand

Der Bf. hat im Juli 1954 mit der Deutschen Bundespost (abgekürzt: BP) einen notariellen Erbbau- und Mietvertrag über ein der BP gehörendes Grundstück geschlossen. Nach diesem Vertrag ist der Bf. verpflichtet, auf diesem Grundstück ein Postdienstgebäude nach den Plänen und den Anweisungen der BP zu errichten und es dieser gegen eine laufende Miete und übernahme der laufenden Unkosten zur Nutzung zu überlassen. Die Miete ist so bemessen, daß die Herstellungskosten des Bf. für das Gebäude verzinst und innerhalb einer Zeit von 27 1/2 Jahren an ihn zurückgezahlt werden. Nach Ablauf des erwähnten Zeitraums fällt das Erbbaurecht an die BP zurück. Im November 1954 hat der Bf. dann auf Grund eines weiteren notariellen Vertrages mit der BP einen Teil des Grundstücks zu Eigentum erworben. Darauf hat er ein Wohnhaus für sich selbst errichtet; daran schließt das Postdienstgebäude an. Die gesamten Herstellungskosten, die der Bf. getragen hat, betragen rd. 250.000 DM. Davon entfallen auf das Postdienstgebäude rd. 125.000 DM.

Bei den Veranlagungen zur Einkommensteuer für 1954 und 1955 hat das Finanzamt die vom Bf. beantragten erhöhten Absetzungen für Abnutzung (AfA) nach § 7 b EStG anerkannt. Es kam zwar zunächst zwischen dem Bf. und dem Finanzamt zu einer Meinungsverschiedenheit darüber, ob dem Bf. die AfA auch hinsichtlich des Postdienstgebäudes zu Recht zugestanden worden sei. Das Finanzamt räumte dann aber ein, daß keine Handhabe zum Widerruf der gewährten Vergünstigung bestehe.

Wegen der erhöhten AfA war es zwischen dem Bf. und dem Finanzamt bzw. der Oberfinanzdirektion bereits Ende 1954 zu Verhandlungen gekommen, weil der zunächst geplante Ausbau eines Dachgeschosses in dem Postdienstgebäude aus Geldmangel nicht durchgeführt und so für das Gesamtgebäude die erforderliche Mindestwohnfläche von 66 2/3 v. H. der gesamten Nutzfläche nicht erreicht war. Auf den Antrag des Bf., der die Versagung der erhöhten AfA als existenzbedrohende Härte bezeichnete, erklärte sich die Oberfinanzdirektion mit der Verfügung vom 9. März 1955 zu einem Entgegenkommen bereit. Die Verfügung lautet:

"Auch unter Zugrundelegung des für Sie günstigen Urteils des Bundesfinanzhofs vom 18. November 1954 (FMBl 1955 Nr. 4) ergibt sich bei dem von Ihnen errichteten Gebäude nur ein Anteil von 64,62 % für die Wohnfläche. Erst bei Ausbau der Hausmeisterwohnung im Dachgeschoß wird dieser Anteil 67,04 % erreichen und damit die Mindestgrenze von 66,66 % überschreiten. Ich bin zu meinem Bedauern nicht in der Lage, die Anwendung des § 7 b EStG für Sie zuzulassen, wenn Sie die im Gesetz festgelegte Grenze nicht einhalten. Ausnahmsweise erkläre ich mich aber damit einverstanden, daß der § 7 b unter Zugrundelegung der bis dahin erwachsenen Herstellungskosten des Gebäudes für den Veranlagungszeitraum 1954 angewendet wird, wenn Sie mit dem Ausbau des Dachgeschosses unverzüglich beginnen und ihn längstens im Laufe des Jahres 1955 beenden".

Das Dachgeschoß ist dementsprechend ausgebaut worden. Die Bedenken des Finanzamts, dem Bf. die erhöhten AfA auch für das Postdienstgebäude zuzubilligen, stützen sich in erster Linie darauf, daß die BP sich bei der Einheitsbewertung und der Vermögensteuerveranlagung selbst als wirtschaftliche Eigentümerin dieses Gebäudes bezeichnet hat, das ihr auf ihren Antrag hin auch von der Bewertungsstelle durch Fortschreibungsbescheid vom 31. Januar 1957 zugerechnet worden ist.

Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für 1956 erkannte das Finanzamt die erhöhten AfA nur hinsichtlich des Wohngebäudes des Bf. an, nicht aber für das Postdienstgebäude. Die Sprungberufung blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht ist der Auffassung, daß der Erbbau- und Mietvertrag der BP so weitgehende Rechte gebe, daß diese, wenn auch nicht rechtlich, so doch wirtschaftlich Eigentümerin des Postdienstgebäudes sei. Den Einwand des Bf., daß sich die Finanzverwaltung durch die Verfügung vom 9. März 1955 ein für allemal gebunden habe, ließ das Finanzgericht nicht gelten, weil die Verfügung sich nur zu der Auswirkung des Nichtausbaues der Dachwohnung geäußert habe.

Mit seiner Rb. rügt der Bf. Verletzung des bestehenden Rechts. Nach seiner Ansicht gibt die Gestaltung der Erbbau- und Mietverträge keinen Anlaß, das Postdienstgebäude nicht ihm, sondern der BP zuzurechnen. Auf jeden Fall aber sei das Finanzamt an die Verfügung der Oberfinanzdirektion gebunden, durch die ihm die erhöhten AfA ein für allemal zugesagt worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.

Die Verfügung der Oberfinanzdirektion befaßt sich, wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, nur mit dem Ausbau der Dachgeschoßwohnung. Ihre beiden letzten Sätze ergeben eindeutig, daß die Oberfinanzdirektion - übrigens entsprechend dem Antrag des Bf. - dem Bf. die erhöhten AfA nur für 1954 gewähren wollte, obwohl die Voraussetzung, daß das Gebäude zu mehr als 66 2/3 % v. H. der gesamten Nutzfläche Wohnzwecken dient, erst für 1955 nach dem Ausbau des Dachgeschosses erfüllt sein würde. Der Bf. meint, die Oberfinanzdirektion habe ihm damit zugleich allgemein die erhöhten AfA zugestanden; ihre späteren Bedenken könnten nicht ausschlaggebend sein, weil ihr alle Unterlagen vorgelegen hätten; bei ordnungsgemäßer Prüfung hätten ihr die Bedenken sofort kommen können und müssen. Dem ist nicht zuzustimmen. Wenn die Oberfinanzdirektion dem Bf. unter der Bedingung des Ausbaues der Dachgeschoßwohnung im Jahre 1955 aus Entgegenkommen die erhöhten AfA bereits für 1954 zusagte, so muß sie zwar angenommen haben, daß dem Bf. grundsätzlich die erhöhten AfA zustünden. Die Oberfinanzdirektion hatte aber, wie der Bf. selbst, offenbar keinen Zweifel, weil sie annahm, daß ein normaler Erbbauvertrag geschlossen sei, auf dessen Einzelheiten einzugehen sie nach der Darstellung und dem Antrag des Bf. keine Veranlassung hatte. Selbst wenn aber die Oberfinanzdirektion auf Grund der Unterlagen ihre Bedenken schon damals hätte haben müssen, so bleibt doch entscheidend, daß die Verfügung eindeutig nur zu der Auswirkung des Nichtausbaues des Dachgeschosses auf die Veranlagung 1954 Stellung nimmt und nur diese Frage regelt. Allenfalls kann also eine Bindung für das Jahr 1954 angenommen werden, nicht aber auch eine solche für die folgenden Jahre. Wird einem Steuerpflichtigen bei einer Veranlagung versehentlich eine Vergünstigung zugebilligt, so kann er deswegen nicht etwa die gleiche Vergünstigung auch bei den Veranlagungen der folgenden Jahre beanspruchen (Urteile des Bundesfinanzhofs VI 230/58 U vom 11. Dezember 1959, BStBl 1960 III S. 67, Slg. Bd. 70 S. 182, und I 141/60 U vom 17. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 130, Slg. Bd. 72 S. 347).

Für die eigentliche Streitfrage, ob nämlich der Bf. auch für das Postdienstgebäude die erhöhten AfA beanspruchen kann, kommt es, wie alle Beteiligten nicht verkennen, vor allem auf den Erbbau- und Mietvertrag an. Stellt man allein auf die bürgerlich-rechtliche Form des Vertrages ab, so steht dem Bf., weil er das Gebäude erstellt hat und darum Eigentümer des auf Grund des Erbbaurechts erstellten Gebäudes ist (vgl. § 12 der Verordnung über das Erbbaurecht vom 15. Januar 1919, RGBl 1919 S. 72), die erhöhten AfA ohne Zweifel zu. Die erhöhten AfA stehen ihm dagegen nicht zu, wenn er nur formell Eigentümer ist, weil dem wirtschaftlichen Gehalt des Erbbau- und Mietvertrages nach die BP Herstellerin und wirtschaftliche Eigentümerin des Dienstgebäudes ist. Dafür, daß dem streitigen Vertrag ein derartiger wirtschaftlicher Gehalt beizumessen ist, sprechen, wie dem Finanzgericht zugegeben ist, manche Gesichtspunkte, so vor allem das weitgehende Aufsichts- und Weisungsrecht der BP und die ihr offengelassene Möglichkeit, das Erbbau- und Mietverhältnis durch vorzeitige Zahlungen jederzeit zu beenden. In diesem Zusammenhang spielt auch die vom Finanzamt angeführte Tatsache, daß die BP selbst sich bei der Einheitsbewertung das Dienstgebäude habe zurechnen lassen, eine Rolle. Auf der anderen Seite trägt der Bf. glaubhaft vor, er sei mit der Handlungsweise der BP nur um deswillen einverstanden gewesen, weil er der Einheitsbewertung nur formelle Bedeutung und nur Auswirkungen auf die Einheitsbewertung und Vermögensbesteuerung beigemessen habe. Der Bf. trägt unwidersprochen vor, daß bei dem Erbbau- und Mietvertrag zwar auch die Vergünstigung des § 7 b EStG in der Kalkulation mitberücksichtigt worden sei; in erster Linie seien jedoch außersteuerliche Erwägungen maßgebend gewesen; es sei ihm um den Erwerb eines Teilgrundstücks für seinen Wohnungsbau gegangen, während die BP daran interessiert gewesen sei, nicht selbst das Postdienstgebäude zu errichten, sondern es zu mieten. Unter diesen Umständen und weil nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Anwendung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise die von den Beteiligten geschaffene bürgerlich-rechtliche Rechtslage nur unter besonderen Voraussetzungen nicht zugrunde gelegt werden darf, ist der Senat der Auffassung, daß in erster Linie der Erbbau- und Mietvertrag maßgebend sein muß. Das Vorgehen der BP bei der Einheitsbewertung allein reicht nicht aus, sie als wirtschaftliche Eigentümerin anzusehen. Dies wäre nur dann angebracht, wenn etwa die BP, auch nachdem sie auf die Auswirkung der Zurechnung bei der Einheitsbewertung für das vorliegende Streitverfahren des Bf. hingewiesen worden ist, den Antrag, ihr das Dienstgebäude zuzurechnen, aufrechthält und sie mit einer Zurechnung an den Bf. nicht einverstanden ist. In diesem Fall ist nämlich anzunehmen, daß die beteiligten Vertragsparteien den bürgerlich-rechtlich nicht eindeutigen Erbbau- und Mietvertrag in einem bestimmten Sinn zwischen sich anwenden. Dann müssen sie sich auch steuerlich dementsprechend behandeln lassen.

Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache wird zur nochmaligen Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen. Dieses hat die Haltung der BP klarzustellen. Verharrt diese bei dem von ihr für die Einheitsbewertung und Vermögensteuer gewählten Vorgehen, so steht der Würdigung des Erbbau- und Mietvertrages dahin, daß die BP wirtschaftliche Eigentümerin des Postdienstgebäudes ist, nichts im Wege. In diesem Falle hat der Bf. keinen Anspruch auf die erhöhten AfA nach § 7 b EStG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410761

BStBl III 1963, 239

BFHE 1963, 656

BFHE 76, 656

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