Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob zu erkennen ist, daß eine Ware ausschließlich oder überwiegend für eine andere Ware bestimmt ist, kann nur auf Grund der Merkmale dieser Ware selbst entschieden werden.

 

Normenkette

GZT Vorschrift 4 zu Kap. 97, Tarifnrn. 97.04; GZT Vorschrift 4 zu Kap. 97, Tarifnrn. 53.11

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) importiert aus den USA u. a. Billardtische ohne Tischplatten, jedoch mit dem Bezugsstoff dafür aus grünem Tuch. Der Stoff wird in Ballen als Meterware geliefert. Die Menge ist jeweils so bemessen, daß die eingeführten Billardtische damit ausgestattet, d. h. die Tischplatten bezogen werden können. Die Tischplatten führt die Klägerin aus Italien ein. Die Platten werden mit dem Tuch aus den USA bezogen und auf die Tische montiert.

Im Mai 1972 beantragte die Klägerin die Abfertigung einer Anzahl der genannten Billardtische und einer entsprechenden Menge des Bezugsstoffs zum freien Verkehr. Das Zollamt (ZA) entsprach dem Antrag, wies die Tische mit dem Stoff – wie in den Zollanmeldungen begehrt – der Tarifstelle 97.04 B des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu und erhob die entsprechenden Eingangsabgaben. Mit Bescheid vom 13. September 1972 erhob das ZA 1 592,14 DM Zoll nach, und zwar hinsichtlich des größten Teils dieses Betrages mit der Begründung, der Stoff für die Billardtische gehöre als Meterware zur Tarifstelle 53.11 B.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage führte zur Aufhebung der Einspruchsentscheidung und – bis auf einen geringen, aus einem anderen Grunde nachgeforderten Betrag – zur Aufhebung des Steueränderungsbescheides. Das Finanzgericht (FG) führte aus, das Tuch gehöre entsprechend der ursprünglichen Tarifierung durch das ZA als Teil der Billardtische zur Tarifstelle 97.04 B. Billardtische würden von der genannten Tarifstelle erfaßt, die sie ausdrücklich nenne. Ebenso seien nach der Vorschrift 4 zu Kap. 97 Teile und Zubehör für Billardtische wie diese zu tarifieren, wenn zu erkennen sei, daß sie ausschließlich oder überwiegend dafür bestimmt seien.

Im maßgebenden Zeitpunkt sei zu erkennen gewesen, daß der Stoff als Teil der Billardtische ausschließlich oder überwiegend für diese bestimmt gesesen sei. Diese Erkennbarkeit ergebe sich bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise aus der eingeführten Ware selbst. Würden Billardtische ohne Platten eingeführt und grüner Stoff, so sei wegen der allgemeinen Vorstellung von einem Billardtisch als einem grünbezogenen Spieltisch zu erkennen, daß der Stoff ausschließlich oder überwiegend für die Tische bestimmt sei, d. h., daß damit die Spielfläche bezogen werden solle und nichts sonst. Jeder andere Schluß gehe an dieser landläufigen Vorstellung vorbei. Darüber hinaus seien die Besonderheiten der umstrittenen Einfuhr zu berücksichtigen. Würden Billardtische und abgepaßte Stoffmengen – wie hier – in einem Container eingeführt, so ergebe dies bei objektiver Betrachtung ein Zusammengehören. Dafür sprächen auch die Angaben in den Rechnungen. Jede andere denkbare Verwendungsmöglichkeit der Stolle (z. B. als Decke eines Konferenz- oder Richtertisches, Ausschlagsstoff für Besteckkästen usw.) sei bei dieser Sachlage ausgeschlossen. Die Auffassung des Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt – HZA –), wegen der objektiven Beschaffenheit des Tuches könne es nur dann nach der Vorschrift 4 zu Kap. 97 wie die Billardtische tarifiert werden, wenn es nur für Waren dieses Kapitels verwendet werden könne, und dies objektiv erkennbar sei, sei unrichtig, weil der Zolltarif (ZT) so nicht laute. Er stelle nicht ab auf ein Erkennenkönnen, daß Teile und Zubehör ausschließlich oder überwiegend für Waren des Kap. 97 verwendet würden, sondern darauf, daß sie dafür bestimmt seien.

Dagegen richtet sich die Revision des HZA, mit der die Verletzung des Gemeinsamen Zolltarifs, insbesondere der Vorschrift 4 zu Kap. 97, und von § 35 Abs. 1 des Zollgesetzes (ZG) gerügt wird. Das HZA führt aus: Das streitige Tuch sei ein grüngefärbtes aufgerauhtes Gewebe aus Wolle (etwa 68,5 %) und Polyamid, das als Meterware in Ballen entsprechend seiner stofflichen Beschaffenheit der Tarifstelle 53.11 B des GZT zuzuweisen sei.

Es sei nicht zu erkennen, daß die Stoffballen ausschließlich oder überwiegend für Billardtische bestimmt seien (Vorschrift 4 zu Kap. 97). Diese Erkennbarkeit sei auf Grund der Beschaffenheitsmerkmale der zu tarifierenden Ware festzustellen. Außerhalb der Ware liegende Umstände schieden aus (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – BGH – vom 23. März 1972 Rs. 36/71, EGHE 1972, 187, 198). Dem entspreche auch das Beispiel in Teil I Rdnrn. 6 und 7 der Brüsseler Erläuterungen zu Kap. 97 des ZT, die maßgebliche Erkenntnismittel für die Interpretation des Gemeinsamen Zolltarifs seien. Kleine Elektromotoren könnten sowohl für Spielzeug und Modelle zum Spielen als auch für andere Waren verwendet werden, über ihre Zuordnung zu Kap. 97 entschieden ausschließlich objektive, an der Ware selbst feststellbare Merkmale nämlich geringe Antriebskraft und Leistung sowie einfache Bauart unter Verwendung wenig widerstandsfähiger oder sonst nicht üblichen Werkstoffe. Lägen sie nicht vor, so gehörten die Motoren zur Tarifnr. 85.01. Begleitumstände der Einfuhr oder Absichtsbekundungen des Importeurs würden nicht genannt. Sie beeinflußten das Tarifierungsergebnis nicht. Die Stoffart der strittigen Ware (gerauhtes Gewebe) und seine grüne Farbe ließen noch nicht erkennen, daß das Tuch ausschließlich oder überwiegend für Billiardtische bestimmt sei. Andere gleichwertige Verwendungsmöglichkeiten seien im Urteil genannt. Zu einer Erkennbarkeit als Teil oder Zubehör von Billardtischen gelange man nur, wenn man mit der Klägerin und der Vorinstanz die fehlenden objektiven Warenbeschaffenheitsmerkmale durch Hinweise ergänze, die sich aus den Umständen des Einfuhrgeschäftes ergäben. Das sei jedoch nicht zulässig.

Der dem Verfahren beigetretene Bundesminister der Finanzen (BdF) schließt sich dieser Begründung an.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

Das FG hat die Vorschrift 4 zu Kap. 97 des GZT (Verordnung (EWG) Nr. 950/68 – VO (EWG) 950/68 – vom 28. Juni 1968, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 172 vom 22. Juli 1968 S. 1) nicht richtig angewendet. Es kann hier dahinstehen, ob die streitige Ware als Teil oder Zubehör einer Ware des Kap. 97 anzusehen ist. Jedenfalls ist im Sinne der genannten Vorschrift nicht zu erkennen, daß die Ware ausschließlich oder überwiegend für Waren des Kap. 97 bestimmt ist.

Im Interesse der Rechtssicherheit und einer geordneten Verwaltungstätigkeit werden die Waren grundsätzlich nach ihrer objektiven Beschaffenheit in den Gemeinsamen Zolltarif eingeordnet (vgl. das zitierte EGH-Urteil Rs. 36/71). Es kommt also grundsätzlich auf an der Ware selbst feststellbare Merkmale an. Die Frage, ob zu erkennen ist, daß die streitige Ware ausschließlich oder überwiegend für eine Ware des Kap. 97 – hier also für Billardtische – bestimmt ist, kann folglich nur auf Grund der Merkmale dieser Ware selbst, nicht nach anderen Umständen entschieden werden.

Nach den Feststellungen des FG lag im maßgebenden Zeitpunkt (§ 35 Abs. 1 ZG) ein grünes Tuch als Meterware in Ballen vor. Einer Ware dieser Beschaffenheitsmerkmale ist ihre konkrete Bestimmung nicht anzusehen. Zwar ist Stoffart und Farbe der Ware für Billardtische typisch. Für Stoffe dieser Beschaffenheit sind aber auch andere Verwendungsmöglichkeiten gegeben; auf einige von ihnen ist in der Vorentscheidung ausdrücklich hingewiesen worden. Die Ware kann ohne weiteres z. B. zum Bezug von Konferenztischen verwendet werden. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß das Tuch in einer Menge eingeführt worden ist, die ausreichte, um die jeweils gleichzeitig eingeführten Billardtische damit zu beziehen. Auch diese abgepaßte Menge hinderte die Verwendung des Tuches für jeden anderen Zweck, für den grünes Tuch der eingeführten Art verwendbar ist, nicht, ließ also die (ausschließliche oder überwiegende) Bestimmung der Ware für Billardtische nicht erkennen.

Die Vorentscheidung begründet ihre entgegengesetzte Auffassung nicht mit Merkmalen der Ware selbst, sondern mit den Umständen ihrer Einfuhr, insbesondere damit, daß Tuch und Billardtische zusammen in einem Container eingeführt und in der Rechnung als „playfield cloths” angemeldet worden sind. Der Gemeinsame Zolltarif kennt zwar Fälle, in denen ähnliche Umstände der Einfuhr für die Tarifierung maßgebend sind. Die zusätzliche Vorschrift 1 zu Abschn. XVI GZT ermöglicht z. B. bei gemeinsamer Gestellung von Werkzeugen mit der zugehörigen Maschine die Tarifierung des Werkzeugs nach der Tarifstelle für die Maschine. Nach der zusätzlichen Vorschrift 3 zu Abschn. XVI (vgl. auch Erläuterungen zum Zolltarif zu Abschn. XVI, teil II, Rdnrn. 26 bis 34) können bei der Einfuhr von Maschinen in Teilsendungen bei Einhaltung eines besonderen Verfahrens auch solche Teile wie die Maschine, für die sie bestimmt sind, tarifiert werden, die nicht die Voraussetzungen der Vorschrift 2 b zu Abschn. XVI erfüllen, d. h. die nicht erkennen lassen, daß sie ausschließlich oder hauptsächlich für eine bestimmte Maschinenart bestimmt sind. Aus diesen Vorschriften ergibt sich deutlich, daß es sich hier um Sonderregelungen für bestimmte Fälle handelt, also um Abweichungen von dem Grundsatz, daß nur die objektiven Merkmale der Ware selbst für die Tarifierung entscheidend sind. In Abschn. XX und Kap. 97 fehlen solche Sondervorschriften. Es muß daher bei dem genannten Grundsatz bleiben. Die gemeinsame Verpackung und Versendung eines Teils mit einer Ware kann bei nicht erkennbarer Zuordnung des Teils zu dieser Ware ebensowenig die einheitliche Tarifierung beider begründen wie die getrennte Verpackung und Versendung die einheitliche Tarifierung hindern kann, wenn die Bestimmung des Teils im Sinne der Vorschrift 4 zu Kap. 97 erkennbar ist.

Diese Tarifierung gründet sich auf den klaren Wortlaut des Gemeinsamen Zolltarifs. Der erkennende Senat hielt daher eine Vorlage an den EGH nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht für geboten.

Da demnach eine Zuordnung der streitigen Ware zur Tarifnr. 97.04 ausscheidet, gehört die Ware zur Tarifstelle 53.11 B. Der angefochtene Steueränderungsbescheid ist daher nicht zu beanstanden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514802

BFHE 1976, 126

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