Leitsatz (amtlich)

Die Bezirksstellenleiter der Niedersächsischen Fußball-Toto GmbH und der Niedersächsischen Zahlenlotto GmbH sind Unternehmer i. S. des UStG.

 

Normenkette

UStG § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Stpfl.) ist Bezirksstellenleiter der Niedersächsischen Fußball-Toto GmbH und der Niedersächsischen Zahlenlotto GmbH (GmbH). Diese Tätigkeit übt er auf Grund der für das Jahr 1958 maßgebenden Verträge vom Januar und Mai 1956 aus, die wegen der Vergütung (§ 5) durch die Vereinbarungen vom Oktober 1956 geändert wurden. Er erhält für jeden Wettsonntag bzw. für jede Ausspielung ein fixum von 400 DM, das sich nach dem Gesamtumsatz um 210 DM erhöhen kann, und eine Provision von je 0,45 v. H. auf den Toto- und Lottoumsatz seines Bezirks sowie je weitere 0,45 v. H. für die Bearbeitung der B-Schein-Kontrolle. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) zog den Stpfl. mit diesen Vergütungen und den Entgelten aus dem Verkauf von Serienscheinen zur Umsatzsteuer heran.

Die Sprungberufung war erfolgreich. Nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und nach dem Willen des Stpfl. sei dieser nicht selbständig, zumal er kein Unternehmerwagnis trage.

Mit der nach §§ 184 Abs. 2, 115 ff. FGO als Revision zu behandelnden Rb. rügt das FA Verletzung des § 2 UStG.

Demgegenüber macht der Stpfl. geltend, eine Rechtsverletzung liege nicht vor. Er beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Das FG ist übereinstimmend mit den Verfahrensbeteiligten zutreffend davon ausgegangen, daß der Stpfl. als Bezirksstellenleiter nicht wie ein Handelsvertreter im Sinne der §§ 84 ff. HGB tätig geworden ist, weil er für die GmbH keine Geschäfte vermittelte oder abschloß. Seine Folgerung, die "Einstufung als selbständiger Handelsvertreter" sei daher belanglos und der Stpfl. nach dem Gesamtbild seiner Tätigkeit unselbständig, wird durch den festgestellten Sachverhalt nicht gedeckt und steht im Gegensatz zur höchstrichterlichen Rechtsprechung. Nach den Urteilen des BFH I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 (BFH 73, 827, BStBl III 1961, 567) und V 133/59 U vom 12. April 1962 (BFH 74, 699, BStBl III 1962, 259) kommt es für die Frage, ob eine natürliche Person selbständig oder nicht selbständig im Sinne des § 2 UStG ist, nicht entscheidend auf die einzelnen Tätigkeitsmerkmale an. Wesentlich ist vielmehr das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, zu dem auch die berufliche Stellung gegenüber dem Auftraggeber gehört. Die Vorinstanz hat das insoweit rechtserhebliche Innenverhältnis zwischen dem Stpfl. und der GmbH nicht hinreichend gewürdigt. Dazu bestand jedoch Veranlassung. Nach der in der Vorentscheidung angeführten Auskunft der GmbH vom Juli 1964 wollte diese die Bezirksstellenleiter arbeitsrechtlich, handelsrechtlich, versicherungsrechtlich und steuerrechtlich als selbständig behandelt wissen und ein Arbeitnehmerverhältnis mit diesen nicht begründen. Der Stpfl. hat nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Bedeutung der Vereinbarungen erkannt und sich nicht persönlich oder über die Vereinigung der Bezirksstellenleiter dagegen gewehrt. Da die Vorentscheidung sich nur mit dem in den Verträgen gewählten Begriff "Handelsvertreter" auseinandergesetzt, im übrigen aber das den Vereinbarungen zu entnehmende, für die Entscheidung wesentliche Innenverhältnis zwischen dem Stpfl. und der GmbH unberücksichtigt gelassen hat, ist sie wegen unrichtiger Anwendung des Rechts (§ 2 UStG) aufzuheben.

Die Sache ist spruchreif.

Durch die Verträge vom Januar und Mai 1956 wurde der Stpfl. mit der "Rechtsstellung eines selbständigen Handelsvertreters" als Bezirksstellenleiter eingestellt. Das Entgelt besteht aus einem nach dem Gesamtumsatz seines Bezirks gestaffelten Fixum und aus Provisionen, die nach den Umsätzen im Toto- und Lotto-Geschäft innerhalb seines Bezirks berechnet werden. Diese Fassungen deuten darauf hin, daß die Vertragschließenden, auch wenn der Stpfl. nicht als Handelsvertreter im Sinne der §§ 84 ff. HGB tätig geworden ist, ein Arbeitnehmerverhältnis nicht begründen wollten. Dies wird bestätigt durch die vom FG eingeholte Auskunft der GmbH und durch die Erklärung des Stpfl. in der mündlichen Verhandlung vor dem FG.

Für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung des zwischen den Vertragsparteien bestehenden Rechtsverhältnisses kommt es nicht entscheidend auf die von diesen gewählten Bezeichnungen, sondern auf ihren wirklichen Willen an. Maßgebend ist also, ob die bürgerlich-(handels-)rechtliche Gestaltung das von den Vertragschließenden Gewollte und wirtschaftlich Angestrebte inhaltlich zutreffend wiedergibt und in der Durchführung der tatsächlichen Verhältnisse zum Ausdruck kommt. Dies ist zu bejahen.

Die GmbH wollte nach den Verträgen in Verbindung mit ihrer Geschäftsordnung die Bezirksstellenleiter als Mittelspersonen zu den Annahme- und Nebenstellen beschäftigen. Sie sollten die ihnen zugeteilten Bezirke als Vertrauenspersonen zweckmäßig organisieren, geeignete Wetteinnehmer vorschlagen, diese im Rahmen des Wettbetriebs betreuen sowie die Wettgelder einziehen und ordnungsgemäß abführen. Dazu wollte sie sich selbständiger Unternehmer bedienen und hat zu diesem Zweck dem Stpfl., der über Kenntnisse im Totobetrieb verfügte, den Posten eines Bezirksstellenleiters unter dieser Bedingung angeboten. Das Angebot hat der Stpfl. nach seiner eigenen Erklärung angenommen, sich also mit der von der GmbH vorgesehenen Rechtsstellung einverstanden erklärt, ohne darauf zu dringen, als Arbeitnehmer beschäftigt zu werden. Diese von den Beteiligten zum Ausdruck gebrachte Beurteilung ihres arbeitsrechtlichen Verhältnisses ist auch steuerrechtlich bedeutsam und spricht für die Selbständigkeit des Stpfl. (vgl. Urteil des BFH I 336/61 vom 13. März 1963, HFR 1963, 259). Im übrigen setzt ein Angestelltenverhältnis einen Arbeitgeber voraus, der bereit ist, diese Stellung einzunehmen und die Folgerungen daraus zu ziehen (Urteil des BFH V 88/57 U vom 10. September 1959, BFH 69, 474, BStBl III 1959, 437). Die GmbH wollte, wie den Verträgen sowie ihrer Auskunft zu entnehmen ist, weder beim Vertragsabschluß noch zu einer späteren Zeit dem Stpfl. gegenüber Arbeitgeber sein. Der Stpfl., der zum Abschluß der Verträge nicht verpflichtet war, hat dies auch nicht ernstlich verlangt.

Das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, die Verträge seien unter nicht gleichberechtigten Personen geschlossen worden, so daß nicht "frei kontrahiert" werden konnte, sondern ein Zwang auf den Stpfl. ausgeübt wurde, findet im Akteninhalt keine Stütze und widerspricht sogar den eigenen Angaben des Stpfl. in der mündlichen Verhandlung vor dem FG.

Die tatsächliche Durchführung der Verträge entspricht den Vereinbarungen. Die GmbH behielt von den Provisionen ohne Widerspruch des Stpfl. keine Lohnsteuer ein und meldete diesen nicht zur Sozialversicherung an. Sie stellte ihm keine Arbeitsmittel und auch keinen Arbeitsplatz zur Verfügung, gewährte ihm keinen bezahlten Urlaub und verlangte auch nicht, daß er die von ihm vertraglich übernommenen Aufgaben in ihrer Gesamtheit persönlich erledigte. Der Stpfl. mußte nach dem Willen der GmbH zur Erfüllung seiner Obliegenheiten sogar eigene Arbeitnehmer einstellen und diese aus eigenen Mitteln bezahlen. Die GmbH hat die tatsächlichen Verhältnisse von ihrer Seite aus so gestaltet, wie dies die Verträge vorsehen.

Der Stpfl. hat entsprechend seiner vertraglich vereinbarten Stellung als selbständiger Unternehmer für die Jahre 1956 und 1957 Umsatzsteuervorauszahlungen geleistet, Umsatzsteuererklärungen in seiner Eigenschaft als "Bezirksstellenleiter" abgegeben (für 1957 am 8. Dezember 1958) und in diesen auf die Erteilung von Umsatzsteuerbescheiden sowie auf Rechtsmitteleinlegung verzichtet. Daraus ist zu schließen, daß er sich bis zu dem genannten Zeitpunkt in Übereinstimmung mit der GmbH nicht als deren Angestellter betrachtete, sondern daß sowohl die GmbH als auch der Stpfl. bei der tatsächlichen Durchführung der Verträge davon ausgegangen sind, ein Arbeitnehmerverhältnis liege nicht vor.

Erst später, nämlich nach dem Bekanntwerden des Urteils des FG Düsseldorf V 14/57 vom 27. September 1958 sowie nach Veröffentlichung der Urteile des BFH IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (BFH 71, 270, BStBl III 1960, 349) und IV 251/59 vom 15. Juni 1960 (Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Gewerbesteuergesetz, § 2 Abs. 1, Rechtsspruch 124), die die Gewerbesteuerpflicht von Bezirksstellenleitern des Nordwestlotto bzw. des Berliner Zahlenlotto betreffen, begehrte der Stpfl. als Arbeitnehmer behandelt zu werden, ohne daß sich die vertraglichen Beziehungen oder deren tatsächliche Gestaltung geändert hatten.

Auf die zitierten Urteile des BFH kann sich der Stpfl. nicht mit Erfolg berufen, da diese noch von der früheren Rechtsprechung ausgehen und die Frage der Selbständigkeit oder Nichtselbständigkeit von der Art der Tätigkeit abhängig machen. Die Ausführungen in dem die Gewerbesteuerpflicht eines Bezirksstellenleiters betreffenden Urteil IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (a. a. O.) sind demnach nicht für die Umsatzsteuer zu übernehmen.

Der Stpfl. ist somit auf Grund der tatsächlichen Durchführung der Verträge nicht als Arbeitnehmer der GmbH, sondern als selbständiger Unternehmer zu betrachten.

Für die Selbständigkeit des Stpfl. spricht auch, daß er ohne Anspruch auf Erstattung seiner beruflich bedingten Unkosten und Auslagen für seine gesamte Tätigkeit und für den Einsatz seines Betriebs durch ein nach dem Umsatz gestaffeltes Fixum und durch Provisionen entlohnt worden ist. Zwar ist die Art der Entlohnung nicht allein entscheidend, aber im Zusammenhang mit anderen für die Selbständigkeit sprechenden Merkmalen ein weiteres Anzeichen dafür. Daß es sich bei dem vom Umsatz abhängigen Fixum oder bei einem Teil seiner Provisionen um die Erstattung verauslagter Spesen seitens der GmbH handle, wie der Stpfl. in der mündlichen Verhandlung vortragen ließ, ist den Verträgen nicht zu entnehmen. Dem Stpfl. standen vielmehr die vereinbarten Vergütungen ohne Rücksicht auf die Höhe seiner tatsächlichen Aufwendungen zu. Für die Selbständigkeit spricht ferner die Regelung, nach der dem Stpfl. nicht - wie sonst jedem Arbeitnehmer - ein bezahlter Urlaub zustand. Er konnte außerdem seinen Urlaub nach Zeit und Dauer selbst bestimmen, ohne tatsächlich an Weisungen der GmbH gebunden zu sein. Er trat auch nach außen auf durch Verwendung von Stempelaufdrucken, die seinen Namen und einen Hinweis auf seine Stellung als Bezirksstellenleiter tragen. Dies ist bei einem Arbeitnehmer im allgemeinen nicht üblich. Schließlich konnte er im Gegensatz zur überwiegenden Mehrzahl aller Arbeitnehmer nicht gegen seinen Willen an einer anderen Stelle im Betrieb der GmbH eingesetzt und zu anderen Arbeiten herangezogen werden.

Entgegen der Ansicht des FG ist auch ein Unternehmerwagnis bei dem Stpfl. gegeben. Bereits die Ungewißheit über die Höhe der Einnahmen in einem bestimmten Zeitraum, die es bei einem Angestellten im Regelfall nicht gibt, dem die vereinbarte Vergütung sogar unabhängig vom Arbeitsanfall gezahlt wird, ist ein wichtiges Anzeichen dafür. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß der Stpfl. im Rahmen seiner Aufgaben selbst über die Höhe der Unkosten durch die Auswahl besonders geeigneter, arbeitsamer und zuverlässiger Hilfskräfte sowie durch eigene intensive Arbeit entscheiden und damit die Höhe der ihm verbleibenden Beträge beeinflussen konnte. Im übrigen sind Kosten für Miete von Arbeitsräumen und für Gehälter, die an eigene Arbeitnehmer gezahlt werden, keine Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen eines Arbeitnehmers im Sinne des § 9 EStG, sondern typische Betriebsausgaben eines Unternehmers, der auf eigene Rechnung einen eigenen Betrieb führt, also aus seinen Provisionseinnahmen sämtliche damit zusammenhängenden Spesen zu tragen hat.

Den vom FG gezogenen Schlüssen, der Stpfl. sei dem Betrieb der GmbH nach Art, Zeit und Ort seiner Tätigkeit eingegliedert, kann der Senat nicht folgen.

Soweit der Art der entfalteten Tätigkeit überhaupt eine Bedeutung beizumessen ist (vgl. Urteil des BFH I 200/59 S vom 3. Oktober 1961, a. a. O.), ergibt sich aus dem vom FG festgestellten Sachverhalt nicht, daß dem Stpfl. irgendwelche Einzelanweisungen neben der Geschäftsordnung und den sonstigen allgemeinen, für die gesamte Organisation der GmbH geltenden Anordnungen erteilt worden sind. Solche allgemeinen, die Geschäftsführung, die Sicherung der eingegangenen Beträge und den Zeitplan betreffenden Anweisungen sind durch den Umfang und die besondere Art des Geschäftsbetriebs der GmbH bedingt. Daraus ergibt sich zwangsläufig - der Natur des Betriebs entsprechend - eine gewisse Gebundenheit nach Art und Zeit für die Erledigung der Aufgaben eines Bezirksstellenleiter im Gegensatz zu einem nicht selbständig nach Art und Zeit der Tätigkeit vorliegen, ohne daß dadurch zu den Auftraggebern ein Angestelltenverhältnis begründet wird. Aus einer Weisungsbefugnis des Auftraggebers und einer Weisungsgebundenheit des anderen ist nicht auf eine Eingliederung im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu schließen. Diese muß sich vielmehr aus dem Innenverhältnis ergeben, für das die Vereinbarungen der Vertragschließenden ausschlaggebend sind. Die maßgebenden Verträge lassen deutlich erkennen, daß eine Eingliederung nicht gewollt war und auch tatsächlich nicht vorgenommen worden ist. Hinzu kommt, daß ein Bezirksstellenleiter im Gegensatz zu einem nicht selbständig Tätigen nicht verpflichtet ist, die vertraglich übernommenen Aufgaben persönlich zu erledigen. Es wird im Gegenteil von der GmbH als Auftraggeber sogar vorausgesetzt, daß er Arbeitnehmer beschäftigt, die umfangreiche Arbeiten für ihn ausführen. Dies spricht gegen seine Eingliederung.

Unter Aufhebung der Vorentscheidung war daher die Sprungklage (Sprungberufung) als unbegründet abzuweisen.

 

Fundstellen

BStBl II 1968, 244

BFHE 1968, 201

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