Leitsatz (amtlich)

Die Veräußerung einer Teilpraxis im Sinn des BFH-Urteils IV 198/62 S vom 10. Oktober 1963 (BFH 78, 303, BStBl III 1964, 120) liegt nicht vor, wenn ein Steuerbevollmächtigter von seiner einheitlichen Praxis den Teil veräußert, der lediglich in der Bücherführung bestand.

 

Normenkette

EStG vor 1965 § 18 Abs. 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) die Tarifbegünstigung des § 34 EStG für den Gewinn aus der Veräußerung eines Teils seiner Mandantenbeziehungen in Anspruch nehmen kann, die er als Steuerbevollmächtigter betreute.

Der Steuerpflichtige betrieb seine Praxis in X in einem ihm gehörigen Grundstück. Die Praxis bestand aus einer reinen Buchführungspraxis und einer Beratungspraxis. Mit Vertrag vom 2. Januar 1960 veräußerte er gegen ein Entgelt von 25 000 DM rd. 85 % seiner Mandantenbeziehungen an den bis dahin bei ihm angestellten Steuerbevollmächtigten Y. Dieser erwarb die gesamte reine Buchführungspraxis, ferner die Beratungspraxis, soweit er als Angestellter des Steuerpflichtigen die betreffenden Mandanten bereits betreut hatte. Nach Angaben des Steuerpflichtigen wurde die Übertragung auf Y durch die Übernahme der Geschäftsführung einer Binnenschiffervereinigung, die Beteiligung an Partenreedereien und anderen Tätigkeiten bedingt, durch die er arbeitsmäßig derart beansprucht gewesen sei, daß er sich um eine berufliche Entlastung habe bemühen müssen. Y übernahm auch die Büroräume, alle Angestellten sowie fast das gesamte Betriebsinventar und das Büromaterial. Der Steuerpflichtige meldete seine Praxis in X nicht ab. Bis Mitte 1960 benutzte er dort in seinem Haus noch einen Raum in einem Durchgang im Erdgeschoß. Anschließend standen ihm zunächst zwei Räume und ab Ende 1960 ein Raum im Obergeschoß zur Verfügung. Dieser eine Raum diente als Arbeitszimmer für eine Stenotypistin aus seiner Praxis. Mandantenverkehr fand in X nicht mehr statt. Im wesentlichen übte er seine Restpraxis ab 1. Juni 1960 bis 23. September 1961 von einer in B gemieteten Wohnung aus aus.

Das Begehren des Steuerpflichtigen, für den aus der Veräußerung von Mandantenbeziehungen an Y erzielten Gewinn die Tarifvergünstigung des § 34 EStG in Verbindung mit § 18 Abs. 3 EStG zu erhalten, lehnte das FA ab.

Auch Einspruch und Berufung blieben erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus: Ein gemäß §§ 18 Abs. 3, 34 EStG steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn komme im Falle einer Praxisveräußerung nur in Betracht, wenn der Mandantenstamm auf den Erwerber übergegangen sei und die selbständige Tätigkeit des Veräußerers durch die Veräußerung in seinem bisherigen Wirkungsbereich endgültig beendet werde. Zwar sei nicht vorausgesetzt, daß die selbständige Tätigkeit als solche schlechthin eingestellt werde. Erforderlich sei aber, daß sie jedenfalls in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis ihr Ende finde. Im Falle einer Teilpraxisveräußerung müsse es sich tatsächlich um eine Teilpraxis und nicht nur um den unselbständigen Teil einer Praxis handeln (vgl. Urteile des BFH IV 198/62 S vom 10. Oktober 1963, BFH 78, 303, BStBl III 1964, 120; IV 268/63 U vom 6. Dezember 1963, BFH 78, 346, BStBl III 1964, 135). In Anlehnung an die Rechtsprechung über den Begriff des Teilbetriebs bei Einkünften aus Gewerbebetrieb und aus Land- und Forstwirtschaft sei eine steuerbegünstigte Teilpraxisveräußerung anzunehmen, wenn im Rahmen einer einheitlichen selbständigen Praxis die Tätigkeit in einem örtlich eindeutig abgegrenzten Teilbereich mit eigenem Mandantenkreis eingestellt werde und insoweit ein besonderes Büro mit dazugehörigem Personal und Ausstattung vorhanden gewesen sei. Eine bloße organisatorische Aufteilung der freiberuflichen Praxis nach örtlichen oder fachlichen Gesichtspunkten reiche nicht aus, um die dadurch geschaffenen Praxisabteilungen als selbständige Praxisteile im Sinne von Teilbetrieben anzusehen. Die reine Buchführungspraxis, die Y in vollem Umfang übernommen habe, könne nicht als bereits vorhandene selbständige Teilpraxis angesehen werden. Der Steuerpflichtige habe in X eine einheitliche Praxis und nicht mehrere selbständige Teilpraxen geführt. Da er seine freiberufliche Praxis hinsichtlich der ihm verbliebenen Mandanten, die zum Teil auch in X wohnten, fortgeführt habe, könne von einer Einstellung seiner freiberuflichen Tätigkeit in einem räumlich abgegrenzten selbständigen Wirkungsbereich nicht die Rede sein.

Mit seiner Revision begehrt der Steuerpflichtige erneut die Gewährung der Steuervergünstigung des § 34 EStG. Die Grundsätze des BFH-Urteils IV 198/62 S hält er für unrichtig. Es entspreche nicht dem Gesetz, daß neben der Veräußerung des Vermögens auch eine Einstellung der beruflichen Tätigkeit im bisherigen örtlichen Bereich verwirklicht sein müsse. Diese vom genannten BFH-Urteil aufgestellte Forderung verstoße auch gegen den Grundsatz gleichmäßiger Behandlung der Freiberufler, der Landund Forstwirte und der Gewerbetreibenden, da bei letzteren für die Annahme einer Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs nicht Voraussetzung sei, daß an demselben Ort früher oder später ein gleichartiger Betrieb nicht aufgezogen werde. Ebensowenig entspreche es den für die Bejahung einer Betriebsveräußerung oder Betriebsaufgabe bei Gewerbetreibenden geltenden Grundsätzen, wenn für Freiberufler gefordert werde, daß bei mehreren selbständigen, jedoch wesensmäßig verschiedenen Tätigkeiten verschiedene Kundenkreise bestehen und diese aufgegeben sein müßten. Irrig sei die Auffassung des BFH, bei einheitlicher gleichartiger Tätigkeit sei die Annahme ausgeschlossen, Teile der Praxis würden eine so weitgehende organische Selbständigkeit erlangen, daß sie Teilbetrieben der beiden anderen Einkunftsarten gleichgestellt werden könnten. Wesentlich sei vielmehr nach der Entscheidung des RFH VI A 987/31 vom 13. Mai 1931 (RStBl 1931, 490), daß eine Teilung des Betriebs entweder in mehrere Bruchteilsbetriebe (z. B. in zwei Hälften) oder eine Teilung in mehrere selbständige lebensfähige Betriebe möglich sei. Dies aber treffe für den Streitfall zu.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Die Grundsätze, von denen sich die Vorentscheidung leiten ließ, entsprechen der Rechtsprechung des Senats, vgl. insbesondere BFH-Urteil IV 198/62 S. Die Vorinstanz wendete die dort entwickelten Grundsätze auch richtig auf den Streitfall an. So kann einmal der Umstand, daß der Steuerpflichtige im Rahmen seiner gesamten Praxis auch Kunden betreute, für die er nur Buchführungsarbeiten verrichtete, nicht dazu führen, hierin eine Teilpraxis im Sinn des Urteils IV 198/62 S zu erblicken. Zwar spricht das Urteil aus, daß ein Steuerpflichtiger mehrere selbständige, wesensmäßig verschiedene Tätigkeiten in verschiedenen Kundenkreisen zugleich ausüben könne und damit wie ein Gewerbetreibender Inhaber mehrerer selbständiger Betriebe sein könne. Hier sei dann die Steuerbegünstigung zu gewähren, wenn eine dieser mehreren Tätigkeiten durch die Veräußerung des ihr dienenden Vermögens in dem bisherigen Wirkungskreis oder durch Aufgabe beendet werde. Dieser Fall liegt aber bei einer einheitlichen Steuerpraxis, die auch eine reine Buchführungspraxis umschließt, nicht vor. Die Annahme einer selbständigen Buchführungspraxis kann auch hier nur bejaht werden, wenn diese in dem Sinne organisatorisch verselbständigt ist, daß sie nach außen als Einzelpraxis in Erscheinung tritt. So wie die Dinge im Streitfall liegen, kann aber nur von einer einheitlichen Praxis mit verschiedenen unselbständigen, sich gegenseitig bedingenden Geschäftszweigen gesprochen werden.

Der Vorentscheidung ist ferner zuzustimmen, wenn sie die Veräußerung einer Teilpraxis deshalb ablehnte, weil der Steuerpflichtige die Restpraxis in X tatsächlich weiterführte. Hierfür ist weniger entscheidend, daß der Steuerpflichtige in X selbst noch eine geringfügige Tätigkeit ausübte als vielmehr, daß er, wenn auch teilweise von B aus, Reste seiner bisherigen Mandantenschaft weiter betreute. Damit aber gab der Steuerpflichtige seine die Praxis in X betreffende freiberufliche Tätigkeit nicht völlig auf.

Der Steuerpflichtige übersieht bei seinen Angriffen gegen die Rechtsprechung des Senats, daß § 18 Abs. 3 EStG 1960 selbst keine Vergünstigung für den Fall einer Teilbetriebsveräußerung oder Teilbetriebsaufgabe bei Freiberuflern vorsah. Der erkennende Senat hielt es allerdings in seiner Entscheidung IV 198/62 S für angebracht, den Fall einer Teilpraxisveräußerung bzw. Teilpraxisaufgabe nicht schlechthin von den sich aus der entsprechenden Anwendung des § 16 Abs. 4 bzw. des § 34 EStG ergebenden steuerlichen Vergünstigungen auszuschließen, da sich für eine Verweigerung der Steuerbegünstigungen im Verhältnis zu den Begünstigungen von Teilbetriebsveräußerungen bzw. Teilbetriebsaufgaben land- und forstwirtschaftlicher sowie gewerblicher Betriebe keine einleuchtenden Gründe finden ließen. Die Voraussetzungen für die Annahme einer begünstigten Teilpraxisveräußerung bzw. Teilpraxisaufgabe mußten daher von der Rechtsprechung in extensiver Auslegung des § 18 Abs. 3 EStG entwickelt werden, wobei einerseits der Vorstellung des Gesetzgebers Rechnung zu tragen war, daß Teilpraxisveräußerungen und Teilpraxisaufgaben im allgemeinen keine begünstigten Tatbestände darstellen sollten, andererseits im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine Angleichung an entsprechende Sachverhalte der Teilbetriebsveräußerungen und Teilbetriebsaufgaben in der Land- und Forstwirtschaft und bei gewerblichen Unternehmen vorzunehmen waren. Dabei waren auch die Besonderheiten einer freiberuflichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Ob der Senat an der im Urteil IV 198/62 S vertretenen Auffassung, daß die selbständige Arbeit auch im Falle der Veräußerung des ihr dienenden Vermögens beendet sein müsse, damit die Steuervergünstigung gewährt werden könne, auch weiterhin festhalten würde, kann dahingestellt bleiben. Denn im Streitfalle lag eine solche Beendigung der Tätigkeit weder durch Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens noch durch Aufgabe der freiberuflichen Tätigkeit im örtlich begrenzten Wirkungsbereich vor. Auch soweit der Steuerpflichtige sich gegen den Begriff des Teilbetriebs im allgemeinen wendet, kann ihm nicht gefolgt werden. Auch bei den Einkunftsarten Land- und Forstwirtschaft und Gewerbebetrieb setzt die Veräußerung bzw. Aufgabe eines Teilbetriebs voraus, daß die Merkmale eines Teilbetriebs auf seiten des Veräußerers erfüllt waren, es genügt nicht, wenn mit den erworbenen Wirtschaftsgütern der Erwerber sich einen eigenen Betrieb aufbauen kann. Auch bei einem Gewerbebetrieb kann eine besondere Fabrikationsabteilung, die ein bestimmtes Erzeugnis herstellt, nicht als Teilbetrieb angesehen werden, wenn diese Fabrikationsabteilung nicht organisatorisch hinreichend verselbständigt ist, etwa im Sinne eines Zweigbetriebs. Daß es auf die Verhältnisse auf seiten des Veräußerers, nicht auf die des Erwerbers, ankommt, sprach der Senat erst neuerdings in seiner Entscheidung IV R 75/67 vom 5. April 1968 (BFH 92, 219, BStBl II 1968, 523) für ein gewerbliches Unternehmen aus. Hieran wird festgehalten.

Nach alledem handelt es sich bei der Veräußerung der Mandantenbeziehungen durch den Steuerpflichtigen an seinen früheren Angestellten Y nicht um die Veräußerung des der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens oder um die Aufgabe der freiberuflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen im Sinn des § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG 1960, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der weiten Auslegung des Urteils des Senats IV 198/62 S um die Veräußerung des Vermögens oder die Aufgabe der freiberuflichen Tätigkeit im Rahmen einer selbständigen Teilpraxis des Steuerpflichtigen, so daß die Steuervergünstigung des § 34 EStG mit Recht nicht gewährt wurde. Dabei spielt das Motiv des Steuerpflichtigen, seine freiberufliche Tätigkeit einzuschränken, um sich anderen Tätigkeiten widmen zu können, für die Beurteilung allerdings keine entscheidende Rolle. Denn wenn der Steuerpflichtige z. B. noch eine selbständige Praxis in B gehabt hätte, so hätte er seine freiberufliche Tätigkeit insgesamt durch Aufgabe seiner Praxis in X mit Anspruch auf Steuerbegünstigung nach § 34 EStG ohne weiteres einschränken können. Entscheidend ist, daß die tatsächlich getroffenen Maßnahmen des Steuerpflichtigen nicht ausreichen, um eine, gleichgültig wie motivierte Teilpraxisveräußerung oder Teilpraxisaufgabe anzunehmen.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 566

BFHE 1970, 126

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