Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortschreibungszeitpunkt bei fehlerbeseitigender Art- und Zurechnungsfortschreibung

 

Leitsatz (NV)

Fortschreibungszeitpunkt bei einer fehlerbeseitigenden Art- und Zurechnungsfortschreibung oder einer nicht werterhöhenden Fortschreibung des Einheitswertes ist der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem Finanzamt bekannt wird (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 1. Halbsatz BewG). Die Ausnahmeregelung in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Halbsatz BewG gilt nur für Wertfortschreibungsbescheide, die zu einer Erhöhung des Einheitswertes führen. Sie gilt jedoch nicht, wenn als Folge einer Artfortschreibung auch der Einheitswert erhöht werden muß oder kann.

 

Normenkette

BewG § 22 Abs. 3, 4 S. 3 Nr. 2, § 75 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Miteigentümer eines mit einem selbstgenutzten Wohngebäude bebauten Grundstücks, welches sie im Jahre 1974 erwarben. Das Grundstück bildete die ehemalige Hofstelle eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs. Der hintere Teil des Gebäudes wurde 1780 errichtet, der vordere Teil 1932 angebaut.

Die im vorderen und hinteren Teil des Gebäudes gelegenen Wohnräume verfügen jeweils über separate Eingänge sowie Zähler für die Strom- und Wasserversorgung. Die Wohnbereiche im vorderen und hinteren Teil des Gebäudes sind durch zwei Türen miteinander verbunden. Eine Tür verbindet den Mittelflur des hinteren Teiles des Hauses mit der Diele im vorderen Teil des Hauses, die andere Tür befindet sich zwischen einem Schlafzimmer im hinteren Teil und einem Bad im vorderen Teil des Hauses.

Mit Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1982 bewertete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) das Grundstück der Kläger als Zweifamilienhaus. Vor Erlaß dieses Bescheides lag dem FA eine Bauzeichnung vor, aus welcher sich Anhaltspunkte dafür ergaben, daß zwischen den beiden vermeintlich voneinander abgeschlossenen Wohneinheiten zwei Verbindungstüren bestanden.

Im Anschluß an eine im Jahre 1985 durchgeführte Ortsbesichtigung nahm das FA mit Bescheid vom 22. Oktober 1986 eine fehlerbeseitigende Artfortschreibung auf den 1. Januar 1985 vom Zweifamilienhaus zum Einfamilienhaus vor.

Das Finanzgericht (FG) hat der - nach erfolglos gebliebenem Einspruch - erhobenen Klage stattgegeben und den Feststellungsbescheid (Artfortschreibungsbescheid) sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben.

Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG). Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift sei die zeitliche Beschränkung der 2. Alternative nur dann zu beachten, wenn die Fortschreibung zu einer Erhöhung des Einheitswerts führe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

1. Das FA hat zu Recht im Wege der fehlerbeseitigenden Fortschreibung für das Wohngrundstück der Kläger zum 1. Januar 1985 die Art Einfamilienhaus (vgl. § 75 Abs. 1 Nr. 4 BewG) festgestellt, weil es nur eine Wohnung enthält (vgl. § 75 Abs. 5 BewG). Der Senat vermag die Auffassung des FG nicht zu teilen, das FA sei im Hinblick auf § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG daran gehindert gewesen, die fehlerbeseitigende Artfortschreibung bereits auf diesen Stichtag vorzunehmen.

Gemäß § 22 Abs. 3 BewG findet eine Fortschreibung des Einheitswertes, der Grundstücksart oder der Zurechnung des Gegenstandes auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. Fortschreibungszeitpunkt für eine solche sog. fehlerbeseitigende Fortschreibung ist gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird, bei Erhöhung des Einheitswerts jedoch frühestens der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird. Die in Nr. 2 des Absatzes 4 des § 22 BewG behandelten Fallgruppen stehen sich in einem Regel - Ausnahme - Verhältnis gegenüber. Dabei lautet die Regel, daß Fortschreibungszeitpunkt bei einer fehlerbeseitigenden Art- oder Zurechnungsfortschreibung oder einer nicht werterhöhenden Fortschreibung des Einheitswertes der Beginn des Kalenderjahres ist, in dem der Fehler dem FA bekannt wird. Bei einer Erhöhung des Einheitswertes ist ,,jedoch" (Ausnahme) Fortschreibungszeitpunkt der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird. Für eine zweckgerichtete - extensive - Wortlautinterpretation, wie sie vom FG vorgenommen wird, läßt der Gesetzestext keinen Raum. Dies gilt auch für die z. T. im Schrifttum (vgl. Rössler / Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 15. Aufl. 1989, § 22 Rdnr. 79; Moench / Glier / Knobel / Werner, Bewertungs- und Vermögensteuergesetz, Kommentar, § 22 BewG, Rdnr. 32) vertretene Auffassung, die Ausnahmeregelung in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2, 2. Alternative BewG gelte auch für eine fehlerbeseitigende Artfortschreibung, die zu einer gleichzeitigen Erhöhung des Einheitswerts führt. Denn die in einem Einheitswertbescheid über ein bebautes Grundstück getroffenen Feststellungen zum Wert, zur Art und zur Zurechnung sind selbständige (und gesondert anfechtbare) Feststellungen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. November 1981 III R 116/78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88). Das gilt auch für eine fehlerbeseitigende Fortschreibung nach § 22 Abs. 3 BewG. Die Höhe des Einheitswerts wird bei einer fehlerbeseitigenden Fortschreibung unmittelbar aber nur durch einen Wertfortschreibungsbescheid, nicht durch einen Artfortschreibungsbescheid, angesprochen. Deshalb kann § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 letzter Halbsatz BewG nur für Wertfortschreibungsbescheide gelten. Artfortschreibungen sind insoweit neutral. Es ist deshalb unbeachtlich, ob als Folge einer Artfortschreibung auch der Wert geändert werden muß oder kann (vgl. wie hier: Gorski in Gürsching / Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 22 BewG Anm. 137).

Auch eine am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierte ausdehnende und über den Wortlaut hinausgehende Auslegung der Vorschrift des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2, 2. Alternative BewG dahingehend, daß diese auch für fehlerbeseitigende Artfortschreibungen gilt, kommt nicht in Betracht. Eine solche ausdehnende, über den Wortlaut hinausgehende Auslegung einer Vorschrift setzt voraus, daß das Gesetz lückenhaft ist, d. h. keine Regelung für den zu beurteilenden Sachverhalt enthält. Eine Lücke des Gesetzes liegt dort vor, wo es, gemessen an seiner eigenen Absicht, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, 370 f.).

Eine Gesetzeslücke liegt hier schon deshalb nicht vor, weil das Gesetz für den hier zur Entscheidung anstehenden Fall der fehlerbeseitigenden Artfortschreibung hinsichtlich des maßgebenden Fortschreibungszeitpunkts in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG eine Regelung enthält. Denn diese Vorschrift bestimmt als Fortschreibungszeitpunkt für den Regelfall der fehlerbeseitigenden Fortschreibung, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Wert-, Art- oder Zurechnungsfortschreibung handelt, den Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird.

Auch Sinn und Zweck der in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG enthaltenen Regelungen erfordert es nicht, die Ausnahmeregelung der 2. Alternative der Nr. 2 auf alle fehlerbeseitigenden Fortschreibungen anzuwenden, die im Ergebnis infolge Anknüpfung an die Artfeststellung zu einer höheren Steuer führen. Denn diese Regelung hat der Gesetzgeber offensichtlich im Hinblick auf die unmittelbaren Auswirkungen des erhöhten Einheitswertes auf die einheitswertabhängigen Steuern (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 BewG) getroffen. Während bei diesen eine Erhöhung des Einheitswerts unmittelbar auch zu einer höheren steuerlichen Belastung des Steuerpflichtigen führt (bzw. führen kann), sind - worauf das FA mit seiner Revisionsbegründung zu Recht hinweist - bei einer Artfortschreibung die Auswirkungen auf die Steuerbelastung im Einzelfall nicht ohne weiteres erkennbar, weil sich sowohl eine höhere als auch eine niedrigere Steuerlast einstellen kann und dabei sogar Wechselwirkungen (Erhöhung der einen und Ermäßigung der anderen Steuer) zu beachten wären.

2. Die Sache ist spruchreif. Das FA ist zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei dem Gebäude der Kläger auch nach der älteren Rechtsprechung (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 22. Juni 1979 III R 17/77, BFHE 129, 65, BStBl II 1980, 175; vom 15. März 1974 III R 11/73, BFHE 112, 198, BStBl II 1974, 403; vom 9. Dezember 1970 III R 3/69, BFHE 101, 266, BStBl II 1971, 230) nicht um ein Zweifamilienhaus, sondern um ein Einfamilienhaus handelte. Denn Verbindungstüren zwischen zwei unmittelbar aneinandergrenzenden Wohnräumen verschiedener Wohneinheiten bzw. zwischen Nebenräumen verschiedener Wohneinheiten stehen der Annahme einer baulichen Abgeschlossenheit der beiden Wohnbereiche entgegen. Dies gilt im Streitfall für die beiden Verbindungstüren zwischen der Diele der kleineren Wohneinheit (vorderer Teil des Hauses) und dem Mittelflur der größeren Wohneinheit (hinterer Teil des Hauses) sowie zwischen dem Bad der kleineren Raumeinheit und einem Schlafzimmer der größeren Wohneinheit. Zu Recht hat deshalb das FA darauf hingewiesen, daß die beiden Verbindungstüren den jederzeitigen unmittelbaren Zutritt von einem in den anderen Wohnbereich ermöglichen. Dies und die einheitliche Nutzung des gesamten Gebäudes durch die Kläger hindern die Annahme, es handle sich um zwei Wohneinheiten. Den insoweit bestehenden Fehler der vorausgegangenen Artfeststellung auf den 1. Januar 1982 mußte das FA entsprechend berichtigen.

Gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2, 1. Alternative BewG durfte das FA die fehlerberichtigende Artfortschreibung durch Bescheid vom 22. Oktober 1986 zum 1. Januar 1985 vornehmen, weil ihm der Fehler der vorangegangenen Artfeststellung anläßlich einer im Jahre 1985 durchgeführten Ortsbesichtigung bekannt wurde.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 723

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