Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch einer GmbH auf Einzahlung des Restes des bei der Gründung der GmbH nicht voll eingezahlten Stammkapitals ist wie jede andere Forderung zu bewerten. Liegen am Stichtage keine Tatsachen vor, aus denen nach vernünftigen kaufmännischen und wirtschaftlichen Erwägungen auf alsbaldige Einziehung des Reststammkapitals zu schließen ist, so kann der Anspruch unter Umständen mit 0 DM zu bewerten sein.

 

Normenkette

BewG § 56/1/1, § 97/1/1, §§ 66, 109, 14, 12

 

Tatbestand

Die Bfin ist eine GmbH, die 1955 gegründet, 1956 in das Handelsregister eingetragen wurde. Hauptsächlichster Gegenstand des Unternehmens sind der Bau und Betrieb von Hochgaragen. Von dem Stammkapital ist ein Viertel vor der Anmeldung zum Handelsregister eingezahlt worden, über Höhe und Fälligkeit weiterer Einzahlungen beschließt gemäß dem Gründungsvertrage die Gesellschafterversammlung.

Bisher ist weder ein Beschluß, weitere Einzahlungen auf die Stammeinlagen anzufordern, ergangen, noch ist mit dem Bau einer Hochgarage begonnen worden. Die Verträge mit der Stadt sind erst Mitte 1957 zustande gekommen.

Das Finanzamt hat bei der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens der Bfin. auf den 1. Januar 1956 die Ansprüche auf Einzahlung der ausstehenden Stammeinlagen zum Rohvermögen gerechnet und mit dem Nennbetrage bewertet. Einspruch und Berufung blieben erfolglos. Das Finanzgericht ging in Abweichung von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs von der Auffassung aus, daß Ansprüche einer GmbH auf Einzahlung von Stammeinlagen unabhängig davon zu bewerten seien, mit welcher Wahrscheinlichkeit am Stichtage eine demnächstige Einforderung der Einlagen anzunehmen sei.

Mit der Rb. bekämpft die Bfin. diese Auffassung und trägt vor, weshalb am Bewertungsstichtage eine demnächstige Einforderung der restlichen Stammeinlagen nicht wahrscheinlich gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs sind Ansprüche von Kapitalgesellschaften auf Leistung von Einlagen nur dann mit einem über Null liegenden Betrage zu bewerten, wenn am Stichtage eine Einforderung der Einlagen wahrscheinlich ist. Es müssen dazu bestimmte Tatsachen vorliegen, die nach den Verhältnissen am Stichtage bei vernünftiger kaufmännischer Erwägung die Einforderung derart zweckmäßig erscheinen lassen, daß mit ihr ernstlich zu rechnen ist; gegebenenfalls ist festzustellen, in welcher Höhe das Kapital voraussichtlich demnächst eingefordert werden wird (vgl. zum Beispiel Urteil des Reichsfinanzhofs I A b 431 / 29 vom 6. August 1929, RStBl 1929 S. 509). Diese Rechtsprechung geht auf das Gutachten des Reichsfinanzhofs I D 1 / 28 vom 13. April 1928 (RStBl 1928 S. 171, Slg. Bd. 23 S. 212-224) zurück, wonach für das Nachforderungsrecht kein Wert anzusetzen ist,

wenn "am Stichtage die Einzahlungen weder eingefordert sind noch feststeht, ob jemals und wann eine Nachzahlung eingefordert werden wird, und die Verkehrsanschauung das Nachforderungsrecht als ein Aktivum nicht ansieht".

Dieser Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs schließt sich der Senat an. Es ist allgemein, auch in der Rechtsprechung des erkennenden Senates, anerkannt, daß nicht allein der rechtliche Bestand von Schuldverhältnissen für die Vermögensermittlung maßgebend ist. Schuldverhältnisse sind beim Gläubiger und beim Schuldner außer Ansatz zu lassen, wenn die Schuld für den Schuldner keine wirtschaftliche Belastung bedeutet. Anlaß zur Prüfung dieses Gesichtspunktes besteht insbesondere dann, wenn außer dem Schuldverhältnis andere Rechtsbeziehungen zwischen Schuldner und Gläubiger bestehen, und wenn diese anderen Rechtsbeziehungen geeignet sind, die gewöhnlichen Folgen eines Schuldverhältnisses wenigstens einstweilen in Frage zu stellen. Zu den Rechtsbeziehungen dieser Art gehören die Beziehungen zwischen einer Person und ihren mutmaßlichen Erben sowie, da das Vermögen der Gesellschaft bei der Liquidation an die Gesellschafter zurückfällt, die Beziehungen zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern. In Fällen dieser beiden Arten sind die Vermögen der Beteiligten nicht so scharf voneinander abgegrenzt, wie wenn die Parteien nur in schuldrechtlichen Beziehungen stehen. Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs über die Bewertung der Ansprüche auf Stammeinlagen hält sich in den Grenzen dieser anerkannten allgemeinen Regeln über die Behandlung von Schuldverhältnissen bei der Vermögensermittlung; sie konkretisiert den Grundsatz, daß der Schuldner am Stichtage mit der Geltendmachung der gegen ihn gerichteten Forderung ernsthaft rechnen mußte.

Die überlegungen des Finanzgerichts sind im Ergebnis nicht geeignet, einen anderen Standpunkt zu begründen. Diese Ausführungen beschränken sich im wesentlichen auf die Frage, ob der Einzahlungsanspruch einer Gesellschaft gesellschaftsrechtlich besteht. Dem Finanzgericht ist in der Bejahung dieser Frage zuzustimmen. Es irrt jedoch darin, daß es glaubt, aus dem gesellschaftsrechtlichen Bestande des Anspruches auf seine Bewertung zum Nennbetrage schließen zu müssen. Es führt dazu nur aus, daß keine Gründe für einen Minderwert der Forderung ersichtlich seien. Einer der Gründe, die unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Null-Ansatz solcher Ansprüche führen können, besteht jedoch, wie dargelegt, in den besonderen Rechtsbeziehungen nichtschuldrechtlicher Art zwischen Gläubigern und Schuldnern. Der Hinweis des Berufungsgerichts darauf, daß der Anspruch der Gesellschaft im Falle der Liquidation verrechnet werden müsse, ist an sich zutreffend. Praktisch wird diese Verrechnung allerdings wohl nur dann, wenn die Gesellschafter, anders als im Streitfalle, verschiedene Quoten ihrer Anteile eingezahlt haben. Dem Finanzgericht ist jedoch nicht darin zu folgen, daß diese Verrechnung einer Zahlung des Schuldners gleichstehe. Im Gegenteil: Gerade die Möglichkeit einer solchen Erledigung der fraglichen Ansprüche, einer Erledigung, die außerhalb aller gewöhnlichen schuldrechtlichen Erlöschensgründe steht, läßt deutlich werden, daß sich die Beziehungen der Beteiligten nicht in dem Gläubiger-Schuldner-Verhältnis erschöpfen. Unerheblich für die zu entscheidende Frage ist es schließlich, ob die Gesellschaft den Gesellschaftern die Schuld erlassen kann. Dies ist zwar weder nach dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung noch nach dem Aktiengesetz möglich (ß 19 II, § 60). Daraus ist aber nicht zu folgern, daß die Grundsätze über das Erfordernis einer wirtschaftlichen Last unanwendbar wären. Diese Grundsätze greifen auch und sogar nur dann ein, wenn der Gläubiger die Schuld nicht erlassen hatte. Das Erlaßverbot hindert die Gesellschaft nicht, von einer Einforderung der ausstehenden Zahlungen auf die Geschäftsanteile beliebig lange und sogar bis zu ihrer Liquidation abzusehen; darauf weist die Bfin. mit Recht hin.

Die Frage, ob und in welchem Umfange am Bewertungsstichtage mit der demnächstigen Einforderung von Stammeinlagen zu rechnen ist, hängt in besonderem Umfange von Tatsachenfeststellungen ab. Das Finanzgericht hat, seiner Rechtsauffassung entsprechend, Feststellungen in dieser Richtung bisher nicht getroffen. Die Sache geht daher an das Finanzgericht zurück, das seiner erneuten Entscheidung die in diesem Urteil zum Ausdruck kommenden Grundsätze zugrunde zu legen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409706

BStBl III 1960, 400

BFHE 1961, 400

BFHE 71, 400

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