Entscheidungsstichwort (Thema)

USt-Befreiung der Umsätze eines Heileurythmisten

 

Leitsatz (amtlich)

Leistungen eines Heileurythmisten durch heilberufliche Tätigkeit sind jedenfalls dann nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei, wenn sie ihrer Art nach von den Sozialversicherungsträgern für den Patienten bezahlt werden. Das gilt auch für heilberufliche Leistungen an Privatpatienten, wenn an sie eine ihrer Art nach gleiche heilberufliche Leistung erbracht wird.

 

Normenkette

UStG 1973 § 4 Nr. 14

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg (EFG 1984, 580; LEXinform-Nr. 0061118)

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) setzte gegen den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) ―einen selbständig tätigen Heileurythmisten― in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für 1973 bis 1977 Umsatzsteuer fest. Das FA lehnte es ab, die Tätigkeit des Klägers als steuerbefreiten Heilhilfsberuf i.S. von § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973 anzuerkennen, weil sie nicht ―wie die eines Krankengymnasten― von einer staatlichen Erlaubnis abhänge, nicht durch Gesundheitsbehörden beaufsichtigt werde und weil seine Ausbildung auch nicht gesetzlich geregelt sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, weil es die Umsätze des Klägers als nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1973 steuerfrei beurteilte. Es sah die Tätigkeit des Klägers als in den wesentlichen Merkmalen mit der eines Krankengymnasten vergleichbar an. Wie dieser wende er Bewegungstherapie auf ärztliche Anordnung an und führe dabei eine Tätigkeit aus, die der Linderung von Krankheiten oder Leiden beim Menschen i.S. von § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes diene. Entsprechend dem Zweck der Steuerbefreiungsvorschrift genüge es, wenn der Kläger Leistungen erbringe, die für den Patienten von den Trägern der Sozialversicherung bezahlt würden. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 580 veröffentlicht.

Auf die Revision des FA hob der Bundesfinanzhof (BFH) die Entscheidung des FG auf (Urteil vom 21. Juni 1990 V R 97/84, BFHE 161, 196, BStBl II 1990, 804). Dafür legte er dar, die Umsätze des Klägers erfüllten die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG 1973 nicht, weil er keine "ähnliche heilberufliche Tätigkeit" wie die in der Vorschrift ausdrücklich bezeichneten Berufsträger ausgeübt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das in BFHE 161, 196, BStBl II 1990, 804 veröffentlichte Urteil Bezug genommen.

Die gegen das erwähnte Urteil des BFH gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hob das Urteil des BFH auf, weil es den Kläger in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletze (BVerfG-Beschluss vom 29. Oktober 1999 2 BvR 1264/90, BStBl II 2000, 155, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 1999, 494). Es verwies die Sache an den BFH zurück. In der Begründung seiner Entscheidung führte das BVerfG u.a. aus, der Zweck des § 4 Nr. 14 UStG 1973 sei allein die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer. Das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) verbiete eine nach der Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung. Im Ergebnis sei deshalb kein sachlich rechtfertigender Grund ersichtlich, dem Kläger die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 UStG 1973 zu versagen, wenn die Leistungen eines Heileurythmisten i.d.R. von den Sozialversicherungsträgern finanziert würden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den in BStBl II 2000, 155, UR 1999, 494 (mit Anmerkung Widmann) veröffentlichten BVerfG-Beschluss Bezug genommen.

Das FA, das an seinen bisherigen Anträgen festhält, weist darauf hin, dass die Leistungen des Klägers nur teilweise von den Sozialversicherungsträgern finanziert worden seien. Der nicht genau bekannte Umfang liege unter 50 v.H. Deshalb seien die Anforderungen des BVerfG nicht erfüllt, nach denen für die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 14 UStG 1973 die Leistungen "in der Regel" von den Sozialversicherungsträgern erstattet werden müssten.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Für eine abschließende Entscheidung sind weitere Feststellungen durch das FG erforderlich.

1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1973 sind "die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Dentist, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes" steuerfrei.

a) Die Vorschrift bezweckt die Entlastung der Sozialversicherungsträger (dazu gehören nach § 29 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ―SGB IV― u.a. die öffentlich-rechtlichen Krankenkassen, § 4 SGB V) von der Umsatzsteuer. Ihre Anwendung auf die Umsätze von Unternehmern, die Heil- oder Heilhilfsberufe ausüben, hängt nicht von einer berufsrechtlichen Regelung und deren Erfüllung ab. Maßgebend ist, dass die Leistungen des Unternehmers durch "heilberufliche Tätigkeit" i.d.R. von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden (BVerfG-Beschluss in BStBl II 2000, 155, UR 1999, 494). Unter diesen Umständen kann ein Heileurythmist, der Bewegungstherapie auf ärztliche Anordnung anwendet und dadurch dazu beträgt, Krankheiten oder Leiden beim Menschen zu lindern, nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1973 steuerfreie Umsätze ausführen.

b) Leistungen des Unternehmers durch heilberufliche Tätigkeit, die "in der Regel" von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden (BVerfG-Beschluss in BStBl II 2000, 155, UR 1999, 494), sind jedenfalls vorhanden, wenn sie ihrer Art nach von den Sozialversicherungsträgern für den Patienten bezahlt werden. Damit hängt die Steuerbefreiung nicht davon ab, dass die Sozialversicherungsträger die einzelne Leistung wirklich bezahlt haben, so dass auch Leistungen an Privatpatienten steuerfrei ausgeführt werden, wenn die Sozialversicherungsträger eine entsprechende Leistung für ein Mitglied bezahlen würden.

Deswegen hängt die Steuerbefreiung für Leistungen durch heilberufliche Tätigkeit nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1973 auch nicht ―wie das FA meint― davon ab, dass die Sozialversicherungsträger mehr als 50 v.H. (oder in einem anderen Umfang) der Leistungen des Unternehmers finanzieren. Dadurch würden heilberufliche Leistungen an Privatpatienten nicht erfasst. Die folgerichtige Umsetzung der Steuerbefreiungsvorschrift auf vergleichbare Sachverhalte rechtfertigt nach Art. 3 Abs. 1 GG keine Unterscheidung zwischen Privat- und Kassenpatienten, wenn sie die ihrer Art nach gleiche heilberufliche Leistung beanspruchen. § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1973 bezweckt letztlich, dass Umsatzsteuer nicht auf den Endverbraucher abgewälzt wird, sei es über Beiträge an den Sozialversicherungsträger oder sei es über das Honorar an den Unternehmer, der die heilberufliche Tätigkeit ausführt.

c) Diese Auslegung des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1973 ist mit Gemeinschaftsrecht vereinbar.

Nach Art. 10 Abs. 3 der Zweiten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems - (Richtlinie 67/228/EWG; Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― 1967, 1303) kann jeder Mitgliedstaat vorbehaltlich der in Art. 16 vorgesehenen Konsultation andere von ihm für erforderlich gehaltene Befreiungen (als die in Art. 10 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 67/228/EWG bezeichneten Befreiungen) festsetzen. Das in den Streitjahren 1973 bis 1977 geltende Umsatzsteuerrecht der Gemeinschaft steht somit der zuvor geschilderten Auslegung des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1973 nicht entgegen.

Die erwähnte Auslegung des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1973 widerspricht auch nicht den Grundsätzen in dem fortentwickelten Gemeinschaftsrecht durch die grundsätzlich ab 1. Januar 1978 für die Mitgliedstaaten verbindliche Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG).

Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften unter den Bedingungen, die sie zur Gewährung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer (nach Buchst. c) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufe erbracht werden. Dazu hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entschieden, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG Leistungen umfasse, die außerhalb eines Krankenhauses im Rahmen einer auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen Patient und Behandelndem erbracht werden, wobei diese Beziehung normalerweise in dessen Praxisräumen zum Tragen kommt (EuGH-Urteil vom 23. Februar 1988 Rs. 353/85 - Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1988, 817, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG, Art. 13, Rechtsspruch 9, Rdnr. 33). In ständiger Rechtsprechung weist der EuGH darauf hin (z.B. EuGH-Urteil vom 11. August 1995 Rs. C-453/93 - Bulthuis Griffioen, Slg. 1995 I-2341, UR 1995, 476), dass die in Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG enthaltenen Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen umschrieben werden, eng auszulegen sind.

Dies rechtfertigt es, nicht sämtliche, sondern nur die Leistungen durch heilberufliche Tätigkeit zu befreien, die (ihrer Art nach) von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden.

2. Das FG hat zwar festgestellt, dass der Kläger nur Behandlungen auf Anordnung überweisender Ärzte durchführt. Hieraus folgt aber nicht notwendig, dass es sich ausnahmslos um Leistungen handelt, die Gegenstand der Sozialversicherung sind.

Deshalb ist nunmehr aufzuklären, für welche Leistungen ihrer Art nach die Sozialversicherungsträger die Kosten tragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 426338

BFH/NV 2000, 1431

BFHE 191, 441

BFHE 2001, 441

BB 2000, 1982

DB 2000, 2048

DStR 2000, 1598

DStRE 2000, 1096

DStZ 2000, 798

HFR 2000, 834

StE 2000, 588

UR 2000, 436

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