Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Ist ein landwirtschaftlicher Betrieb vor dem Inkrafttreten des BVFG an einen Vertriebenen veräußert worden und sind auf Grund des § 6 der 2.StDVO-SHG die auf den Betrieb entfallenden Leistungen an Soforthilfeabgabe unerhoben geblieben, so gelten die ab 1. April 1952 fällig werdenden Vierteljahrsbeträge an Vermögensabgabe in jedem Falle nach Maßgabe des § 50 Abs. 2 BVFG als abgegolten, ohne daß es einer Prüfung bedarf, ob auch nach dem BVFG die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Vermögensabgabe wegen Veräußerung des landwirtschaftlichen Betriebes erfüllt sein würden.

 

Normenkette

LAG § 202; BVFG §§ 36, 50, 55; 2-StDVO-SHG 6

 

Tatbestand

Der Land- und Gastwirt Oskar G ist Flüchtling im Sinne des § 31 Ziff. 1 des Soforthilfegesetzes (SHG) und des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (BVFG) sowie Geschädigter im Sinne des § 254 Abs. 1 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG). Er war in der Landwirtschaft ausgebildet worden, hatte im Jahre 1929 den elterlichen Betrieb verlassen und in Schlesien einen Hof zunächst als Pächter, späterhin als Eigentümer bewirtschaftet. Nach der Vertreibung pachtete er zunächst den seiner Mutter Ludwina G gehörigen Bauernhof in K; kurze Zeit später übernahm er deren gesamten Besitz, bestehend aus dem Bauernhof und einer Gastwirtschaft, auf Grund der Verträge vom 22. März 1950, 14. Juni 1950 und 14. März 1951 als Eigentümer.

Die Witwe G stellte daraufhin den Antrag, ihr die Vergünstigung für die Soforthilfeabgabe gemäß § 28 Ziff. 3 SHG und § 6 Abs. 1 und 6 der Zweiten Durchführungsverordnung zum Ersten Teil des Soforthilfegesetzes (2. StDVO-SHG) und §§ 1 und 4 Ziff. 4 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes zu gewähren. Das Finanzamt versagte ihr diese Vergünstigung mit der Begründung, daß die Verträge zwischen ihr und ihrem Sohn Oskar zur Regelung familien- und erbrechtlicher Verhältnisse, nicht zum Zweck der Eingliederung ihres Sohnes in die Landwirtschaft geschlossen worden seien. Im Berufungsverfahren, in dessen Verlauf Frau G verstorben ist, wurde aber vom Finanzgericht zugunsten ihrer Erben dahingehend entschieden, daß der auf den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb entfallende Teil der Soforthilfeabgabe in Höhe von jährlich 820,- DM unerhoben bleibe. Diese Entscheidung des Finanzgerichts erlangte Rechtskraft.

Diesem Urteil entsprechend blieb während der Geltungsdauer des SHG die auf den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb entfallende Abgabe unerhoben. Für die Zeit ab 1. April 1952 widerrief das Finanzamt die bis dahin gewährte Vergünstigung unter Hinweis darauf, daß gemäß § 36 Ziff. 4 BVFG im Falle der übergabe von Betrieben an Personen, die mit dem Veräußerer in gerader Linie verwandt seien, die Vergünstigung bei der Vermögensabgabe ausgeschlossen sei. Es erließ demgemäß auch einen Vermögensabgabebescheid, in dem neben dem Betriebsvermögen der Gastwirtschaft auch der landwirtschaftliche Betrieb der verstorbenen Ludwina G der Vermögensabgabe unterworfen wurde.

Den gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch ihres Sohnes und Miterben Oskar G wies das Finanzamt mit der Begründung zurück, daß sich die Rechtskraft des vom Finanzgericht erlassenen Urteils nur auf die Soforthilfeabgabe erstrecke und nicht ohne weiteres auch eine Befreiung von der als selbständige Abgabe zu behandelnden Vermögensabgabe in sich schließe. Im übrigen nahm es Bezug auf § 36 Ziff. 4 BVFG, durch den eine Vergünstigung bei der Erhebung der Vermögensabgabe im Streitfalle ausgeschlossen sei.

Im Berufungsverfahren wurde die Einspruchsentscheidung und der vorläufige Vermögensabgabebescheid des Finanzamts vom 9. September 1954 aufgehoben. Das Finanzgericht erkannte dahin, daß von den ab 1. April 1952 fälligen Vierteljahrsbeträgen an Vermögensabgabe mit je 162,60 DM jeweils 150,70 DM als abgegolten gelten. Es ging bei dieser Entscheidung in übereinstimmung mit dem Finanzamt zwar davon aus, daß die Rechtskraft des in der Soforthilfeabgabesache ergangenen Urteils des Finanzgerichts sich nicht auf die Vermögensabgabe erstrecke, vertrat aber im übrigen die Auffassung, daß im Streitfall der § 55 BVFG anzuwenden sei. Entsprechend dem Inhalt dieser Bestimmung sind nach Ansicht des Finanzgerichts die während der Laufzeit der Soforthilfeabgabe fällig gewordenen Abgabebeträge als entrichtet anzusehen, während die ab 1. April 1952 fällig werdenden Vierteljahrsbeträge zur Vermögensabgabe entgegen der Auffassung des Finanzamts nach Maßgabe des § 55 in Verbindung mit § 50 Abs. 2 BVFG als Abgegolten zu gelten haben. Diesen gemäß § 50 Abs. 2 BVFG als abgegolten geltenden Teil der Vermögensabgabe hat das Finanzgericht auf 150,70 DM berechnet.

Gegen diese Entscheidung des Finanzgerichts richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts. Sie rügt unrichtige Anwendung der Vorschriften des § 202 LAG sowie der §§ 36 Ziff. 4, 50 und 55 Abs. 1 BVFG und wendet sich insbesondere dagegen, daß bei der Anwendung des § 50 BVFG die allgemeinen Grundsätze des § 36 BVFG nicht beachtet worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß die Vermögensabgabe nach dem LAG im Verhältnis zur Soforthilfeabgabe eine selbständige Bedeutung hat. Demgemäß kann sich die Rechtskraft eines zur Soforthilfeabgabe erlassenen Urteils nicht ohne weiteres auf die nach dem LAG zu erhebenden Abgaben erstrecken.

Eine andere Frage ist jedoch, ob Abgabebefreiungen oder ähnliche Vergünstigungen, die nach dem SHG und während seiner Geltungsdauer gewährt worden sind, kraft gesetzlicher Vorschrift auch während der Dauer der Lastenausgleichsabgaben fortwirken.

Die Frage, wie sich die Veräußerung und Verpachtung von Betrieben an Geschädigte auf die Lastenausgleichsabgaben auswirkt, ist grundsätzlich im § 202 LAG geregelt. In dieser Vorschrift sind aber die näheren Bestimmungen hierfür nicht unmittelbar getroffen, sondern der Ausgestaltung durch eine noch zu erlassende Rechtsverordnung überlassen worden. Eine solche Rechtsverordnung ist bisher nicht ergangen. An ihre Stelle sind aber für den landwirtschaftlichen Sektor nach allgemein herrschender und unbestrittener Ansicht die Vorschriften des BVFG getreten. Dieses enthält im § 55 die maßgeblichen Bestimmungen für die Befreiung von der Vermögens- und Hypothekengewinnabgabe im Falle einer Betriebsveräußerung vor dem Inkrafttreten des am 19. Mai 1953 erlassenen BVFG. Mit Recht ist die Vorinstanz bei ihrer Entscheidung von dieser Vorschrift ausgegangen. Die Rb. rügt auch nicht, daß das Finanzgericht überhaupt auf den § 55 BVFG zurückgegriffen hat. Sie erkennt sogar an, daß die unter der Herrschaft des SHG unerhoben gebliebenen Beträge für die Berechnung der Vermögensabgabe als entrichtet gelten. Die Rb. vertritt aber die Auffassung, daß die Bezugnahme auf § 50 BVFG, die im § 55 Abs. 1 Satz 2 BVFG hinsichtlich der ab 1. April 1952 fällig werdenden Vierteljahrsbeträge ausgesprochen ist, die erneute Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen für die nach § 50 BVFG zu gewährenden Vergünstigungen zur Folge haben müsse. Die Rb. gelangt daher zu der Schlußfolgerung, daß die streitige Vergünstigung für die Zeit ab 1. April 1952 zu versagen sei, weil gemäß § 36 Ziff. 4 BVFG übergabeverträge, die zwischen Verwandten gerader Linie geschlossen seien, der Vergünstigung des § 50 BVFG nicht teilhaftig werden könnten.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die Rb. stellt selbst nicht in Abrede, daß der § 55 BVFG im Streitfall anzuwenden sei, weil die Veräußerung des landwirtschaftlichen Betriebs der verstorbenen Witwe G vor dem Inkrafttreten des BVFG erfolgt sei. Aber neben dem Satz 1 dieser Bestimmung, der die Regelung für die bereits fällig gewesenen Soforthilfeabgaberaten enthält, muß auch der Satz 2 des § 55 ohne Einschränkung auf die nach dem 1. April 1952 fällig werdenden Vierteljahresbeträge Anwendung finden. Nach dieser Bestimmung ist für die Frage der Abgeltung der nach dem 1. April 1952 fällig werdenden Vierteljahrsbeträge ausschließlich § 50 Abs. 2 BVFG bestimmend. Diese Vorschrift befaßt sich jedoch nur mit der Berechnungsmethode für den Abgeltungsbetrag, enthält dagegen keine Vorschriften, in denen irgendwie die Voraussetzungen für die Gewährung der Vergünstigung geregelt wären. Solche Bestimmungen sind allenfalls im § 50 Abs. 1 BVFG enthalten, auf den aber § 55 nicht zurückverwiesen hat. Aus dieser Systematik des BVFG muß entnommen werden, daß die Frage, ob die allgemeinen Voraussetzungen für eine Vergünstigung aus Anlaß der Veräußerung von landwirtschaftlichen Betrieben an Flüchtlinge erfüllt sind, jedenfalls dann nicht nochmals zu prüfen ist, wenn die entsprechenden Veräußerungen vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erfolgt und die damit verbundenen Vergünstigungen nach dem SHG gewährt worden sind. Soweit dies der Fall war, muß es dabei nach Maßgabe des § 55 Abs. 1 BVFG sein Bewenden haben. Die nach § 55 Abs. 1 in Verbindung mit § 50 Abs. 2 BVFG vorgeschriebenen Auswirkungen dieser Vergünstigung sind daher ohne weitere Prüfung auch für die Dauer des Lastenausgleichs zu beachten.

Im übrigen hat das Finanzgericht in seiner Entscheidung mit Recht darauf hingewiesen, daß, abgesehen von der Fassung des Gesetzestextes, schon der Gedanke des Vertrauensschutzes eine derartige Regelung bedinge, weil die Abgabepflichtigen damit hätten rechnen dürfen, daß die unter der Herrschaft des SHG gewährten Vergünstigungen ihnen für die gesamte Laufzeit des Lastenausgleichs erhalten bleiben würden. Dieser Rechtsgedanke hat auch im § 202 Abs. 2 LAG Ausdruck gefunden, der die vorläufige Fortdauer der nach §§ 6 und 7 der 2.StDVO-SHG gewährten Vergünstigungen für die zur Vermögensabgabe zu leistenden Vierteljahrsbeträge ausdrücklich vorschreibt. An ihm ist festzuhalten, so lange nicht im Gesetzgebungs- oder Verordnungswege für die Vermögensabgabe das Gegenteil bestimmt ist. Derartige Bestimmungen enthält aber das BVFG nicht.

Die Rb. war somit als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 307 der Reichsabgabenordnung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408383

BStBl III 1956, 142

BFHE 62, 386

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