Leitsatz (amtlich)

Sog. Felgenschlösser zur Sicherung von Autoradfelgen sind keine Schlösser i.S. der Tarifnr. 83.01 GZT.

 

Orientierungssatz

1. Für die Zuweisung einer Ware zu Tarifnr. 83.01 GZT kommt es nicht bloß auf eine wie auch immer zu bestimmende Sicherungsfunktion an; vielmehr muß diese Sicherungsfunktion durch einen zum Schließen (und Öffnen) mittels Schlüssels dienenden Mechanismus --Schloß im zolltariflichen Sinne-- erfüllt werden. Im Streitfall waren sog. Felgenschlösser zur Sicherung von Autoradfelgen aufgrund des charakterbestimmenden Bestandteils (ATV 3 b) der Tarifstelle 73.32 B II GZT zuzuweisen.

2. NVS: Eine abweichende Tarifauffassung des FG zwingt den BFH dann nicht zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH, wenn sie nicht derart begründet ist, daß sie einen zur Vorlage veranlassenden Zweifel hervorrufen könnte (vgl. BFH-Urteil vom 23.10.1985 VII R 107/81).

 

Normenkette

GZT Tarifnr 83.01; GZT Tarifnr 73.32 Tarifst B-2; GZT ATV 3b; EWGVtr Art. 177 Abs. 3

 

Tatbestand

I. Die Klägerin ließ am 14.April 1982 bei dem Hauptzollamt --HZA-- aus Japan eingeführte Waren zum freien Verkehr abfertigen, die sie als "diebstahlsichernde Felgenschlösser, andere Schlösser für Fahrzeuge" anmeldete. Nach der Rechnung des Lieferers handelte es sich um Warensätze, bestehend aus je vier Bolzen bzw. Muttern und einem von der Klägerin als Schlüssel angesehenen Ergänzungsstück, ferner um gesonderte Ergänzungsstücke, in der Rechnung als "spare keys" (*= Ersatz- bzw. Reserveschlüssel) bezeichnet. Die Waren dienen dazu, dem Diebstahl von Autoradfelgen entgegenzuwirken. Je ein Warensatz ist für ein vierrädriges Kraftfahrzeug bestimmt, dessen Felgen mit den zum Warensatz gehörenden Bolzen oder --je nach Fabrikat-- Muttern befestigt werden. Der Kopf dieser Bolzen/Muttern ist so beschaffen (kleeblattförmig ausgefräst), daß sie sich mit gängigem Werkzeug nur nach Einsetzen des Ergänzungsstücks lösen lassen, und zwar, aufgrund unterschiedlicher Ausfräsungen, grundsätzlich nur mittels des zum jeweiligen Satz gehörenden --nachlieferbaren-- Ergänzungsstücks.

Das HZA wies die Waren der Tarifst. 73.32 B II des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) --"Bolzen und Muttern ..., mit Gewinde, aus Stahl, andere ..."-- zu. Der nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobenen Klage, mit der die Klägerin eine Tarifierung der Waren als "Schlösser" der Tarifnr. 83.01 GZT erstrebte, gab das Finanzgericht (FG) mit der Begründung statt, die Bolzen/Muttern erfüllten im Zusammenwirken mit den Zusatzstücken die Funktion eines Schlosses (mit Schlüssel). Bei dieser Funktion --als Felgenschloß--, die die Zuweisung zur Tarifnr. 83.01 GZT rechtfertige, liege das charakterbestimmende Schwergewicht. Der Sicherungsfunktion komme nach der Verkehrsanschauung die entscheidende Bedeutung zu, denn die als Schlösser gehandelten Waren seien weitaus teurer als übliche Bolzen oder Muttern. Da es sich bei ihnen nicht um "Teile", sondern --auch ohne die Ergänzungsstücke (Schlüssel)-- um vollständige Waren handele, stehe ihrer Zuordnung zu Tarifnr. 83.01 GZT auch die Vorschrift zu Kap. 83 GZT nicht entgegen, abgesehen davon, daß sie aufgrund ihrer Sicherungsfunktion ohnehin nicht zu Tarifnr. 73.32 GZT gehörten.

Mit seiner Revision macht das HZA geltend, zur Tarifnr. 83.01 GZT gehörten nur Verschlußvorrichtungen, deren Mechanismus durch Schlüssel bzw. eine Kombination von Zahlen oder Buchstaben betätigt werde. Die zu tarifierenden Waren unterschieden sich lediglich durch die besondere Ausfräsung im Kopf und den fehlenden Sechskant von üblichen Radbolzen und -muttern. Sie würden nicht zusätzlich verwendet, sondern ersetzten übliche Radbolzen oder -muttern als Befestigungselement. Ein Schließvorgang --Erzielen eines Verriegelungseffekts durch bewegliche Teile-- finde nicht statt. Somit seien die Erzeugnisse --Warenzusammenstellungen mit Bolzen als charakterbestimmendem Bestandteil-- trotz ihrer zusätzlichen Sicherungsfunktion keine Schlösser im zolltariflichen Sinne.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Diese ist abzuweisen, weil die Waren nicht, wie von der Vorinstanz entschieden, zur Tarifnr. 83.01 GZT gehören. Sie sind vielmehr als "andere" Bolzen oder Muttern, mit Gewinde aus Stahl, anzusehen und der Tarifst. 73.32 B II GZT zuzuweisen.

Maßgebend für die Tarifierung ist der GZT (vgl. auch Allgemeine Tarifierungs-Vorschrift --ATV-- 1). Auf die Verkehrsauffassung kommt es nur an, soweit sich deren Maßgeblichkeit wenigstens mittelbar aus den Tarifvorschriften ergibt (vgl. Beschluß des Senats vom 24.April 1985 VII R 24/81, BFHE 143, 481 f.) oder wenn die Tarifvorschriften keine Lösung ermöglichen und das verwendete Erkenntnismittel --hier: die Verkehrsauffassung-- im gesamten Anwendungsbereich des jeweils maßgebenden Zolltarifschemas zu demselben Ergebnis führt (vgl. Lux in Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, Kommentar, F II 1 Randziffer 183). Diese Voraussetzung liegt im Streitfalle nicht vor, weil sich die zutreffende Tarifierung der Waren aus den Tarifvorschriften ergibt. Für die Entscheidung ist mithin unerheblich, welche Schlüsse auf eine etwa abweichende Verkehrsanschauung aus dem Preis der Waren und ihrer im Handel üblichen Bezeichnung gezogen werden könnten.

Mit Recht ist das FG --stillschweigend-- davon ausgegangen, daß sich die Tarifierung der zu beurteilenden Waren nach den Bolzen/Muttern richtet, die zu jedem Warensatz gehören. Der Warensatz ist eine Warenzusammenstellung (vgl. Erläuterungen zum Zolltarif --ErlZT-- zu ATV 3 Teil I Rdnr. 22 bis 24), die nach ATV 3 zu tarifieren ist (vgl. ATV 2 b Satz 3), hier gemäß ATV 3 b nach dem charakterbestimmenden Bestandteil. Charakterbestimmend nach Umfang, Wert und Bedeutung für die Verwendung (vgl. ErlZT a.a.O., Rdnr.17) sind die Bolzen/Muttern.

Entgegen der Ansicht des FG sind die Bolzen/Muttern, auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenwirkens mit den Zusatzstücken, nicht als Schlösser im Sinne der Tarifnr. 83.01 GZT anzusehen. Schon aus dem Wortlaut dieser Tarifnummer ergibt sich, daß die in ihr erfaßten Schlösser, abgesehen von Geheimschlössern und elektrischen Schlössern, "zum Schließen mit Schlüsseln" geeignet und bestimmt sein müssen. Auch die ErlZT (hier: zu Tarifnr. 83.01 Teil I Rdnr.1 GZT), die zwar keine Rechtsnorm, wohl aber nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Senats wesentliches Erkenntnismittel bei der Auslegung des Zolltarifs sind, bestätigen, daß zu Tarifnr. 83.01 GZT --neben Geheim- oder Kombinationsschlössern sowie Schlössern mit elektrischer Vorrichtung (ErlZT a.a.O., Rdnr.2)-- Verschlußvorrichtungen gehören, deren Mechanismus durch Schlüssel betätigt wird. Für die Zuweisung zu Tarifnr. 83.01 GZT kommt es damit nicht bloß auf eine wie auch immer zu bestimmende Sicherungsfunktion an, die das FG hier darin sieht, daß die Waren "wie ein Schloß das unbefugte Öffnen bzw. Lösen" verhindern. Vielmehr muß diese Sicherungsfunktion durch einen zum Schließen (und Öffnen) mittels Schlüssels dienenden Mechanismus --Schloß im zolltariflichen Sinne-- erfüllt werden. An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfalle. Die Bolzen/Muttern sind starre Befestigungselemente, ohne einen Mechanismus als Schließvorrichtung in Gestalt zusammenwirkender beweglicher Teile, der durch Schlüssel betätigt würde. Sie stellen sich, da ein solcher Mechanismus fehlt, auch nicht als Teile einer Schließvorrichtung (Schloß) dar, so daß es nicht der Prüfung bedarf, ob sie aufgrund der Vorschrift zu Kap.83 von der Tarifnr. 83.01 GZT ausgeschlossen wären. Allenfalls können sie, allein nach ihrer Funktion beurteilt, Verschlüssen ohne Schloß gleichgesetzt werden, also Waren, die ebenfalls nicht zu Tarifnr. 83.01 GZT gehören, anders als Verschlüsse mit Schließmechanismus (vgl. auch ErlZT a.a.O., Rdnr.5). Mangels eines solchen Mechanismus, auf den sie einwirken könnten, sind auch die Ergänzungsstücke, ungeachtet ihrer Bezeichnung in der Rechnung, keine Schlüssel "für" Schlösser (ErlZT a.a.O., Rdnr.10).

Die Bolzen gehören ohne Rücksicht auf ihren Verwendungszweck, der auch --wie hier-- spezieller Art sein kann, zu Tarifnr. 73.32 GZT (vgl. ErlZT zu Tarifnr. 73.32 Teil I Rdnr.7), und zwar aufgrund ihrer Beschaffenheit zu Tarifst. 73.32 B II GZT. Dasselbe gilt für die Muttern, die als ergänzende Teile zum Festhalten der Bolzen dienen (ErlZT a.a.O., Rdnr.8). Als Waren der Tarifnr. 73.32 GZT gelten die Bolzen/Muttern trotz ihres speziellen Verwendungszwecks als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit aus unedlen Metallen (Vorschrift 2 a zu Abschn.XV; vgl. auch ErlZT zu Tarifnr. 73.32 Teil III Rdnr. 20). Als solche werden sie nicht von der Tarifnr. 87.06 GZT --Teile für Kraftfahrzeuge-- erfaßt (Vorschrift 2 b zu Abschn. XVII; vgl. auch ErlZT zu Abschn.XV Teil I Rdnr.27).

++/ Der Senat sieht davon ab, zu der Tarifierungsfrage eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Denn die Auslegung der in Betracht kommenden Tarifvorschriften, so wie geschehen, ist nach Ansicht des Senats so eindeutig, daß für einen begründeten Zweifel kein Raum, eine Vorlage mithin nicht notwendig ist (vgl. EuGH-Urteil vom 6.Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430 f.). Die abweichende Tarifauffassung der Vorinstanz zwingt nicht zur Vorlage, denn sie ist nicht derart begründet, daß sie einen zur Vorlage veranlassenden Zweifel hervorrufen könnte (vgl. in diesem Zusammenhang Urteil des Senats vom 23.Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266, 271). /++

 

Fundstellen

Haufe-Index 61118

BFHE 147, 85

BFHE 1987, 85

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge