Entscheidungsstichwort (Thema)

Unentgeltliche Arbeitnehmer-Sammelbeförderung

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmer unentgeltlich ohne konkrete Verknüpfung mit dem Arbeitsverhältnis oder dem Lohn von der Wohnung zur Arbeitsstätte ab einer bestimmten Entfernung befördert, führt keine steuerbare Leistung gegen Entgelt (in Gestalt eines Teiles der Arbeitsleistung) nach §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG aus. Eine konkrete Verknüpfung mit der Arbeitsleistung oder dem Lohn liegt nicht schon wegen tarifvertraglicher Vereinbarung der Beförderung bzw. Fahrkostenvergütung vor (Anschluß an EuGH, Urteil vom 16. Oktober 1997 Rs. C- 258/95, UVR 1997, 430, UR 1998, 61).

2. Die Sonderregelung für die Steuerbarkeit unentgeltlicher Sachzuwendungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer in §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG ist richtlinienkonform auszulegen. Nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG dient die unentgeltliche Beförderung von Arbeitnehmern von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück mit einem betrieblichen Kfz durch den Arbeitgeber grundsätzlich dem privaten Bedarf der Arbeitnehmer und damit unternehmensfremden Zwecken, ist also grundsätzlich steuerbar. Das gilt nicht, wenn die Erfordernisse des Unternehmens im Hinblick auf besondere Umstände, wie die Schwierigkeit, andere geeignete Verkehrsmittel zu benutzen, und wechselnde Arbeitsstätten, es gebieten, daß die Beförderung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber übernommen wird, weil dann diese Leistung nicht zu unternehmensfremden Zwecken ausgeführt wird.

 

Normenkette

UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1, 2 Buchst. b, Nr. 2 S. 2 Buchst. b; EWGRL 388/77 Art. 6 Abs. 2

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Bauunternehmen. Sie beförderte in den Streitjahren 1984 und 1985 ihre Arbeitnehmer in Sammeltransporten mit firmeneigenen Kleinbussen und Pritschenwagen unentgeltlich von deren Wohnungen zu den jeweiligen Baustellen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) nahm insoweit steuerbare Umsätze gemäß §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) an und legte der Besteuerung den ermäßigten Steuersatz gemäß §12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG 1980 zugrunde.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG) unterlagen die Sammelbeförderungen entweder als betriebliche Sachzuwendung für geleistete Dienste nach §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 oder nach §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 der Umsatzsteuer.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Wie im Einspruchs- und Klageverfahren trägt sie zur Begründung im wesentlichen vor: Die von ihr durchgeführte Sammelbeförderung ihrer Arbeitnehmer könne nicht unter Berufung auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. März 1988 V R 30/84 und V R 114/83 (BFHE 153, 155 und 162, BStBl II 1988, 643 und 651) als steuerbare Leistung gemäß §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 angesehen werden. Die zitierte Rechtsprechung sei auf den zu beurteilenden Sachverhalt nicht anwendbar. FA und FG hätten verkannt, daß es sich bei der Beförderung um keine Leistung an die Arbeitnehmer für deren privaten Bedarf gehandelt habe, sondern um Leistungen des Arbeitgebers, die überwiegend durch dessen betriebliches Interesse veranlaßt gewesen seien. Das ergebe sich aus der Besonderheit, daß sie, die Klägerin, als Bauunternehmerin durch §7 Tz. 3.1 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 3. Februar 1981 verpflichtet sei, ihren Arbeitnehmern entweder Fahrtkostenabgeltung zu zahlen oder sie in firmeneigenen Fahrzeugen zu der jeweiligen Baustelle zu befördern.

Selbst wenn man unterstelle, daß hier gleichzeitig der private Bedarf der Arbeitnehmer befriedigt werde, wäre die Steuerbarkeit nach der BFH-Rechtsprechung zu verneinen, weil die Deckung privaten Bedarfs durch ihre (der Klägerin) vertragliche Verpflichtung als Arbeitgeber durch den Tarifvertrag überlagert werde. Zudem komme bei einem Bauunternehmen ihrer Größe aus wirtschaftlichen Gründen praktisch nur die unentgeltliche Sammelbeförderung in Betracht, weil eine Fahrtkostenabgeltung nach Maßgabe der tarifvertraglich festgelegten Sätze regelmäßig zu überhöhten Kostenbelastungen führe.

Ferner verweist die Klägerin auf Abschn. 12 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1992 zur Nichtsteuerbarkeit der Gestellung von Betriebsparkplätzen und auf §3 Nr. 32 des Einkommensteuergesetzes 1990. Diese Vorschrift betreffe, soweit erkennbar, die hier gegebene Sachverhaltsgestaltung. Sie zeige, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, daß die Sammelbeförderung zu wechselnden Einsatzstellen durch betriebliche Notwendigkeit verursacht sei.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1984 und 1985 die Umsatzsteuer um jeweils ... DM herabzusetzen.

Das FA hält das angefochtene Urteil für zutreffend, soweit es auf §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 gestützt ist. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei den Sammelbeförderungen um keine Gestaltung der Arbeitsausübung, wenn man (gemäß der BFH-Rechtsprechung) die Fahrten nicht zur Arbeitszeit rechne.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Senat kann die Beurteilung der Sammelbeförderung durch das FG revisionsrechtlich nicht abschließend prüfen. Die (bisher vorhandenen) Feststellungen reichen nicht aus, um die Steuerbarkeit nach §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b bzw. §1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 bei richtlinienkonformer Auslegung anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu klären.

1. Im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Bestimmung des Leistungsaustauschs (Leistung gegen Entgelt) durch den Senat und der Vorschrift des §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 mit dem Gemeinschaftsrecht (Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG -- Richtlinie 77/388/EWG -) legte der erkennende Senat dem EuGH mit Beschluß vom 11. Mai 1995 V R 105/92 (BFHE 178, 241), in einem vergleichbaren Rechtsstreit Fragen zur Auslegung einschlägiger Bestimmungen der Richtlinie 77/388/EWG vor.

2. Der EuGH beantwortete die Fragen mit Urteil vom 16. Oktober 1997 Rs. C-258/95 (Julius Fillibeck Söhne GmbH & Co. KG, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1997, 430, Umsatzsteuer-Rundschau 1998, 61) wie folgt:

(1.) Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG ist dahin auszulegen, daß ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmer unentgeltlich ohne konkrete Verknüpfung mit der Arbeitsleistung oder dem Lohn von der Wohnung zur Arbeitsstätte ab einer bestimmten Entfernung befördert, keine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne dieser Bestimmung erbringt.

(2.) Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG ist dahin auszulegen, daß die unentgeltliche Beförderung von Arbeitnehmern von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück mit einem betrieblichen Kfz durch den Arbeitgeber grundsätzlich dem privaten Bedarf der Arbeitnehmer und damit unternehmensfremden Zwecken dient. Diese Bestimmung findet jedoch keine Anwendung, wenn die Erfordernisse des Unternehmens im Hinblick auf besondere Umstände, wie die Schwierigkeit, andere geeignete Verkehrsmittel zu benutzen, und wechselnde Arbeitsstätten, es gebieten, daß die Beförderung der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber übernommen wird, da dann diese Leistung nicht zu unternehmensfremden Zwecken erbracht wird.

(3.) Die Antwort auf die zweite Frage gilt auch für den Fall, daß der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nicht in eigenen Fahrzeugen befördert, sondern einen seiner Arbeitnehmer mit der Beförderung in dessen Privatfahrzeug beauftragt.

3. Diese Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben für die Entscheidung des Streitfalls nach dem Umsatzsteuergesetz 1980 folgendes:

a) Soweit das FG das Urteil darauf stützte, die Steuerbarkeit der Sammelbeförderung ergebe sich bereits aus §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980; es handle sich um eine Leistung gegen Entgelt, weil die tarifvertraglich zu leistende Beförderung bzw. Fahrkostenerstattung Teil der arbeitsvertraglich geschuldeten Vergütung für geleistete Dienste sei, ist dies mit den wiedergegebenen Auslegungsgrundsätzen des EuGH zu (1.) und denen des Senats (vgl. Vorlagebeschluß in BFHE 178, 241, unter II. 1.) nicht vereinbar. Eine konkrete Verknüpfung der Beförderung mit der Arbeitsleistung oder dem Lohn fehlt im Streitfall.

b) Die Steuerbarkeit unentgeltlicher Sammelbeförderung ergibt sich nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG aufgrund der Gleichstellung unentgeltlicher Leistungen des Arbeitgebers "für seinen privaten Bedarf oder den Bedarf seines Personals" mit Dienstleistungen gegen Entgelt. Die Beförderung der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber betrifft nach der Vorabentscheidung grundsätzlich unternehmensfremde Zwecke oder -- anders ausgedrückt -- Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen. Dem entspricht nach dem Umsatzsteuergesetz 1980 Steuerbarkeit als Eigenverbrauch nach §1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. b.

Für unentgeltliche Zuwendungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer enthält das Umsatzsteuergesetz 1980 jedoch als lex specialis die Vorschrift des §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b. Danach entfällt die Steuerbarkeit nicht, wenn ein Unternehmer u.a. sonstige Leistungen an seine Arbeitnehmer aufgrund des Dienstverhältnisses ausführt, für die die Leistungsempfänger kein besonders berechnetes Entgelt aufwenden.

Der Senat griff zur Bestimmung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf ihre Entstehungsgeschichte, ihre Stellung als besondere Ausgestaltung der Grundvorschrift des §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 und auf die Gegenüberstellung zu §1 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1980 (Eigenverbrauch) zurück. Sie hat danach die Besonderheit, daß sie zwar (anders als der "Eigenverbrauch" im Regelfall) Leistungen des Arbeitgebers aus betrieblichen Gründen, aber keinen Leistungsaustausch voraussetzt, soweit die Leistung auch privaten Bedarf der Arbeitnehmer befriedigt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 153, 155, BStBl II 1988, 643, unter II. 2. d, und vom 21. Juli 1994 V R 21/92, BFHE 175, 169, BStBl II 1994, 881). Betriebliche Gründe sind bei Leistungen "auf Grund des Dienstverhältnisses" regelmäßig anzuwenden. Die Steuerbarkeit der betrieblich veranlaßten Zuwendungen entfällt nur dann, wenn die Befriedigung des privaten Bedarfs der Arbeitnehmer durch die mit der Maßnahme verfolgten betrieblichen Zwecke überlagert wird.

Der Senat braucht auf die Vereinbarkeit dieser Sonderregelung mit den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/ EWG nicht im einzelnen einzugehen. Soweit der Rahmen der Steuerbarkeit nach den Voraussetzungen des §1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 auch nach richtlinienkonformer Auslegung über den der Richtlinienbestimmung hinausgehen sollte, könnte sich der Steuerpflichtige auf die ihm günstigere Richtlinie 77/388/EWG berufen.

c) Übereinstimmend mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats kann nach der Vorabentscheidung des EuGH (Rdnr. 31) eine Beförderungsverpflichtung aufgrund eines Tarifvertrages zwar nicht für sich allein den Charakter der Beförderungsleistungen als nicht steuerbar nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmen. Nach Auffassung des EuGH stellt dieser Umstand aber ein Indiz dafür dar, daß die Beförderung Zwecken dient, die nicht unternehmensfremd sind. Das gilt nach Rdnr. 32 des Urteils gleichermaßen für Besonderheiten der Bauunternehmen (wie im Vorlagefall vorgetragen).

Solche besonderen Umstände, die es dem Arbeitgeber gebieten, die Beförderung seiner Arbeitnehmer zu übernehmen, sah der EuGH beispielsweise in der Tatsache, daß nur der Arbeitgeber ein geeignetes Verkehrsmittel bieten könne oder daß es sich nicht um eine feste, sondern um eine wechselnde Arbeitsstätte handle.

4. Der Senat kann anhand der Feststellungen des FG über das Vorliegen solcher besonderen Umstände nicht abschließend entscheiden. Die Vorentscheidung mußte daher aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden.

Das FG hatte -- mit der Rechtsprechung des Senats (BFH-Urteil in BFHE 153, 155 und 162, BStBl II 1988, 643 und 651) -- den Grundsatz betont, daß Fahrten zur Arbeitsstätte vorrangig zum privaten Bereich des Arbeitnehmers gehörten. Zwar ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil, daß die Arbeitnehmer zu wechselnden Baustellen bzw. Arbeitsstätten befördert wurden. Ob diese Arbeitsstellen aber aufgrund der jeweiligen Entfernung oder mangels anderer Beförderungsmöglichkeiten es geboten bzw. die Klägerin "zwangen", die Beförderung zu übernehmen, wird das FG festzustellen haben.

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1270

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