Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Abgrenzung von Betriebsausgaben und Kosten der Lebensführung.

Aufwendungen für das sog. Kundschaftstrinken sind Betriebsausgaben nur, soweit der für die Lebensführung übliche Aufwand überschritten und ein ausschließlicher Zusammenhang mit dem Betrieb einwandfrei dargelegt ist.

Zur amtlichen Aufklärungspflicht des Finanzgerichts, wenn der Steuerpflichtige sein Rechtsmittel nicht begründet hat. AO § 243; EStG 1951/55 § 4 Abs. 4, § 12 Ziff. 1.

 

Normenkette

AO § 243; EStG § 4/4, § 12 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Bfin., eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, betreibt eine Bäckerei mit Konditorei und Tagescafe. Bei einer im Jahre 1959 für die Jahre 1952 bis 1956 durchgeführten Betriebsprüfung ist festgestellt worden, daß die Buchführung nicht ordnungsmäßig war, weil ein Kassenbuch nicht geführt, das Kassenkonto des Journals nicht aufgerechnet, die Tageseinnahmen nur in vollen DM- Beträgen aufgezeichnet und die Eintragungen in das Wareneingangsbuch nicht nach der Zeitfolge vorgenommen waren. Dem Vorschlag des Betriebsprüfers folgend erhöhte das Finanzamt die einheitlich festgestellten Gewinne auch um Aufwendungen für das sogenannte Kundschaftstrinken. Der Einspruch, der trotz wiederholter Aufforderung nicht begründet wurde, blieb ohne Erfolg. Auch die Berufung, die wiederum nicht begründet wurde, hatte keinen Erfolg.

Mit ihrer Rb. rügt die Bfin. formelle und sachliche Mängel. Nach ihrer Ansicht hätte das Finanzgericht trotz der Nichtbegründung des Rechtsmittels weitere Ermittlungen anstellen und eventuell mündliche Verhandlungen anberaumen müssen. Keinesfalls hätte aber das Finanzgericht die Aufwendungen für das Kundschaftstrinken dem Gewinn zurechnen dürfen. Der Betriebsprüfer habe die Aufwendungen, weil auch der private Bereich betroffen sei, nicht als Betriebsausgaben anerkannt. Er übersehe dabei aber, daß die Besuche notwendig gewesen seien, um die Verbindung mit den Kunden aufrechtzuerhalten, und daß besuchte Restaurants, die noch nicht zu den Kunden gehörten, durch die Besuche als neue Kunden geworben werden sollten.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.

Der Vorwurf unzureichender Sachaufklärung ist nicht begründet. Das Finanzgericht ist zwar nach § 243 AO ebenso wie das Finanzamt nach § 204 AO zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen verpflichtet. Im steuergerichtlichen Verfahren geht es um die Ermittlung der "materielle" Wahrheit; es darf also nicht einfach als wahr übernommen werden, was die Steuerpflichtigen vortragen. Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung wäre stark gefährdet, wenn das Finanzgericht sich allein auf das Vorbringen der Steuerpflichtigen verlassen müßte oder dürfte. Auf der anderen Seite kann aber auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen durch entsprechende Darlegungen nicht verzichtet werden. Das Finanzgericht braucht aber nicht hinter Steuerpflichtigen, die eine Mitwirkung hartnäckig verweigern, "herzulaufen", um weitere Aufklärungen zu versuchen, wenn durch das Finanzamt bereits ein glaubwürdiger Sachverhalt ermittelt ist. Das Finanzgericht muß, wenn der Steuerpflichtige sich gegen seine Veranlagung wehrt, zwar davon ausgehen, daß er mit dem Vorgehen des Finanzamts nicht zufrieden ist, auch wenn er seinen Einspruch oder seine Berufung im einzelnen nicht begründet. Das Finanzgericht kann aber in der Regel, zumal wenn der Steuerpflichtige wie im Streitfall durch einen Steuerberater vertreten ist, bei Fehlen einer Rechtsmittelbegründung annehmen, daß in erster Linie nur die rechtliche Nachprüfung begehrt wird. Jedenfalls kann man dem Finanzgericht, das in solchen Fällen nur die rechtliche Seite prüft, in der Regel keine unzureichende Sachaufklärung vorwerfen, wenn der durch das Finanzamt festgestellte Sachverhalt nicht offensichtlich zu Bedenken Anlaß gibt. So aber liegt es im Streitfall.

Die Nichtanerkennung der geltend gemachten Aufwendungen für das Kundschaftstrinken ist allerdings rechtlich bedenklich. Das Finanzamt hat die von den Gesellschaftern der Bfin. verausgabten Beträge zunächst offenbar um die Kosten gekürzt, die durch die Teilnahme der Ehefrauen veranlaßt waren, und den Rest nicht als Betriebsausgaben anerkannt, weil auch der private Lebensbereich betroffen und eine Scheidung zwischen dem privaten und dem betrieblichen Bereich nicht möglich sei, so daß die gesamten Aufwendungen nach § 12 Ziff. 1 EStG nicht absetzbar seien. Dies wird ohne nähere Begründung auch vom Finanzgericht gebilligt.

So allgemein kann der Auffassung des Finanzamts aber nicht zugestimmt werden. Richtig ist, daß nach § 12 Ziff. 1 EStG Aufwendungen für den Haushalt der Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen das Einkommen nicht mindern können und daß die Aufwendungen für die Lebensführung auch dann nicht absetzbar sind, wenn sie gleichzeitig zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen. Dies bedeutet aber nicht, daß der Abzug betrieblich veranlaßter Aufwendungen immer ausgeschlossen ist, wenn auch die Lebensführung betroffen ist. Bei Dienst- oder Geschäftsreisen werden z. B. in bestimmten Grenzen auch Aufwendungen für die Verpflegung, also typische Aufwendungen für die private Lebenshaltung als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgesetzt. ähnlich ist es bei der Bewirtung von Geschäftsfreunden in fremden Räumen.

Wie der Bfin. zuzugeben ist, kann es durch die Art des Betriebs bedingt sein, daß ein Gewerbetreibender seine Kunden in ihren Betrieben aufsucht und dort als Kunde auftritt, um bestehende Beziehungen zu pflegen oder neue zu knüpfen. Sofern die ausschließlich betriebliche Veranlassung für solche Ausgaben klar liegt, können sie als Betriebsausgaben abgezogen werden. Wie immer, wenn Ausgaben gleichzeitig auch die Lebensführung betreffen können, sind aber in diesen Fällen an den Nachweis der betrieblichen Veranlassung strenge Anforderungen zu stellen. Um diesen Nachweis geht es im Streitfall. Denn wenn die Gesellschafter der Bfin. die streitigen Ausgaben für den Verzehr in den Restaurants, Cafes und Gastwirtschaften ihrer bisherigen oder neu zu werbenden Kunden als durch ihren Betrieb bedingt ansehen, so wird doch ohne Zweifel dadurch auch die Lebensführung der Gesellschafter betroffen.

Allgemeine Grundsätze für die Abgrenzung zwischen privaten und betrieblichen Ausgaben der hier streitigen Art sind schwer aufzustellen, weil es wesentlich auf die Verhältnisse der Branche und der einzelnen Unternehmen ankommt. Daß z. B. Brauereivertreter in den von ihnen "betreuten" Gastwirtschaften oft größere Zechen machen, als sie sie aus persönlichen Gründen machen würden, ist allgemein bekannt. In Fällen dieser Art kann man darum in bestimmten Grenzen den Abzug solcher Ausgaben als Betriebsausgaben oder Werbungskosten nicht versagen. Auf der anderen Seite ist ausgeschlossen, daß ein Gewerbetreibender die Aufwendungen für Brot, Kaffee und ähnliche Gegenstände, die er im Haushalt braucht, deswegen als Betriebsausgaben absetzen könnte, weil er mit den Lieferanten dieser Waren in geschäftlichen Beziehungen steht. Auch wenn für den Einkauf gerade bei diesen Lieferanten geschäftliche überlegungen eine Rolle gespielt haben mögen, so steht hier doch die private Lebenshaltung im Vordergrund. Es gibt auch Fälle, in denen, z. B. beim Theaterbesuch, die Tatsache, daß der Theaterbesitzer auch Kunde des Steuerpflichtigen ist, für die geschäftlichen Beziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Theaterbesitzer erfahrungsgemäß keine Bedeutung haben kann.

Auch bei Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für solche Bedürfnisse, die seinen notwendigen Lebensunterhalt überschreiten, kann man oft davon ausgehen, daß, selbst wenn berufliche oder betriebliche Erwägungen mit im Spiele sind, doch die Lebensführung im Vordergrund steht und eine Aufteilung zwischen beruflicher und persönlicher Veranlassung in aller Regel unmöglich ist. So gehören z. B. die Kosten für die Teilnahme an einem wöchentlichen Skatabend oder einer Stammtischrunde, der Besuch eines Varietes oder einer guten Gaststätte und die Teilnahme an einem Faschingsfest und an ähnlichen Veranstaltungen auch für Gewerbetreibende in der Regel zur Lebensführung, selbst wenn sie zu den Gaststättenbesitzern, Veranstaltern usw. in geschäftlichen Beziehungen stehen. § 12 Ziff. 1 EStG enthält zwar eine gesetzliche Typisierung, aber nur, um eine Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen zu sichern und nicht einzelnen Steuerpflichtigen bei zufälligem Zusammentreffen mit geschäftlichen Beziehungen einen steuerlichen Vorteil zu verschaffen. Durch den Besuch von Restaurants, Cafes usw. erwachsene Aufwendungen, wie sie im Streitfall geltend gemacht werden, kann man darum nur als betrieblich veranlaßt ansehen, soweit sie den üblichen Lebenshaltungsaufwand übersteigen und einwandfrei dargetan ist, daß dieser Mehraufwand nur auf geschäftlichen Erwägungen beruht. Die betriebliche Veranlassung kann nicht subjektiv nur durch den Willen des Steuerpflichtigen bestimmt werden, sondern muß objektiv feststellbar und nachprüfbar sein. Ein objektiver Zusammenhang kann vor allem durch die Branchenüblichkeit dargetan werden. Auch das Verhältnis der Aufwendungen zu den erzielten oder erzielbaren Einnahmen kann eine Rolle spielen. So ist im Urteil des Bundesfinanzhofs VI 154/58 vom 19. Januar 1961 (Der Betriebs- Berater 1961 S. 558) ausgesprochen, daß die Tatsache, daß Frau und Kinder eines Handelsvertreters an dessen Geschäftsfreundebewirtungen teilgenommen haben, allein nicht ausreicht, um den Abzug der Aufwendungen schlechthin auszuschließen, sondern daß es darauf abzustellen ist, ob nach Abzug der reinen Lebenshaltungskosten die verbleibenden Aufwendungen unangemessen hoch sind.

Das angefochtene Urteil war aufzuheben, weil es nicht erkennen läßt, ob das Finanzgericht von diesen Grundsätzen ausgegangen ist. Die nicht spruchreife Sache war zur nochmaligen Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411064

BStBl III 1964, 98

BFHE 1964, 246

BFHE 78, 246

BB 1964, 248,249

DB 1964, 393

DStR 1964, 170

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