Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Betriebsprüfung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine ein Erzwingungsgeld nach § 202 AO festsetzende Verfügung ist nicht deshalb rechtlich fehlerhaft, weil sie vor Eintritt der Rechtskraft der das Zwangsmittel androhenden Verfügung ergangen ist. Der Senat tritt dem Urteil des Reichsfinanzhofs III A 47/21 vom 25. Mai 1921 (Slg. Bd. 6 S. 139) bei.

Der vom Bundesfinanzhof entwickelte und in ständiger Rechtsprechung vertretene Grundsatz, daß die überprüfung der Rechtmäßigkeit einer ein Zwangsmittel festsetzenden Verfügung die überprüfung der Rechtmäßigkeit der das Zwangsmittel androhenden Verfügung einschließt, erleidet eine Ausnahme in den Fällen, in denen eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung eines Finanzgerichts bereits die Rechtmäßigkeit der Androhungsverfügung bestätigt hat.

 

Normenkette

AO § 202

 

Tatbestand

I. -

Streit besteht über die Rechtmäßigkeit von drei Verfügungen, mit denen das Finanzamt gegen den in der ehemaligen britischen Besatzungszone wohnhaften Bf. insgesamt sieben Erzwingungsgelder festgesetzt hat.

Nachdem das Finanzamt sich zunächst während längerer Zeit durch wiederholte Eingaben des Bf. wegen der Abgabe der Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuererklärungen für 1956, der Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen für 1957 sowie der Abgabe der Vermögenserklärung und Vermögensaufstellung (auf den 1. Januar 1957) hatte vertrösten lassen, setzte es dem Bf. schließlich mit drei Verfügungen vom 13. Januar 1960 für die Abgabe dieser Erklärungen eine Frist bis 30. Januar 1960 und drohte ihm gleichzeitig für den Fall der Nichtbefolgung für jede der abzugebenden Erklärungen je ein besonderes Erzwingungsgeld an. Da die Erklärungen nicht fristgemäß abgegeben wurden, setzte das Finanzamt sodann mit drei Verfügungen vom 9. Februar 1960 die angedrohten Erzwingungsgelder fest, und zwar wegen der Abgabe der Erklärungen für 1956 bei der Einkommensteuer 40 DM, bei den beiden anderen Steuern je 30 DM, wegen der Abgabe der Steuererklärungen für 1957 ein solches von 80 DM bei der Einkommensteuer und von 60 DM bei der Gewerbesteuer sowie wegen der Abgabe der Vermögenserklärung und Vermögensaufstellung für 1957 je ein solches von 30 DM.

Sowohl gegen die Androhungs- als auch gegen die Festsetzungsverfügungen legte der Bf. die zulässigen Rechtsmittel ein (Beschwerde an Finanzgericht und Berufung).

Das Finanzgericht bestätigte die Androhungs- und Festsetzungsverfügungen dem Grunde nach, setzte aber sämtliche angedrohten und festgesetzten Erzwingungsgelder herab, und zwar, soweit sie die Steuererklärungen betrafen, auf je 20 DM, soweit sie sich auf die Vermögenserklärung und Vermögensaufstellung bezogen, auf je 10 DM.

Die Beschlüsse des Finanzgerichts, mit denen es über die Androhungsverfügungen entschieden hat, wurden rechtskräftig.

Die ausdrücklich auf die Anfechtung der Berufungsurteile über die Festsetzung der Erzwingungsgelder beschränkten, vom Senat zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Rbn. werden übereinstimmend damit begründet, die Festsetzung der Erzwingungsgelder hätte nicht vor Eintritt der Rechtskraft der Androhungsverfügungen geschehen dürfen. Auch seien die in den Androhungsverfügungen festgesetzten Fristen mit Rücksicht auf den gesamten Sachverhalt unangemessen kurz gewesen, da das Finanzamt bis dahin immer wieder aus den verschiedensten Gründen bereit gewesen sei, zuzuwarten. Auch habe es sich nicht um wesentliche Steuerbeträge gehandelt, die bei den abzugebenden Steuererklärungen auf dem Spiele standen. Daher könne es auch nicht darauf ankommen, daß seit den allgemein vorgeschriebenen Terminen für die Abgabe der Erklärungen bereits 15 bzw. 21 Monate verstrichen gewesen seien.

II. -

 

Entscheidungsgründe

Die Rbn. haben keinen Erfolg.

Der Haupteinwand des Bf. gegen die Rechtmäßigkeit der angegriffenen, die Erzwingungsgelder festsetzenden Verfügungen des Finanzamts vom 9. Februar 1960 und damit gegen die diese Verfügungen - wenn auch mit Abänderungen - bestätigenden Urteile des Finanzgerichts geht fehl. Der Bf. behauptet, diese Verfügungen hätten nicht ergehen dürfen, ehe die vorausgegangenen, die Erzwingungsgelder androhenden Verfügungen des Finanzamts rechtskräftig geworden seien. Dem kann nicht gefolgt werden.

Aus dem Gesetz (§ 202 Abs. 9 AO) geht nur hervor, daß vor der Festsetzung eines Erzwingungsgeldes der Pflichtige unter Androhung des Zwangsmittels und Setzung einer angemessenen Frist zur Vornahme der geforderten Handlung aufgefordert worden sein muß. Das bedeutet nicht, daß diese vorausgegangene Verfügung auch Rechtskraft erlangt haben muß, damit die nachfolgende Festsetzung des angedrohten Zwangsgeldes rechtmäßig ist. Wäre dies - wie der Bf. meint - Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Festsetzungsverfügung, so würde damit dem vom Gesetzgeber der Finanzverwaltung an die Hand gegebenen Erzwingungsverfahren praktisch jede sinnvolle Wirksamkeit genommen. Der Pflichtige hätte nämlich dann die Möglichkeit, sich durch Einlegung des Rechtsmittels gegen die Androhungsverfügung ohne weiteres auf ungewisse längere Zeit dem Finanzzwang zu entziehen. Das würde aber unzweifelhaft dem Sinn und Zweck des § 202 AO widersprechen, der darin besteht, säumige Pflichtige nach Setzung einer angemessenen Frist zur nunmehr alsbaldigen Erfüllung ihrer Obliegenheiten anzuhalten. Eine ein Erzwingungsgeld festsetzende Verfügung ist nicht schon deshalb rechtlich fehlerhaft, weil sie vor der Rechtskraft der das Zwangsgeld androhenden Verfügung ergangen ist. In diesem Sinn hat bereits der Reichsfinanzhof in seinem ausführlich begründeten, auch die Rechtsschutzinteressen gegeneinander abwägenden Urteil III A 47/21 vom 25. Mai 1921 (Slg. Bd. 6 S. 139) entschieden; diesem Urteil tritt der erkennende Senat bei.

Die Auffassung des Bf. läßt sich auch nicht auf die von ihm hierfür herangezogenen Entscheidungen des Reichsfinanzhofs V A 95/28 vom 10. Juli 1928 / 24. September 1928 (Mrozek-Kartei, AO § 202 Rechtsspruch 28) und II A 41/21 vom 28. Januar 1921 (Slg. Bd. 4 S. 289) stützen. Es besteht zwar, und dies ist auch in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs II 27/54 S vom 27. April 1955, BStBl 1955 III S. 178/79, Slg. Bd. 60 S. 468) anerkannt, zwischen der Androhungs- und Festsetzungsverfügung ein enger innerer Zusammenhang, der z. B. zur Folge hat, daß die überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Festsetzungsverfügung auch die überprüfung der mit einem selbständigen Rechtsmittel nicht angegriffenen Androhungsverfügung mitumfaßt und daß daher rechtliche Mängel der Androhungsverfügung in einem solchen Fall auch der nachfolgenden Festsetzungsverfügung die Grundlage entziehen. Dies alles bedeutet aber nicht, daß die Festsetzung des Erzwingungsgeldes vor dem Rechtskräftigwerden der Androhungsverfügung rechtlich unzulässig wäre.

Die übrigen Einwände des Bf., die Fristen für die Abgabe der verlangten Steuererklärungen seien mit Rücksicht auf das vorangegangene Verhalten des Finanzamts unangemessen kurz gewesen und es komme daher nicht darauf an, daß seit den allgemein angeordneten Abgabeterminen 15 bzw. 21 Monate verstrichen gewesen seien, richten sich ihrem Inhalt nach gegen die Rechtmäßigkeit der den Festsetzungsverfügungen vorausgegangenen Androhungsverfügungen.

Wenngleich - wie oben unter II 1. bereits ausgeführt ist - wegen des inneren Zusammenhangs zwischen Androhungs- und Festsetzungsverfügungen die rechtliche überprüfung der letzteren auch die Prüfung der Rechtmäßigkeit der ersteren einschließt, so kann der Bf. in den vorliegenden Streitfällen dennoch mit diesen Einwendungen in den vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr gehört werden. Denn der vorstehend genannte, vom Bundesfinanzhof wiederholt ausgesprochene Grundsatz kann, wie sich aus dem Folgenden ergibt, nur für die Fälle Geltung haben, in denen die der Festsetzung des Zwangsmittels vorausgegangene Androhungsverfügung nicht selbst mit Rechtsmitteln angegriffen worden ist und daher noch als ein nach den §§ 93 und 95 AO aufhebbarer oder abänderbarer Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung über die Festsetzungsverfügung besteht. Ist jedoch die das Zwangsmittel androhende Verfügung - wie es in den vorliegenden Streitfällen geschehen ist - selbst mit dem dafür in Betracht kommenden Rechtsmittel angegriffen worden - hier mit der Beschwerde an das Finanzgericht nach § 18 a) der damals noch gültigen Verordnung Nr. 175 der ehemaligen Britischen Militärregierung -, und hat das Finanzgericht die Rechtmäßigkeit der Androhungsverfügungen durch eine nicht weiter mit der Rb. angegriffene, also rechtskräftig gewordene Entscheidung bestätigt, so kann der Bundesfinanzhof die gleiche Rechtsfrage - Rechtmäßigkeit der Androhungsverfügung - im Zuge der überprüfung der Festsetzungsverfügung nicht erneut rechtlich prüfen, sondern ist an die unabänderlich gewordene Entscheidung des Finanzgerichts gebunden. Dies ergibt sich als unvermeidbare Folge der Rechtskraftwirkung gerichtlicher Entscheidungen. Denn der Bundesfinanzhof ist nicht in der Lage, die vom Finanzgericht in einem anderen Verfahren getroffene und rechtskräftig gewordene Entscheidung aufzuheben oder abzuändern. Würde der Bundesfinanzhof in der gleichen Rechtsfrage - hier etwa der Frage der Angemessenheit der vom Finanzamt gesetzten und vom Finanzgericht durch seine Entscheidung als angemessen bestätigten Fristen in der Androhungsverfügung - in einem anderen Sinn entscheiden als das Finanzgericht, so lägen im Ergebnis zwei, denselben Tatbestand und dieselbe Rechtsfrage betreffende, sich widersprechende rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen vor. Dies würde aber mit rechtsstaatlichen Gesichtspunkten im Widerspruch stehen.

Der vom Bundesfinanzhof entwickelte und in ständiger Rechtsprechung vertretene Grundsatz, daß die überprüfung der Rechtmäßigkeit einer ein Zwangsmittel festsetzenden Verfügung die überprüfung der Rechtmäßigkeit der das Zwangsmittel androhenden Verfügung einschließt, erleidet eine Ausnahme in den Fällen, in denen eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung eines Finanzgerichts bereits die Rechtmäßigkeit der Androhungsverfügung bestätigt hat.

Da auch gegen die Angemessenheit der vom Finanzgericht in ihrer Höhe herabgesetzten Erzwingungsgelder und gegen die Form der Festsetzungsverfügungen keine rechtlichen Bedenken bestehen und auch kein Ermessensfehlgebrauch zu erkennen ist, waren die Rbn. als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410245

BStBl III 1961, 572

BFHE 73, 843

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