Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Sacheinheit; hier: mit Ventilen ausgerüstete Stahlflaschen.

 

Normenkette

UStG 1951 § 7 Abs. 3

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) lieferte in den Streitjahren u. a. leere Stahlflaschen für verdichtete, verflüssigte und unter Druck gelöste Gase. Die Stahlflaschen hatte die Steuerpflichtige gebraucht oder fabrikneu erworben. Vor der Weiterlieferung richtete die Steuerpflichtige die Stahlflaschen entsprechend den Vorschriften der Verordnung über die ortsbeweglichen geschlossenen Behälter für verdichtete und verflüssigte und unter Druck gelöste Gase vom 2. Dezember 1935 (sog. Druckgasverordnung) und den dazu ergangenen technischen Grundsätzen (herausgegeben und bearbeitet von der Vereinigung der Technischen Überwachungsvereine e. V. Essen) her. Dabei wurde in jede Stahlflasche das den verschiedenen Gasarten entsprechende Ventil eingeschraubt, das von einer Schutzkappe geschützt wird. Die Ventile erwarb die Steuerpflichtige von anderen Lieferanten als denen der Stahlflaschen. Je nach Lage der Verhältnisse nahm die Steuerpflichtige an den Stahlflaschen noch einzelne der folgenden Behandlungen vor:

1. Anbringen eines Farbanstriches entsprechend der Gasart, für die die Stahlflaschen Verwendung finden sollten;

2. Einprägen folgender Bezeichnungen: Nummer, Gasart, Füllgewicht, Prüfdruck, Leergewicht, Prüfdatum, Eigentümer;

3. Füllen mit Wasser;

4. Einschrauben des Prüfstutzens;

5. Wasserdruckprüfung durch einen Sachverständigen;

6. Ausschrauben des Prüfstutzens;

7. Entleeren und Trocknen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) sah in diesen Behandlungen der Stahlflaschen durch die Steuerpflichtige Bearbeitungen oder Verarbeitungen, durch welche die Inanspruchnahme des ermäßigten Großhandelssteuersatzes nach § 7 Abs. 3 UStG 1951 ausgeschlossen wird.

Mit der gegen die entsprechend dieser Rechtsauffassung ergangenen Umsatzsteuerbescheide 1958 bis 1960 gerichteten Sprungklage hatte die Steuerpflichtige keinen Erfolg. Das FG ließ dahingestellt, ob in den oben unter 1 bis 7 aufgezählten Behandlungen steuerlich schädliche Bearbeitungen der Stahlflaschen zu erblicken seien. Der ermäßigte Großhandelssteuersatz sei der Steuerpflichtigen aber in allen in Rede stehenden Fällen schon deswegen zu versagen, weil sie in sämtliche gelieferte Stahlflaschen das jeweils den vorgesehenen Gasarten entsprechende Ventil eingeschraubt habe. Hierdurch habe die Steuerpflichtige die Gasflasche und das Ventil zu einer Sacheinheit vereinigt.

Mit der Revision rügt die Steuerpflichtige Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der Auffassung, das FG habe den Begriff der Sacheinheit verkannt. Die Steuerpflichtige habe vielmehr aus erworbenen Gegenständen (Gasflasche und Ventil) jeweils eine Sachgesamtheit gebildet.

Sie beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des FG und unter Abänderung der angefochtenen Bescheide die Umsatzsteuer für die streitigen Umsätze auf 1 v. H. herabzusetzen.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

Mit Recht hat die Vorinstanz der Steuerpflichtigen für die Lieferung der Stahlflaschen den ermäßigten Großhandelssteuersatz nach § 7 Abs. 3 UStG 1951 versagt, weil die Steuerpflichtige in die Stahlflaschen die entsprechenden Ventile eingeschraubt und dadurch Sacheinheiten gebildet hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Frage, ob es sich um eine Sache (Sacheinheit) handelt, nach bürgerlichem Recht zu beurteilen (vgl. Entscheidung des BFH V R 107/66 vom 12. Dezember 1969, BFH 98, 216, BStBl II 1970, 274, und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine Sache im Sinne des § 90 BGB ist ein für sich allein bestehender, im Verkehrsleben besonders bezeichneter Gegenstand (BFH-Entscheidung V 212/64 vom 11. Mai 1967, BFH 89, 162, BStBl III 1967, 581). Der Sachbegriff wird in der Regel durch die "Kohärenz" bestimmt. Jedoch reicht auch eine nur lose körperliche Verbindung, die z. B. bereits durch die Schwerkraft bewirkt wird, zur Annahme einer Sacheinheit aus. So hat der Senat in dem Urteil V 158/59 U vom 12. April 1962 (BFH 74, 708, BStBl III 1962, 261) die Bildung einer einheitlichen Sache durch einen Unternehmer bejaht, der von zwei Firmen die verschiedenen Teile für eine Zeitung gedruckt und bereits gefaltet erworben und beide Teile gemeinsam als Tageszeitung weiterveräußert hatte. In dem Urteil V 13/61 U vom 14. Februar 1963 (BFH 76, 548, BStBl III 1963, 199) hat der Senat einen aus fünf Teilen zusammengestellten Spannungsregler als Sacheinheit behandelt. Schließlich hat der Senat in dem oben bezeichneten Urteil V R 107/66 auch die sog. "Berliner Bären" als Sacheinheit angesehen; hier handelte es sich um kleine Plüschbären, die mit einer Krone und Schärpe versehen sind und in Klarsichtpackung verkauft wurden; die getrennt erworbenen Kronen und Schärpen hatte der Unternehmer lediglich mit Stecknadeln an den Plüschbären befestigt. In allen Urteilen ist ausgeführt, daß unter Berücksichtigung aller Umstände bei verständiger und unvoreingenommener Betrachtung in Übereinstimmung mit der Anschauung des Verkehrs das Vorliegen nur einer Sache angenommen werden müsse, weil die Einzelteile in solchem Maße hinter dem Ganzen zurückträten, daß für den verständigen Beurteiler jeweils nur eine Sache, nämlich die Tageszeitung bzw. der Spannungsregler und im letzten Fall der sog. "Berliner Bär" vorliege.

Nicht anders liegen die Verhältnisse im vorliegenden Fall. Bei natürlicher Betrachtung sellt sich das Ganze (Stahlflasche und Ventil) trotz der Lösbarkeit der eingegangenen Verbindung als eine Körpereinheit dar; die zu dem Ganzen verbundenen Gegenstände haben ihre frühere Eigenschaft als selbständige Sache dergestalt verloren, daß sie nunmehr als unselbständige Stücke dieser Körpereinheit erscheinen. Zwischen Flasche und Ventil ist eine für die Dauer bestimmte Verbindung geschaffen worden; ohne Ventil ist die Flasche nicht verwendbar. Dies trifft auch dann zu, wenn das Ventil wegen seiner besonderen Beanspruchung einem schnelleren Verschleiß unterworfen ist als die Stahlflasche (vgl. auch Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 87 S. 43, 45).

Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das FG die mit Ventilen ausgerüsteten Stahlflaschen nicht als Sachgesamtheiten, sondern als Sacheinheiten angesehen hat.

Unter diesen Umständen konnte das FG mit Recht dahingestellt sein lassen, ob die übrigen von der Steuerpflichtigen an den Stahlflaschen vorgenommenen Behandlungen als Bearbeitung oder Verarbeitung anzusehen sind. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob die Ausführungen über die Prüfung der Stahlflaschen nach § 8 Abs. 2 der Druckgasverordnung zutreffend sind, da diese Ausführungen für diese Entscheidung ohne Bedeutung sind.

Die Revision war daher als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69097

BStBl II 1970, 705

BFHE 1970, 427

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