Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für den Ansatz eines niedrigeren Bodenrichtwerts; Abschlag auf den Bodenrichtwert wegen der Grundstücksgröße

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein niedrigerer Wert als der vom Gutachterausschuss angegebene Bodenrichtwert kann der Feststellung eines Grundstückswerts jedenfalls dann nicht zu Grunde gelegt werden, wenn lediglich geltend gemacht wird, die Höhe des Bodenrichtwerts an sich sei unzutreffend.

2. Ein Abschlag auf den Bodenrichtwert wegen der Größe des zu bewertenden Grundstücks ist nur vorzunehmen, wenn der Gutachterausschuss Umrechnungskoeffizienten für die Grundstückgrößen vorgegeben hat (vgl. R 161 Abs. 3 ErbStR).

 

Normenkette

BewG § 146 Abs. 6, § 145 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Entscheidung vom 19.03.2002; Aktenzeichen 1 K 491/98; EFG 2002, 1572)

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erbte am 10. Februar 1996 ein Grundstück in R. Das Grundstück war 5 790 qm groß und mit einem Wohnhaus bebaut. R besteht aus einem größeren Neubaugebiet sowie einer kleineren alten Ortslage, in der das streitbefangene Grundstück liegt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) stellte in seiner Eigenschaft als Lagefinanzamt mit Bescheid vom 14. Januar 1998 den Grundstückswert (Mindestwert gemäß § 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 Satz 1 des Bewertungsgesetzes ―BewG―) auf 787 000 DM fest. Das FA legte hierbei den vom zuständigen Gutachterausschuss auf den 31. Dezember 1995 festgestellten Bodenrichtwert von 170 DM/qm zu Grunde. Dieser Bodenrichtwert galt für Bauland, für das Erschließungsbeiträge nicht mehr zu entrichten waren; eine weitere Wertedifferenzierung erfolgte nicht. Das typische Richtwertgrundstück war maximal 1 000 qm groß. Für die Folgejahre unterschied die Bodenrichtwertkarte in Neubaugebiet und alte Ortslage; der Bodenrichtwert auf den 31. Dezember 1996 betrug 190 DM/qm (Neubaugebiet) bzw. 140 DM/qm (alte Ortslage).

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage mit der Begründung, der Feststellung des Mindestwerts sei ein anderer ―niedrigerer― Bodenrichtwert zu Grunde zu legen und der Größe des Grundstücks sei durch einen entsprechenden Abschlag Rechnung zu tragen, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) legte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1572 veröffentlichten Urteil unter Berufung auf § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG einen niedrigeren Bodenrichtwert (140 DM/qm) zu Grunde und kam unter Berücksichtigung eines Abschlages von 30 v.H. wegen Übergröße zu einem Mindestwert, der unter dem Ertragswert nach § 146 Abs. 2 bis 5 BewG in Höhe von 481 000 DM lag, und stellte diesen Ertragswert als Grundstückswert fest.

Hiergegen wendet sich die Revision des FA mit dem Antrag, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Das FG hat im Rahmen der nach § 146 Abs. 6 BewG vorzunehmenden Vergleichsrechnung den Wert, mit dem der Grund und Boden allein als fiktiv unbebautes Grundstück nach § 145 Abs. 3 BewG zu bewerten wäre, fehlerhaft ermittelt und deswegen seiner Entscheidung zu Unrecht den nach seiner Ansicht höheren (Ertrags-)Wert nach § 146 Abs. 2 bis 5 BewG zu Grunde gelegt. Das FG durfte bei der Ermittlung des Werts des fiktiv unbebauten Grundstücks weder anstelle des vom zuständigen Gutachterausschuss ermittelten und dem FA mitgeteilten (um 20 v.H. ermäßigten) Bodenrichtwerts einen von ihm selbst abgeleiteten (und um 20 v.H. ermäßigten) Bodenrichtwert verwenden, noch einen Abschlag von 30 v.H. wegen der Grundstücksgröße vornehmen.

1. Das FG hat nicht beachtet, dass die von den Gutachterausschüssen ermittelten und dem Finanzamt mitgeteilten Bodenrichtwerte für die Beteiligten verbindlich und einer gerichtlichen Überprüfung jedenfalls im Regelfall nicht zugänglich sind.

a) Bodenrichtwerte (§ 145 Abs. 3 Satz 1 BewG) werden in einem besonderen Verfahren (§ 196 des Baugesetzbuchs ―BauGB―) durch öffentlich-rechtlich eingerichtete Gutachterausschüsse (§ 192 BauGB) ermittelt und öffentlich bekannt gemacht sowie dem Finanzamt mitgeteilt; jedermann kann Auskunft über die Bodenrichtwerte verlangen (§ 196 Abs. 3 BauGB).

Die Übertragung der Ermittlung von Bodenrichtwerten auf eine außerhalb der Steuerverwaltung eingerichtete Stelle beruht darauf, dass den Gutachterausschüssen auf Grund ihrer besonderen Sach- und Fachkenntnis und ihrer größeren Ortsnähe sowie der in hohem Maße von Beurteilungs- und Ermessenserwägungen abhängigen Wertfindung eine vorgreifliche Kompetenz bei der Feststellung eines Bodenrichtwerts für die Bedarfsbewertung zukommt.

Bodenrichtwerte sind auf Grund dieser gesetzlichen Regelung der Zuständigkeit und im Rahmen der vom Gesetzgeber damit beabsichtigten Typisierung ―so § 138 Abs. 3 Satz 1 BewG― und Vereinfachung der Bedarfsbewertung für die Beteiligten im Steuerrechtsverhältnis verbindlich und einer gerichtlichen Überprüfung regelmäßig nicht zugänglich. Der mittels der Typisierung vom Gesetzgeber angestrebte Vereinfachungseffekt würde verloren gehen, wenn bei der Rechtsüberprüfung einer solchermaßen vorgenommenen Bewertung über die richtige Höhe der Bodenrichtwerte gestritten würde. Der Steuerpflichtige hat nur Anspruch auf eine Wertermittlung, die dem typisierenden Verfahren entspricht, nicht jedoch auf den Ansatz eines anderen, von ihm für richtiger gehaltenen Bodenrichtwerts, der dem des öffentlich bekannt gemachten nicht entspricht. Ihm bleibt nur der Nachweis eines tatsächlich niedrigeren gemeinen Werts des Grundstücks nach § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG. Vor dem Hintergrund der jeder Grundstücksbewertung innewohnenden Unsicherheiten und der Tatsache, dass mit den Bodenrichtwerten auf der Basis von Verkaufsfällen eine anerkannt objektive Bewertungsgrundlage vorgegeben wird, ist es im Rahmen eines typisierenden Bewertungsverfahrens nicht zu beanstanden, dass dem Steuerpflichtigen die Nachweislast für einen niedrigeren gemeinen Wert des Grundstücks insgesamt aufgebürdet wird (Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Oktober 2004 II B 129/03, BFH/NV 2005, 507 sowie BFH-Urteil vom 10. November 2004 II R 69/01, BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259) und bloße Einwendungen gegen den Bodenrichtwert nicht ausreichen. Er hat keinen Anspruch auf Feststellung eines unter dem gemeinen Wert des Grundstücks liegenden Grundstückswerts.

b) Der Ansatz eines niedrigeren Bodenrichtwerts kann auch nicht auf § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG gestützt werden.

Der Wert unbebauter Grundstücke bestimmt sich nach ihrer Fläche und den um 20 v.H. ermäßigten Bodenrichtwerten (§ 145 Abs. 3 Satz 1 BewG, § 196 BauGB). Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert des unbebauten Grundstücks niedriger ist als der nach § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG ermittelte Wert, ist als Grundstückswert der gemeine Wert festzustellen (§ 145 Abs. 3 Satz 3 BewG).

§ 145 Abs. 3 Satz 3 BewG ermöglicht nicht den Nachweis eines niedrigeren Bodenrichtwerts, sondern eines niedrigeren gemeinen Werts des fiktiv unbebauten Grundstücks. Die Nachweislast hierfür obliegt gemäß § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG dem Steuerpflichtigen (BFH-Urteil in BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259). Führt der Steuerpflichtige diesen Nachweis nicht, kann das FG der Wertfeststellung nicht von sich aus einen wie auch immer ermittelten niedrigeren gemeinen Wert zu Grunde legen.

c) Die Vorentscheidung entspricht nicht den vorgenannten Rechtsgrundsätzen.

2. Das FG hat auch zu Unrecht wegen der Grundstücksgröße einen Abschlag vorgenommen.

a) Nach § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG bestimmt sich der Wert unbebauter Grundstücke nach ihrer Fläche und den um 20 v.H. ermäßigten Bodenrichtwerten. Danach wird der Grundstückswert durch die Fläche und den ermäßigten Bodenrichtwert festgelegt. Dies schließt es aus, die (Über-)Größe einer Grundstücksfläche zum Anlass für eine Anpassung des Bodenrichtwerts zu nehmen. Hiervon ging auch der Gesetzgeber aus. In der Gesetzesbegründung heißt es: "Die Bodenrichtwerte sollen so abgeleitet werden, dass der Bodenwert des einzelnen Grundstücks nicht erheblich vom Bodenrichtwert der zugeordneten Bodenrichtwertzone abweicht. … Bei der Bewertung des einzelnen Grundstücks soll der Bodenrichtwert, falls erforderlich, nur noch an eine abweichende bauliche Nutzung angepasst werden … . Weitere wertbeeinflussende Merkmale, wie z.B. Ecklage, Grundstücksgröße, Zuschnitt, Oberflächenbeschaffenheit und Beschaffenheit des Baugrundes sollen abweichend von der bisherigen Grundstücksbewertung außer Ansatz bleiben bzw. durch den Abschlag … abgegolten sein" (Begründung zum Regierungsentwurf eines Jahressteuergesetzes 1997, BRDrucks 390/96, 50). Selbst bei erheblich abweichender Größe des zu bewertenden Grundstücks vom Richtwertgrundstück soll danach ein Abschlag nicht vorgenommen werden. Vielmehr sind im Rahmen der gesetzlichen Typisierung Größenabweichungen durch den pauschalen Wertabschlag von 20 v.H. ausgeglichen. Ein Abschlag wegen abweichender Größe des Grundstücks kommt allerdings (nur) dann in Betracht, wenn der Gutachterausschuss Umrechnungskoeffizienten für die Grundstücksgröße vorgegeben hat (vgl. R 161 Abs. 3 der Erbschaftsteuer-Richtlinien). Denn in diesem Fall führt erst der vorzunehmende Abschlag zu dem vom Gutachterausschuss ermittelten und für die steuerliche Wertermittlung maßgebenden Bodenrichtwert.

b) Dies hat das FG verkannt. Es hat rechtsfehlerhaft einen Abschlag wegen Übergröße vorgenommen, ohne dass der vom Gutachterausschuss ermittelte Bodenrichtwert einen Umrechnungskoeffizienten für die Grundstücksgröße vorsieht.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann aus Gründen des rechtlichen Gehörs abschließend nicht darüber entscheiden, ob die Voraussetzungen des § 146 Abs. 6 BewG vorliegen. Die Sache war deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Für die Klägerin bestand auf Grund der Rechtsauffassung des FG bislang keine Veranlassung, einen niedrigeren gemeinen Wert des Grundstücks gemäß § 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG nachzuweisen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259). Hierzu wird ihr das FG unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Senats nunmehr Gelegenheit zu geben haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1410701

BFH/NV 2005, 1908

BStBl II 2005, 686

BFHE 2006, 48

BFHE 210, 48

BB 2005, 2061

DB 2005, 2170

DStRE 2005, 1176

DStZ 2005, 655

HFR 2005, 1061

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